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Vorweihnachtszeit – Weihnachten – Jahreswechsel

Weihnachtskartenbaum aus dem Seminar in Bad Mergentheim. Foto: Helga Ritter

Weihnachtskarte von Roland Priebe, 1985

Jahreszeiten von Franz König, nach Stefan Jäger (WK0227)

S Johr geht zu End!
Wie gschwind doch die Zeit vergeht!
Je älder mir were, desto schneller laaft se!
So han‘s die Aldi frieher immer gsaat. Jetz ich?
Feiertäch!
Schun?
Zuruck un vorwärts schaue!
Im nächschte Johr muss ich awer friher anfange, dass ich fertich wer mit meiner Arweit!
Han ich nichts vergess?
Han ich nimande vergess?
Misst ich vielleicht wirklich so neimodische „Checkliste“ mache?
Im nächschte Johr mach ich awer wirklich so a „Merkliste“!
No kann ich abhake, was schun gmach is…
Awer mache muss ich mei Arweit alli jo doch! ...
Wirklich?
Was hat „Priorität?“ tät ich herrisch saan.
In welem „Zeitfinschter“ is was zu erlediche? ….

Diese Gedanken bewegen mich seit Jahren in der Vorweihnachtszeit. Ich habe sie gelegentlich im Bekanntenkreis geäußert, in Weihnachtsbriefen erwähnt und festgestellt, ich bin damit nicht allein. Liebe Leserinnen und Leser der „Banater Post“, vielleicht geht es Ihnen auch so.

Erinnerungen an Weihnachten im Banat

Die feierliche Weihnachtsstimmung hat sich bis jetzt bei mir noch nicht eingestellt. Wenn ich jedoch beginne, die Weihnachtskarten zu schreiben, dann kommen die Erinnerungen an Weihnachten im Banat, an meine Kindheit. Dann sehe ich den Schornstein des Nachbarhauses rauchen, ich rieche den Duft der Wachsstöcke in der „Rorati“, in die ich heimlich vor dem Unterricht ging, ich höre das Knirschen des Schnees unter den schweren „Bokantschen“ und ich fühle, wie kuschlig warm es unter Otas „Bunda“ ist, und ich schmecke, … so gude Honichpusselcher, wie mei Oma se gemach hat, han ich do in Deitschland noch nie gess. … Jo, jetzt kommt Weihnachte!

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Weihnachte in Ratzampeter: Die serwische (ratzische) Gorindjersinger sin an Heilichowed schon frieh Colinda singe komm. „Ja san mala dewotischza…“ so hat des angfan. Sie han vun dr Oma immer Äpl, Salonzucker un e Lei kriet und noher hat die Oma immer gsat, mr soll net Gleiches mit Gleichem zuruckzahle, awer „… selmols, wie mr uf de Baragan han misse, hat dr Duschan, de Gorindjersinger ehre Großvattr, unser Nähmaschin ghol.“ Un dr Ota hat gsaat, „Jo, awer unser Kolonist aus der Stub hat uns gholf Krombeere auszumache, dass mr se mitholle kenne, wie se uns ausghob han.“ Ich han als Kind nie verschtan, vorwas Oma uns Kinner an de serwische Weihnachte, an unserm Dreikeenich, net hat Gorindjesinge gehen geloss.

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Weihnachten in Glogowatz bis 1973: Zu Weihnachten und zu Ostern haben meine Eltern – wie es in den meisten Dörfern von den Parteioberen vorgeschrieben wurde – die Kinder in die Schule bestellen müssen, damit sie an Pionieraktivitäten teilnehmen. Dadurch sollte der Kirchenbesuch verhindert werden. Viel später erfuhr ich von Vati (Lehrer Franz Pretz), dass er mit dem Gemeindepfarrer Wolf und später mit dessen Nachfolger, Pfarrer Pettla, immer heimliche zeitliche Absprachen getroffen hatte, sodass offiziell der Vorschrift entsprochen wurde, die Kinder aber sowohl in die Kirche als auch in die Schule gehen konnten.

