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Menschlichkeit und Toleranz: Hundert Jahre seit der Geburt von Hans Wolfram Hockl

Hans Wolfram Hockl

Der transzendentale Werdegang Hans Wolfram Hockls erfolgte auf einem mit geistigen und physischen Hürden verlegten Leidensweg und prägte sein themenreiches, aussagekräftiges Oeuvre. Seine überaus potente Schaffenskraft schöpfte er aus dem unabwendbaren Willen, seinen Banatern mit der Feder in der Hand dienen zu wollen. Es ist Hans Wolfram Hockl zweifelsohne gelungen, dem Banat und den Banater Schwaben einen historisch-kulturellen Spiegel vorzuhalten, in dem der Lebens- und Überlebenswille im Wandel der Zeit begründet und bestärkt wird.

Am 10. Februar 1912 in Lenauheim geboren, hat Hans Wolfram Hockl „… mit Lenau nicht allein den Geburtsort gemein, wenn auch seine Begabung einen anderen Ton setzt … sein seelisches Erbe ist noch unverbraucht …“, schreibt Rudolf Hollinger bereits 1940 (Junge Banater Dichtung) über Hans Wolfram Hockl; eine Einstufung, die auch heute noch durchaus als gültig zutrifft. Bereits 1939 erschien im Banat sein erster Gedichtband „Lieder einer Landschaft“ (Weisen aus dem bäuerlichen Lebenskreis) und zwei Jahre später die Sammlung „Volkstümliche Spiele“. Hockls Wurzeln liegen tief verwurzelt im Fundament der banatschwäbischen Dorfgemeinschaft, wo Urwüchsigkeit und Einfachheit das Landleben in seiner Offenheit, Unbefangenheit und Geradlinigkeit geprägt haben.

In der Nachkriegszeit – Hockl war Offizier in der rumänischen Armee, gelangte in amerikanische Gefangenschaft und erkrankte an spinaler Kinderlähmung – setzte er seine durch die Wirren der Kriegsjahre unterbrochene literarische Tätigkeit zunächst im Barackenlager in Haid bei Linz (Oberösterreich) fort: Erst entstanden Mundart-Gedichte in der Standardsprache sowie sein autobiographischer Roman „Schloß Cumberland“ – aus den Tagen im Lazarett zu Schloss Cumberland bei Gmunden in Oberösterreich. Damit setzte ein üppiges dichterisches Schaffen ein, das Hockl zahlreiche Preise und Ehrungen einbrachte.

Anerkennung von bedeutenden Persönlichkeiten aus kulturpolitischen und literarischen Kreisen: Julius Kardinal Döpfner (Erzbischof von München und Freising), der ehemalige österreichische Bundeskanzler Dr. Josef Klaus, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Dr. Hans Filbinger, Franz Xaver Kappus, Hermann Hesse, Heinrich Böll, Bruno Brehm, Siegfried Lenz, Rudolf Lenz, Univ.-Prof. Dr. Hans Küng, Luise Rinser und andere stempeln ihn als erfolgreichen Dichter, der sich durch die Themenwahl seiner Werke tangential in die Interessengemeinschaft des deutschsprachigen Binnen- wie Sprachinselraumes hineingeschrieben hat. Hockl, dem als Pazifist und Christ die Gefahren der Lebensraumvermarktung aus eigenen Erfahrungen bestens bekannt waren, kapitulierte nicht vor solchen Problemen: Er ging ihren Wurzeln nach, deckte diese auf: „Steh still, mein Christ, geh nicht vorbei!“ – ein Bauernroman aus Oberösterreich.

