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Das Banat - Ein Memoirenbuch in der deutschen Literatur des Sommers 2011

Seit einiger Zeit hat das „Banat“ wieder als Begriff Konjunktur in einer größeren deutschen Öffentlichkeit. Das Banat ist derzeit „in“, möchte man sagen, obwohl das wie ein Motiv aus einer anderen Zeit oder einem fernen Land daherkommt, wie eine vergessene Region, deren Vergänglichkeit nicht aufgehalten werden konnte und dessen Erinnerung nur noch literarisch aufgefrischt wird. Das alte Banat, die Heimat der Banatdeutschen, ist heute Vergangenheit. Herausgehoben aus der historischen Senke haben es nun aber nicht die Zeithistoriker, auch nicht die Politiker, sondern hat es die Literatur. Das Banat gehörte zu den vergessenen Regionen, unbekannt für viele Leser, aber als ein weißer Flecken auf der Landkarte europäischer Kultur ist es gegenwärtig bewahrt geblieben im Vergangenen wie im Gegenwärtigen.

Auf dem deutschen Buchmarkt erscheinen immer mehr Bücher, die diesen vielen deutschen Mitbürgern bisher nicht bekannten Landstreifen als Spielort des Geschehens haben. Nach der Bekanntgabe der Nobelpreisträgerin von 2009, der in Nitzkydorf geborenen Herta Müller, waren die Banater Ortschaften für einige Zeit in der deutschen Öffentlichkeit in aller (literarischen) Munde. Catalin Dorian Florescu lässt auch seine Romane im Banat spielen. Für den in den deutschen Feuilletons viel gelobten Roman „Jacob beschließt zu lieben“, erschienen 2011, wählte er Triebswetter als Handlungsort. Obwohl der fiktionalen Geschichte einer Familie Obertin aus Triebswetter viele Ungereimtheiten mit dem einst realen Banat nachzuweisen sind und somit besonders den Unmut der aus Triebwetter stammenden Ortsgemeinschaft weckte, versucht Florescu – der in Temeswar geboren, aber das Banat und besonders das Leben in den Banater Dörfern nie selbst kennenlernte, im Unterschied zu Herta Müller – ein Bild der Banater Dorfgemeinschaft zu beschreiben. Ist es nun „kruder Realismus“ (wie er bei einer Lesung in Frankfurt sagte) oder Imagination? Das ist unerheblich. Seine Kunst am Fabulieren, seine Beobachtungsgabe für Menschen ist in seinen Geschichten zu erkennen. Ob seine Bücher nun große Literatur sind oder nicht, ist nicht wesentlich. Sie sprudeln jedenfalls vor Lust an Bildern und Erzählungen. Aber das wurde bereits an anderer Stelle von Walter Engel ausgiebig diskutiert. Und die fiktionale Überhöhung der Realitäten im banatdeutschen Dorf sollte nicht wieder zu einem Streitthema unter den Banatern werden. Dafür handelt es sich nicht um ein Geschichts- oder Sachbuch, auch nicht um einen realistischen Roman, sondern um ein Gebilde aus Schauergeschichten, vermeintlicher Historie und Fabulierkunst.

Auch der Wieser-Verlag in Klagenfurt hat nach Veröffentlichung von 150 Bänden in der Reihe „Europa erlesen“, zu denen Ausgaben über Bukarest, Hermannstadt oder Czernowitz, Lemberg, Mostar, Zagreb, Linz, Mähren, Siebenbürgen, über die Batschka und andere Städte und Regionen Europas gehören, nun dem „Banat“ einen Band gewidmet. Diese Bände sind kleine literarische Reiseführer. Man findet keine Landkarten, Routen- oder Hotelhinweise darin, jedoch topografische Poesie und Prosaminiaturen. Herausgeber des Banat-Bandes von „Europa erlesen“ 2011 sind zwei Slavisten: Milos Okuka, Lektor für Serbokroatisch an der Universität München, und der 1974 geborene Slawist Dareg Zabarah. Beide Herausgeber haben bereits den Band „Backca“ in dieser Reihe editiert. Sieben Dutzend Fragmente enthält der Band: Ausschnitte aus längeren Texten oder Gedichte. Die Texte sind in der Regel kurz und knapp. Vieles ist schon bekannt, anderes nicht. Einiges ist nüchtern, realistisch, melancholisch, anderes gewitzt und wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten, aber unterhaltsam. Einige der Texte lassen sich jedoch kaum mit dem Banat identifizieren. Die kurzen Prosastücke und Gedichte umspannen zeitlich etwa ein Jahrhundert mit einigen Ausnahmen aus den Reihen der serbischen Autoren, deren Wirken noch in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts reicht.