Die erste Weihnacht in Deutschland

Vorweihnachtszeit 1976, Ausreise aus Rumänien / Einreise nach Deutschland: Meine Ankunft fiel auf den ersten Adventsonntag. Ich war fasziniert von der Weihnachtsbeleuchtung im Freien, denn in Rumänien begann gerade in diesen Jahren die schwere Zeit, in der die Verwaltung „aus Sparsamkeitsgründen“ die Wohnviertel stundenweise vom Stromleitungsnetz ganz abschaltete. Der erste Gottesdienst im Odenwald! Die erste heilige Messe in Deutschland werde ich nie vergessen. Ich habe nie inbrünstiger das Weihnachtslied „Oh, du fröhliche …“ gesungen. Ich durfte nun endlich zur Kirche gehen ohne mich zu verstecken, da kein beauftragter Aufseher hinter den Fenstervorhängen des gegenüberliegenden Schulhauses herausguckte. (In Glogowatz sollten wir Lehrerkinder nicht in die Kirche gehen, die Eltern sollten Beispiel für atheistische Erziehung sein, deshalb wurden wir auch in Temeswar gefirmt). Endlich in Deutschland! Endlich Gewissens- und Religionsfreiheit! Ich möchte als Lehrerin hier in Deutschland mit den Schulkindern Weihnachtslieder singen und die
Familie kann endlich gemeinsam in den Gottesdienst gehen. Keine Heimlichkeiten mehr! Ich bin zufrieden und glücklich!

Am nächsten Tag, am Montag, fuhren wir nach Nürnberg ins zentrale Aufnahmelager, um mich anzumelden. Als ich den Aktenkram beendet hatte, zeigte mir Vati das Kaufhaus „Hertie“. An der Theke stand „Wir führen 200 Wurstsorten!“ Ich staunte! Plötzlich hörte ich das Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“. Es schien mir, als müsste ich aus Rührung hinknien. Ich schaute mich vorsichtig um, doch außer mir war niemand ergriffen. … Die Leute um mich herum waren alle geschäftig und kauften beim „heiligen Lied“, das bei uns zu Hause nur in der Christmette gesungen wurde, seelenruhig ihre Wurst. Deshalb habe ich später dieses Lied niemals mit den Kindern in der Schule gesungen … und ich habe lange gebraucht, um „mein Weihnachten“ zu finden; ich kämpfe bis heute gegen die „Wurstweihnacht“, gegen die „Konsumweihnacht“ an.

Heiligabend 2019 zuhause im Odenwald

Wenn wir 2019 zuhause im Odenwald an Heiligabend mit den Kindern und Enkelkindern Weihnachtslieder singen werden, dann fehlen die vertrauten Stimmen der Verstorbenen, die meiner Mutti und meines Vatis. Und trotzdem werde ich diese Stimmen wieder heraushören, wenn wir das „Stille Nacht“ singen. Und unsere Kinder freuen sich auf das zur Tradition gewordene Heiligabendessen. Wie auch in meiner Kindheit gibt es bei uns jährlich in Sauerkrautbrie gekochte geraacherte Brotworscht mit Kreen un a des Tunkebrot schmeckt alli gut. Wie tröstlich ist Erinnerung. Wie gut schmeckt Tradition.

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Doch zurück zu den Grußkarten im Jahr 2019:

Anstatt no der Mette vor der Kerch ananner „frohes Fescht“ zu winsche un ananner die Hän zu schiddle, odr an Neijohr Winsche zu gehn, schreib mer do in Deitschland Karte.
Wie drhem, wann die Kinner un Männer an Neijohr winsche gang sin, un e Gsetzl gsaat han, kenne mr‘s jo do, in Deitschland, net mache! Ich men a net, dass mr druf ingstellt wäre, die Winscher rinn zu losse. Die Winscher täte sich a net traue, so unangemeld vor dr Tier zu stehn. Also, was bleibt uns iwrich? Mr gehn „digital“ winsche; mr passe uns dr Zeit an! Awer ’s Winsche derfe mr net vergesse!
Is es Eich aa so gang? Mr han iwers Internet, Whatsapp und facebook vill scheckiche Bilder, wackliche, singende Mosch-Crăciuns griet, vill Glocke han gelitt, Kerze gebrennt, es hat geglitzert und gfunkelt, ‘s wor andächtich schtill und wehmietich. Je no dem, wie mr grad zumut wor, han ich gelacht, wor verwunnert oder ergriff.

Hinner manchem enfache Wunsch han ich gschpiert, do ist noch meh drhinner. Ich han proweert, mr vorzuschtelle, was die Absender sich gedenkt han, wie se vielleicht zeitlang no mir ghat han, gere mit mir gered häde, aleen wore, odr ob se gedenkt han, die han ich vergess, ich muss noch … Viel Erinnerunge sin ufkomm.

