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„Heimatgefühle zwischen zwei Welten“ - 30. Antonitreffen in Freiburg

Musik und Gesang stehen seit jeher im Mittelpunkt des Freiburger Antonitreffens. Sie verbinden Menschen verschiedener Generationen, sie schaffen Heimat und bereiten Freude. Wesentlichen Anteil an der Gestaltung des Treffens hat der Freiburger Singkreis unter der Leitung von Anton Bleiziffer.

Mitwirkende und Gäste sangen zum Auftakt des Treffens gemeinsam das Antoni-Lied, das Namenstagslied der Sanktannaer. Fotos: Josef Budean

Der Gemeindesaal der katholischen Pfarrei Sankt Petrus Canisius in Freiburg ist an diesem Nachmittag des 21. Januar bis auf den letzten Platz besetzt. Er befindet sich im Stadtteil Landwasser, einer Wohnsiedlung der sechziger Jahre, wie sie oft in deutschen Großstädten zu finden ist. Sie bot auch den Aussiedlern der siebziger und achtziger Jahre ersten eigenen Wohnraum in der Stadt. Manche sind später weggezogen, hatten sich Häuser am Stadtrand gebaut, andere wiederum sind ganz bewusst geblieben. Und selbst jene, die nicht geblieben sind, finden sich mindestens einmal im Jahr wieder im Gemeindesaal ein, um ein Fest zu feiern, welches auch innerhalb der reichen und vielfältigen Festtagskultur der Banater Schwaben einzigartig ist. Sie feiern das „Antonitreffen“, ein Treffen, welches ein Träger dieses Namens initiiert hat und gleichzeitig jedes Jahr neu erfindet. Er greift dabei tief in den Fundus überlieferter Erinnerungskultur seines Heimatortes Sanktanna und erzeugt bei den Besuchern immer wieder Staunen, wehmütiges Erinnern, aber auch ein bewusstes Dazustehen. Und so stehen an diesem Nachmittag die vielen Gäste und einige wenige Offiziellen, dabei die Finanzministerin des Landes Baden-Württemberg, Edith Sitzmann von den Grünen, und ein Ministerialdirigent aus dem CDU geführten Innenministerium in Stuttgart, Herbert Hellstern, der eine ganz besondere Beziehung zu Sanktanna aufgebaut hat, und singen zum Auftakt des Treffens gemeinsam das Namenstagslied der Sanktannaer: „Antone sitzt drinnen, steh auf und mach uns auf …“

Anton Bleiziffer, der Erfinder des Antonitreffens, wurde 1950 in Arad geboren. Er stammt aus Sanktanna, hier erfuhr er seine Prägungen, er gibt sie heute weiter. In Freiburg, aber auch in Sanktanna. Vor genau 36 Jahren verließ er seinen Heimatort, dem er bis heute tief verbunden blieb. In Freiburg, wo der diplomierte Musiklehrer eine Stelle beim Deutschen Volksliedarchiv antreten konnte, wurde er heimisch. Wie so viele seiner Landsleute war er stets darum bemüht, Gestern und Heute in Einklang zu bringen, wobei er immer der Ansicht war, dass dieses „Gestern“ für das „Heute“ unabdingbar ist, ja auch im „Heute“ zum Ausdruck kommen sollte. Er beobachtete dieses Ringen bei seinen Landsleuten und überlegte sich, wie er sie darin bestärken könnte, sämtliche Bausteine ihrer Identität anzunehmen. „Ich wollte ihnen ein Fest schenken“, erinnert er sich heute. „Etwas, was es bis dahin noch nicht gegeben hatte, worin sie sich aber trotzdem wiederfinden können.“ Er gründete einen Singkreis, den er bis heute leitet, der zum Träger dieses Festes wurde und um den sich so vieles angesiedelt hat.