Die Vielfalt der Literatur über die Region Banat kann die Anthologie nur andeuten. Das rumänische Banat ist vertreten durch die Mitglieder der „Banater Aktionsgruppe“, durch Herta Müller, Ana Blandiana, Uwe-Erwin Engelmann, Roland Kirsch, Werner Söllner, Romulus Bucur, Ioan Flora, Radu Flora, Petru Cirdu (aus dem serbischen Banat), Liliana Ursu und Mihai Beniuc. Eine bunte Zusammensetzung, die trotzdem nur einen Ausschnitt aus der Vielfalt Banater Autoren darstellt. Die Auswahl lässt einige Fragen offen, so zu Beniuc, der zwar in Arad geboren, sich aber nicht als Banater Autor definieren lässt, Liliana Ursu aus Hermannstadt mit dem Gedicht „Samen von Sonnenstrahlen“, allgemein gehalten, oder zu Blandiana, die in Temeswar geboren ist, jedoch bereits im Alter von drei Jahren mit der Familie nach Oradea zog und für die das Banat nie ein eigenes Thema war in ihren Gedichten oder Prosawerken. Dagegen kann man wohl in den Werken dieser Autoren, die über oder aus dem Banat schreiben, sagen, dass sie alle in einer multikulturellen Welt lebten, die sie zum Vermittler zwischen den Kulturen befähigte. Die Sprachinseln, auf denen die Dichter in Osteuropa sich tummelten, waren einzigartig. Da nur wenigen der Durchbruch in eine größere literarische Öffentlichkeit gelang, wie in jüngster Zeit Herta Müller, kämpfen andere bis heute gegen den Stempel Heimatliteratur. Viele der Autoren schrieben im Schatten einer Diktatur und waren oft in Gefahr, Opfer politischer Verhältnisse zu werden. Das Banat zwischen Donau, Theiß und Marosch, das nach 1920 aufgeteilt und danach zu Ungarn, zwei Drittel der Fläche zu Rumänien und der Rest zu Jugoslawien gelangte, war eben schon immer ein Schmelztiegel verschiedener Sprachen, Kulturen und Traditionen. Eine Art Zukunft Europas? Jedenfalls ist es Ziel jüngster poetischer Imaginationen. Lange vergessene Orte, Namen, die bisher in Deutschland wenige kannten, kehren ins Bewusstsein zurück. „Unter den deutschen Sprachlandschaften der Nachkriegszeit ist die rumäniendeutsche eine der reichsten. In der Diaspora schärft sich das Sprachbewusstsein“, schrieb Ernest Wichner am 19. Mai 2008 in „Diaspora I“ im Feuilleton der FAZ.

Die Herausgeber dieses Banat-Bandes haben sich vorwiegend aus zwei, drei Sammlungen serbischer, ungarischer, rumänischer und rumäniendeutscher Literatur bedient. Wahrscheinlich, um weitere Nachdruckgenehmigungen nicht einholen zu müssen, worunter die Vielfalt dieser Sammlung leidet. In der Reihe der aus dem rumänischen Banat stammenden bekannten Autoren hätte auch Nikolaus Berwanger, Horst Samson, Irene Mokka, Walter Engel, Rudolf Hollinger, Helmut Frauendorfer oder Adam-Müller Guttenbrunn und Nikolaus Lenau Platz finden können. Auf jeden Fall hätte Esther Kinskys Geschichten aus dem Buch Banatsko dem „Banat“-Band auch zur Ehre gereicht. Kinsky, die Banatfremde, hat sich in ihren beiden letzten Romanen („Banatsko“, 2010 erschienen und „Sommerfrische“, 2009 erschienen) intensiv und literarisch überzeugend dem Thema „Banat“ gewidmet. In ihren Büchern finden sich keine Nostalgieerzählungen, es sind auch keine Dokumentationen historischer, gesellschaftlicher oder sozialwissenschaftlicher Art, sondern Prosaminiaturen über und aus dem Banat, die sie „Roman“ nennt. Zwar findet der aufmerksame Banat-Leser auch hier einige Ungereimtheiten, aber Kinsky beschreibt eben das Banat nach der Auswanderung der Deutschen dort. Sie ging auf die Suche nach Spuren; ob sie nun deutsche, ungarische, serbische oder sonstige Spuren sucht, zeichnet sie ein Banat-Bild der Gegenwart mit Rückblicken in die Vergangenheit.

