zur Druckansicht

„Ein Leben lang begleitet, bedrückt, belastet“

Gedenkfeier in München zum 74. Jahrestag der Deportation der Banater Schwaben zur Zwangsarbeit in die damalige Sowjetunion: die anwesenden Kinder ehemaliger Deportierter mit Mitgliedern des Landesvorstandes Bayern, HOG- und Kreisvorsitzenden Einsender: Bernhard Fackelmann

Es ist innerhalb des Landesverbandes Bayern unserer Landsmannschaft Brauch geworden, dass der Landesverband jeweils gemeinsam mit einem Kreisverband an den Jahrestag der Russlanddeportation erinnert. Auch wenn mittlerweile 74 Jahre seit der Aushebung der Deutschen in Rumänien und deren Deportation zur Zwangsarbeit in die damalige Sowjetunion vergangen sind, hatte dieses Ereignis vielen Familien schmerzhafte Verletzungen hinzugefügt und bleibende Einschnitte in Sippen und Dorfgemeinschaften hinterlassen.

Schlimm war, dass im kommunistischen Rumänien bis zur Wende 1989 öffentlich nicht darüber geredet und geschrieben werden durfte oder wenn, dann nur verbrämt und euphemistisch. Noch schlimmer, dass auch in der freien westlichen Welt kaum einer für dieses Thema Interesse aufbrachte und erst nach der großen Gedenkveranstaltung 1995 in München, von unserer Landsmannschaft initiiert und den anderen Verbänden mitveranstaltet, Dämme gebrochen waren und das Leid dieser Menschen öffentlich wurde. Es bleibt eine der großen Fragen, warum dies erst nach fünfzig Jahren möglich war. Denn jeder der Teilnehmer, der in dem übervollen Liebfrauendom in München, im Alten Rathaus bei der Tagung oder Ausstellung, im Hofgarten bei der Kranzniederlegung dabei war, konnte erkennen, dass hier ein großes Bedürfnis der Tausenden ehemaligen Deportierten gestillt wurde.

An diese bahnbrechende Gedenkveranstaltung erinnerte Bundesvorsitzender Peter-Dietmar Leber am
12. Januar im Pfarrsaal St. Martin in München, genau 24 Jahre später. Denn waren es damals vor allem ehemalige Zwangsarbeiter und deren Angehörige, so konnte diesmal kein einziger ehemaliger Zwangsarbeiter mehr teilnehmen, dafür aber über-raschend viele Kinder ehemaliger Deportierter.
Die im Mittelpunkt stehende Frage lautete deshalb: „Wie geht die Generation der Kinder und Enkel jener Gezeichneten mit dieser Geschichte um, welche Fragen nach der Einordnung dieser Ereignisse in ihre Biografien, aber auch in jene einstiger oder bestehender Gemeinwesen stellen sich heute noch?“

Leber erinnerte daran, dass die ehemaligen Zwangsarbeiter diese Botschaft bereits selbst vermittelt hätten: „Sie haben trotz unmensch-licher Prüfungen, traumatischer Erfahrungen und ungemein schlechter Startbedingungen nach der Entlassung ihr Leben gemeistert, sie haben es sehr gut gemeistert – jeder von uns kennt die entsprechenden Biografien in seinem Heimatort. Und sie haben ihren Nachkommen einiges mit auf den Weg gegeben: ihre Stimme zu erheben, wenn Menschenrechte und Grundwerte bedroht sind; zusammenzustehen, einer für den anderen da zu sein; Solidarität zu üben, wie damals die Großfamilien, in deren Obhut die zurückgebliebenen Kinder blieben und trotz schwerer Prüfungen im Glauben Kraft zu finden.“ Um aufzuzeigen, welch hohe Verluste eine einzige Banater Gemeinde zu verzeichnen hatte, las Leber die Namen der Opfer aus Blumenthal im Banat stellvertretend für alle Banater Heimatortsgemeinschaften vor. Minuten vergingen.

Kreisvorsitzender Bernhard Fackelmann, der vor vier Jahren die Anbringung einer Gedenktafel für die Opfer der Deportation und der beiden Weltkriege am Denkmal für die Opfer von Flucht und Vertreibung auf dem Friedhof in München-Untermenzing initiiert hatte, erinnerte in seiner Begrüßungsansprache an das Leid der Deportierten anhand persönlicher Schicksale aus seiner Familie und aus seinem Heimatort Sanktmartin. Ungewissheit über das eigene Schicksal und jenes der Verbliebenen, Hunger, der Kampf ums Überleben, Hoffnung auf Heimkehr waren Konstanten im harten Alltag der Zwangsarbeiter. Fackelmann schilderte auch die Bemühungen Rumäniens und Deutschlands um eine Anerkennung des erlittenen Leids in Form finanzieller Entschädigungen, die aber nie eine Wiedergutmachung dieses Leids sein konnten. Eindringlich warb er dafür, das Gedenken an die Opfer der Deportation und Zwangsarbeit zu bewahren.

Seitens der Kinder der ehemaligen Zwangsarbeiter erinnerte Katharina Scheuer aus Jahrmarkt in bewegenden Worten an das Schicksal ihrer Mutter und wie daheim damit umgegangen worden ist. „In ihrem ganzen Leben hat meine Mutter nie so oft und so viel über diese schlimme Zeit gesprochen als in ihren letzten Lebenstagen. So dass es selbst mir erst dann richtig bewusst wurde, wie sehr sie dieses schlimme Erlebnis ein Leben lang begleitet, bedrückt und belastet hat“, berichtete Katharina Scheuer. Russland sei Bezugspunkt verbindender Erinnerungen gewesen – „wir waren doch zusammen in Russland“ –, Bezugspunkt elemen-tarer Lebens- und Todeserfahrungen und Ausgangspunkt einer einzigen und allgemeinen Botschaft: „So etwas soll nie wieder passieren!“ Es ist wichtig, dass die Kinder der ehemaligen Deportierten in Zukunft häufiger darüber berichten, wie in den Familien mit diesem Thema umgegangen worden ist und was sie der Enkelgeneration mit auf den Weg geben.

Zu den Klängen einer Bläsergruppe der Original Banater Dorfmusikanten unter der Leitung von Helmut Baumgärtner senkten sich die Fahnen des Kreisverbandes München und der Heimatortsgemeinschaft Sanktmartin stellvertretend für alle Opfer der Deportation und Zwangsarbeit. Zwei Kränze – vom Landesverband Bayern und vom Kreisverband München unserer Landsmannschaft gestiftet – wurden am folgenden Tag an der Gedenktafel für die Opfer der Deportation und der beiden Weltkriege auf dem Parkfriedhof in München-Untermenzing niedergelegt. Das Gebet für die Opfer sprach Pfarrer Peter Zillich aus Regensburg. Auch seine Mutter musste in Russland Zwangsarbeit verrichten, auch er kennt die Berichte über diese schwere Zeit, mit der sich viele Betroffene ihm anvertrauten, weshalb es ihm wichtig ist, an diesen Gedenktagen unter seinen Landsleuten zu sein.

Dies gilt auch für die anwesenden Verbandsvertreter: Landeskassenwart Hans Noll aus Burghausen, die Vorsitzenden der Heimatortsgemeinschaften Mercydorf Michael Klaus und  Neubeschenowa Ewald Müller sowie den Kreisvorsitzenden von Fürstenfeldbruck/Starnberg/Dachau Jakob Lenhardt.
 Man war sich einig, dass bei kommenden Veranstaltungen verstärkt die Folgen der Deportation für Kinder und Enkel, für Familien und Sippen, aber auch für die Ortsgemeinschaften thematisiert werden sollen.