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Temeswar als kulturelles Zentrum - Ein Aide-mémoire (2)

Nikolaus-Lenau-Lyzeum (Foto: www.wikipedia.de)

Mit dieser kurzen Dokumentation will ich dem verbreiteten Vorurteil entgegentreten, die Rumäniendeutschen wären nach dem Zweiten Weltkrieg vierzig Jahre lang auf den Koffern gesessen und hätten Daumen gedreht. Oft ergibt sich das Vorurteil aus dem Trugschluss, wer von deutscher Kultur im kommunistisch regierten Rumänien spreche, der habe den real existierenden Kommunismus akzeptiert. Aber die Wirklichkeit ist komplex, mit Schwarzweißmalerei wird man ihr nicht gerecht. Wahr ist, dass die Rumäniendeutschen alle erkannten Möglichkeiten genutzt haben.

Die Lenau-Schule

Als nach dem Krieg wieder eine deutschsprachige Mittelschule gegründet werden sollte, war die Genehmigung des sowjetischen Stadtkommandanten erforderlich. Der damalige Generalschulinspektor für deutschsprachigen Unterricht, Michael Pfaff (1896–1962), meldete sich bei ihm zur Audienz an. Er nahm den Textilingenieur Friedrich Bergauer mit, der wegen Sehschwäche vorzeitig aus der Russland-Deportation entlassen worden war. Bergauer sprach den General auf Russisch an, worauf dieser in gutem Deutsch antwortete; das folgende Gespräch wurde auf Deutsch geführt. Der General gab die Genehmigung. Unter diesen Umständen erhielt die spätere Lenau-Schule die Lyzeums-Stufe (1). Den älteren Absolventen ist Michael Pfaff als Geschichtslehrer und Friedrich Bergauer als Buchhalter in Erinnerung.

Auch in dieser Schule wurde Schülertheater groß geschrieben. Schon im Frühjahr 1949 konnte „Kabale und Liebe“ aufgeführt werden. Die Leitung hatte Dr. Johann Wolf inne; die Premiere fand im Opernsaal statt. Nachdem Dr. Wolf zur Lehrerbildungsanstalt gegangen war, nahm Dr. Hans Weresch seinen Platz ein. Es folgten „Egmont“ von Goethe (1949), „Der zerbrochene Krug“ von Kleist (1950), „Der Bürger als Edelmann“ von Molière (1951), „Der verkaufte Großvater“ von Anton Hamik (1951). Mit dem „Zerbrochenen Krug“ traten die Schüler fünfmal in Temeswar und zwanzigmal in anderen Ortschaften vors Publikum. Das Entsetzen über die Baragan-Verschleppung im Sommer 1951, der auch rund 10000 Deutsche aus dem rumänisch-jugoslawischen Grenzgebiet zum Opfer fielen, lähmte ihren künstlerischen Höhenflug (2), (3).

Zunächst bestand die Schule als selbstständige Einheit, 1959 wurde sie mit rumänischen Klassenzügen kombiniert und war dann praktisch eine rumänische Schule mit einer deutschen Abteilung. In den Jahren 1971/72 erreichten die Kreisräte der Werktätigen deutscher Nationalität, dass vier große Schulen mit entsprechender Tradition erneut als Lehranstalten mit deutscher Unterrichtssprache eingerichtet werden: die Honterus-Schule in Kronstadt (Klassen I–XII), die Brukenthal-Schule in Hermannstadt (offiziell „Lyzeum für Mathematik-Physik Nr. 2“, Klassen IX–XII), die Lenau-Schule in Temeswar (Klassen I–XII) und die Neuarader Schule (Klassen I–XII). Alle vier Einheiten entwickelten sich in kürzester Zeit wieder zu Drehscheiben des Kulturlebens in deutscher Sprache.

Ab 1971, als Erich Pfaff zu ihrem Direktor aufrückte, diente die Lenau-Schule als Sitz der deutschen Abteilung der Volksuniversität, die 1968 von ihm gegründet worden war; Pfaff leitete sie und hielt selbst zahlreiche Vorträge. (Seit dem letzten in deutscher Sprache gehaltenen Vortrag – d. h. vor August 1944 – waren 1968 rund 25 Jahre vergangen.) Die erste Veranstaltungsreihe hieß „Aus dem Banat, aus Rumänien, aus der ganzen Welt“, später kamen weitere Reihen hinzu. Manche Vorträge wurden von fast 600 Hörern besucht. Im Laufe von zwanzig Jahren haben 7000 Volksunihörer an den gemeinsamen Ausflügen teilgenommen (4).

