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»In diesem Haus wird Geschichte erlebbar«

Donauschwäbisches Zentralmuseum mit "Ulmer Schachtel"

Heribert Rech

Bernhard Krastl

Das Streicherquintett beim Festakt zum zehnjährigen Bestehen des donauschwäbischen Zentralmuseums Ulm.

Zehn Jahre Donauschwäbisches Zentralmuseum Ulm

Einen besseren Blickfang für die Jubiläumsfeier im Donauschwäbischen Zentralmuseum (DZM) in Ulm hätte man sich nicht vorstellen können: Eine „Ulmer Schachtel“ steht seit 1. Juli vor der Donaubastion, dem Sitz des Museums in der Ulmer Schillerstraße. Dieses kleine Flussschiff ist zum Identifikationssymbol der Ulmer und zum Wahrzeichen für die Auswanderung der deutschen Siedler nach Südosteuropa geworden. Diese Schiffe, die auch als Wiener Zillen bekannt sind, fuhren seit 1712 fahrplanmäßig von Ulm in Richtung Wien. Besonders im 18. Jahrhundert kam es infolge des Anwachsen des Auswandererstromes zu einer regen Flussschifffahrt auf der Donau. Die letzte fahrplanmäßig verkehrende Zille verließ Ulm am 27. April 1897.

Durch die Fahrten der „Gesellschaft der Donaufreunde“ und das Wirken des Ulmer Donaubüros hat sich heute die Bedeutung der Ulmer Schachteln gewandelt. Sie ist zu einem Symbol der Donaupartnerschaft geworden, die sich von Ulm aus zu einem engen Netzwerk der Städte und Regionen entlang der Donau entwickelt hat. Zur Eröffnung der Feierlichkeiten zum Jubiläum begrüßte Sabine Mayer-Dölle (Sozial- und Kulturdezernentin der Stadt Ulm und Vorstandsvorsitzende der Stiftung Donauschwäbisches Zentralmuseum) die zahlreich erschienenen Gäste, unter ihnen Heribert Rech MdL (Innenminister und Landesbeauftragter für Vertriebene des Landes Baden-Württemberg), Ivo Gönner (Oberbürgermeister der Stadt Ulm), Dr. Thomas Linder (Referatsleiter beim Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien), Lazar Comanescu (Botschafter Rumäniens), Rita Chiovini (Konsulin am Generalkonsulat München der Republik Ungarn), Ante Cicvaric (Generalkonsul der Republik Kroatien), Pero Jankovic (Generalkonsul der Republik Serbien), weitere Botschaftsangehörige, Vertreter der Partnermuseen aus den Donauländern und Vertreter aus Gesellschaft und Politik.

Erinnerung wachzuhalten und Begegnungen zu ermöglichen, gehöre zu einer der Hauptaufgaben des Museums, unterstrich Sabine Mayer-Dölle: „In diesem Haus wird Geschichte erlebbar, und durch die Geschichten der Menschen, die in dieses Haus kommen, wird sie für alle spürbar.“ Die Vorstandsvorsitzende des Stiftungsrates dankte dem Direktor des Museums, Christian Glass, und allen Angestellten für die geleistete Arbeit, wie auch dem  wissenschaftlichen Beirat und brachte ihre Zuversicht zum Ausdruck, dass in den kommenden Jahren die Erfolgsgeschichte des DZM fortgesetzt werde. Wenn auch in einer der Festansprachen zum Jubiläum des DZM am 8. Juli der Ausdruck „Kindergeburtstag“ fiel, kann von einem erstrangigen Kulturereignis gesprochen werden, das sowohl für die deutschen Volksgruppen des donauschwäbischen Raums, wie auch die kulturinteressierte Öffentlichkeit in Deutschland und Europa von größtem Interesse ist. In dieser relativ kurzen Zeitspanne wurden im DZM wichtige Grundlagen geschaffen und Weichen gestellt für die Erfüllung des im Bundesvertriebenengesetz (§ 96) festgeschriebenen Auftrags: kulturelle Traditionen und das Kulturgut der Herkunftsgebiete zu bewahren, Geschichte, Kultur und Landschaft umfassend zu dokumentieren, Kulturgut zu sammeln und zu präsentieren sowie landes- und volkskundliche Forschung über die Herkunftsgebiete der Vertriebenen und Aussiedler zugänglich zu machen.