Ich „muss“ ke Karte net schreiwe, ich „well“ se schreiwe. Ich well Eich mit mir dorchs Finschter schaue losse, dorch mei Winschefinschter. Manches geht besser no dr Schrift, also „Herrisch“, manches besser Schwowisch. Awer so sin ich: uff ke Sproch meecht ich verzichte!

Gedanken zum erleuchteten Fenster

Ich möchte meine Wünsche für Sie mit den Gedanken zum erleuchteten Fenster verbinden.
Fünf Lichter strahlen hell durch das Fenster. Wofür stehen sie? Was leuchtet für mich? Was erhellt mein Leben? Was gibt ihm Strahlkraft? Ich denke, das ist sehr individuell und Lebensphasen abhängig. Für mich ist es die Familie, der Beruf, das Eingebundensein in eine Gemeinschaft, die Neugierde auf und die Achtung für unsere schöne Welt und die Nächstenliebe … Ja, ich höre schon die Skeptiker: Die Familienidylle trügt manchmal?! Der Beruf… es ist bei mir noch Platz für besser! … Die Gemeinschaft, was und wer hält sie zusammen? … Unsere schöne Welt… sie ist bedroht! Die Nächstenliebe…? Gilt sie nur für manche? Wie ist das mit der Ohrfeige und der anderen Wange?

Und … Ihr hat doch bestimmt a Eier Finschtre und Lichter! Neigeerich wär ich schun, was die beim Leichte alles rufe … was die Eich un uns saan. Saat uns des doch aa!

***

Ich wünsche Ihnen, dass Ihre Lichter hell strahlen, Sie erwärmen und Ihnen den Weg zeigen. Ich wünsche, dass unsere und Ihre Visionen und Träume nicht verblassen!

Das Fenster zeigt jedoch immer nur einen Ausschnitt der Welt. Die fünf Lichter sind auf einer Seite zu sehen, gerade in der Richtung, in die ich gerade schaue. Was sehe ich durch dieses Fenster nicht? Welche Perspektiven sind mir durch die Sicht durchs Fenster verwehrt? Was liegt rechts und links, hinten, oben und unten im Verborgenen? Wenn ich an mich denke, dann vermute ich schon, was bei mir manchmal aus dem Blickfeld gerät, und ich wäre sehr gespannt darauf, zu erfahren, was ich noch nie im Blickfeld hatte, weil mein Fenster, durch das ich gerade auf die Welt blicke, zu eng und zu starr ist. Ich wünsche mir ein Kugelfester, um Schönes, Verborgenes zu entdecken.

Ich wünsche Ihnen die Neugierde auf viele Fenstersichten!

Ich denk mr, mir alle breichte außer em Kugelfenschter a noch „Facettenaugen“, um all die unnerschiedliche Winsch zu gsiehn, die an uns alli im Alltag gericht sin! Des sin Aue, wie se die Biene und Micke han, de ronderom schaue kenne un de nichts versteckelt bleibt. 

Ein Fenster teilt die Welt in drinnen und draußen ein. Je länger ich das Bild anschaue, merke ich, es sind ja eigentlich die Kerzen eines Weihnachtsbaumes, die da leuchten. Das ist ja die Außenansicht eines Fensters. Drinnen ist alles feierlich erleuchtet, der dunkle Rahmen setzt Grenzen, Grenzen zwischen dem dunklen Draußen und dem hellen Innen. Ich bin nur nicht mehr gewohnt, ein Fenster mit Fensterladen zu denken. Zu sehr habe ich mich an den Anblick der Rollläden gewöhnt. Weihnachten ist, draußen und drinnen, drinnen und draußen …es ist … Bin ich Weihnachtschristin? Bin ich Kirchenchristin? Bin ich drinnen oder draußen? Gewissensfreiheit! Privatsache!?

Ich wünsche Ihnen und mir, den Zeitpunkt zu erkennen, wann ich das Fenster weit öffnen kann und muss und wann ich auch mal die Fensterläden schließen muss, um mir selbst zu begegnen.

Wann mr anfangt zu sinniere, wo ist drinn und wo is drauß, no kommt mr ins Griwwle. Mir Schwowe aus dem Banat sin jo „naus uf Deitschland“ ausgewannert, die Sachse sin „nuff gezoo“. Mei Ota un mei Oma vum Vatter seiner Seit, han noh em Kriech, noh dr Flucht un no dr Enteignung, wie die Koloniste in erem Haus gewohnt han,  uf dr Hodaja gewohnt. Wann‘s im Windr so dungl wor, hat Ota immer 's Sturmlicht ins Finschter gstellt. ‘s kennt jo jemand sich verloff han. Manchmol froo ich mich, wo sin unser Sturmlichter hinkomm? Wiss mer noch, wo mr hin welle?

