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„Ein Pass für Deutschland“

Bei der Vorab-Präsentation des Films im Temeswarer Adam-Müller-Guttenbrunn-Haus (von rechts): Regisseur Răzvan Georgescu, Alina Baciu, Leiterin des Deutschen Kulturzentrums Temeswar, und Siegfried Geilhausen, deutscher Vizekonsul in Temeswar. Foto: Raluca Popa

Der deutsche Verhandlungsführer Dr. Heinz Günther Hüsch präsentiert den Koffer, in dem er etliche Jahre Millionenbeträge für den Freikauf der Deutschen aus Rumänien transportierte. Foto: Ausschnitt aus dem Film

Erfolgreiche Vorab-Präsentation des neuesten Freikauf-Films in Temeswar. „Ein Pass für Deutschland“ („Paşaport de Germania“) ist der Titel des neuesten Freikauf-Films des in Deutschland lebenden rumänischen Regisseurs Răzvan Georgescu. Nach Vorab-Präsentationen in Hermannstadt und Klausenburg lief der Film an zwei Abenden auch in Temeswar: am 14. November in der Großen
Aula der West-Universität, am 17. November im Großen Saal des Adam-Müller-Guttenbrunn-Hauses. Beide Vorführungen waren sehr gut besucht. Wie groß das Interesse des Publikums an diesem Thema ist, zeigte sich auch in der anschließenden Diskussion mit den „Machern“ des Films. Dabei waren die Studenten besonders diskussionsfreudig. Hätte der Pförtner die Universität nicht um 22 Uhr geschlossen, sie hätten wohl noch bis in die Nacht hinein weiter diskutiert.

Der sehr einfühlsame Film ist ein reines Originalton-Stück. Das heißt, es gibt keinen verbindenden Text. Das Thema wird ausschließlich durch die Ausführungen der Protagonisten dargestellt. Zu Wort kommen der langjährige bundesdeutsche Verhandlungsführer Dr. Heinz Günther Hüsch sowie Stelian Octavian Andronic, einer seiner früheren rumänischen Verhandlungspartner. Zu Wort kommen die früheren Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher und Klaus Kinkel sowie Horst Teltschik, der außenpolitische Berater des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl. Zu Wort kommen Deutsche aus dem Banat und aus Siebenbürgen, die, sei es durch legale Ausreise, sei es durch Flucht, in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind. Die prominentesten unter ihnen sind der aus Wiseschdia stammende Schriftsteller Johann Lippet sowie der ehemalige Gummersbacher Weltklasse-Handballer Hans-Günther Schmidt, der aus Marienfeld stammt.  

Protagonisten brechen ihr Schweigen

Ein großes Verdienst des Regisseurs ist es, dass er seine Protagonisten dazu gebracht hat, vor der Kamera offen über Aspekte zu sprechen, die sonst gern verdrängt werden. Karl Hann aus Siebenbürgen berichtet zum Beispiel darüber, wie ihn Securitate-Leute nach seiner Flucht in Deutschland aufsuchten mit dem Hintergedanken, ihn als Agenten anzuwerben. Der Versuch ist natürlich gescheitert. Die Banater Christine und Helmut Bader sowie Erika Lazăr berichten, wie sie Nicolae Căpraru, den berühmten „Gärtner“ in Temeswar, geschmiert haben. Lange Zeit dachten sie, dass das Schmiergeld die einzige Zahlung sei, die Rumänien für Aussiedler erhielt. Dass die kommunistischen Machthaber darüber hinaus auch noch Ablösebeträge erhielten, die Dr. Hüsch mit seinen rumänischen Verhandlungspartnern von der Securitate quasi offiziell vereinbarte, das haben sie erst viel später erfahren. Christine Bader weist auf zwei Probleme hin, auf die sie vor der Ausreise niemand aufmerksam gemacht habe: das Heimweh und die Tatsache, dass Aussiedler in Deutschland nicht mit offenen Armen empfangen wurden. Hinzu kam der Start in der neuen Heimat mit einem Schuldenberg von 30.000 DM. Soviel Schmiergeld mussten die Baders an den „Gärtner“ zahlen.

Ein sehr großes Verdienst des Regisseurs ist es, dass er nicht nur darüber berichtet, dass die Deutschen aus Rumänien weggegangen sind, sondern dass er auch genau zeigt, was sie dazu getrieben hat: die Russlanddeportation, die Enteignungen zunächst nur der Deutschen, die Bărăgan-Verschleppung, die fehlende Freiheit, die Hoffnungslosigkeit, dass sich an den Verhältnissen, wie sie unter Diktator Ceauşescu herrschten, etwas ändert.

Schmiergeld – Partei stand dahinter

In dem Film kommt auch einer der ganz großen Temeswarer Schmiergeld-Kassierer zu Wort: der frühere Miliz-Hauptmann Viorel Bucur. Dass es dem Regisseur Răzvan Georgescu und dem Produzenten Alexandru Solomon gelungen ist, ihn vor die Kamera zu bekommen, ist eine Meisterleistung. Mit anderen Vertretern des kommunistischen Regimes hatten die beiden Filmemacher weniger Erfolg. Bei Dreharbeiten in Temeswar vor dem Haus des „Gärtners“ drohte dessen Sohn, er werde seine Leibwächter auf sie hetzen, sollten sie nicht abziehen.

