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„Festschrift“ für einen Dichter

Horst Samson von der Literaturzeitschrift BAWÜLON zum 60. Geburtstag gewürdigt - Die im Ludwigsburger POP-Verlag vom Verlagsleiter Traian Pop selbst herausgegebene Vierteljahresschrift BAWÜLON nennt sich im Untertitel „Süddeutsche MATRIX für Literatur und Kunst“. Über den exotisch klingenden Zeitschriftentitel – wohl ein „Kunstwort“ – haben Rezensenten spekuliert: Hat er mit Baden-Württemberg oder gar mit Babylon zu tun? Wie dem auch sei, die Zeitschrift ist offensichtlich nicht nur nach eigenem Verständnis „ein Ort der Mehrstimmigkeit und Kontroversen in poesia“, sondern überzeugt durchaus durch inhaltliche Qualität und Vielfalt sowie durch ein ansprechendes, modernes Erscheinungsbild. Sie publiziert vorwiegend Texte süddeutscher Autoren, widmet sich allerdings auch der osteuropäischen Gegenwartsliteratur und schenkt Exilschriftstellern aus dem östlichen Europa, nicht zuletzt dem Exil-P.E.N. Club deutschsprachiger Länder besondere Aufmerksamkeit.

Zu den Autoren und Mitgestaltern dieser leider viel zu wenig bekannten Literaturzeitschrift – sie erscheint erst seit wenigen Jahren – zählen namhafte rumäniendeutsche Literaten wie Ilse Hehn, Edith Konradt, Johann Lippet, Horst Samson, Dieter Schlesak. Rumäniendeutsche Schriftsteller sind auch in der langen Reihe der Buch-Autoren des POP-Verlags gut vertreten, darunter die aus dem Banat stammenden Julia und Robert Schiff, Kristiane Kondrat, Jan Cornelius, Johann Lippet, Anton Sterbling, Horst Samson. Aus besonderen Anlässen rückt die Zeitschrift Werk und Wirkung eines Schriftstellers oder einer Schriftstellerin ins Zentrum einzelner Ausgaben.

Nach Julia Schiff und Johann Lippet würdigt BAWÜLON nun in Nr. 2/2014 die Persönlichkeit und das vielseitige literarische Schaffen des in Albrechtsflor aufgewachsenen Dichters und Journalisten Horst Samson anlässlich seines 60. Geburtstags. Eine „Festschrift“ der besonderen Art! Nicht Laudationes sind hier versammelt, sondern eine Auswahl von Gedichten, Prosastücken und essayistischen Texten des Jubilars aus dreieinhalb Jahrzehnten. Sie bieten einen eindrucksvollen Einblick in die thematischen Schwerpunkte, die sprachliche Originalität und den Formenreichtum seines literarischen Schreibens, nicht zuletzt auch in das bewegte Dichter- und Journalisten-leben eines von Kindheitstagen gezeichneten Banater Schwaben, geboren im Bărăgan, der den Drangsalierungen der Ceauşescu-Diktatur – wie andere banatdeutsche Autoren auch – in bedrohlichem Maß ausgesetzt war. Sein vielbeachteter Gedichtband „La Victoire. Poem“ (München, 2003) wird von Peter Motzan als „Protokoll einer Entheimatung und Zerstörung“ bezeichnet. Über seine bitteren Erfahrungen in den dunklen achtziger Jahren in Temeswar, im Visier des Geheimdienstes Securitate, über den Literaturbetrieb und den zunächst immer noch lebendigen Adam-Müller-Guttenbrunn-Literaturkreis, dessen Sekretär er war, und schließlich über die Last des Neubeginns im Westen ab 1987 berichtet Samson ausführlich im Gespräch mit Stefan Sienerth, das gleichsam als verkürzte Selbstbiographie zu lesen ist.

Der Text-Reigen in BAWÜLON spannt den Bogen denn auch über dreieinhalb Jahrzehnte, bezieht noch in Rumänien entstandene und teils auch dort veröffentlichte Lyrik Horst Samsons mit ein und reicht bis zu seinen neueren, im POP-Verlag Ludwigsburg erschienenen Gedichtbänden: „Und wenn du willst, vergiss“ (2010) und „Kein Schweigen bleibt ungehört“ (2013). In die mit Bedacht geordnete Text-Montage sind aufschlussreiche literaturkritische und biographische Beiträge über Horst Samson eingefügt. Neben den rumäniendeutschen Kritikern Eduard Schneider, Peter Motzan, Katharina Kilzer, Edith Ottschofski erschließen dem Leser auch namhafte Literaten aus dem deutschen Sprachraum tiefgreifende, essentielle Aspekte der Dichtung Horst Samsons – so der Heidelberger Michael Buselmeier, der Rheinländer Theo Breuer und der Chemnitzer Jan Kuhlbrodt sowie die Schweizer Andreas Saurer und Erwin Messmer. Die umfassendste Einführung in Leben und Werk des Dichters stammt von Katharina Kilzer, vorgetragen bei einer Lesung des Autors 2014 in Frankfurt am Main.

Bemerkenswert ist – jenseits der Bewertung der sprachkünstlerischen Originalität von Samsons Lyrik – die Akribie und Einfühlungsfähigkeit der bundesdeutschen und Schweizer Literaturkritiker bei der Erschließung der biographischen Wurzeln unseres Dichters und damit auch in der Wahrnehmung der jüngsten Geschichte der Banater Schwaben. Diese Literaten nehmen sich übrigens die Freiheit, Samson zu bescheinigen, dass er – mit dem herausragenden Band „La Victoire. Poem“ – „zuhanden der Nachgeborenen ein bedeutendes Zeitdokument abgeliefert hat, dazu (...) einen Aufsehen erregenden Beitrag zur zeitgenössischen Lyrik“ (Erwin Messmer).

Der kämpferische, zuweilen aufrührerische Ton der Gedichte Horst Samsons – er ist ein politischer Dichter mit Ecken und Kanten – wird gemildert durch hohe Sensibilität und, so scheint es mir, eine über allem schwebende Melancholie. Sie ist auch deutlich spürbar in seinen Essays, so in seinen Gedanken zum wunderbaren Eichendorff-Gedicht „Mondnacht“.

In sprühender Sprache verankert Horst Samson im Kern seines bisherigen Gesamtwerks Selbstbiographisches exemplarisch im zeitgeschichtlichen Geschehen der letzten vier Jahrzehnte, dem politischen Klima der Aussiedlungszeit, wird so zum poetischen Chronisten der Endzeit der Banater Deutschen in der Heimat und der Befindlichkeiten der Ausgewanderten beim Übergang in den westlichen deutschen Sprachraum. Die Frage, ob dieser Vorgang als Emigration bzw. Exil zu deuten ist, muss offen bleiben.