Mit dem Buch „Banatsko“ gelang es der mit dem Karl-Dedecius-Preis ausgezeichneten Autorin, über die Banater Landschaft nach 2000 mit ihren Erinnerungen an Banater Ortschaften jenseits und diesseits von Marosch und Theiß sich auch in die Herzen des deutschen Lesers einzuschreiben. (Dennoch ließen sich vier Buchhändler in meiner Heimatstadt Wiesbaden den Titel des Romans zitieren und fragten nach, ob das denn auch ein deutscher Begriff sei.) Mit der Voranstellung eines Zitats von Laszló Darvasi aus „Die Legende von den Tränengauklern“, wonach „wir alle kommen von irgendwoher und wir alle gehen weiter irgendwohin, weil wir Menschen sind“, ist sie poetisch auf den Spuren des Gedichts von Ana Blandiana „Wir alle kommen aus einem Dorf“ (Fiecare venim dintr-un sat) aus ihrem Gedichtband „La cules ingeri“ (Engelernte) 1997. Damit wären wir auch schon beim Hauptthema ihres Romans: Identitätssuche oder Identitätsspuren in einem Vielvölker-Landstrich. Kinsky betreibt diese Suche nicht am eigenen Ich, sondern anhand der Lebensgeschichten ihrer Gestalten, die verschiedenen Kulturen und Nationen angehören, in verschiedenen Ländern zuhause sind, vereint durch einen Landstrich: Banat. „… hier sprach man nicht nur eine, sondern etliche Sprachen. Man sprach mit den Augen, den Händen und dem Mund, und eine Geste, beispielsweise ein kurzes Zuschlagen des einen Augenlids, mochte in der einen Sprache etwas Bestimmtes und in einer anderen etwas ganz Ungefähres oder gar das Gegenteil des Bestimmten bedeuten.“ (S. 24)

Lebensabschnitte und Lebenserfahrungen rücken in den Mittelpunkt. Leise und fast nebensächlich erzählt sie von und über die Menschen dort, Nachbarn, den Akkordeonspieler in der Kneipe, den Melonenwächter, den Fleischer, den Pferdekutscher, den Zimmermann, die Zigi-Frauen, den Zirkusdompteur, den Spezialisten für „Grenzsteine“ – alles Schicksale, die allgemeingültig sein könnten. Während ihres Aufenthalts in der Fremde macht sie sich bekannt mit der Tiefebene, der Gedankenwelt der Menschen in der Umgebung, der kleinen Stadt und den Dörfern. Sie wandelt auf den Spuren der Banatbewohner im ungarischen, serbischen und rumänischen Teil. Familienschicksale werden erzählt, Landschaften verglichen. Sie reist durch Städte und Dörfer diesseits und jenseits der Grenze – eine Spurensuche nach der Wende von 1989. So kehrt sie nach ihren Besuchen in Grabatz, Lenauheim, Großsanktnikolaus, Aranca, Gottlob, Gertianosch, Banatsko, Mezöhegyes, Granica usw. immer wieder ins ungarische Battonya zurück. Über die historische Vergangenheit der Orte erfährt man wenig, obwohl sie oft auf den Friedhöfen wandelt und nach Gräberspuren sucht. Sie erzählt über Menschen und ihre Schicksale, die sie zu einem Ganzen zusammenfügt und das Ganze „Roman“ nennt. Den Leitfaden bilden die erlebten und erzählten Schicksale. Sie gehören zu den Orten und die Orte definieren die Menschen. „Am Bahnhof in Mezöhegyes standen mehrere Züge, rotgelbe Waggons, die einzeln durch die Landschaft pendeln, Grenzen streifen, in Grenzorten halten würden. Die spärlichen Reisenden sahen immer erschöpft aus, ausgelaugt von Hitze, Kälte, Weite, Licht oder Dunkelheit.“ (S.44)

