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Vierzig Jahre »Aktionsgruppe Banat«

William Totok bei der Eröffnung der Ausstellung "Die Aktionsgruppe Banat im Visier des kommunistischen Geheimdienstes Securitate"

Prof. Dr. Anton Sterbling

Ernest Wichner

Horst Samson (links) und Eduard Schneider

Prof. h.c. Dr. Stefan Sienerth (links) und Johann Lippet

Eine aufschlussreiche internationale Tagung in Temeswar: Vor vierzig Jahren (am 2. April 1972) veröffentlichte die Neue Banater Zeitung in ihrer damals monatlich erscheinenden „Universitas“-Beilage ein Rundtischgespräch mit dem Titel „Am Anfang war das Gespräch. Erstmalige Diskussion junger Autoren / Standpunkte und Standorte“, das vom damaligen Kulturredakteur Eduard Schneider moderiert wurde. Daran beteiligten sich Richard Wagner, Werner Kremm, Johann Lippet, Gerhard Ortinau, Anton Sterbling und William Totok, die sich teils schon von der Schule her (vom Lyzeum in Großsanktnikolaus), teils aufgrund ihrer schon veröffentlichten Texte kannten (in Schülerseiten im Neuen Weg, in der Neuen Banater Zeitung oder in der Neuen Literatur). Es verband sie das Interesse an Literatur und deren Wirkungsmöglichkeiten, denn sie betrachteten die sie umgebende Realität mit kritischen Augen und glaubten, so manches durch ihre Schriften verändern zu können. Da sie gemeinsame Ziele verfolgten und vor allem der Literatur eine aktive Rolle in der Gesellschaft beimaßen, wollten sie als Gruppe auftreten und handeln. Das war damals im rumänien-deutschen Literaturbetrieb etwas völlig Neues. Zu ihren Zielen gehörte „die Erneuerung der rumäniendeutschen Literatur, geschult an der Lyrik von Brecht, der Wiener Gruppe, an moderner Lyrik und Prosa überhaupt. Sie verstanden sich als Avantgarde. Als solche war der Bruch mit der einheimischen literarischen Tradition Programm. Und es gab für sie keine Tabuthemen“ (Johann Lippet: „Wir werden wie im Märchen sterben“. Streiflichter zur Temeswarer Literaturszene: die „Aktionsgruppe Banat“ 1972–1975 und der „Adam-Müller-Guttenbrunn“-Literaturkreis in der Zeitspanne 1977–1984, Teil IV, in Banater Zeitung Nr. 952 vom 4. April 2012, S. VI). Ihre geäußerten Standpunkte führten zu mehreren Stellungnahmen. Einer stammte vom Hermannstädter Horst Weber, Redakteur bei der Woche, der diese Diskussionsgruppe als „eine Aktionsgruppe junger Schriftsteller“ bezeichnete. Diese Bezeichnung nahmen sie gern an und nannten sich fortan „Aktionsgruppe Banat“. Es ist zu vermerken, dass es damals – politisch gesehen – ein gewisses Tauwetter gab, in dem in bestimmten Grenzen auch die Rezeption westlicher Literatur möglich war. Und da diesen jungen Autoren eine Reihe von Veröffentlichungsmöglichkeiten zur Verfügung stand, wurden sie in ihren regimekritischen Äußerungen zunehmend mutiger, bis der rumänische Geheimdienst Securitate auf sie aufmerksam wurde. Den entscheidenden Anstoß dazu gab wohl eine umfangreiche Zusammenstellung von Texten unter dem Titel „Aktionsgruppe Banat – Wire Wegbereiter“ in der Zeitschrift Neue Literatur (Nr. 4/1974), die von deren Redakteur Gerhardt Csejka betreut wurde. Die Securitate setzte nun eine Reihe von Informanten (inoffiziellen Mitarbeitern) auf sie an und sammelte Beweismaterial gegen sie, um in einem geeigneten Moment zuzuschlagen und einige von ihnen zu verhaften. Das geschah im Herbst 1975. Damit wurde dem offiziellen Bestehen der „Aktionsgruppe“ ein Ende gesetzt. Die weitere intensive Beobachtung der Tätigkeit dieser jungen Autoren führte bis Mitte der achtziger Jahre für die meisten von ihnen zum Schreibverbot, was sie zur Auswanderung drängte. Das wahre Ausmaß der Bespitzelung und Verfolgung wurde ihnen etwa ab 2007 durch den Zugang zu ihren Securitate-Akten bewusst. Das brachte die Mitglieder der Gruppe wieder näher zusammen, und sie rückten erneut in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Das alles war der Anstoß, dass der Germanistiklehrstuhl der Temeswarer West-Universität in Zusammenarbeit mit dem Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München (IKGS) die Vierzig-Jahr-Feier der Gründung dieser Gruppe zum Anlass für eine wissenschaftliche Tagung in Temeswar nahm, die ihre Wirkung und Nachwirkung noch einmal unterstreichen sollte, zumal ihr Auftreten einen einschneidenden und entscheidenden Wendepunkt in der neueren rumäniendeutschen Literatur bedeutete. (Das ausführliche Programm dieser Tagung wurde schon in der Banater Post vom 20. April 2012, S. 5, abgedruckt, so dass wir hier nur auf bestimmte Schwerpunkte eingehen bzw. hinweisen wollen.)

