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Vortänzer in drei Generationen

Die beim diesjährigen Kirchweihfest des Kreisverbandes Reutlingen mitwirkenden Trachtenträger mit Ehrengästen und Geistlichen. Gefeiert wurde diesmal nach Sackelhausener Art.

Trachtenfestzug durch den Reutlinger Stadtteil Betzingen.

Vortänzer Raphael Wagner versteigert den Kirchweihstrauß. Fotos: Banater Knipser

250 Jahre Sackelhausen: das Dorfjubiläum wurde Ende Mai mit einer großangelegten Feier in der Heimatgemeinde begangen. Was lag da näher, als die vom Kreisverband Reutlingen ausgerichtete Banater Kirchweih in Reutlingen-Betzingen in diesem Jahr nach Sackelhausener Art auszurichten, zumal in Reutlingen und Umgebung viele Sackelhausener eine neue Heimat gefunden haben.

Im Vorfeld der sechsten Banater Kirchweih hatte der Kreisvorstand am 2. Juli zu einem Pressegespräch ins Betzinger Rathaus eingeladen, an dem neben Vertretern der lokalen Medien auch der Schirmherr des Festes, der Betzinger Bezirksbürgermeister Thomas Keck, sowie das Vortänzerpaar Nadine und Raphael Wagner teilnahmen. „Insgesamt stellen die Banater Schwaben, nach gelungener Integration, eine tragende und wichtige gesellschaftliche Säule in Reutlingens grösster und ältester Stadtteilgemeinde dar“, lobte Keck das Engagement des Kreisverbandes Reutlingen.

Auch diesmal waren Gäste aus dem Banat eingeladen. Der Jugendtrachtenverein „Banater Rosmarein“ aus Temeswar und die „Warjascher Spatzen“ wurden bei ihrem Eintreffen in Reutlingen am Donnerstagabend von der Trachtengruppe und Mitgliedern des Kreisverbandes herzlich empfangen und beköstigt. Den Abend ließ man gemeinsam in geselliger Runde am Lagerfeuer ausklingen. Untergebracht waren die beiden Gastgruppen im Jugendgästehaus des Umweltbildungszentrums Listhof. In Begleitung von Erhard Recktenwald, Karsten Loch und Brunhilde Forro unternahmen diese am nächsten Tag einen Ausflug zum Schloss Lichtenstein und ins Mercedes-Museum Stuttgart (darüber erscheint ein gesonderter Bericht in dieser Ausgabe). Begeistert kehrten die Jugendlichen nach Reutlingen zurück, wo sie mit einem Abendessen erwartet wurden. Nach und nach trafen auch die Gäste von der Singener Tanzgruppe ein und zur Krönung dieses erlebnisreichen Tages traf man sich am Lagerfeuer im Listhof.

Dieser Freitag war für die Veranstalter und ihre Helfer mit viel Arbeit verbunden. Unter der Koordination der stellvertretenden Kreisvorsitzenden Rosi Petla konnten die anstehenden Aufgaben bewältigt werden, so dass man dem Kirchweihfest gelassen entgegensehen konnte. Auch der von Franz Loch geschmückte Kirchweihstrauß stand bereit.

Am Samstag, dem 11. Juli, war es dann soweit. Im Laufe des Vormittags trafen die eingeladenen Tanz- und Trachtengruppen in der Kemmlerhalle ein. Die einzelnen Teams (Grillteam, Langoschteam, Banater Durstlöscher und Banater Backakademie) hatten den ganzen Tag über alle Hände voll zu tun und die Banater Knipser warteten auf ihren Einsatz.

In Begleitung der Original Donauschwäbischen Blaskapelle Reutlingen unter der Leitung von Johann Frühwald startete der Festzug Richtung Kirche. An der Spitze des Trachtenzuges marschierte das Vortänzerpaar mit dem Kirchweihstrauß, gefolgt von Katharina und Heinrich Nagel, den Großeltern des Paares, von Hedi Wagner, der Mutter der Vortänzer, mit Kirchweihpartner und ihrer Tante Mariechen Huschitt – beide ehemalige Vortänzerinnen. Eine schöne Familientradition, die weitergeführt wird und von lebendiger Brauchtumspflege zeugt.

