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Das Ansiedlungsjahrhundert im Fokus der 53. Kulturtagung in Sindelfingen

Die vom Gerhardsforum Banater Schwaben veranstaltete und von dem Musikwissenschaftler Dr. Franz Metz konzipierte und realisierte Ausstellung „Banater Orgeln und Orgelbauer. Bilder einer europäischen Orgellandschaft“ wurde anlässlich der Tagung im Haus der Donauschwaben eröffnet. Fotos: Cornel Simionescu-Gruber

Landesvorsitzender Josef Prunkl begrüßte die rund achtzig Teilnehmer der 53. Kulturtagung des Landesverbandes Baden-Württemberg im Haus der Donauschwaben in Sindelfingen.

Die traditionell im November im Haus der Donauschwaben in Sindelfingen vom Landesverband Baden-Württemberg unserer Landsmannschaft veranstaltete Kulturtagung hat sich in über fünf Jahrzehnten zu einer Institution etabliert, die sich der Aufarbeitung und Vermittlung von Themen zur Geschichte und Kulturgeschichte der Banater Deutschen widmet. Einerseits bieten die Jahreskulturtagungen Wissenschaftlern, Kulturschaffenden, Heimatforschern eine Präsentationsplattform für neue Erkenntnisse in den verschiedensten Wissens- und Themenbereichen, die ihren Niederschlag in den seit 1995 kontinuierlich erscheinenden Tagungsbänden finden. Andererseits haben sie sich zum jährlichen Sammelpunkt der kulturell interessierten Banater Schwaben aus dem ganzen Bundesgebiet entwickelt. So zählte die Kulturtagung 2017 – die 53. in Folge –, die am 18./19. November stattfand, rund achtzig Teilnehmer.

Anlassbezogen war das Tagungsprogramm der deutschen Ansiedlung im Banat gewidmet. Mit der Eroberung der Festung Temeswar durch die habsburgischen Heere unter Prinz Eugen und der anschließenden Inbesitznahme des Banats, das als kaiserliche Provinz Wien unterstellt wurde, begann vor 300 Jahren die Geschichte der Banater Schwaben. Das Temeswarer Banat entwickelte sich in Folge binnen weniger Jahrzehnte zu einem attraktiven Kolonisationsraum und zu einer habsburgischen Vorzeigeprovinz. Neben allgemeinen Aspekten der Ansiedlung und des Wiederaufbaus des Banats gingen die Referentinnen und Referenten spezielleren Fragestellungen nach, etwa der Gründungsgeschichte der Doppelgemeinde Landestreu-Hatzfeld, dem Verkauf von Banater Gütern und Joseph II., der städtebaulichen Entwicklung von Temeswar im 18. Jahrhundert, den Bewaldungsarbeiten in der sogenannten Banater Sandwüste oder den evangelischen deutschen Siedlungen im Banat. Für die inhaltliche Konzeption der Tagung zeichnete zum ersten Mal die Germanistin und Volkskundlerin Halrun Reinholz verantwortlich, die die Stafette von
Dr. Walter Engel übernommen hat.

Josef Prunkl, Vorsitzender des Landesverbandes Baden-Württemberg der Landsmannschaft der Banater Schwaben, eröffnete die Tagung und hieß die Ehrengäste, die Referentinnen und Referenten sowie alle Teilnehmer willkommen. Als Ehrengäste begrüßte er die Geschäftsführerin des Hauses der Donauschwaben, Henriette Mojem, die Kulturreferentin für Südosteuropa am Donauschwäbischen Zentralmuseum Ulm, Dr. Swantje Volkmann, die Vorsitzende des Arbeitskreises donauschwäbischer Familienforscher, Dr. Hertha Schwarz, den Bundesehrenvorsitzenden der Landsmannschaft der Banater Schwaben, Bernhard Krastl, den Bundesvorsitzenden des Heimatverbandes der Banater Berglanddeutschen, Günther Friedmann, und die Ehrenvorsitzende des Verbandes, Herta Drozdik-Drexler, sowie den langjährigen Organisator der Sindelfinger Kulturtagungen, Dr. Walter Engel. Josef Prunkl überbrachte Grüße seitens des Bundesvorsitzenden Peter-Dietmar Leber, des Ehrenvorsitzenden des Landesverbandes, Jakob Laub, und des langjährigen Kulturreferenten des Landesverbandes, Alfred Huth. Er dankte Halrun Reinholz für die inhaltliche Vorbereitung der Kulturtagung und Gudrun Reitz von der Landesgeschäftsstelle in Stuttgart für die organisatorische Arbeit im Vorfeld und während der Tagung.