An einem Sommertag stieg die Fremde, die von der Insel (Großbritannien) kam, in Battonya aus – dem Dorf in der ungarischen Tiefebene. „Ich fuhr aus dem Dorf hinaus nach Süden, ließ die letzten Häuser hinter mir und die letzten dunkelwelken Sonnenblumenfelder. In der Ferne stand eine Baumgruppe, fast am Horizont ein Gebäude, grau und flach, unscharfe Bilder, auf die Krümmung der Erde gezeichnet. Quer über das Feld am Weg zogen sich Telegraphenmasten, die sirrten, schwaches Hundegebell schnarrte in der Luft und schien in dieser großen Entlegenheit von allen Bewohnten auch aus den Telegraphenmasten zu dringen. Verlassen leuchtete ein gelbes Tor unter hohen Bäumen, große Vögel stießen sich mit lauten Flügelschlägen aus den Wipfeln. Ein paar Schritte weiter ragte ein Schild aus dem Riedgras: Grenze. Hier war nichts. Niemand lag zwischen Schilf und Gras und wachte über die Wahrung von Hüben und Drüben. Niemand kam, niemand ging, hier war das leere Land.“ (S. 51).

Das Banat – ein Niemandsland? Ein Banat wird hier beschrieben, wie es die Auswanderer vor der Wende so nicht kannten. Die „Grenze“ war ein Landstrich, der unberührt, unbetreten und verbotenes Land war. Nur die Flüchtlinge und die Grenzsoldaten waren dort. In diesem leeren Land besucht sie das Haus, in dem sie zeitweilig lebte, ging auf den Friedhof, in die Kneipe und zum „Mosi“ (Kino). Sie spricht mit den Nachbarn, erfährt viel über ihr Leben, ihr Dasein, ihre Liebe und Traurigkeit. Dem Sommer folgt bald der Winter, der diese morbide Landschaft mit noch mehr Einsamkeit überzieht. Eine Zukunft scheinen die Menschen des Ortes nicht zu haben, sie leben so vor sich hin. Träumen von vergangenen Zeiten. Morbidität und Stillstand kennzeichnen demnach den Grundton der Geschichten. „Battonya“ sind einige der Geschichten des Buches übertitelt, wohin die Schriftstellerin immer wieder zurückkehrt und wo sie versucht, sich zu Hause zu fühlen. „Banatsko“ – der Titel des Buches (warum es nicht Battonya heißt, habe ich mich trotzdem gefragt), ist das serbische Adjektiv für Banat. Als Fremde im Banat schließt sie Freundschaft mit den Dorfbewohnern Battonyas, so mit dem Handwerker Attila, baut mit ihm das Dorfkino wieder auf. Der Eröffnungsfilm wird jedoch zu einer Enttäuschung: Niemand kommt zur Erstvorführung, und ein Gewitter lässt – wie früher häufig der Fall – den Strom ausfallen und das Experiment endet – wie die von ihr beschriebene Landschaft – in einer bitteren „Schalheit“.

In den Miniaturen, die Arad, Großsanktnikolaus, Lenauheim, Gottlob, Grabatz, Jimbolia, Covasint oder Granica gewidmet sind, sucht die Erzählerin Überreste jüdischer und deutscher Gräber auf den Friedhöfen. In Jimbolia, diesem „Fort-Ort“, der auf der Strecke des Orient-Express’ lag, beobachtet sie in den stillen Straßen „das kleine Leben der verschlafenen Lust“, die sich aus den vielen „bröckelnden, blätternden, schwankenden, dämmernden Schichten der Kleinstadt“ nährt (S. 168). In Lenauheim findet sie die Spuren des Dichters Nikolaus Lenau, und in Grabatz beobachtet sie lediglich einen Autounfall auf der Straße, in Gottlob wandelt sie auf dem Friedhof, in Covasint geht sie ins Gasthaus, in Siria besucht sie die Burg, in Carpinis, Iecea Mare und Iecea Mica findet sie „kleine Dörfer mit langen baumgesäumten Wegen zum Horizont, zwischen den Dörfern holprige Alleen mit ihrem Zubehör aus Pferdchen, Wagen und den wanderäugigen Reisenden darauf …“ (S. 151)