Finanzministerin Edith Sitzmann kennt Anton Bleiziffer noch aus ihrer Zeit als Gemeinderätin in Freiburg. Als solche besuchte sie das Volksliederarchiv, eine über 100 Jahre alte Einrichtung, in der Volkslieder aus dem deutschsprachigen Raum gesammelt werden – auch jene aus dem Banat. Die gebürtige Regensburgerin kam über das Studium nach Freiburg und ist in der Stadt geblieben. Ihren Wahlkreis, zu dem auch Freiburg-Landwasser gehört, hat sie direkt gewonnen. An diesem Nachmittag überreicht sie Anton Bleiziffer die Staufer-Medaille des Landes Baden-Württemberg. „Sie vermitteln zwischen den Kulturen der alten und der neuen Heimat und halten die Kultur der Banater Schwaben in Deutschland lebendig, dafür danke ich Ihnen“, richtet sie sich an den Geehrten. Und weiter: „Es ist ein wertvoller Beitrag für die Gesellschaft.“ Am Tisch, bei Kaffee und reichlich Kuchen und Torten, alle gespendet von Sanktannaerinnen aus Freiburg, setzt sich die Auseinandersetzung mit der Banater Kultur fort. Verständnisprobleme treten bei diesem Thema nicht auf, die Ministerin bekennt, alles verstanden zu haben, auch die Mundart.

Ein Fest der Sanktannaer ohne die Kirche, ohne die Feier einer heiligen Messe ist nur schwer vorstellbar. Als Bleiziffer vor 30 Jahren auf den damaligen Pfarrer von Sankt Petrus
Canisius, Wolfgang Gaber, zugegangen ist und ihm von seinem Plan berichtete, seinen Landsleuten „ein Fest zu schenken“ und dazu auch eine heilige Messe gehöre, sagte jener gleich zu, verband diese Zusage aber mit einer Bitte. Die Sanktanner sollten sich nicht isolieren, sondern diesen Gottesdienst mit der gesamten Pfarrgemeinde feiern. Daraus ist ein fester Termin im Kalender der Pfarrei geworden. Ein Blockflötenchor trat auf und kommt seit dann immer wieder, Pfarrer Gaber ist mittlerweile Münsterpfarrer, aber an diesem Tag wieder in seiner ehemaligen Pfarrei, die Kirche ist gut gefüllt, die Gläubigen von der herzlichen, lebensbejahenden und optimistischen Predigt des Pfarrers angetan. Die frohe Botschaft des Christentums, aber auch das große und tief ins Leben reichende kulturelle Gepräge unserer Religionsgemeinschaft wird gebührend herausgestellt. Anton Hollich, der begnadete Glogowatzer Klarinettenvirtuose, begleitet das Orchester. Es ist einer der vielen Ansätze, mit denen Anton Bleiziffer jedes Jahr neue Akzente setzt. Sie wirken über die gesamte Veranstaltung verstreut, aber dahinter stehen Überlegungen, die im Laufe eines Jahres reifen, die mit seinen Mitstreitern im Singkreis besprochen werden, das Ergebnis inhaltlicher Auseinandersetzungen sind. Denn auch die Akteure auf der Bühne, die Zuschauer im Saal haben sich verändert, genauso der Blick auf das Sanktanna von einst und jetzt.

