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Der Einfall der Dichter. Zum 40. Geburtstag der Aktionsgruppe Banat (II)

Lesung der Autoren (v.l.n.r.) Werner Kremm, Gerhard Ortinau, Anton Sterbling, Gerhardt Csejka (Moderation), Johann Lippet, Ernest Wichner und William Totok. Foto: Horst Samsonm

 

Was aber hatte ich mit der „Aktionsgruppe Banat“ zu tun? Mit der Gruppe per se gar nichts, aber mit ihren einzelnen Mitgliedern jede Menge, und das über unsere – ich würde sagen – schönsten gemeinsamen literarischen Jahre hinweg. Darüber habe ich beim Schreiben dieser Zeilen viel nachgedacht und stand – des festlichen Anlasses wegen – vor der zermürbenden Frage: Wahrheit oder Nichtwahrheit? Ich entschied mich für die Wahrheit, weil ich glaube, sie ist es, die uns im Innersten zusammenhält, die verbindet. Als junger, die Bibel durchfliegender Mann hatte ich mir die Verszeilen 32/33 aus dem Evangelium nach Johannes (Kapitel 8) eingeprägt: Wenn ihr in meinem Worte bleibt, dann seid ihr richtig meine Jünger. Und ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen! Das war für mich schon anno dunnemals eine wichtige Referenz, also wollte ich auch heute „im Worte“ und wahr bleiben.

Was habe ich nun mit der „Aktionsgruppe Banat“ zu tun? Ich war nicht der Einzige, der diese Frage im Laufe der Zeit stellte. Doch es gibt findigere Geister als mich, die gruppierten mich zusammen mit unserer Nobelpreis-trägerin Herta Müller und mit Balthasar Waitz zum „erweiterten Kreis“ der „Aktionsgruppe Banat“. In solcher Zusammenführung lässt es sich zufrieden leben und
schreiben, denn der Aktionsradius der Gruppe um ihren Anführer und Cheftheoretiker Richard Wagner endete ja in der Tat keineswegs mit dem Jahr der Auflösung der „Aktionsgruppe Banat“, also 1975, sondern es war geradezu erst die Vorstufe der Rakete. Von da ab ging es erst richtig los, von vornherein mit höchsten literarischen Ansprüchen. Und die vor Selbstbewusstsein strotzenden jungen Autoren lancierten Gedichte um Gedichte und die beackerten im Durchmesser ein viel weiteres Feld. Die Textkunst der heutigen Jubilare brachte in extenso üppige Ernte, bereicherte die Literatur um substantielle Werke. Schnell gab es Gedichte zu lesen, die übertrafen alsbald an Qualität die Werke mancher Lehrmeister um Längen. Als Motto hätte die
Königs-Sentenz gepasst: Die Literatur ist tot, es lebe die Literatur! Die Alten blinzelten zuerst erschrocken, dann guckten sie schräg, und einige von ihnen konzentrierten daraufhin ihr Schreiben vor allem auf das Verfassen von IM-Berichten. Unserem schriftstellerischen Elan tat dies keinen Abbruch, das von der Aktionsgruppe eröffnete Geschäft mit der Sprache florierte, im Garten duftete es nach Minze, Moderne und Wein, nach Erde, Sprache und
Engagement.

Während einerseits die Lebensmittel knapper und knapper wurden, während da und dort zuerst das Bier und die Salami ausging, dann die Geduld und die Lichter, schließlich auch noch die Heizung, gab es andererseits Wörter und Sätze im Überfluss. Das brachte die Partei auf die Idee, statt einer Revolution die Papierknappheit auszurufen. Das blieb zwar nicht ohne Wirkung, konnte uns aber auch nicht von unseren Schreibgelüsten abhalten. Der schwungvolle Handel mit Ideen und Sprache, in den wir ab 1977/78 involviert waren, fand im Adam-Müller-Guttenbrunn-Literaturkreis, wo wir plötzlich alle nebeneinander saßen, miteinander schrieben und übereinander debattierten, eine für damalige Verhältnisse grandiose Plattform. Und mit der „Neuen Banater Zeitung“ hatten wir ein werbewirksames Werkzeug an der Hand, das uns half, unsere Literatur unter das Volk zu verbreiten. Es ging Auge in Auge, Gedicht um Gedicht durch die Dörfer zu Lesungen, die in bestimmten Ortschaften wie Marienfeld, Albrechtsflor, Großsanktnikolaus oder Wiseschdia zu kleinen Volksfesten gerieten. Und manche fette Sau wurde so ein direktes Opfer unseres Schreibens.

Doch es schlug auch die Stunde wunderbarer Bücher; vorwiegend handelte es sich um Gedichtbände, die in Auflagen zwischen 800 und 1200 Exemplaren erschienen und binnen weniger Wochen, manchmal binnen weniger Tage, ausverkauft waren. Und das bei potenziellen 350 000 Lesern, alle Blinden schon mit eingerechnet. Denkt man da an 80 Millionen bei Nacht und an kaum zu verkaufende 300 Exemplare eines Gedichtbandes, ist man als deutscher Dichter definitiv um seinen Schlaf gebracht.

Hätten Dichter in der Bundesrepublik damals von dieser imposanten Lyriknachfrage gewusst, hätte manch ein Dichter vielleicht daran gedacht, nach Rumänien zu emigrieren, ähnlich wie mein damaliger Zipser Freund, der Journalist und Volkskundler Paul Tischler aus Pressburg in der Tschechoslowakei. Nur mit allerhöchster Mühe konnte ich ihn Anfang der achtziger Jahre, als er uns in Temeswar besucht hatte und als es aber auch bei uns schon in den Fugen krachte und kräftig nach Niedergang roch, davon abbringen, nicht ins Banat auszuwandern, was er unbedingt tun wollte. Einige Zeit danach wechselte der mühsam Bekehrte seine Absichten und die Richtung, überwand die Grenze, trank hinfort – statt Budweiser Bier in Pressburg – Erdinger Bier in München.