Das Adjektiv „bitter“ taucht oft darin auf. Auch unsere Banater Dorfleute sagten immer wieder einen Satz: „Das Leben ist bitter“ oder „das bittere Schicksal“. Es ist der Inbegriff dieser Morbidität. Die Fremde trifft in der Dorfkneipe auf den Akkordeonspieler. Dieser erzählt ihr eine traurige Liebesgeschichte von dem „Kurzen“ und dem Mädchen aus dem Dorf. Heiter beginnt die Geschichte und traurig endet sie wie der Roman und morbide zerfällt sie wie die Landschaft, die sie beschreibt. Die Liebe schwindet dahin, das Mädchen zieht mit einem Anderen weg, der „Kurze“ verlässt das Dorf. Diese faszinierende Prosa ist von einer dichten Erzählweise, so dass man mit dem Bleistift in der Hand immer Ausdrücke oder ganze Sätze unterstreichen möchte, die man als geflügelte Worte für das Banat dahinstellen kann. Auch dann, wenn die Autorin ins pathetische Schwärmen abgleitet, wenn sie zum Beispiel über den Begriff „Heimweh“ nachdenkt (so auf Seite 150 bei ihrem Besuch in Gottlob): „… ein schönes Wort, … Heimweh …, ein Verlangen nach einem Ort, dem man zugehört, dessen Vertrautheit alles andere in den Schatten stellt, ein Verlangen, das jedes andere Verlangen augenblicksweise verzehrt und nur noch dieser Zughörigkeit gilt.“

Die Vergangenheit dominiert in den Streifzügen vor. Die Zukunft der Banater Dörfer scheint aussichtslos nach dem Aussiedeln der Deutschen. Obwohl sie bei ihren Besuchen immer wieder fragt, ob es noch Deutsche gibt und die jetzigen Einwohner fragen, ob das wichtig sei, meint sie: Nein. Einige der Einsiedler in den Dörfern fühlen sich im Banat nicht zuhause, sie kommen aus dem Norden oder Süden des Landes und suchten dort bessere Lebensbedingungen. Die Grundstimmung des Buches ist beherrscht von ständiger Traurigkeit, Einsamkeit, Vergänglichkeit in der Zeit, von Morbidität. Optimismus kommt kaum auf, weder in den Geschichten aus der Vergangenheit, noch weniger in jenen über die Zukunft.

Die poetische Sprache der Dorfgeschichten fesselt den Leser über weite Strecken des Buches hinweg und lässt ihn verwundert zurück, wenn die Fremde die Stimmung jenes Landes in den Niederungen genauestens trifft. Kinsky verwandelt Landschaften in Buchstaben. Das Land, das sie literarisch entdeckt, das „Niemandsland“ (S. 81), in dem die „Namen für den Mangel flossen, sprudelten, strömten“ und zu einem Fluss wurden, wo man aus dem Geschehen „herausgebrochen“ ist und sich unter der Leere des „ungeheuren Himmels, dem sich die Landschaft unterworfen fühlte“ (S. 82) die kleinen Alltagsereignisse abends an der Kneipentheke hin und herschob. (S. 79) Zwischen dieser scheinbar melancholischen Betrachtungsweise, die diese Landschaft ihr buchstäblich aufdrückt, flicht sie aber auch semantische Überlegungen zu Begriffen, Wörtern und Erscheinungen ein. So, wenn sie über „Frontiera“ und „Granica“ oder „Hotar“ sinniert, wenn sie Kapitel mit „Das Meer“, „Reisen“ „Krähenland“ oder „Hunger“ überschreibt; wenn sie vom jüdischen „Fleischer“ spricht, von ihrem Nachbarn Attila, wenn dieser ein Zicklein schlachtet, oder von der „Fischsuppe“ seiner Mutter erzählt. Zwischen den Reisestationen in der „Ebene, wo sich wenig ereignet und das Dasein sich langsam abspielt, wo jede Fortbewegung nicht nur größere Mühe, sondern auch stärkeren Entschluss erfordert als andernorts“ (S. 12), sind diese heiter-traurigen Geschichten angesiedelt, die die Handlungsstränge, die sich in der langweiligen Tiefebene abspielen, auf-lockern und heiter erscheinen lassen.