Besonders erfreulich war, dass die meisten Mitglieder (Werner Kremm, Johann Lippet, Gerhard Ortinau, Anton Sterbling, William Totok und Ernest Wichner) sowie einige ihrer Mitstreiter und Wegbegleiter, z. B. Horst Samson und Helmuth Frauendorfer, aber auch der NL-Redakteur Gerhardt Csejka und der NBZ-Redakteur Eduard Schneider persönlich dabei waren. Allgemein bedauert wurde, dass Richard Wagner, der von allen als ihr leitender Kopf angesehen wurde, aus Gesundheitsgründen nicht anwesend sein konnte. Sein geistreicher Text wurde zur Eröffnung der Tagung von Helmuth Frauendorfer vorgelesen. Ebenfalls schon am Eröffnungsabend kam Prof. Dr. Ion Bogdan Lefter (Universität Bukarest) zu Wort, der auf die nachhaltige Wirkung der von Peter Motzan 1982 heraus-gebrachten Anthologie „Vint potrivit pana la tare“ (Mäßiger bis starker Wind) auf einige damals junge rumänische Dichter und Schriftsteller einging, zu denen unter anderem auch Mircea Cartarescu gehörte. Lefter stellte gleichzeitig die Neuausgabe dieses Bandes vor, die nun auch jene Texte enthält, die damals der Zensur zum Opfer gefallen waren.

Der erste Abend fand seinen Abschluss in der Besichtigung der Ausstellung „Die Aktionsgruppe Banat im Visier des kommunistischen Geheimdienstes Securitate“, zu der die Teilnehmer aufschlussreiche Erläuterungen von William Totok und Cristina Anises-cu erhielten, der Vertreterin der Behörde, die heute das Securitate-Archiv verwaltet (C.N.S.A.S.). Danach gab der deutsche Konsul in Temeswar, Klaus-Christian Olasz, einen Empfang.

Der Freitag (27. April) wurde mit dem Referat „Die Aktionsgruppe Banat – drei Jahre produktive Provokation“ von Prof. Dr. Roxana Nubert (West-Universität Temeswar) eröffnet, die die Initiative zu dieser Tagung gegeben hatte und sich schon seit vielen Jahren mit den Werken dieser Schriftsteller beschäftigt. Nach einem persönlichen Rückblick von Prof. Dr. Anton Sterbling (Hochschule der Sächsischen Polizei Rothenburg / OL) auf die mit der Aktionsgruppe verbrachten Jahre stellte Prof. Dr. Jürgen Lehmann (Universität Erlangen-Nürnberg) einen Vergleich zwischen der „Sächsischen Dichterschule“, die vor allem zwischen 1966 und 1973 in Erscheinung trat, und der „Aktionsgruppe Banat“ an. Ernest Wichner (Literaturhaus Berlin) würdigte besonders eindringlich die Lyrik Rolf Bosserts, den die Mitglieder der Gruppe als ihren begabtesten Lyriker betrachteten. Er stellte dabei auch manche Parallelen zu Paul Celan her und versuchte nachzuweisen, wie sehr Bossert durch die Verfolgung der Securitate – Hausdurchsuchung, Beschlagnahme der Manuskripte, Verprügelung – zur Verzweiflung getrieben worden war, was auch seinen nach der Auswanderung erfolgten Selbstmord erklären könnte.