Vor der Mauritiuskirche wurden die Kirchweihpaare von Pfarrer Peter Zillich, Diakon Dr. Radu Thuma und Pfarrer Ansgar Bausenhart begrüßt und ins Gotteshaus geleitet. Kreisvorsitzende Neu hieß alle Gottesdienstbesucher willkommen. Das Zusammenfinden in der Mauritiuskirche sei auch ein Versuch, den Herausforderungen der modernen westlichen Gesellschaft gerecht zu werden. Was oft als Bedrohung für den gesellschaftlichen und familiären Zusammenhalt erscheine, könne uns durch Glaube, Liebe und Hoffnung befähigen, das eigene Leben und das Leben in Gemeinschaft sinnvoll zu gestalten“, so die Vorsitzende. Die Solisten Irmgard Holzinger-Fröhr, Melitta Giel und Dietmar Giel, an der Orgel von Bruno Scarambone begleitet, rührten mit ihren Liedvorträgen die Anwesenden zu Tränen. Viele bedankten sich im Nachhinein für den bewegenden Kirchweihgottesdienst.

Nach einigen Extratänzen und dem traditionellen Gruppenfoto im Hof der Mauritiuskirche begann der große Aufmarsch durch Betzingen unter den Klängen der Blasmusik. Das Juchzen der Kerweihbuwe, die Rufe „Buwe, was ham’r heit?“ sowie die „Kerweihsteckelche“ verliehen dem bunten Treiben inmitten des Ortes eine spezifische Banater Note.

Auf dem Festplatz angelangt, drehten die Kirchweihpaare einige Ehrenrunden, um den auch dieses Jahr sehr zahlreich erschienenen Besuchern die Schönheit und Vielfalt der banatschwäbischen Trachten zu zeigen. Kreisvorsitzende Christine Neu wies auf den Zusammenhang zwischen dem diesjährigen Kirchweihfest und der 250 Jahr-Feier der Gemeinde Sackelhausen am 29. Mai hin, bei der viele Sackelhausener, die Trachtengruppe und die Blasmusik aus Reutlingen zugegen waren. Der Kreisverband setze sich mit Nachdruck für die Pflege und Weiterführung von Tradition und Brauchtum ein. Ein beredter Beweis dafür sei das alljährliche Banater Kirchweihfest in Betzingen. Gelungene Integration und Bekenntnis zu Heimat und Herkunft seien kein Widerspruch, betonte Neu.
Die Kreisvorsitzende begrüßte als Ehrengäste den Schirmherrn des Festes, Bezirksbürgermeister Thomas Keck, den Vorsitzenden des Landesverbandes Baden-Württemberg der Landsmannschaft der Banater Schwaben, Josef Prunkl, den Vorsitzenden der HOG Sackelhausen, Nikolaus Fuhry, den Ehrenvorsitzenden des Kreisverbandes Reutlingen, Michael Koppi, sowie die anwesenden Vorsitzenden der landsmannschaftlichen Gliederungen. Herzlich willkommen hieß Christine Neu die Gastgruppen: die Banater Trachtengruppe Singen (Leitung: Hilde Redl), die „Banater Schwabenkinder“ (Leitung: Dagmar Österreicher), die „Warjascher Spatzen“ (Leitung: Hansi Müller und Monica Lazea), der Jugendtrachtenverein „Banater Rosmarein“ (Leitung: Edith Singer) sowie die Ortsgruppe Betzingen des Schwäbischen Albvereins. Begrüßt wurde auch die gastgebende Banater Trachtengruppe Reutlingen (Tanzleitung: Manfred Klotzbier und Karsten Loch).