Beginnend mit dem Jahr 1975 wurden in der Lenau-Schule alljährlich Trachtenbälle veranstaltet, und bei jedem waren Kostüme aus zahlreichen Ortschaften des Banats zu bewundern. Damit setzte die Schulleitung eine durch den Krieg unterbrochene Tradition des Schulkomplexes „Banatia“ fort. Die Bälle organisierte die aus Orzydorf gebürtige Sprachlehrerin Anna Jost, verheiratete Pavel, die als Parteisekretärin der Schule fungierte (wobei ihr der rumänische Name zugutekam). Selbst nachdem sie sich ins Ausland abgesetzt hatte, fand im Herbst 1989 noch ein Ball mit rund sechzig Paaren statt (5). Schulleiter waren Dr. Heinrich Feichter (1948–1962), Lucia Blaga (1962–1965), Liviu Pop (1965–1970), Floare Glaja (1970–1972), Erich Pfaff (1971–1987, 1990–1992), Erika Müller (1987–1990), Ovidiu Gant (1992–2001) und Helene Wolf (2001 bis heute).

Die Germanistikabteilung der Philologiefakultät

Der Germanistik-Lehrstuhl (ursprünglich der Lehrstuhl für Fremdsprachen) wurde am 15. September 1956 gegründet. Anschließend bot die Philologie-Fakultät die Fächerkombinationen Deutsch-Rumänisch und Rumänisch-Deutsch an, später auch Deutsch-Englisch. Die erste Generation Temeswarer Germanisten, unter ihnen mehrere ehemalige „Päda“-Schüler, absolvierte 1961. Leiter des Lehrstuhls waren: Dr. Stefan Binder (1956–1972), Karl Streit (1972–1977), Dr. Yvonne Lucuta (1977–1981), Cornel Nistor (1981–1985), Vasile Serban (1985–1987), Vasile Fratila (1987–1989), Peter Kottler (1990–1992), Dr. Angelica Ionas (1992–1996), Dr. Roxana Nubert (1996 bis heute).

Im selben Atemzug ist die beim Lehrstuhl eingerichtete Wörterbuchstelle zur Erforschung der Banater deutschen Mundarten zu nennen. Gleich nach der Gründung des Lehrstuhls 1956 bildete sich ein Arbeitskreis für Mundartenforschung (Dr. Stefan Binder, Dr. Johann Wolf, Dr. Maria Pechtol, Dr. Hans Weresch) und konzipierte die Grundlagen für ein Banater Mundarten-Wörterbuch. Eine auf dieses Projekt ausgerichtete Vorlesung wurde erstmals im Hochschuljahr 1968/69 von Maria Pechtol gehalten, in der Folge jährlich von Peter Kottler. Am Projekt nahmen viele Studenten aktiv teil, indem sie ihre Lehrer bei Ausfahrten begleiteten, einschlägige Jahresarbeiten bzw. Diplomarbeiten verfassten, Mundartkarten anlegten und gesammeltes Material verzettelten (6).

Beim Verfassen seiner „Banater deutschen Mundartenkunde“ (Bukarest: Kriterion, 1987) konnte Johann Wolf sich u. a. auf 163 von Temeswarer Germanistik-Studenten stammende Diplomarbeiten stützen. Fortsetzung folgt

 

(1) Mündlich von Erich Siegmeth, vormals erst Schüler, dann Mathematiklehrer an der Lenau-Schule.

(2) Peter Paul: Die Wiedererweckung des Banater deutschen Kulturlebens nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Beitrag der Temeschburger deutschen Gymnasien. In: TEMESCHBURG – TEMESWAR. S. 494-502.

(3) Franz Marschang: Trügerischer Morgenschimmer. Ebenda, S. 502-505.

(4) Erich Pfaff: „Volksuni“ – ein Stück Temeswarer Kulturgeschichte. In: TEMESCHBURG – TEMESWAR. S. 566-569.

(5) Erich Pfaff: „Volksuni“ – ein Stück Temeswarer Kulturgeschichte. In: TEMESCHBURG – TEMESWAR. S. 566-569.

(6) Hans Gehl: Der Beitrag Stefan Binders zum Banater deutschen Mundartwörterbuch. In: ZEITSCHRIFT DER GERMANISTEN RUMÄNIENS. Nr. 1-2/1997, S. 333-341.