Das im Jahre 2000 eröffnete Museum wird getragen von der Stadt Ulm, dem Land Baden-Württemberg, der Bundesrepublik Deutschland und den vier donauschwäbischen Landsmannschaften. Das DZM ist bundesweit das einzige Museum, das die Geschichte der Donauschwaben umfassend und auf wissenschaftlicher Grundlage darstellt. In den zehn Jahren seines Bestehens hat das DZM einen festen Platz in der Erinnerungskultur unserer Landsleute eingenommen und sich zugleich erfolgreich in die deutsche und südosteuropäische Museumslandschaft eingebracht. Darauf wies auch Festredner Heribert Rech, Innenminister von Baden-Württemberg, mit Stolz hin. Zur Verdeutlichung dieser Ansicht erinnerte er an die grundsätzlichen Aufgaben des DZM: „Die Kernkompetenz der Stiftung ist die museumsspezifische Arbeit. Sie besteht aus den vier Säulen der klassischen Museumsarbeit: Sammeln und Bewahren, Erforschen und Präsentieren. Die Sammlung des Museums ist zu einer beachtlichen Größe von 45000 Gegenständen angewachsen. Und sie wächst weiter.

Viele donauschwäbische Landsleute wollen ihren seit Jahrzehnten aufbewahrten Erinnerungsstücken aus der alten Heimat eine dauerhafte Bleibe verschaffen, auch über den eigenen Tod hinaus. Sie übergeben ihre Schätze dem Museum und wissen sie dort gut behütet. Die Dauerausstellung des Museums ist dem Leben der deutschen Minderheit in der Vielvölkerregion Südosteuropa gewidmet. Im Museum ist ein Erlebnisraum entstanden, der die donauschwäbische Geschichte, Kultur und Landeskunde nach modernen Erkenntnissen der Wissenschaft und der Museumspädagogik präsentiert und erlebbar macht. Ein Museum kann sich aber nicht mit der klassischen Museumsarbeit begnügen. Es muss sich innovativ mit seiner Themenstellung befassen und in die Öffentlichkeit einbringen. Nahezu vierzig Wechselausstellungen in den zehn Jahren seines Bestehens zu unterschiedlichsten Themen zeugen davon. Ich erinnere an die wegweisende Ausstellung Daheim an der Donau, eine Kooperation mit dem Museum der Vojvodina in Novi Sad. Die Aufarbeitung der gemeinsamen wechselvollen Geschichte von Deutschen und Serben war und ist keine leichte Aufgabe.

Die Verantwortlichen der Ausstellung haben mit diesem Projekt eine große Herausforderung angenommen. Es gab unterschiedliche Auffassungen, eine unterschiedliche Sicht der Dinge. Insbesondere bei den Abteilungen, die sich mit dem Zweiten Weltkrieg und der Vertreibung der Donauschwaben nach 1944 beschäftigen. Es folgten kritische Stimmen zu Teilen der Ausstellung und der Publikation. Aber man muss sehen: Ausstellung und Publikation waren erste Ergebnisse, wichtige Ergebnisse, die in Zukunft im Dialog ergänzt und erweitert werden müssen. Die Ausstellung war ein Pionierprojekt. Und ich bin sicher: der Dialog bei der Aufarbeitung unserer gemeinsamen Geschichte wird uns weiterbringen im Sinne der Versöhnung.“

Anerkennende Worte fand der Festredner auch für die Aktivitäten der Kulturreferentin für Südosteuropa, Dr. Swantje Volkmann. Ihre Arbeit ergänze die Aktivitäten des Museums auf besondere Art und Weise. Besonders erwähnt wurden die von der Kulturreferentin organisierten Jugendveranstaltungen, an denen bislang über 2000 Jugendliche und junge Erwachsene aus Deutschland, Rumänien, Ungarn, Serbien und Kroatien teilgenommen haben.