Auch für die Jugend hat Hockl  mit Herz und Seele geschrieben: „Kleine Kicker, große Klasse“ und wenn Jakob Wolf den Gedichtband „Ewiger Zauber. Die Welt wird anders durch das Kind“ betreffend feststellt: „Glücklich, wer solche Gedichte noch schreiben kann“, so ist das doch die höchste Anerkennung, die dem Familienmenschen Hockl zuteil werden kann. Das Ethos des Dichters, der irdisches Glück auf familiärer Ebene voll genießen darf – heute wohl keine Selbstverständlichkeit mehr! Hockl bemühte sich, Ereignisse und Fakten aufzuarbeiten, die ihm nicht immer Begeisterung, häufig Ablehnung, ja sogar Feindschaft eingebracht hatten, doch gerade diese „Tendenz des Aufklären-Wollens“ ist das didaktisch Lehrhafte an seinem Werk, vor allem für jüngere Generationen, egal, ob es aus dem Banat stammende sind oder nicht, denn auch sie haben ein Anrecht, ja sogar die Pflicht, die Geschichte, ihre Geschichte kennenzulernen. Deshalb darf dieses oder jenes Werk Hockls nicht falsch rezipiert werden, denn es will weder eine „Abrechnung“ sein, noch – wie so oft (falsch) gedeutet – jemandem eines „auswischen“, und man vergesse nicht: Hockl ist Dichter und kein Chronist. Er gestaltet Stoffe literarisch, doch das gute Recht jedes Literaten, die tolerante Haltung des Dichters, nicht „anzuklagen ein Leben lang …“ bekräftigt seine Absicht, die Menschheit vor einem anderen Irrweg („Regina, unsere Mutter“) bewahren zu wollen.

Die von Johannes Wurtz als „Monumentalwerk der donauschwäbischen Zeitgeschichte“ (vgl. Der Donauschwabe vom 14. 11. 1982) bezeichnete obzitierte Trilogie stellt Hockl ein exzellentes Reifezeugnis als Romancier aus. Schon 1960 wurden Hockls „Regina Lefort“ ausgezeichnete Zensuren ausgestellt: „Dieser Roman ist ein geistiges Denkmal der Donauschwaben“, so der Innsbrucker Univ.-Prof. Karl Kurt Klein. Wenn der Müller-Guttenbrunn-Biograph Ferdinand Ernst Gruber Hockl einen „Meister der Form, einen Romancier schärfster Prägung“ nennt, ihn in enge Nachbarschaft zu Gottfried Keller und Theodor Storm bringt, wird Fritz Zimmermann noch deutlicher, wenn er feststellt: Hans Wolfram Hockl – der Adam Müller-Guttenbrunn unserer Zeit.“
Hockls Prosa erfasst einen breitgefächerten Themenkreis, auf den hier näher einzugehen völlig unmöglich ist. Die historischen Stoffe beschäftigten den Dichter aus den verschiedensten Perspektiven: Ob es nun die Zeit des „Letzten Ritters“ (Maximilian I.) in der „Kaiserhexe“ ist oder die Fragen und Problemstellungen um die Donauschwaben vor und nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg sind, ob futuristische Visionen angeschnitten werden, Hockls „Problematik“ ist keineswegs die eines Einsamen: Es ist die Brisanz seiner, also unserer Zeit, in der „Mensch sein“ und „Mensch bleiben“ zentralgestellte Anliegen sind. Menschlichkeit und Toleranz sind für das multiethnische Zusammenleben natürliche Voraussetzungen.