Am ausführlichsten wurde die Geschichte und die Tätigkeit der hier zur Debatte stehenden Autoren in dem Beitrag von Johann Lippet (Heidelberg) und Werner Kremm (Reschitza) dargestellt: „Streiflichter zur Temeswarer Literaturszene: die Aktionsgruppe Banat und der Adam-Müller-Guttenbrunn-Literaturkreis“. Nach der Auflösung des Universitas-Kreises lasen und besprachen sie ihre Texte im Adam-Müller-Guttenbrunn-Kreis, wobei es auch zu Polemiken zwischen den Jüngeren und den Älteren kam. Sie unternahmen auch Lesereisen in Banater Ortschaften, wobei Lippet mit seinem mutigen Poem „biographie. ein muster“ damals allgemeinen Anklang fand. Eingegangen wurde aber auch auf die Tätigkeit von Denunzianten, auf deren Hinweise die Securitate z. B. 1982 Hausdurchsuchungen bei Horst Samson und William Totok vornahm. Auch das zwiespältige Verhältnis der jungen Autoren zu Nikolaus Berwanger wurde angesprochen. Dieser versuchte sie zwar zu fördern; ihre Ansichten über Literatur gingen aber beträchtlich auseinander, was besonders zum Vorschein kam, als Berwanger den „Hofdichter“ Franz Johannes Bulhardt in den Guttenbrunn-Kreis einladen wollte. Das führte zum Austritt einiger Mitglieder aus dem Kreis, was die Securitate als Gelegenheit wahrzunehmen versuchte, die Gruppe zu spalten. Die folgenden Jahre führten zu weiteren Verfolgungen und Schreibverboten, was – wie schon erwähnt – die Auswanderung der meisten Autoren nach sich zog.

Prof. Dr. Thomas Krefeld (LMU München) unternahm eine eingehende literarische Analyse von Richard Wagners Gedichtband „Hotel California I“, während Dr. René Kegelmann (IKGS München) auf die „Rezeption der Aktionsgruppe im Literaturbetrieb der Bundesrepublik Deutschland“ einging. Er hob dabei einige wichtige Momente hervor. Schon in den siebziger Jahren veröffentlichte die angesehene Zeitschrift Akzente Texte dieser Autoren. Einen weiteren wichtigen Moment stellte die Einreise von Richard Wagner und Herta Müller 1987 in die Bundesrepublik dar, und schließlich weckte die Verleihung des Nobelpreises an Herta Müller im Jahre 2009 wieder das Interesse der Öffentlichkeit an dieser literarischen Bewegung –  nicht nur in Deutschland. William Totok (Berlin) versuchte in seinen Ausführungen über „Schritte der Securitate zur Zerschlagung der Aktionsgruppe“ manche „Legenden und Unterstellungen“ richtigzustellen, um dem wahren Sachverhalt näherzukommen, wobei er vor allem auf seine eigenen bitteren Erfahrungen mit diesem Repressionsorgan einging. Der Leiter des Münchner IKGS und Mitveranstalter der Tagung, Prof. h. c. Dr. Stefan Sienerth, ging auf die Persönlichkeit Nikolaus Berwangers und dessen „Verhältnis zur Aktionsgruppe aus der Sicht der Securitate-Akte“ in seinen gründlich fundierten Ausführungen ein. Prof. Dr. Daniel Vighi (West-Universität Temeswar) sprach auf Rumänisch über „Oppositionelle und Subkultur, rumänischer politischer Underground in Temeswar zur Zeit der Aktionsgruppe Banat“, noch mehr aber über die Euphorie zur Zeit der Wende und manche Enttäuschung danach. Dr. Cosmin Dragoste (Universität Craiova) setzte sich mit der „Sprachkrise bei der Wiener Gruppe und der Aktionsgruppe Banat“ auseinander, bezog sich aber mehr auf theoretische Aussagen diesbezüglich als auf eine tatsächliche Analyse über Sprache und betonte – vielleicht etwas zu stark – das Hindernis der Minderheitensprache beim Bewältigen moderner Inhalte. Gerhardt Csejka (Frankfurt am Main), mit dessen Referat „Zwischen Niemandsland und halber Heimat – der Nobelpreis. Die Banater Aktionsgruppe und ihr Umfeld als Paradigma“ die Tagung am Samstag eröffnet wurde, wies darauf hin, dass es Herta Müller dank ihrer Begabung gelang, auch mit ihrem Minderheitendeutsch („das ist mein Deutsch“) Anklang zu finden. Der Freitagabend fand seinen Abschluss mit einer Gruppenlesung der anwesenden Autoren, an deren Anfang sie das seinerzeit gemeinsam erarbeitete Gedicht „Engagiert sein“ stellten.

