Das Bundesverfassungsgericht hat die weitere Verfassungsbeschwerde wegen der 40%- Kürzung der Fremdrentenanteile zurückgewiesen.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 15.07.10 - 1 BvR 1201/10- einstimmig beschlossen, dass die Verfassungsbeschwerde einer Betroffenen, deren Rente infolge der 40%-igen Fremdrentenkürzung um mehr als 300 € gemindert worden ist, nicht zur Entscheidung angenommen wird, weil es die Abfindungsregelung nach Art. 6 § 4 c Abs. 2 FANG 2007 als mit dem Grundgesetz vereinbar und damit als ausreichend angesehen hat.
Erster Akt: Kürzungen der Fremdrenten
Der politische Wandel in den ehemaligen Ostblock-Staaten und die Wende in der DDR veranlassten den Gesetzgeber, das Fremdrentenrecht, das zunächst davon geprägt war, Vertriebene und Flüchtlinge in das Wirtschafts- und Sozialsystem der Bundesrepublik Deutschland einzugliedern, neu zu regeln. Im Jahre 1991 führte der Gesetzgeber einen Abschlag in Höhe von 30 % auf die nach dem Fremdrentengesetz ermittelten Entgeltpunkte ein. Von dieser Regelung waren allerdings Vertriebene und Aussiedler ausgenommen, die vor 1991 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland genommen haben. Im Jahre 1996 erhöhte der Gesetzgeber den Abschlag auf 40% und erweiterte den betroffenen Personenkreis durch Änderung der entsprechenden Übergangsregelung. Damit wurden von dem Rentenabschlag - unabhängig vom Datum des Zuzugs - alle nach dem Fremdrentengesetz Berechtigten mit einem Rentenbeginn ab 1.10.96 von der Kürzungsregelung betroffen. Hierauf hat die Landsmannschaft der Banater Schwaben noch im gleichen Jahr reagiert und bei unserem Landsmann, Herrn Dipl.-Verwaltungswirt (FH) und Rechtsanwalt Harald Zeitvogel ein Gutachten über die Verfassungsmäßigkeit der 40%-igen Fremdrentenkürzung in Auftrag gegeben. Auf der Grundlage dieses Gutachtens wurde bereits im Jahre 1997 eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen die gesetzliche Kürzungsvorschrift erhoben. Daneben hat Herr Rechtsanwalt Harald Zeitvogel in zwei Verfahren auch den Rechtsweg bis zum Bundessozialgericht durchschritten. In einem Verfahren wurde eine mittelbare Verfassungsbeschwerde erhoben und in dem anderen Verfahren ein Aussetzungs- und Vorlagebeschluss durch das Bundessozialgericht an das Bundesverfassungsgericht erwirkt. Die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen hat wegen der Fremdrentenkürzung eine Interessensgemeinschaft gegründet. Die im so genannten Anwaltspool zusammengeschlossenen Rechtsanwälte haben ebenfalls erreicht, dass das Bundessozialgericht mehrere Verfahren ausgesetzt und die Frage der Verfassungsmäßigkeit der 40%-igen Kürzung dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt hat.
Zweiter Akt: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes
Das Bundesverfassungsgericht (BVerFG) hat mit Beschluss vom 13.07.06 (1 BvL 9/00; 1 BvL 11/00; 1 BvL 12/00; 1 BvL 5/01; 1 BvL 10/04) über die Aussetzung und Vorlagebeschlüsse des 1. Senats des Bundessozialgerichts entschieden und dabei festgestellt, dass die Reduzierung der Entgeltpunkte bei der Berechnung der Renten von Aussiedlern und Spätaussiedlern auf der Grundlage des Fremdrentengesetzes gegen das rechtsstaatliche Vertrauensschutzprinzip verstößt, soweit die Kürzung auf Berechtigte, die vor dem 1.01.91 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland genommen haben und deren Rente nach dem 30.09.96 beginnt, ohne eine Übergangsregelung für zu diesem Zeitpunkt rentennahe Jahrgänge zur Anwendung kommt. Auch die nach Durchschreitung des Rechtsweges erhobenen Verfassungsbeschwerden mit den Aktenzeichen 1 BvR 743/00 (Rechtsanwalt Udo Michael Dieners) und 1 BvR 932/00 (Rechtsanwalt Harald Zeitvogel) waren im oben dargestellten Umfang erfolgreich. Das Bundesverfassungsgericht hat die vorher negativen Entscheidungen des Bundessozialgerichts aufgehoben und die Sache an das Bundessozialgericht zurückgewiesen.