Wie Viorel Bucur in dem Film sagt, hat allein das von ihm geführte Netzwerk Schmiergelder „in Höhe von sieben Milliarden Lei und von zig Millionen D-Mark“ kassiert. Ihm zufolge stand die Rumänische Kommunistische Partei (RKP) hinter
allem, was mit der Ausreise der Deutschen zu tun hatte. Ohne deren Zustimmung habe kein Mitarbeiter der Miliz oder der Securitate etwas
unternehmen können. In ihrer Geldgier hätten die Vertreter der Partei stets gefordert: „Noch mehr, noch schneller, noch besser“.

Dr. Hüsch zufolge ist das System „Ausreise nur gegen Bezahlung“ einmalig in der Geschichte. „Ich kenne keinen Präzedenzfall“, sagt der Rechtsanwalt und langjährige CDU-Bundestagsabgeordnete. „In seiner Art und in seinem Umfang ist dieser Vorgang einmalig.“

Geschäft oder humanitäre Aktion?

Obwohl es in dem Film „Ein Pass für Deutschland“ um ein sehr ernstes Thema geht, sorgte die Schlussszene bei allen Vorab-Präsentationen für Heiterkeit. Bei einer Begegnung in diesem Jahr in Bukarest zwischen Dr. Heinz-Günther Hüsch und seinem einstigen rumänischen Verhandlungspartner Stelian Octavian Andronic, sagt Andronic, die Ausreise der Rumäniendeutschen sei letztlich eine große humanitäre Aktion beider Staaten gewesen. Was Dr. Hüsch charmant, aber schlagfertig kontert mit den Worten: „Für uns war es eine große humanitäre Aktion. Für Sie war es ein Geschäft. Sie haben Menschen verloren und Geld bekommen. Ich stimme Ihnen zu: Die Ausreise war ein großer Verlust für Rumänien und ein Gewinn für Deutschland. In erster Linie aber war es ein Sieg der Freiheit und Menschlichkeit.“  

„Wir hätten die Deutschen nicht gehen lassen sollen“

In der sehr lebhaften Diskussion im Anschluss an die Temeswarer Filmvorführungen äußerten die Besucher sehr interessante Gedanken. Einer meinte, die rumänische Regierung sollte versuchen, mit dem Geld, das seinerzeit von Bonn nach Bukarest geflossen sei, die Schwaben und Sachsen zurückzukaufen. Ein anderer sagte, es sei ein großer Fehler gewesen, die Deutschen gehen zu lassen. „Wir hätten sie überall zu Bürgermeistern machen müssen. Das wäre besser für Rumänien gewesen.

Einen ersten Schritt in die richtige Richtung haben wir getan, indem wir einen Deutschen, Klaus Johannis, zu unserem Präsidenten gewählt haben.“ Ein weiterer Diskussionsteilnehmer bezeichnete den Kommunismus als „teuflisches System“, dessen Verbrechen noch viel öfter entlarvt werden müssten, „so wie es Deutschland mit dem Nationalsozialismus getan hat“. Mit Schlussapplaus wurde ein Redner bedacht, der ironisch-sarkastisch einwarf: „Nachdem wir unsere Juden und unsere Schwaben und Sachsen so ‚erfolgreich‘ verkauft haben, könnten wir doch jetzt auch andere Minderheiten zum Kauf anbieten. Damit ließen sich, wie wir gesehen haben, gute Einnahmen erzielen.“

Gastgeber der ersten Vorführung in Temeswar war die West-Universität, Gastgeber der zweiten waren das Demokratische Forum der Deutschen in Temeswar und das Temeswarer Deutsche Kulturzentrum. Bei der Vorführung im Adam-Müller-Guttenbrunn-Haus waren auch der deutsche Vizekonsul Siegfried Geilhausen sowie Ovidiu Ganţ, der Abgeordnete der deutschen Minderheit im rumänischen Parlament, dabei.

Freikauf wird Unterrichtsstoff

Nach Temeswar wurde der Film noch in Kronstadt und Bukarest gezeigt. Danach lief er eine Woche lang in Kinos in Klausenburg, Kronstadt, Konstanza und Bukarest, in der rumänischen Hauptstadt sogar in drei Kinos. Am 27. November wurde er landesweit von dem in Rumänien sehr beliebten Fernsehsender HBO ausgestrahlt. Zu einem späteren Zeitpunkt soll er auch in der ARD laufen. Ein Termin steht allerdings noch nicht fest. Geplant ist auch eine DVD mit viel Bonus-Material, deren Veröffentlichung Ende Januar 2015 erfolgen wird.

An der Lenau-Schule in Temeswar und an der Honterus-Schule in Kronstadt soll das Thema „Freikauf“ Unterrichtsstoff werden. Die beiden deutschsprachigen Schulen haben den Regisseur um eine 45-Minuten-Fassung des Films gebeten. Der Originalfilm ist 90 Minuten lang. Răzvan Georgescu und der Produzent Alexandru Solomon haben dem Vorschlag bereits zugestimmt. Im rumänischen Bildungsministerium wollen sie nun dafür werben, dass das Thema „Freikauf“ auch in Schulen mit rumänischer Unterrichtssprache behandelt wird.