Auf die Begrüßung durch die Kreisvorsitzende folgten die Festreden. Josef Prunkl hob die Bedeutung und Symbolik der Tracht hervor. Durch sie ließe sich das Heimatgefühl sichtbar darstellen. Mit dem Anlegen der Tracht stellten die Trägerinnen und Träger unter Beweis, dass sie bereit seien, das Ahnenerbe zu bewahren, es in der Gegenwart zu präsentieren und es an die jeweils nächste Generation weiterzureichen.

Der stellvertretende Vorsitzende und Brauchtumsbeauftragte des Kreisverbandes Reutlingen, Johann Pless, stellte anschließend das Kirchweihbrauchtum in Sackelhausen vor und wies sowohl auf den hohen Stellenwert des Festes im Jahreslauf als auch auf dessen Ablauf und spezifische Elemente in Sackelhausen hin. Da die Kirche in Sackelhausen dem Erzengel Michael geweiht ist, wurde Kirchweih am ersten dem Hochfest (29. September) folgenden Sonntag gefeiert. Zu den Besonderheiten des Festes gehörten unter anderem der Vortanz, ein Ländler, als Ehrentanz für das Vortänzerpaar und der sogenannte Tellertanz, bei dem die Kirchweihgäste mit den Kirchweihmädchen und -buben tanzen konnten, aber nicht ohne vorher eine Geldspende in den Teller gelegt zu haben.  

Lehrerin i.R. Margaretha Mayer ergänzte anhand von Zeitzeugenberichten die Ausführungen von Johann Pless und ging dabei auf zwei besondere Kirchweihfeste ein: jenes von 1940, das letzte vor dem Krieg, an dem 64 Trachtenpaare teilgenommen haben, und an jenes von 1955, das erste nach dem Krieg. Vom Jahrgang 1936 organisiert, wurde dieses Fest von der Dorfbevölkerung als eine „Auferstehung“ empfunden. Die letzte in Sackelhausen veranstaltete Kirchweih fand 1983 statt. Die Auswanderungswelle ließ das Fest für immer verstummen, aber die Sackelhausener pflegen die Kirchweihtradition in der neuen Heimat weiter. Das von der HOG ausgerichtete Fest wird seit 1957 bis heute ununterbrochen gefeiert.

Nach der Vorstellung des Kirchweihbrauchtums in Sackelhausen trug der Vortänzer Raphael Wagner den von Margaretha Mayer verfassten Kirchweihspruch in Sackelhausener Mundart vor und versteigerte den Kirchweihstrauß. Der Zuschlag ging an die Trachtengruppe Singen, die somit im nächsten Jahr die Banater Kirchweih in Betzingen nach Großjetschaer Art ausrichten wird. Auf den Tellertanz folgte die Verlosung von Hut und Tuch. Der Hut ging an Sabine Dassinger, das Tuch an Franz Lampl. Anschließend führten die Gastgruppen ihre Tänze vor, wobei am Ende auch die DBJT-Gemeinschaftstänze präsentiert wurden.

Am Abend verlagerte sich das Geschehen in die Halle. Der Einzug der Trachtenpaare wurde von den Gewinnern des Kirchweihstraußes angeführt. Für den Kirchweihball war die beliebte Band „Die Schlagerbengel“ verpflichtet worden, die mit ihrer stimmungsvollen Musik für beste Tanzunterhaltung sorgte. In den Pausen bot die Trachtengruppe aus Singen eine tänzerische Einlage, während die Gruppe „Warjascher Spatzen“ ein multikulturelles Programm unter dem Motto „Die Aussteuertruhe“ zeigte.

Auch das schönste Kirchweihfest und die tollste Ballnacht gehen einmal zu Ende. Im nächsten Jahr, am 9. Juli, gibt es eine Fortsetzung. Der Kreisverband Reutlingen dankt allen Mitwirkenden für ihre Darbietungen, den ehrenamtlichen Helfern für ihren vorbildlichen Einsatz und den Mitfeiernden für ihr Kommen.