„In den vergangenen Jahren hat es sich immer wieder aufs Neue gezeigt, dass die Banater Kulturtagungen eine Plattform für intensiven Gedankenaustausch und fachliche Anregungen bieten. Und welcher andere Ort wäre geeigneter, über Banater Kultur zu reden als das Haus der Donauschwaben“, fragte dessen Geschäftsführerin, Henriette Mojem. Seit 47 Jahren sei das Haus der Donauschwaben das geistige und kulturelle Zentrum der weltweit verstreut lebenden Donauschwaben. Anhand einiger Höhepunkte aus dem Veranstaltungskalender des Jahres 2017 verdeutlichte Mojem die Bedeutung des Hauses als Kulturzentrum. Darüber hinaus sei das Haus dank seiner Spezialbibliothek und des hier beheimateten Arbeitskreiseses donauschwäbischer Familienforscher auch ein wichtiges Forschungszentrum. Seit vielen Jahren würden hier Studenten und Doktoranden bibliothekarisch beraten und betreut, die ihre Masterarbeiten und Dissertationen im Bereich donauschwäbische Geschichte und Kulturgeschichte schreiben, betonte Mojem. Und auch diesbezüglich gab es Beispiele.

Das Programm der diesjährigen Tagung umfasste sechs Vorträge, zudem die Eröffnung der Ausstellung „Banater Orgeln und Orgelbauer. Bilder einer europäischen Orgellandschaft“ und den traditionellen Konzertabend zum Abschluss des ersten Tages. Ausstellungseröffnung und Konzertabend sind Gegenstand eines gesonderten Berichts in der nächsten Ausgabe.

Einen besonderen Moment stellte die Ehrung des langjährigen Geschäftsführers des Landesverbandes Baden-Württemberg, Hans Georg Mojem, dar. Landesvorsitzender Josef Prunkl zeichnete Mojems
Lebensweg nach und würdigte die Leistungen und Verdienste dieses „Urgesteins der Landsmannschaft“. Mojem habe sich über vier Jahrzehnte aktiv in das landsmannschaftliche Geschehen eingebracht und verantwortungsvolle Aufgaben im Kreisverband Stuttgart, im Landesverband Baden-Württemberg als auch im Bundesverband übernommen. Als Zeichen des Dankes und der Anerkennung überreichte ihm Josef Prunkl unter großem Beifall die Ehrenurkunde des Landesvorstandes Baden-Württemberg.

Nach einer kurzen Einführung in die Tagungsthematik durch die Moderatorin Halrun Reinholz skizzierte Dr. Hans-Heinrich Rieser in seinem Vortrag „Kleine Gruppe – große Wirkung. Die Banater Schwaben als
Gestalter des Banats nach 1718“ Hintergründe und Rahmenbedingungen der Ansiedlung. Ausgehend von den naturräumlichen, historischen und demografischen Gegebenheiten im Banat zum Zeitpunkt seiner Eroberung durch die Habsburger hob der Referent den beispiellosen Wiederaufbau der neuen Provinz hevor, die unter anderem durch die Ansiedlung möglichst vieler Menschen in kurzer Zeit zu einem wirtschaftlich profitablen und militärisch abgesicherten Besitz entwickelt werden sollte. Rieser präsentierte die Epoche der Ansiedlung überblicksartig und wies insbesondere auf den unterschiedlichen Verlauf der Besiedlung der Städte und des Banater Berglands einerseits, der Ebene und des Hügellandes andererseits hin. Ihre größte Wirkung habe die Ansiedlung im Bereich der Wirtschaft entfaltet, resümierte Rieser. Es sei den deutschen Bauern zu verdanken, dass sie das Land urbar machten, in relativ kurzer Zeit florierende Höfe aufbauten und das Banat innerhalb weniger Jahrzehnte zur Kornkammer des Habsburger Reiches aufsteigen konnte. Im Bergland seien es die Berg- und Hüttenleute aus dem deutschsprachigen Raum gewesen, die eine hocheffiziente Montanindustrie schufen und die Basis dafür legten, dass das Banater Bergland bis in die Ceauşescu-Ära das führende Montangebiet in Südosteuropa war.

„Zum Gemeinwohl in ‚guter‘ Ordnung?“, so die Frage, die Prof. Dr. Márta Fata vom Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde Tübingen in ihrem Vortrag zur Gründungsgeschichte von Hatzfeld unter Maria Theresia beleuchtete. Am Beispiel dieses 1766 angelegten Kolonistendorfes verdeutlichte sie, wie die im 18. Jahrhundert geltenden Vorstellungen von Gemeinwohl und Ordnung im konkreten Fall umgesetzt wurden, wobei die Referentin zunächst die gemeinsamen Strukturmerkmale der durch Siedlungsmigration entstandenen Kolonistendörfer herausstrich. In einem weiteren Schritt wurden die Akteure der Dorfgründung unter die Lupe genommen: ein ambitionierter badischer Beamter (Franz Hauer), ein friedloser katholischer Pfarrer (Sebastian Blenckner), ein diensteifriger Banater Administrationsrat (Johann Wilhelm Hildebrand) und ein herrschsüchtiger Verwalter und Aufseher (Friedrich Hirsch). Die Spannungen zwischen Hirsch und den Kolonisten traten in dem Tumult vom 29. Juni 1767 auf eklatante Weise zutage. Dr. Fata schilderte die Ereignisse, die auch ein juristisches Nachspiel hatten, und ordnete den Tumult von Landestreu und Hatzfeld als eine Protesthandlung der Kolonisten zur Verteidigung der Gemeindeverfassung ein, die ihrer Idealvorstellung von der „guten Ordnung“ im Dorf entsprach.
„Die deutsche Ansiedlung im Banat stellt einen Mikrokosmos der Migrationsgeschichte mit einem interessanten Einblick in mögliche historische Lösungsansätze dar, und es lohnt sich, sie aus wissenschaftlicher Sicht zu betrachten“. Zu dieser Erkenntnis gelangte Tabea Stegmiller, eine junge Wissenschaftlerin, die sich in ihrer im Jahr 2016 an der Universität Heidelberg eingereichten Masterarbeit – auf der Grundlage des im Wiener Staatsarchiv aufbewahrten Banater Grundbuchs 1782-1784 – mit dem Verkauf der Banater Kameralgüter an private Grundherren unter Kaiser Joseph II. befasst hatte und nun dieses Thema am Beispiel des Gutes Beodra (heute Novo Miloševo, im serbischen Banat gelegen) beleuchtete. Der Verkauf sollte, so die Vorstellung des Kaisers, „dem Käufer einigen Nutzen und dem verkaufenden Staate einen noch weit größeren“ bringen. In ihrem Referat ging Stegmiller der Frage nach dem Nutzen für den Staat und für dieKäufer nach. Durch den Verkauf der Kameralgüter konnte der Staat eine wirtschaftlich innovative Elite bilden und in die Gesellschaft integrieren, so die Referentin. Ausgehend von den Einträgen im Grundbuch verdeutlichte sie, dass der Käufer des Gutes Beodra, Bogdán Karátsonyi, der das Land urbar machen und bebauen ließ, schon nach relativer kurzer Zeit Gewinn erwirtschaftet habe. „Für ihn schien sich die finanzielle Investition durchaus gelohnt zu haben“, so ihr Fazit.