Ein Fenster ist… Da fällt Ihnen auch sofort der Schildbürgerstreich ein. Die klugen Leute von Schilda hatten im Rathaus keine Fenster eingebaut und mussten das Sonnenlicht im Sack hineintragen. Ob sie aber danach alles besser sahen? Darüber schweigt der Schriftsteller. Ich denke, es gibt so viele Rathäuser, Häuser, Gebäude, Gebilde, Institutionen, Medien, Köpfe … bei deren Konstruktion die Fenster vergessen wurden. Und nun …?

Ich wünsche uns und Ihnen im Alltag, dass wir es schaffen, bei allem was wir tun, die richtigen Fenster einzuplanen und …

wenn wir auch nicht bei der Bauplanung und Baudurchführung beteiligt waren, wünsche ich uns zumindest, den richtigen Behälter zu finden, um das Licht zu transportieren.

Mir Schwowe sin jo bekannt, dass mr erfinderisch sin, a was des Transportere angeht. Die Gscheidheit wird bei uns mit‘m Leffel zum Maul transporteert, also gess, die Fleh werre im Sack ghiet, dr Bodm wor voller Dankscheen, gekitzelt is mitm Hoiropper gen, und was manchmol die Männer im Waan ningfehrt han, han die Weiwer im Ferter rausgetraa. Awer for des han die Männer efter mit de Gläser Mittach geleit … Wie is sel mitm Licht? Wer traats odr stellts wohin?

Ich froo mich manchmol, wie kenne mr Finschtre baue, dass die Jungi die Alti un die Alti die Jungi besser gsiehn, dass mr gsiehn, was jiwwe un driwwe passeert? Dass die Kranki und Gsundi annaner gsiehn. Dass alle, die alleenich sin, vom a Nochber gsiehn were und die Nochberin a selwer gsiehn, dass a Lächle dorch e fremes Finschter rausscheint... Wie kennt mer … ?

Jo! A die Handys were zu Finschtre. Wie froh sin die Omas un Otas in Reschitz, Temeschwar oder sunschtwo, wann die Engelskinner dorchs Whats-App-Finschter aus Hamburg oder München, ausm Allgäu odr ausm Odenwald zeige, was se Neies kenne. (Datenschutz hin oder her) Wie scheen is es, wann die Kechine ufm Bild weise, wie gelung dr Ziehstrudl ist, was se Gudes geback han und die Schlachter ihre Brotworscht lowe. Un erscht die Musich! Wie an dr Kerweih klingts ausm Handy!
Wie kennt mer die „Homepages“ zu so 'me große Finschter mache, dass alle Leit was drin gsiehn. Sie derfte awer ke verzerrtes un verkratztes Glas im Rahme han, sie misste breet und weit sind  …
Bicher kennte doch a zum Finschter werre, ...

So ein Buch, das ein Fenster für hier und dort und dort und hier ist, ist das von Ludwig Schwarz. Ich zitiere aus dem Manuskript von Hans Gehl, aus dem „Kaule-Baschtl“ von Ludwig Schwarz:

„Ja, Leit, was is des, was de Mensch brauch außer esse un Trinke, eem Dach iwer em Kopp, Gwand un eem warme Ofe im Winter? ... Ja, was is des? Schwer is, uf des zu antworte. Awer ich meecht schun bal saan: Worzle brauch de Mensch. Worzle wie a Baam ... Ja – un ewe die Worzl, die hat angfangt absterwe bei uns.“ Und später heißt es: „Was heeßt rumsetze? Mit die Worzle ausgrawe un uf eem anre Platz wiedrum mit die eigeni Worzle setze. Awer sei Worzle holt kener mit.“ (Schwarz: Es letschti Buch, S. 304, 307).

„Allerdings werden die Kinder und Enkel schon in Deutschland oder sonstwo in der Welt Wurzeln gefasst haben und beheimatet sein, denn die Geschichte als Ganzes geht immer weiter, nur einzelne Etappen werden abgeschlossen. Deshalb muss auch festgehalten werden, wie es nach dem vorläufigen Ende weitergeht.“ In seinem Aufsatz „Wann endet Geschichte, insbesondere die donauschwäbische?“ kommt Mathias Beer aus Tübingen zur Schlussfolgerung: „Der Satz 'das war unsere Heimat' verlangt nach seinem Gegenstück: 'Das ist unsere Heimat.'“

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Was hat das mit Weihnachten zu tun?