Auf der Bühne im Gemeindesaal steht eine Aussiedlerkiste aus Rumänien. Die berühmte Kiste mit den 70 Kilo genehmigtem Umzugsgut vom kommunistischen Rumänien ins demokratische Deutschland, von einem Leben ins andere, steht im Kontrast zu dem, was sich auf und vor der Bühne abspielt. Das wahre Gepäck, es war nicht in dieser Kiste, sondern in den Köpfen und Herzen der Menschen, die hier ihr kulturelles Erbe ausbreiten. Es werden Volkslieder und Lieder mit überarbeiteten Texten und Melodien gesungen, es werden kurze Sketche und Erfahrungen der Sanktanner im Alltag in Freiburg dargeboten, natürlich in Mundart, reflektierend und durchaus selbstkritisch. Erinnerung wird weniger zelebriert als direkt und unmissverständlich ausgedrückt, wie es an einem solchen Tag, in dieser Lebensphase der Akteure und Mitwirkenden nur möglich ist. Interessant ist, dass sich auch Gäste daran beteiligen. Der amtierende Pfarrer in Landwasser, Dr. Joachim Koffler, greift zur Gitarre und singt drei Lieder, die er eigens für diese Veranstaltung vorbereitet hat, auch in der Auseinandersetzung mit den Sanktannaern und ihrem besonderen Lebensweg. Jeder Einzelne müsse ernst genommen werden, sagte der ehemalige Hochschulpfarrer und promovierte Moraltheologe, als er den Pfarreiverbund Freiburg-West übernommen hatte. Er hält sich an sein Versprechen. Auf der Bühne wirkte vor Jahren auch ein Pfarrer aus Burundi mit, der hier Dienst versah, ein Musiker aus dem Banat, aus Frankreich oder den Niederlanden. Die Veranstalter sind bemüht, immer wieder neue Akzente zu setzen. Dies machen auch die Schauspieler Hans Jakobi, aus dem Banat stammend, und das Ehepaar Lisbeth Felder, eine bekannte Schweizerin, die im SWR auftritt, und ihr Mann, der Siebenbürger Sachse Karl-Heinz Maurer. Alle drei setzen sich, lustig oder ernst, mit dem Begriff Heimat auseinander: „doppelte Heimat“, „drüben“, „noch drüben“, oder – wie es die Veranstalter auf einer Postkarte zum Jubiläum ausdrückten –„Heimatgefühle zwischen zwei Welten“. Darunter befinden sich die Wappen von Freiburg, von Sanktanna und vom Banat.

Musik hat im Leben der Banater Schwaben und der Sanktannaer im Besonderen immer eine große Rolle gespielt. Fast in jedem Haus konnte jemand ein Instrument spielen, die Tradition wurde hoch gehalten. Über die Blasmusikkapellen im Banat ist schon viel und kompetent berichtet worden. Auch Anton Bleiziffer sieht sich dieser Tradition verpflichtet, weswegen er schon mal für einige Wochen in seinen Heimatort Sankt-anna gereist war, um dort ehrenamtlich an der Schule über eben diese Musiktradition zu lehren. Es ist der einzige Ort im Banat, wo in den letzten Jahren eine Kinder- und Jugendblaskapelle aufgebaut worden ist und ein anderer Sanktannaer, Johann Kerner, den Schülern unzählige gespendete Musikinstrumente überbracht hat. Die „Eisenbahner-Musikanten“ aus Freiburg, die Mehrheit der Musiker stellen die Banater Schwaben, spielen zum Antoni-Treffen unter der Leitung von Hans Franz auf. Olli Lutz und Helga Salm moderieren, erinnern an die Welt, die heute in der Erinnerung der Anwesenden ständig präsent ist. Ein Ständchen bringen Rose und Anton Hollich gemeinsam mit Josef Zippel dar. Sie singen Lenaus „Einst und jetzt“ in der Vertonung von Anton Bleiziffer: „Möchte wieder in die Gegend …“

Heimatgefühle kann man nicht übertragen. Was man aber sicher machen kann, machen sollte, ist, der nächsten Generation die Möglichkeit zu geben, sich des kulturellen Erbes zu nähern und zu bedienen. Indem Kinder und Enkel zu Veranstaltungen mitgenommen und in das Programm miteingebunden werden, erreicht man viel. Der Freiburger Singkreis geht diesen Weg und will ihn in den nächsten Jahren ausbauen. Christel Muranyi spricht Sanktannaer Mundart nicht nur auf der Bühne, ihre in Freiburg geborenen Kinder sprechen sie auch. Auch die Söhne von Helmine und Anton Bleiziffer beherrschen sie. Ihre Sketche, mit schauspielerischem Talent vorgetragen, erklingen in der Lautfärbung, die den meisten Besuchern vertraut ist. Josef Budean überzeugt als Humorist.