Ausgehend von der eigenen Familiengeschichte – bekanntlich ist Heribert Recht Sohn donauschwäbischer Eltern – endete der Festredner mit einem gefühlsbetonten Plädoyer für einen Besuch des DZM: „Wenn ich Antworten suche auf Fragen, die ich früher versäumt habe, meinen Eltern zu stellen, dann komme ich hierher nach Ulm. Dann bleiben keine Fragen offen, dann wird die gesamte Dimension des Themas deutlich. Und dann bin ich stolz auf meine Eltern, auf die Donauschwaben und stolz auf das, was hier geleistet wird.“

Oberbürgermeister Ivo Gönner, Mitglied im Stiftungsrat des DZM, brachte seine Freude zum Ausdruck, dass die Stadt Ulm mitgewirkt habe an der Errichtung des Museums und dass die Einrichtung zu einem wichtigen „Ort der Erinnerung“ und der „Begegnung zwischen den Menschen“ geworden sei. Auch künftig werde die Stadt Ulm mit dem Blick auf den angestrebten Ausbau der Euroregion Donau sich für ein Miteinander der Menschen aus den Donau-Anrainerstaaten bemühen. Das DZM gebe für diese Aktivitäten immer wieder neue Impulse. Dr. Thomas Lindner (Referatsleiter beim Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien) überbrachte die Grüße von Kulturstaatsminister Bernd Neumann. In seiner an das DZM gerichteten Botschaft unterstrich der Staatsminister die wichtige Rolle dieses Museums, das durch seine Tätigkeit eine Brücke zwischen nationaler Identität und europäischem Bewusstsein schlägt. Das DZM habe sich zu einer festen Größe in der Ulmer Museumslandschaft entwickelt und nimmt mit seinem vielfältigen Kulturprogramm einen wichtigen Auftrag zur kulturellen Bildung und Information über die Geschichte Europas wahr. Heute sei das DZM eine aktive und lebendige Kultureinrichtung, die die Geschichte, Kultur, Landschaft und Lebenswelt der Donauschwaben anschaulich werden lässt.

Seitens der Landsmannschaften aus dem donauschwäbischen Bereich ergriff Bernhard Krastl (Bundesvorsitzender der Landsmannschaft der Banater Schwaben) das Wort. Er unterstrich die Verbundenheit der Donauschwaben mit der Geschichte ihrer Herkunftsländer und die Bereitschaft zu guten Beziehungen zu den Donaustaaten. Die Vertreibung bzw. Aussiedlung machte es notwendig, dass in Deutschland eine Einrichtung geschaffen wurde, in der die Geschichte der Donauschwaben dargestellt und ihr kulturelles Erbe in würdiger Weise gepflegt werde. Krastl zur Entstehung und Bedeutung des DZM: „Die Schaffung dieses Museums war für die Landsmannschaften ein langgehegter Wunsch. Dass es schließlich in dieser Form verwirklicht werden konnte, war nicht vorauszusehen. Ich glaube, dass schließlich die bestmögliche Lösung gefunden wurde. Hier wird unsere Geschichte präsentiert, hier werden Dokumente zusammengeführt und Menschen gezeigt, wie Europa in den letzten dreihundert Jahren gelebt hat. Besonders wichtig ist, dass wir Heimatvertriebenen nie versucht haben, irgendwelche Ressentiments zu pflegen, sondern im Gegenteil: Wir haben das, was in der Charta der Heimatvertriebenen vor sechzig Jahren niedergeschrieben wurde, gelebt und erfüllt.

Wir haben damals auf Rache verzichtet. Wir haben auf alles verzichtet, was den Frieden stören könnte, und wir haben uns damals verpflichtet, für den Aufbau eines gemeinsamen Europas einzutreten. Wir haben dies gemeinsam getan, alle Heimatvertriebenen. Ich glaube, wir können stolz sein auf das, was wir erreicht haben. Wir haben auch viel Hilfe erhalten, und deshalb geht unser Dank an die Bundesregierung, an das Land Baden-Württemberg, an die Stadt Ulm und an alle Unterstützer und Helfer, die zum Entstehen dieses Museums beigetragen haben.“