Ich versuche es mit einem zweiten Bild. Im Nachlass meiner Eltern fand ich das Bild, das der Lehrer und
Maler Franz König aus Hatzfeld als Kopie nach dem Stefan Jäger Bild „Jahreszeiten“ (WK 0227) gefertigt hat. Ländliche, verklärte Idylle? Komprimierte Zeit? Erinnerung an Schwerstarbeit der Eltern in der Jugend? Dorfrand, Begrenzung und weiter Horizont? Wo findet das Bild Platz in meinem eigenen Leben im Jahr 2020? Was sagt das Bild meinen Kindern? Der Blick zurück… Ist es Nostalgie? Bin ich eine „baurische Kerweih-Schwowin“? Nein bestimmt nicht! Ich bin einfach Banater Schwowin! Ich selbst habe im Alltag nie Tracht getragen, nur in der Tanzgruppe… und denken, denke ich in Hochdeutsch und sprechen, spreche ich mit meinem Mann Helmut Dialekt, mal wie uf dr Heed, mal glogewitzerisch, mal „gmischt“, aber ganz bewusst, damit unsere vier Kinder es noch vom Klang her kennen und erkennen und… weil manches eben „schwowisch“ treffsicherer ist, weil Sprache Heimat ist.. Das dörfliche Leben der Großeltern hat mich geprägt, aber, … meine Arbeitswerkzeuge sind die Bücher. Und …

Hat Ihr, liebe Leit, mol proweert, schwowisch zu schreiwe? De Computer zeigt mr immer Feehler an und…des Gschriebne kann a nie des ausdricke, was mei Oma mit „Mei Meeeeedche!“ gsaat hat. Meim Ota sei „Adje, e gute Weech“ odr e „Vergeltsgott“ mennt viel meh, wie mr heert.

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Was hat das alles mit Weihnachten zu tun?

Vor einigen Jahren bereits hatte ich diese Karte meines kürzlich verstorbenen Kollegen Roland Priebe als Familien-Grußkarte gewählt. Wir alle haben liebe Menschen verloren, im letzten Jahr oder in den Jahren davor. Wir alle haben eine Heimat verloren, wir haben sie verlassen, wurden vertrieben oder sind geflohen. Wir sind auf der Suche nach einer neuen, wir suchen die aktive Beheimatung hier. Welchen Stellenwert hat die Erinnerung dabei? Ich weiß, die Erinnerung ist subjektiv, selektiv und episodisch … oft rosarot oder neblig, eben menschlich verzerrt. Durch das Fenster der Erinnerung ist vieles möglich, manches auch unmöglich. Mit dieser Komplexität umzugehen ist nicht bequem. Trotzdem … Ich habe dieses Fenster zu Weihnachten 2019 wieder als Grußkarte gewählt, weil es als Fenster der Erinnerung mir einen Lichtblick ermöglicht, mir vielleicht hilft, meinen Blick auf Wesentliches zu richten, unabhängig davon, ob wir Weihnachtschristinnen und Weihnachtschristen oder „Kerweih-Schwaben“ oder „Kerweih-Schwäbinnen“ sind.

Ist Weihnachten nicht das Fest der Familie, des Privaten, der Liebe? Weihnachten ist mehr! Es ist Herbergssuche und Platz finden, Vertrauen und Zuversicht, Hoffnung auf Gerechtigkeit, Frieden und Versöhnung. Weihnachten ist Innehalten und Stille, … der Stall, die Krippe, das Kind, die Botschaft…
Ich wünsche uns Zeitfenster im Alltag, um die Erinnerungsfenster weit geöffnet zu lassen, jedoch auch zuversichtlich die Fenster zu nutzen, die uns das Heute und das Morgen, die uns das Jahr 2020 bringt. Der Stern, die Botschaft… sollen für uns das Sturmlicht sein, das Orientierung gibt.

Ich stell e Sturmlicht ins Finschter un mach die Tiere uff, wann die Winscher komme. Ich saan Eich, wie jedes Johr, noh altem Brauch: „Mr winsche Eich a glickseeliches Neies Johr, lang lewe, gsund bleiwe, Friede und Eenichkeit un noh em Tod es Himmelreich!“