Der störende Faktor Mensch vermag jedoch dieses Gleichgewicht dann oszillatorisch zu beeinflussen, wenn die Furcht des eigenen Ich vor dem Du oder Ihr – begründet oder unbegründet – Verdacht schöpft und aus diesem heraus nicht aufgrund vermeintlicher irrelevanter Faktoren zu handeln beginnt. Hockls Einsatz für Recht und Menschenwürde ist literarisch unter anderem auch in seinem Roman „Die Schwachen“ tapeziert worden. Es geht ihm darin um Menschenschicksale, die eindrucksvoll in Parallelen zwischen der alten (Südosteuropa) und der neuen (amerikanischen) Welt präsentiert werden. Seine Lyrik wird von gefühlsbetonten Katapultreminiszenzen getragen, ein heimatbewusstes Sehnsuchtsbündel voller „Nestwärme“ und wellengetragener Ausdruckskraft. Vielleicht war es bei Hockl gerade die Einsamkeit des Leidens, die ihn zu einem fruchtbaren und tiefgreifenden Dichter haben reifen lassen.
Die bunte Mixtur von Trauer und Wehmut, Bewegung und glücksbetonter Offenbarung, Rhythmik und Gelassenheit, sein tapferer Lebensoptimismus in stiller Frömmigkeit dahingleitend, lassen den feinsinnigen Dichter als ein komplexes Persönlichkeitsbild und Vorbild erscheinen. Es ist nicht nur Können allein, das sich der Dichter auf seinem schicksalsgestempelten, von Leid gepflasterten Entwicklungsweg diszipliniert und konsequent schwer erarbeiten musste; es steckt auch ein bedeutendes Maß an Begabung in Hockls Persönlichkeit. Er machte aus beiden Elementen durch eine zielführende Kombination das, was nur wenige von Natur aus so ausgestatteten Geister zu realisieren vermochten: maximal und produktiv herauszufordern.

Auch in seiner Lyrik wird Hockl dieser Einstellung gerecht, so dass Hermann Hesse am 23. September 1957 aus Montagnola – Hockls Gedichtband „Disteln rollen in das Meer“ betreffend – schreibt: „Ich begrüße alles, was gegen den Krieg und gegen die furchtbare Vergeßlichkeit der Völker kämpft.“
Wenn 1968 die angesehene Wiener Tageszeitung Die Presse Hockls Bilderband „Rumänien. 2000 Jahre zwischen Morgenland und Abendland“ als „Das derzeit beste Rumänienbuch in deutscher Sprache“ eingestuft hatte, so wird diese Meinung von der Bukarester Zeitung Glasul Patriei bekräftigt und Hockl darüber hinaus als ein erfolgreicher, aus Rumänien stammender Schriftsteller gewürdigt. Eine seltene und daher bedeutungsvoll einzustufende Aufmerksamkeit, die man einem aus dem altösterreichischen Banat stammenden und im Westen lebenden Dichter in einem ihm in kommunistischer Zeit gewidmeten Artikel „Ginduri despre patria natala“ (Gedanken über das Heimatland) entgegengebracht hatte. Dass Hockl dieses Heimatland, „sein, unser Banat“, über alles geliebt hat, hat er unmissverständlich zum Ausdruck gebracht – vor allem in seinen Mundartgedichtbänden „Unser liewes Banat“, „Warm scheint die Sunn“ und „Oweds am Brunne“. Bezeichnend daher ist auch die Widmung im erstgenannten Band „Allen Völkern des Banats in Liebe zugeeignet“. Und wenn Hockl im Schlussgedicht desselben Bandes „Dank for alles“ diesen ausspricht, dann kommt es auch von Herzen:

„Ruf Gud Nacht ! Somn usor!
Jó éjszakát vor dem Tor,
dann Laku nóc uf de Bank.
All unsre Nochbre mei Dank!
Dank for die hilfreichi Stunn!
Glick, was ich alli vergunn!“

Fast acht Jahrzehnte ergossen sich aus seinem lyrischen Herzensquell, epische Breite erreichend, die dramatischen Wogen seines literarischen Schaffens, getragen von Ausdauer und Durchschlagskraft der tosenden Brandung, die schäumend, aber nicht wütend den felsigen Klippen den Donner abrang.

So leise
Ich wandre still die Wege,
noch einmal durch den Wald.
Die Vögel sind noch rege,
der Abendwind weht kalt.
So bin ich oft gegangen
den einsam dunklen Pfad
in Hoffen und in Bangen
und fand hier guten Rat.
Und wenn ich Abschied nehme,
solls ebenso geschehen;
als ob ich wiederkäme,
so leise will ich gehen.

(Aus: Media in morte, Verlag Bläschke, St. Michael, 1984, Seite 41)