Dritter Akt: Abfindungsregelung des Geseztzgebers
Der Gesetzgeber hat in Ausführung der oben genannten Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Fremdrentenkürzung für rentennahe Jahrgänge verfassungswidrig ist, mit Art. 6 § 4 c Abs. 2 des Fremdrenten- und Auslandsrenten- Neuregelungsgesetz (FANG) eine Übergangsregelung in Form einer Abfindungsregelung getroffen. Danach wurde die 40%-ige Fremdrentenkürzung für die Zeit des Rentenbezugs vom 1.10.96 bis 30.06.97 voll ausgeglichen, vom 1.07.97 bis 30.06.98 zu drei Vierteln, vom 1.07.98 bis zum 30.06.99 zur Hälfte und vom 1.07.99 bis zum 30.06.00 zu einem Viertel. Dadurch wurde rückwirkend der vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten Regelung eine Übergangsfrist von 3 Jahren und 9 Monaten hinzugefügt, innerhalb der die Rentenkürzung schrittweise rückgängig gemacht wurde. Die von dem Interessenspool der Siebenbürger Sachsen mit der Materie betrauten Rechtsanwälte und auch unser Landsmann, Herr Rechtsanwalt Harald Zeitvogel, waren der Ansicht Übergangsvorschrift nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in vollem Umfange gerecht wird. Das Bundesverfassungsgericht hatte in einer früheren Entscheidung einen Überprüfungsmaßstab für Übergangsregelungen vorgegeben. Es hat dabei wie folgt formuliert: "Zwischen der sofortigen übergangslosen Inkraftsetzung des neuen Rechts und dem unangeschmälerten Fortbestand begründeter subjektiver Rechtsposition sind vielfache Abstufungen denkbar. Der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht unterliegt nur, ob der Gesetzgeber bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht und der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe und der Berücksichtigung aller Umstände die Grenze der Zumutbarkeit überschritten hat". Die Zumutbarkeit ist also das Ergebnis einer von dem Gesetzgeber vorzunehmenden Abwägungsentscheidung. Dabei hat er einerseits die Eingriffsschwere, anderseits das Gewicht des gesetzgeberischen Interesses zu berücksichtigen. Angesichts der Unbestimmtheit dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben, hätte ein hinreichend sicherer Maßstab nur aus dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz gewonnen werden können. Danach hätte die Verfassungswidrigkeit der Übergangsregelung angenommen werden können, wenn der Gesetzgeber in vergleichbaren anderen Fällen die Interessen des betroffenen Personenkreises deutlich weitgehender geschützt hätte als im Falle der von der 40%-igen Fremdrentenkürzung Betroffenen, ohne dass dafür hinreichend sachliche Gründe vorgelegen hätten. Eine erneute gutachterliche Prüfung ergab, dass die 40%-ige Fremdrentenkürzung einen Fall ohne erkennbaren, aus einer vergleichbaren Leistungskürzungsregelung ableitbaren Vergleichsmaßstab darstellt. Unter diesen Voraussetzungen war die Erfolgsaussicht eine Verfassungsbeschwerde gegen das Übergangsrecht offen. Nicht verkannt wurde auch, dass es aus anderen (als rein rechtlichen) Gründen, für das Bundesverfassungsgericht schwierig sein wird, den Gesetzgeber in Sachen 40%-iger Kürzung der Fremdrentenanteile ein zweites Mal zu rügen bzw. zu bevormunden.
Vierter Akt: Klage, Berufung, Revision und Verfassungsbeschwerde
Im Interesse der Rechtssicherheit hat es die Landsmannschaft der Banater Schwaben begrüßt, dass unser Landsmann, Herr Rechtsanwalt Harald Zeitvogel, in dieser Sache nicht locker gelassen hat. Er hat in einem Fall, in dem einer Betroffenen die Altersrente um monatlich mehr als 300 € gekürzt worden ist, nach erneuter Ausschöpfung des Instanzenzuges (Klage, Berufung und Revision) Verfassungsbeschwerde gegen die Übergangsregelung des Art. 6 § 4 c Abs. 2 FANG erhoben. Begründet wurde die Verfassungsbeschwerde in erster Linie damit, dass der Gesetzgeber eine Übergangsregelung geschaffen hat, die nur zum Schein der Wahrung des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzpinzips dienen soll. In der Regel wählt der Gesetzgeber im Rahmen von belastenden Eingriffen im Bereich des Rentenrechts Übergangsregelung, die sich über mehr als ein Jahrzehnt erstrecken. Damit hat er stets bewiesen, welch hohen Rang er dem Vertrauensschutz in diesem Rechtsgebiet (Rentenrecht) einräumt. Die Rente als Lohnersatz war und ist dem Gesetzgeber ein "wichtiges Gut". Anders jedoch bei der Abfindungsregelung gem. Art. 6 § 4c Abs. 2 FANG. Die Eingriffsschwere im Fall der erhobenen Verfassungsbeschwerde, bei der der Betroffenen die zu erwartende monatliche Rente in Höhe von ca. 1.200,00 € um monatlich mehr als 300,00 € (unter Berücksichtigung der Übergangsvorschrift) in einem Zeitraum von drei Jahren und zwei Monaten gekürzt worden ist, war selbstredend. Damit auch die Frage der Zumutbarkeit dieser Rentenkürzung. Es stand damit außer Zweifel, dass es dieser Betroffenen, wenn sie mittel- und langfristig wirkende finanzielle Dispositionen getroffen hätte, nicht möglich gewesen wäre, diese der verringerten Rente anzupassen.