2018 jährt sich zum 200. Mal der Beginn der Bewaldungsarbeiten in der Banater Sandwüste, westlich von Weißkirchen (Bela Crkva) gelegen. Dieser faszinierenden, heute wenig bekannten Erfolgsgeschichte widmete sich der Filmregisseur Thomas Dapper in seinem Vortrag „Die Pionierleistungen im Banat am Beispiel der Banater Sandwüste“. Der Referent mit donauschwäbischem Hintergrund erläuterte die Faktoren, die die Bildung der 33000 Hektar großen Flugsandwüste (heute das Spezial-Naturreservat Deliblatska peščara) begünstigt haben, und würdigte den Sandbindungspionier Franz Bachofen Edler von Echt (1782-1849). Der Walddirektor hatte nach Untersuchungen vor Ort 1815 dem Wiener Hof einen ersten Bewaldungsplan vorgelegt, den er dann in überarbeiteter Form ab 1818 umsetzen konnte. Thomas Dapper erörterte zum Schluss offene wissenschaftliche Fragestellungen in Bezug auf die Banater Sandwüste, bei der es sich eigentlich um eine Dünenlandschaft handelt.

Seit über vier Jahrzehnten setzt sich der Architekt Mihai Opriş, ein Absolvent der Temeswarer Lenauschule, mit der städtebaulichen Entwicklung und dem architektonischen Erbe seiner Heimatstadt Temeswar auseinander. Seine beiden urbanistischen Monografien (1987 und 2007 erschienen), auf der Untersuchung von mehr als 375 historischen Stadt- und Festungsplänen beruhend, haben zur Korrektur der städtebaulichen Geschichte Temeswars geführt. Denn, wie Opriş festgestellt hatte, wiesen die historiografischen Darstellungen diesbezüglich eklatante Fehler auf. „Alle historischen Stadtviertel, mit Ausnahme der Innenstadt und der Josefstadt, wurden in der Historiografie fehlerhaft platziert und datiert“, so der Referent in seiner in Sindelfingen vorgelegten Präsentation „Die städtebauliche Entwicklung Temeswars im 18. Jahrhundert – Dichtung und Wahrheit“. Anhand mehrerer Pläne und Karten, angefangen von den Stadtplänen des Militäringenieurs François Perrette aus den Jahren 1716-1717 bis zu einem Plan von 1770 – zeichnete Opriş die städtebauliche Entwicklung der Banater Hauptstadt anschaulich und mit viel Detailwissen nach, wobei er immer wieder auf Unstimmigkeiten in der Geschichtsschreibung, zum Beispiel in Bezug auf den Bau der neuen Festung oder die Lokalisierung der Fabrikstadt, hinwies.

„Nachwirkungen von Reformation und Gegenreformation. Die evangelischen deutschen Siedlungen im Banat und die lutherische Gemeinschaft heute. Ein Abriss“ – diesem Thema widmete sich der Journalist und Heimatforscher Luzian Geier. Unter Auswertung der recht spärlichen Quellen wies er zunächst auf frühe Spuren der Reformation und Gegenreformation im Banat hin, um dann näher auf die Zeit der osmanischen Herrschaft und die darauf folgende habsburgische Epoche bis zum Toleranzedikt Josephs II. (1781) einzugehen, die von einer strengen katholischen und antiprotestantischen Haltung geprägt war. Geier erwähnte die ersten evangelisch-lutherischen Ortsgründungen im Banat, angefangen von Liebling 1786, und brachte aufschlussreiche, dem Schematismus der Diözese Tschanad für das Jahr 1829 entnommene statistische Daten bezüglich der konfessionellen Zusammensetzung der Bevölkerung (45000 Lutheraner und Calvinisten bei einer Gesamtbevölkerung von über einer Million). Aufgrund der Publikationen von Samuel Hetzel (1873) und Viktor Schemmel (1934) gab der Referent einen Einblick in das evangelische Schulwesen und die Entwicklung der evangelischen Kirchengemeinde in Temeswar. Zum Schluss stellte er die heutige Situation der sehr kleinen evangelisch-lutherischen Gemeinschaft im Banat dar.

Die Tagungsbeiträge werden wieder in einem Band dokumentiert.