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Sechzig Jahre »Charta der deutschen Heimatvertriebenen«

Blick auf das Stuttgarter Schloß

Temeswar (Domplatz) im Sommer 2010

Feierstunde in Stuttgart

Mit einem Festakt in Stuttgart gedachte der Bund der Vertriebenen (BdV) am 5. August der Verkündung der Charta der Heimatvertriebenen vor sechzig Jahren. An der Feier begrüßte BdV-Präsidentin Erika Steinbach den Außenminister und Vizekanzler Guido Westerwelle, den Präsidenten des deutschen Bundestages, Prof. Dr. Norbert Lammert MdB, den Bundesminister des Innern, Dr. Thomas de Maizière MdB, und den Innenminister des Landes Baden-Württemberg, Heribert Rech MdL. Seitens der Landsmannschaft der Banater Schwaben nahmen an der Feier teil: der Bundesvorsitzende Bernhard Krastl, Landesvorsitzender Josef Prunkl, Bundesvorstandsmitglied Josef Koch und der Leiter der Landesgeschäftsstelle Stuttgart, Hans Georg Mojem.

Die Charta der Heimatvertriebenen ist das moralische Fundament für die Arbeit und das Handeln der deutschen Heimatvertriebenen. Ursprünglich als Protest gegen das Unrecht der Vertreibung gegenüber den Besatzungsmächten entworfen, drückt sie mit ihrem Bekenntnis zum friedlichen Zusammenleben mit allen Nachbarvölkern und zum Aufbau eines gemeinsamen Europas gleichzeitig den Willen zur Versöhnung und zum Wiederaufbau Deutschlands in Frieden und Freiheit aus. Der offensive Verzicht auf Rache und Vergeltung widerlegt all diejenigen, die gerne vom Revanchismus der Vertriebenen sprechen. Die deutschen Heimatvertriebenen haben diese Versprechen in den vergangenen sechzig Jahren umgesetzt und einen wesentlichen Beitrag zum Wiederaufbau Deutschlands geleistet. Alle Bundesregierungen haben die Bedeutung der Charta der Heimatvertriebenen erkannt und sie entsprechend gewürdigt.

Der Bundesrat hat in einer Entschließung vom Juli 2003 die Bundesregierung aufgefordert, den 5. August zum Nationalen Gedenktag für die Opfer von Vertreibung zu erklären. Diese Forderung des Bundesrates ist noch offen. Wörtlich heißt es in der Entschließung: „Die Tragödie von Deportation, Flucht und Vertreibung von rund 15 Millionen Deutschen aus ihrer Heimat in der Folge des Zweiten Weltkriegs zählt zu den folgenschwersten Einschnitten in der Geschichte unseres Volkes überhaupt. Im August 1950, noch unter dem unmittelbaren Eindruck der Vertreibungen, wurde die Charta der deutschen Heimatvertriebenen unterzeichnet, die zu den großen Manifestationen Europas zählt.

Mit der Absage an jegliche Gewalt, mit der kraftvollen Vision eines geeinten Europas, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können, mit dem Bekenntnis zum Wiederaufbau und zum Recht auf Heimat ist die Charta ein Dokument sämtlicher deutscher Vertriebener. Noch leben die unmittelbar Betroffenen unter uns. Auch sie warten auf ein besonderes Zeichen der Verbundenheit durch alle Deutschen. Vertreibungen gehören nicht der Vergangenheit an. Sie geschehen auch heute in nahen und fernen Regionen dieser Welt. Das Leid, das den Menschen in der Mitte des letzten Jahrhunderts widerfuhr, trifft jetzt andere Menschen. Die Völker müssen erkennen, heißt es in der Charta aus dem Jahr 1950, dass das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen wie aller Flüchtlinge ein Weltproblem ist. Auch in diesem Sinne fordert der Bundesrat die Bundesregierung auf, den 5. August, den Tag der Unterzeichnung der Charta der Heimatvertriebenen, zum nationalen Gedenktag für die Opfer von Vertreibung zu bestimmen.”

Innenminister Heribert Rech ging in seiner Ansprache im Neuen Schloss besonders auf die in der Charta verkündete Botschaft von einem geeinten Europa der freien Völker ein: „Wir Heimatvertriebenen verzichten auf Rache und Vergeltung. Wir werden jedes Beginnen mit allen Kräften unterstützen, das auf die Schaffung eines geeinten Europas gerichtet ist, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können. Wir werden durch harte, unermüdliche Arbeit teilnehmen am Wiederaufbau Deutschlands und Europas.”

Heribert Rech bezeichnete die Aussagen als „Botschaften von hoher politischen Kraft” und bestätigte den Heimatvertriebenen, Wort gehalten zu haben. Zur Aufarbeitung der Geschichte gehöre auch die Beschäftigung mit der Vertriebenenproblematik. Dazu der Innenminister: „Wir erinnern uns der Geschichte. Wir wissen um die Verantwortung unseres Landes, die aus den Verbrechen der Nationalsozialisten folgt. Wir erinnern uns der Geschichte. Dazu gehört auch die Erinnerung an das Leid der Vertriebenen und an das Unrecht der Vertreibung. Geschichte braucht Wahrheit ohne Einseitigkeit – weder in die eine, noch in die andere Richtung. Und wir brauchen Orte der Erinnerung. Ich bin froh, dass das Zentrum gegen Vertreibungen auf gutem Weg ist – als ein sichtbares Zeichen für die Ächtung von Vertreibungen und als eine dauerhafte Verneigung vor dem Schicksal vieler Millionen Menschen in der Welt.”

Bundesminister des Innern Dr. Thomas de Maizière MdB würdigte ebenfalls den fortschrittlichen Geist des gefeierten Dokuments: „Dieses zukunftszugewandte Anliegen der Charta blieb kein Lippenbekenntnis. Die Heimatvertriebenen und ihre Vereinigungen sind der Charta in ihrem Handeln gefolgt. Dabei wurde sie zu einem Grundstein der Verständigung, weil sie von menschlicher Größe, christlicher Humanität und umfassenden Versöhnungswillen geprägt war. Mit ihren klaren, nach vorne gerichteten Worten hat sie vielen Vertriebenen Orientierung gegeben auf ihrem Weg in ein Leben in Frieden und Freiheit und hat denen, die nicht vertrieben waren, die Angst genommen, dass auf Unrecht Rache und Vergeltung folgen könnten. Wegweisend: das war die Charta der Heimatvertriebenen im besten Sinne.“


Links:
> Rede zum Festakt „60 Jahre Charta der deutschen Heimatvertriebenen" (Präsident des Deutschen Bundestages, Prof. Dr. Norbert Lammert)
> Rede zum Festakt „60 Jahre Charta der deutschen Heimatvertriebenen" (Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern)