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Erste Banater Kirchweih in Reutlingen

Aus verschiedenen Banater Ortschaften haben sie sich hier zusammengefunden und miteinander ihre erste Kirchweih in Reutlingen gefeiert. So mancher hat zum erstenmal die Geborgenheit der gemeinsamen Herkunft, des gemeinsamen Schicksals gespürt. Und vielleicht geht ja der herzliche Aufruf des Bezirksbürgermeisters Keck in Erfüllung, dass daraus eine dauerhafte Tradition wird.

Paare in Bakowaer Tracht mit Pfarrer Dürbach und Diakon Radu Thuma. Fotos: Michael Schuller

Von vor und hinter den Kulissen berichtet / Tradition lebt fort

Nach langer Vorbereitung liegt das erste Banater Kirchweihfest in Reutlingen-Betzingen nun hinter uns. Wenn wir nach diesem gelungenen Fest zurückblicken, dürfen wir feststellen: Wenn man fest an eine Idee glaubt und unermüdlich für deren Verwirklichung arbeitet, dann hat man auch Erfolg.

Mit einer Idee fing alles an: In einer Sitzung des Kreisverbandes Reutlingen der Landsmannschaft der Banater Schwaben wurde beschlossen, für alle Banater Schwaben in und um Reutlingen eine Kirchweih zu organisieren. Ein Datum wurde festgelegt und der Ort, an dem das Fest stattfinden sollte. Eine Kirche, in der der Gottesdienst abgehalten werden sollte, wurde ausgewählt, und die Strecke für den Aufmarsch der Gruppen musste geplant und genehmigt werden. Christine Neu und Michael Koppi fragten beim Bezirksbürgermeister von Betzingen, Thomas Keck, an, ob die Möglichkeit bestünde, in seinem Ort die erste Banater Kirchweih auszurichten. Bezirksbürgermeister Keck war sofort „Feuer und Flamme“ für das Vorhaben. Er empfand es als große Ehre, dass die Organisatoren der Veranstaltung ihm sogar die Schirmherrschaft zu diesem Fest antrugen. Zu unserem Fest wurden etliche Gruppen eingeladen: Die Trachtengruppe der Banater Schwaben aus Singen, Trachtenträger vom Verband der Siebenbürger Sachsen aus Reutlingen und Metzingen und die Folkloregruppe Reutlingen. Neben diesen Gruppen luden wir auch eine Gruppe des Schwäbischen Albvereins Betzingen ein. So wollten wir ein Zeichen setzen für das Miteinander von Zugewanderten und Einheimischen. Wir beabsichtigten, in diesem Jahr eine Kirchweih nach Bakowaer Art abzuhalten. Eine Woche vor unserem Fest wurde ins Betzinger Rathaus zu einem Pressegespräch eingeladen.

ierfür hatten wir uns gründlich vorbereitet. Christine Neu entwarf eine Broschüre, die viele Informationen enthielt: Über den Ablaufplan des Kirchweihfestes und den Gottesdienst, Informationen über uns, unsere Herkunft und über die Besonderheiten der Bakowaer Kirchweih. Wir stellten in der Broschüre zudem die mitwirkenden Gruppen und die Ehrengäste vor. Das Ergebnis des Pressegesprächs waren ausführliche Berichte und Informationen über uns und unser Vorhaben in der Lokalpresse. Eindrucksvoll waren die dabei veröffentlichten Bilder, die das Überreichen des Apfels mit einem Rosmarinstrauß an Bezirksbürgermeister Keck durch das Vortänzerpaar Oswald und Eveline Wolf zeigten, die sich natürlich in Bakowaer Tracht präsentierten.

Der Tag vor der Kirchweih war mit vielfältigen Vorbereitungen gefüllt. Es wurden Zelte, Biertische und Bänke, ein Zelt für die Musik und Stände für den Verkauf aufgestellt. Auch an einen Beamer und eine Leinwand war gedacht worden, damit die Fußballfans nicht zu kurz kommen sollten. Ein Ehrenplatz für den Maibaum, geschmückt mit einer stolzen Krone, an dem man Hut und Tuch befestigte, war bestimmt, und nicht zuletzt stand das Fass an seinem Platz. Am 3. Juli um 14 Uhr war es dann soweit. Als man sich im Hofe der Mauritiuskirche versammelte und den Klängen der Original Donauschwäbischen Blasmusik Reutlingen zuhörte, waren alle Sorgen und Spannungen wie weggeflogen. Die Sonne strahlte, Menschen versammelten sich vor der Kirche, man machte Fotos, und das Fest nahm seinen vergnügten Lauf. Unser berühmter Banater Fotograf und Weltenbummler Michael Schuller war zu diesem Ereignis eingeladen, um die schönsten Momente mit dem „Künstlerauge“ festzuhalten. Die Kirchweihbuben boten ihren Kerweihwein an. An den Flaschen waren Lose angebracht, die die Chance boten, „Hut und Tichel“ zu gewinnen. Alle staunten über die Vielfältigkeit der Trachten. Strahlende Gesichter überall.

Man traf liebe Menschen, die man lange nicht mehr gesehen hatte: So den ehemaligen Bezirksbürgermeister von Betzingen, Kaspar Blasy. Ein Banater Schwabe, der es sich nicht hatte nehmen lassen, im Rollstuhl zum Gottesdienst in der Kirche zu erscheinen. Das war beeindruckend. Unser Banater Pfarrer Robert Dürbach empfing uns vor der Kirche und bat uns in das geschmückte Gotteshaus. Der Festgottesdienst wurde von Pfarrer Dürbach und Diakon Radu Thuma zelebriert. Die musikalische Umrahmung gestaltete der Banater Chor Reutlingen unter der Leitung von Hans Neu und die Donauschwäbische Blasmusik Reutlingen, geleitet von Johann Frühwald. Die Danksagung wurde von Gisela Filipp, die Fürbitten wurden von Erika Millich vorgetragen. Nach dem Festgottesdienst versammelte man sich wieder in dem Kirchhof, von wo der große Festzug startete. Allen voran unsere drei kleinen Kirchweihbuben Sven und Lars Wolf, die auf den kleinen Ralf in der Mitte aufpassten. Dann folgte das Bakowaer Vortänzerpaar Eveline und Oswald Wolf mit dem geschmückten Rosmarinstrauß. Ihnen folgten zwei weitere Paare in Bakowaer Sonntagstracht und Nachkirchweih-Sonntagstracht, danach kamen die Trachtengruppe der Banater Schwaben Reutlingen, die Trachtenträger der Siebenbürger Sachsen, der Schwäbische Albverein Betzingen, die Banater Trachtengruppe aus Singen und die Donauschwäbische Tanz- und Folkloregruppe Reutlingen.

Wer bei diesem großartigen Aufmarsch nicht dabei war, der hat etwas versäumt. Da die Strecke von der Mauritiuskirche bis zur Kemmler-Halle nicht allzu lang war, wurden mehrmals Kehrtwendungen und „Kerweihsteckelche“ gemacht. Den hiesigen Ortsgruppen blieb nichts anderes übrig, als mit viel Spaß es den anderen auf der Straße gleichzutun. Die Trachtengruppe der Banater Schwaben Reutlingen mit weiteren Gruppen ließen so im größten Reutlinger Stadtteil die in der früheren Heimat gewohnte Tradition wieder aufleben. Der Trachten-Festzug bewegte sich Richtung Kemmlerhalle. Musik und die Rufe der Kirchweihbuben hallten durchs Dorf: „Buwe, was han mer heit?“ „Kerweih!“

Am Platz vor der Kemmlerhalle war alles vorbildlich organisiert. Es roch schon von weitem nach Langosch und „Mici“. Auf diesem Wege ein Dankeschön an die freiwilligen Helfer, die vom eigentlichen Ablauf des Kirchweihfestes nicht viel mitbekommen haben. Danke an das Langosch-Team Hedi Pless und Hedi Wagner, an unsere Grillmeister Walter Hedrich und Richard Wagner. Für Getränke waren zuständig: Mathias und Jürgen Possler sowie Josef Renoth. An der Kasse standen Johann Pless und Rose Petla. Elfriede Ortinau bewirtete die Gäste mit Kaffee, Mohn- und Nussstrudel, gebacken und gespendet von Barbara Messmer und Anna Possler. Es wurde Wein und Bier aus der alten Heimat, aber auch aus dem Ländle angeboten.

Der Festzug der Kirchweihpaare näherte sich dem Festplatz. Ihm folgten die Zuschauer und die Ehrengäste. Dort begrüßte Christine Neu, Leiterin der Trachtengruppe Banater Schwaben Reutlingen, die Gäste. Sie betonte nochmals die Bedeutung der Banater Tradition: „Besseres kann kein Volk vererben, als der eigenen Väter Brauch. Wenn des Volkes Bräuche sterben, stirbt des Volkes Seele auch.“ Nach alter Tradition übergab man den Ehrengästen einen Apfel mit einem Rosmarinstrauß. Michael Koppi, Vorsitzender der Landsmannschaft der Banater Schwaben (Kreisverband Reutlingen) sprach Dankesworte und übergab das Wort der stellvertretenden Bundesvorsitzenden Katharina Ortinau. „Sechzig Jahre Landsmannschaft der Banater Schwaben feiern wir in diesem Jahr“, erklärte sie.

Und bezüglich des Mottos des Heimattages 2010 „Weltoffen und traditionsbewusst“, meinte sie: „Wer wirklich weltoffen sein will, braucht eine Heimat und Leidenschaft, ihre Identität und ihre Wertefundamente zu verteidigen.“ Als Repräsentant der Stadtteilgemeinde Betzingen begrüßte danach Bezirksbürgermeister Keck die Anwesenden. Er übermittelte Grüße von Oberbürgermeisterin Barbara Bosch. Er führte unter anderem aus: „Wer mich kennt, weiß, dass ich ein erdverbundener Mensch bin, und die Pflege von positiven Traditionen und überkommenem Brauchtum ist mir als Vorsitzender des Albvereins hier in Betzingen und in der Region – dem Lichtensteingau – seit langer Zeit ein Anliegen. Nur wer weiß, woher er kommt, kann eine Vorstellung dafür entwickeln, wohin die Zukunft führen kann.

Ich finde es wichtig, die eigenen Wurzeln zu erkunden und sich damit eine Basis zu schaffen, auf der die Gegenwart gemeinsam gestaltet und die Zukunft gewonnen werden kann.“ Nachdem auch Betzinger in Tracht mit dabei waren, meinte Keck: „Ich finde, dies ist ein wunderbares Bild. Die Trachten ihrer alten Heimat zusammen mit der alten Tracht ihrer neuen Heimat. Das verkörpert für mich den Schulterschluss, das Zusammengehören über weite landsmannschaftliche Grenzen hinweg.“ Ein ganz besonderer Gruß ging an Bezirksbürgermeister a. D. Kaspar Blasy, der zusammen mit vielen weiteren Landsleuten nach dem Zweiten Weltkrieg in Betzingen eine neue Heimat fand.

Als Ehrengäste waren ferner zugegen: Theresia Teichert (Kulturreferentin des Landesverbandes Baden-Württemberg), Stefan Ihas (Bundesjugendleiter im Weltdachverband der Donauschwaben), Rainer Sailer (Vorstand des Verbands der Siebenbürger Sachsen in Metzingen), Andreas Djengel (Kulturreferent vom Verband der Siebenbürger Sachsen Reutlingen) und Bela Szabo. Nach den Grußworten der Ehrengäste begannen die Tanzvorführungen der eingeladenen Trachtengruppen. Zum Schluss folgte ein von den Trachtengruppen der Banater Schwaben Singen und Reutlingen gemeinsam getanzter „Kathi-Ländler“. Nun begann die eigentliche Kerweih nach Bakowaer Art. Als man den Strauß austanzen wollte, fiel schon das erste Tor im Spiel Argentinien–Deutschland. Niemand musste jetzt mehr auf die gelungene Integration der Banater Schwaben hinweisen. Der Jubel aller Anwesenden, ob Banater oder Reutlinger Schwaben, war groß und ließ für Momente auch die Kirchweih vergessen.

Angesichts der ausgelassenen Fußball-Stimmung verzichteten wir auf das Austanzen des Straußes. Statt dessen erklärte Oswald Wolf die Bedeutung des Strauß-Austanzens und schenkte ein Ästchen, die Spitze des Straußes, seinen Eltern, ohne deren Hilfe er die Bakowaer Kirchweih nicht so traditionsnah hätte durchführen können. Familie Wolf sen. hat den Rosmarinstrauß geschmückt; dafür vielen Dank! Bedanken möchten wir uns auch bei den Spendern des Rosmarinstraußes, der Familie Koppi. Oswald Wolf stand auf einem Weinfass und sagte den Kirchweihspruch auf. Danach stellte er die Bakowaer Trachten vor und betonte, dass das Kirchweihfest in Bakowa früher über mehrere Tage ging. Die Kirchweihpaare waren an allen Kirchweihtagen in der Bakowaer Tracht gekleidet. Was die Farbe der Röcke und der Schultertücher anbelangte, gab es eine genaue Reihenfolge: Am Kirchweihsonntag trugen die Mädchen die verschiedenfarbigen seidenen Röcke und verschiedenfarbige seidene Schultertücher, am Montag weiße Röcke und grüne Kaschmirtücher, am Dienstag Dirndl und am letzten Kirchweihtag – dem sogenannten Nachkirchweihsonntag – blaugeblümte Röcke und rote Kasch-mirtücher. Alle diese Trachten waren bei unserem Fest zu bestaunen.

„Hut und Tichel“ gingen an Katharina Schlett und Edith Mayer. Bald darauf „verlezitierte“ Oswald Wolf auch den Kirchweihstrauß, den man nach dem Austanzen „Storze“ nennt, weil man sich für einen geringen Obulus – nach dem Tanz mit der Vortänzerin – einen Zweig ergattern kann. Das „Verlezitieren“ machte Spaß, und es ging ziemlich heiß zu. Der Gewinner des „Storze“ wird nächstes Jahr die Kirchweih ausrichten. Es ist Erich Buchmann, der den Strauß seiner Frau Monica, geboren in Tschene, schenkte. Nächstes Jahr wird es daher eine Banater Kirchweih nach Tscheneer Art geben. Gerade die Jungen, dies sei besonders erwähnt, haben überall mitgemacht. In der Kirche beim Einsammeln der Opfergaben, beim Trachtenumzug, beim Straußversteigern, beim Verlosen von Hut und Tuch und beim Ehrentanz. Das mag ein Beweis dafür sein, dass solche Veranstaltungen reiche Früchte tragen, auch bei unseren Jungen, die so an unsere Traditionen herangeführt werden. Für uns als Veranstalter und als Mitglieder verschiedenen Trachtengruppen ist dies ein besonderer Ansporn, den Weg weiterzugehen. Bis 20 Uhr dauerte der offizielle Teil unserer Banater Kirchweih. Danach legten alle Trachtenträger ihre Trachten ab. Es ging in der Kemmlerhalle weiter mit mitreißender Musik vom Duo Dynamik.

Es gibt viele Landsleute, die verstreut als Minderheit leben. Lange Jahre haben sie keinen Anschluss an unsere Banater Landsleute gefunden, die Geborgenheit der gemeinsamen Herkunft, desselben Schicksals nicht gespürt. Dies war hier anders. Und das muss sich herumsprechen und weitergeführt werden. Der herzliche Aufruf von Bezirksbürgermeister Keck soll unseren Bericht beschließen: „Auf eine schöne erste Banater Kirch-weih in Betzingen. Möge daraus eine dauerhafte Tradition hier bei uns erwachsen!“