Als der Abteilungsleiter im baden-württembergischen Innenministerium, Herbert Hellstern, 2015 den damaligen Innenminister Reinhold Gall auf seiner Reise ins Banat begleitete, stellte auch Sanktanna ein Besuchstermin dar. Das Kirchweihfest, eine heilige Messe in der Mutter-Anna-Kirche und eine Kantorin gleichen Namens, Marianne Hellstern, mit möglicherweise den gleichen Vorfahren im Kraichgau, trugen dazu bei, dass der hohe Beamte ehrenamtlich für Sanktanna tätig geworden ist und einen Förderverein zur Sanierung der Mutter-Anna-Kirche ins Leben gerufen hat. Spendenaufrufe und Benefizveranstaltungen erbringen die erhofften Mittel und 2018 soll die Kirche zum 150. Weihefest wieder in altem Glanz stehen. Dies berichtet an diesem Tag der Ehrengast aus Stuttgart, der sich, ja man kann schon fast sagen unter „seinen“ Landsleuten, sichtlich wohl fühlt. Auch in Freiburg rascheln an diesem Tag die Scheine in den bereitgestellten Spendenkörben für die Mutter-Anna-Kirche. Die HOG Sanktanna, das Forum der Deutschen in Sanktanna haben den Termin ebenfalls ganz oben auf der Tagesordnung stehen: 150 Kirchweihpaare werden an dem Fest mitwirken. Fünfzig Jahre vorher, also 1968, zum 100. Jahrestag der Kirchenweihe, hatte auch Anton Bleiziffer ein großes Kirchweihfest, dem Anlass entsprechend mit 100 Kirchweihpaaren, in Sanktanna organisiert. Es waren aber nur Jugendliche aus Neu-Sanktanna dabei, der Heimatbegriff wurde damals sehr eng gefasst, was ihm heute noch quer liegt. Eine Folge war, dass er eine Alt- und Neu-Sanktanna vereinende Kulturgruppe ins Leben gerufen hatte.

Im Förderverein wirkt auch Katharina Hell mit. Sie trug zum Jubiläum des Singkreises ein frei erfundenes Märchen über die „Banater Stadtmusikanten“ vor, welches letztlich dann kein Märchen, sondern eine Erfolgsgeschichte des Singkreises und dessen Leiters geworden ist. Weitere Grußworte sprachen Johann Kerner, Vorsitzender des Vereins Valores aus Neumarkt, Peter Bieber, Vorsitzender des Kreisverbandes Freiburg und der Bundesvorsitzende der Landsmannschaft. Zugegen waren aber auch der Ehrenbundesvorsitzende der Landsmannschaft, Bernhard Krastl, die Vorsitzenden der Heimatortsgemeinschaften Jahrmarkt, Helene Eichinger, und Deutschbentschek, Willi Kuhn, sowie die Vorsitzende des St. Gerhardswerkes, Anni Fay. Zu den Klängen von Josef Zippel und Michael Kohlem wurde bis weit nach Mitternacht getanzt. Den Besuchern des Festes wurde eine Sonderausgabe der Informationsbroschüre der HOG Sanktanna, Kreis Freiburg, „Tick-Tack“ vorgelegt. Sie widmet sich der Mundart. Es ist bereits Heft 21.

Das Antonitreffen fand zum ersten Mal 1987 statt. Einladungen wurden bis heute nie verschickt und trotzdem waren in den dreißig Jahren stets alle Plätze besetzt. In den ersten zehn Jahren fanden auswärtige Gäste kaum Zutritt, es hatte sich ein harter Kern herausgebildet. Mittlerweile gibt es Besucher aus Frankenthal, Ingolstadt, Nürnberg und anderen Sanktannaer Hochburgen in Deutschland. Manche holen sich hierfür Urlaub, so das Ehepaar Hans und Maria Reinholz aus Frankenthal, das stets seine Hilfe zur Gestaltung des Festes anbietet. Das Antonitreffen 2017 ist Geschichte. Sie wurde in Bild und Ton festgehalten. Die Vorbereitungen für das Treffen 2018 haben bereits begonnen.

Mit Anton Bleiziffer habe ich mich noch lange über unsere Aussiedlerkiste unterhalten. Was haben wir verloren, was haben wir gewonnen, wo stehen wir, wohin entwickeln wir uns. Wir stellten fest, dass dies nichts mit der Kiste und deren Inhalt zu tun hat, die nur eine Metapher für unsere Aussiedlung ist, aber sehr viel mit unserer inneren Einstellung, um Heimatgefühle zwischen zwei Welten in Einklang zu bringen. „Es hat die Menschen erreicht“, lautet sein Fazit. Er hat ihnen viel mehr geschenkt als nur ein Fest.