Am Samstag zog vor allem Horst Samson (Neuberg) die Aufmerksamkeit auf sich durch seinen Beitrag „Der Einfall der Dichter. Blühende Literaturlandschaften – die Saat der Aktionsgruppe Banat ist aufgegangen. Ein Blick zurück nach vorn zum 40. Geburtstag“. Er sprach unter anderem über seine eigene Verhaftung am 14. Mai 1982 und darüber, dass er als später Hinzugekommener dennoch zu einem wahren Mitstreiter der Aktionsgruppe wurde und auch als solcher verstanden werden wollte. Seine Ausführungen beeindruckten vor allem durch die hinreißende Sprache und gut durchdachte Formulierungen. Anschließend setzte sich Dr. Grazziella Predoiu (West-Universität Temeswar) mit Lüge und Verrat in den Romanen Richard Wagners auseinander, während Balthasar Waitz (Temeswar) das Schaffen des jüngsten Autors Roland Kirsch zu würdigen suchte. Dieser wurde am 2. Mai 1989 unter bis heute nicht aufgeklärten Umständen in seiner Wohnung erhängt aufgefunden.

Beeindruckende Aussagen machte Dr. Sabina Kienlechner (Berlin) in ihrer Untersuchung „Die Aktionsgruppe Banat im Visier der Securitate“. Sie setzte sich vor allem mit der Enttarnung der Spitzel auseinander und versuchte zu zeigen, wie schwierig es ist, bei Gerichten Urteile gegen politisch verwerfliche Handlungen zu erzielen. Die Referentin plädierte eindringlich dafür, dass der Wahrheit zuliebe die Akten auf den Tisch gelangen müssen. Robert Elekes (Universität Kronstadt) trug eine eigene Sicht zur „Aktionsgruppe Banat zwischen den Paradigmen der modernen und postmodernen Emanzipation“ vor. Das letzte Referat, jenes von Dr. Beate Petra Kory (West-Universität Temeswar), „Sklavensprache in der Lyrik der Aktionsgruppe Banat als Notwendigkeit und Herausforderung“ bezog fast als einziges auch die Lyrik von Albert Bohn mit ein. Dieser hatte sich nach seiner Ausreise zurückgezogen und die Kontakte zur Gruppe aufgegeben und war auch nicht zur Tagung gekommen. Die vorgetragenen Referate erfreuten sich regen Interesses der zahlreich erschienenen Zuhörerschaft und gaben Anlass zu lebhaften Diskussionen und Debatten, so dass die zu Gebote stehende Zeit voll genutzt wurde und den Mitveranstalter Dr. Stefan Sienerth zu der Schlussfolgerung veranlasste, dass es eine der interessantesten und bestbesuchten Tagungen gewesen sei.

Sie fand am Samstagnachmittag ihren Abschluss mit einer von Eduard Schneider moderierten Podiumsdiskussion, an der Lippet, Ortinau, Sterbling, Totok und Wichner teilnahmen. Sie erinnerten sich noch einmal gemeinsam an ihre Anfangsjahre, auch an ihre Deutschlehrerin Dorothea Götz in Großsanktnikolaus, die bei vielen das Interesse für Literatur geweckt hatte, an ihren Meinungsaustausch im Literaturkreis „Universitas“, wobei Gerhard Ortinau vor allem beeindruckt war von der „unerhörten Offenheit“, mit der alles diskutiert wurde, was sie bewegte; wenn man bedenkt, dass es damals viele andere Versammlungen gab, wo man etwas ganz anderes sagen musste als das, was man dachte. Am Abend fand dann noch die Vorführung des von Helmuth Frauendorfer geschaffenen Films „Junge rumäniendeutsche Schriftsteller im Visier der Securitate“ statt, der durch die gut durchdachte Anordnung der dargestellten Ereignisse und die klaren Aussagen der Befragten dazu geeignet war, auch den jungen Leuten im Publikum, die jene Zeit nicht selbst miterlebt haben, einen überzeugenden Eindruck von den Missbräuchen der Staatsmacht in jenem totalitären Regime zu hinterlassen. Auch der Film regte noch einmal zu Fragen und Diskussionen an, die bis in den späten Abend hinein andauerten. Es waren somit drei volle Tage, die dennoch einen ansehnlichen Teil des Publikums bis zum Ende haben ausharren lassen, darunter auch viele junge Leute. Alles in allem war es eine gehaltvolle und aussagekräftige Tagung, wie man sie nicht sehr oft erlebt. Den Veranstaltern gebührt ein großes Lob.