Das Museum und seine Veranstaltungen werden in Ulm von der Bevölkerung gut angenommen – davon zeugen mehr als 500000 Besucher in den letzten zehn Jahren. Rund 170000 Besucher sahen zwanzig Wanderausstellungen in Deutschland, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Kroatien und Serbien. Diese Ausstellungen wurden mit Partnermuseen in den Herkunftsgebieten, in Ungarn, Rumänien und Serbien durchgeführt, mit denen das Museum auf der Grundlage von Partnerschaftsverträgen kooperiert. Aus Anlass des Jubiläums sind neue Partnerschaften begründet worden: mit dem Banater Dorfmuseum in Temeswar (Rumänien), den Landesmuseen der Baranya, in Fünfkirchen/Pecs (Ungarn) und dem Stadtmuseum Novi Sad in Serbien. Anlässlich des Jubiläums brachte das DZM die Festschrift „Museum in Europa“ heraus, die die Arbeiten des Museums bilanziert und zukünftige Aufgaben und Projekte vorstellt. Außerdem zeigt das DZM eine kleine Ausstellung der durchgeführten Projekte und eine Auswahl von besonderen Exponaten aus der Sammlung, die dem Museum seit seinem Bestehen gestiftet wurden. Musikalisch umrahmt wurde der Festakt zum zehnjährigen Bestehen von einem Streicherquintett, dem die Künstler Stela Bunea, Stefan Hatvani, Klaus Brannath, Virgil Bunea und Andrea Fadani angehörten.

Das DZM in Zahlen und Fakten:

  • 1500 qm Ausstellungsfläche thematisieren die Kultur und Geschichte der Donauschwaben
  • 300 qm stehen für Sonderausstellungen zur Verfügung
  • 45000 Exponate wurden bisher im Museum gesammelt, 2000 davon sind in der Dauerausstellung zu sehen, 43000 Exponate dienen als materieller Geschichtsspeicher der donauschwäbischen Kultur und Geschichte
  • Mehr als 500000 Besucher haben zwischen 2000 und 2010 das Museum und seine Ausstellungen im In- und Ausland besucht
  • 103871 Besucher haben bisher die Dauerausstellung in Ulm besichtigt
  • 96378 Gäste besuchten die fünfzig Sonderausstellungen in Ulm und außerhalb Ulms
  • Zwanzig dieser Ausstellungen waren Kooperationen mit Museen oder Institutionen aus Rumänien, Ungarn oder Serbien
  • 4820 Gäste besichtigten 2003 die Ausstellung „Victor Vasarley“
  • Über 10000 Besucher sahen in der serbischen Stadt Novi Sad 2009 die Ausstellung „Daheim an der Donau – Zusammenleben von Deutschen und Serben in der Vojvodina“
  • 170000 Besucher sahen zwanzig Wanderausstellungen in Berlin, München, Stuttgart, Bonn, Düsseldorf, Altötting, Regensburg, Hof, Sinsheim, Frankenthal, Budapest, Pécs, Veszprém, Sofia, Arad, Temeswar, Resita, Bukarest, Satu Mare, Sibiu, Novi Sad, Vršac und Zagreb
  • Acht Wanderausstellungen der Kulturreferentin für Südosteuropa werden seit 2004 regelmäßig ausgeliehen und an Orten in ganz Europa gezeigt. Diese sahen bisher 267330 Besucher
  • 260 öffentliche Führungen luden Besucher ein, die Dauerausstellung zu besichtigen
  • 225 Führungen fanden durch die Sonderausstellungen statt
  • 280 Veranstaltungen führte das Museum in den vergangenen zehn Jahren in Ulm durch, darunter Vorträge und Podiumsdiskussionen wie „Als wir Faschisten waren – Die Banater Aktionsgruppe und die Securitate“ (2009 mit einem Besucheranteil von weit über hundert Personen) oder die Gedenkveranstaltung zur Russlanddeportation 2005 mit über zweihundert Personen
  • 280 Vorträge wurden von den Mitarbeitern des Museums in den letzten zehn Jahren gehalten
  • 2200 Jugendliche aus sechs Ländern konnten bei den 22 Jugendveranstaltungen der Kulturreferentin in die Kultur und Geschichte Ostmittel- und Südosteuropas eingeführt werden
  • 98 Projekte wurden von der Kulturreferentin über den Etat der kulturellen Breitenarbeit seit dem Jahr 2002 gefördert, darunter waren 55 grenzüberschreitende Projekte in Zusammenarbeit mit Kultureinrichtungen oder Organisationen aus der Slowakei, Ungarn, Kroatien, Serbien und Rumänien
  • 150 Veranstaltungen führte die Kulturreferentin in der kulturellen Breitenarbeit durch, dazu gehörten Theatertourneen, wissenschaftliche Tagungen und Vortragsreihen.