Sie hinterlassen Bilder in unserem Kopf, Vorstellungen von jenen Orten, Landschaften, Flüssen, Feldern, Wiesen und den dort lebenden Menschen. Ob diese Vorstellungen jenen entsprechen, die die Autorin im Sinn hatte, ist nicht ausschlaggebend. Sie verzaubern und lassen staunen über eine sanfte, schnörkellose Poesie, in der eine große Empathie und Liebe zu dem Beschriebenen steckt. Orte ziehen an ihr vorbei, bilden zwischen den dort siedelnden Menschen feste Größen. Flüsse wie die Marosch, die einmal ungarisch, dann deutsch geschrieben wird, je nachdem, wo sich die Reisende befindet. „Der Maros lag sehr still und glatt, wie Polster wölbte sich das rotbraune und graue Winterdickicht um die Ränder. So seltsam erschienen mir alle Flüsse hier, von keinem Weg gesäumt, immer verborgen, versunken hinter Gebüsch und Wald, am Fuße hoher Mauern und Deiche, und so still ergriffen sie von dem umliegenden Land Besitz, wenn mehrmals im Jahr das Hochwasser kam …“ (S. 133) oder „Wir gelangten zum Fluss Mures, wo ein eisiger Wind fing. Ein Ufer lag bereits im Schatten. Man konnte sich vorstellen, wie im Sommer die heiße Luft darüber hing und die Weidenbäume graugrün und müde rauschten … Dabei kann der Mures ein reißendes Gewässer sein mit vielen tückischen Strömungen und Strudeln …“ (S. 102)

Die Fremde sucht nach Erklärungen für ihre Geschichten. Bei dieser Suche versetzt sie sich in das kollektive Gedächtnis und verharrt in jener Banater Welt des Stillstands nach der Wende: „Wir haben hier nie viel von der Welt mitbekommen. Das Werk war unsere Welt, und die Ereignisse zwischen uns Arbeitern erfüllten uns. Wenn unsere Hände einander unversehens streiften, unsere Augen sich begegneten, wenn es zu kurzen heftigen Wortwechseln kam, weil jemand eine Handreichung versäumt oder falsch ausgeführt hatte, wenn die Gleichmäßigkeit unseres Handelns unterbrochen wurde, nur dann geriet etwas in uns in Wallung und Bewegung … Auch als die Umwälzungen kamen, merkten wir erst wenig davon. Ringsum brandete Unruhe, wie heute jedermann weiß, doch hier auf dieser von allen Seiten her einsehbaren Ebene, war es still …“, meinte eine Fabriksarbeiterin aus Arad (S. 85).

Dieses Banat – diese „von allen Seiten her einsehbare Ebene“, die so still vor sich hinexistiert, lässt die Jahreszeiten vorbeiziehen, lässt Geschichte passieren und die Menschen umsiedeln. Als die Deutschen dort noch in großer Zahl siedelten, war das Banat jedoch lebendig, bewegt, aber auch gezeichnet durch seine wechselnde Geschichte, die die Menschen prägte – so wie wir es aus Herta Müllers Erzählungen kennen. Die Erzählungen Kinskys brennen sich in die Landschaft ein und lassen diese unvergesslich werden, ob gestern, heute oder morgen: das Banat – ein Memoirenbuch. So bleibt am Ende dennoch die alles beherrschende Frage nach dem Banat bestehen: „Wie fand man sich zurecht in einem so unwägbaren Landstrich? Wo ließ das Herz sich nieder zwischen so Namenlosem, wo hielt sich das Auge fest, zwischen Staub und Sumpf, wenn nicht am Horizont, der aber doch unweigerlich das Nicht-hier ist. Vor dem die Ruhe und die Ruhelosigkeit zu einem wurde?“ (S. 148). Soviel Banat war nie! 


Ana Blandiana

Im Dorf, wohin ich wiederkehre
zerreiben Kuckucksuhren die Zeit.
Und große Teile des Schweigens
Liegen zerbröckelt im Straßenstaub.

Die Zeiger bewegen sich fleißig
Und zeigen immer auf etwas Unsichtbares.
Die Stunden sind seit langem abgelaufen, und gestorben.

Die Zeiger laufen ohne Unterlass.
Und orientierungslos erscheint von Zeit zu Zeit
der Kuckuck und verkündet den Weltuntergang, singend.

(Übersetzung Katharina Kilzer)