Letzter Akt: Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 15.07.10
Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 15.07.10 - 1 BvR 1201/10- einstimmig beschlossen, dass die Verfassungsbeschwerde, die mittelbar gegen die Übergangsregelung nach Art. 6 § 4 c Abs. 2 FANG 2007 (Unzulänglichkeit der Abfindungsregelung) gerichtet war, nicht zur Entscheidung angenommen wird. Die Begründung dafür füllt lediglich eine DIN A 4 Seite. Das Bundesverfassungsgericht stellt in wenigen Sätzen fest, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung der Übergangsregelung einen breiten Gestaltungsspielraum hatte, was mit einer nur eingeschränkten verfassungsrechtlichen Kontrolle korrespondiert. Danach kann das Bundesverfassungsgericht nur prüfen, ob der Gesetzgeber bei einer Gesamtabwägung aller Umstände die Grenzen der Zumutbarkeit überschritten hat. Dies - so das Bundesverfassungsgericht - wäre vorliegend nicht der Fall, da nicht ersichtlich ist, dass es der Betroffenen nicht möglich gewesen wäre, ihre Lebensführung auf die niedrigere Rente einzustellen. Diese Begründung mag aus juristischer Sicht unangreifbar sein. Aus menschlicher, sozialer und ethischer Sicht hält sie einer Prüfung jedoch nicht stand. Jeder Mensch kann gezwungener Maßen in der Lage sein, seine Lebensführung aufgrund von Schicksalsschlägen (Krankheit, Arbeitslosigkeit usw.) zu ändern und mit einem niedrigeren Einkommen auszukommen. Hierzu sollte er aber dann nicht gezwungen werden, wenn er ein erfülltes Erwerbsleben hinter sich hat und wie im vorliegenden Fall die Rente um mehr als 12 Kalenderjahre mit Durchschnittsverdiensten gekürzt wird. Hierauf hat die/der Betroffene keinen Einfluss, ebenso wie Einfluss auf den politischen Wandel in den ehemaligen Ostblockstaaten und die Wende in der DDR bestanden, aufgrund derer sich der Gesetzgeber zu den Kürzungen im Fremdrentenrecht veranlasst gesehen hat. Nicht verkannt wird das öffentliche Interesse an der Erhaltung des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung und dem Erfordernis seit der 90-iger Jahre Kürzungen vorzunehmen, um das Rentenversichgerungssystem in seinen Strukturelementen zu erhalten. Einem abgrenzbaren Personenkreis ein Sonderopfer abzuverlangen, tangiert jedoch die Grundfestung unseres Rechtsstaatsprinzips. Der den Betroffenen zugemutete Wertverlust ihrer Rentenanwartschaften durch die 40%-ige Kürzung der Fremdrentenanteile hängt von deren Versicherungsbiographie ab und kann sogar über 30% (so im vorliegenden Fall) betragen. Freiheit und Menschenwürde sind tragende Säulen unserer Verfassung. Freiheit und Menschenwürde setzen voraus, dass man über die materielle Bedingungen der Persönlichkeitsentfaltung verfügt. Diese Bedingungen sind für viele der durch die 40%-igen Kürzung der Fremdrentenanteile Betroffenen ausgehöhlt worden. Die Gegenwart ist mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur 40%-igen Kürzung der Fremdrentenanteile als letzter Akt in einer fast 15-jährigen juristischen Auseinandersetzung abgeschlossen. Es bestehen allerdings keine Zweifel, dass spätestens die Geschichte erweisen wird, dass mit dieser Rentenkürzung Menschen deutscher Herkunft, die im Herkunftsgebiet verfolgt und von dort vertrieben worden sind und die mit nicht mehr als ein paar Koffern in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind, Unrecht getan worden ist. Das Rechtsstaatsprinzip kann man nicht mit unterschiedlichen Maßstäben messen. Andernfalls bleibt davon nichts mehr übrig. Auch dies hat die Geschichte bereits erwiesen.