Doch vergessen wir unsere Bücher jener Jahre nicht; es waren keine Sparbücher, die jungen Autoren verausgabten sich geradezu mit Talent und Hingabe, es befanden sich in diesen Büchern hochkarätige, engagierte Texte. Sie waren der Punkt, von dem aus wir die Literatur und nebenher auch die Gesellschaft aus den Angeln heben wollten. Die Zensur betrachtete uns deswegen als ihre natürlichen Feinde. Und wir scherzten manchmal über die Zensoren, waren dank ihrer Präsenz sicher, dass wir mit ihnen wenigstens ein paar hochkonzentrierte, aufmerksame Leser im Lande hatten. Es ging uns damals, könnte man sarkastisch festhalten, eindeutig besser als dem Dichter Günter Eich in der Bundesrepublik Deutschland, der uns via Gedicht zugerufen hatte: „Wacht auf, denn eure Träume sind schlecht“. Jeder von uns hatte nämlich mehr Leser als Eich – zieht man seine bittere Koketterie in dem Vierzeiler „Zuversicht“ zum Vergleich heran, wo es heißt: „In Saloniki weiß ich einen, der mich liest, und in Bad Nauheim. Das sind schon zwei.“

Was hätte man nicht alles von Eich gelernt, hätten wir seine Gedichte alle lesen können, oder seine Reden, etwa seine Büchner-Preis-Rede, in der er schon 1959 den Mechanismus Macht – Ohnmacht am Beispiel der Sprache und Dichtkunst erklärte: „Wir wissen, dass die Macht daran interessiert ist, dass alle Kunst die Grenze der Harmlosigkeit nicht überschreitet. Macht widerstrebt der Qualität. Sprache, die über die gelenkte, die von ihr genehmigte, hinausgeht, ist nicht erwünscht. Ihr bloßes Vorhandensein stellt eine Kritik dar, etwas, was der Lenkung und damit der Macht selber widerspricht.“ Das ist eine genaue
Beschreibung unserer damaligen Situation. Und die Zensur wachte über unseren Texten und sie wachte über unseren Büchern.

Doch es gab immer wieder auch Momente, da fiel mich der Zweifel am Zensor wie ein bissiger Schlosshund an. Das bringt mich bis heute noch gelegentlich in
Erklärungsnot, wenn ich bei Lesungen über die Zensur im Rumänien jener Ceausescu-Jahre berichte. Zum Beispiel als ich in meinem letzten, 1985 in Rumänien erschienenen Gedichtband „Leb-raum“ mein Gedicht „Nocturne“ fand. Weil die Zensur ohnehin aus jedem Typoskript Texte rauswarf, quasi um ihre Existenz zu belegen, hatte mein Lektor Franz Hodjak mich darin bekräftigt, dieses Gedicht, von dem keiner dachte, dass es je in einem Buch bleiben könnte, im Typoskript auch zu belassen. Es war zusammen mit zwei anderen Gedichten bereits in der NBZ veröffentlicht worden, aber solche Argumente für eine Veröffentlichung in Buchform wurden von der Zensur oft herrisch weggewischt, in der Regel ohne Begründung und mit der lässigen Geste, als würde man eine Schmeißfliege verscheuchen. Doch Hodjak und ich staunten am Ende Bauklötze und tranken genüsslich ein Bier auf den Sieg. Das Gedicht „Nocturne“ hatte sich über die Druckfahnen unbeanstandet bis ins fertige Buch „durchgemogelt“. Hatte sich der Zensor zuviel „Tuica de prune“ hinter die Binde gegossen? War das ein verrücktes Signal zur Konterrevolution? Hing da jemandem seine Arbeit zum Halse raus? Oder was zum Teufel war da eigentlich los? Gerne wüsste ich des Rätsels Lösung. Das Gedicht war und ist unmissverständlich, klar wie der Glockenton des Temeswarer Doms. Hören Sie mal!

nocturne

hat die blumen ausgeblasen
und den horizont verbrannt
dann erstickte er den rasen
wickelte in nacht das land

stieß die sänger in die runde
logen uns romanzen vor
stunde fraß die andre stunde
grünspan legte sich ums tor

ging ein haus ging auch das andre
nur die bäume blieben steh’n
seit der trommler sprach: ich wand’re
sieht man auch die bäume geh’n

Ja, Der Blick zurück nach vorn auf die „Aktionsgruppe Banat“ lohnt sich, wir sehen im Rückspiegel grandiose Schriftsteller, auch wenn die Rezeption ihrer bedeutsamen Bücher in den bornierten Seiten der bundesrepublikanischen
Feuilletons regelmäßig oberflächlich, fallweise sogar dürftig bis primitiv ausfällt. Gemessen an der Bedeutung der Bücher und der Vernetzung mit europäischer Kultur- und Geistesgeschichte nährt sich in einem der Verdacht, dass diese Literatur gezielt, vielleicht aber zugleich unbewusst in der Bundesrepublik Deutschland aus der literarischen Öffentlichkeit weggedrückt wird, weil die Handlung oft rumänischen Hintergrund hat oder weil Handlungsfäden dahin führen, in ein Land eben mit grottenschlechtem Renommée im deutschen Literaturbetrieb. Statt dessen feiert man gern ein „Fräuleinwunder“ nach dem anderen, also Bücher von hoher erzählerischer Belanglosigkeit und einer geradezu erschreckenden Einfallslosigkeit. Das Nobel-Signal aus Stockholm hat diesen Trend nur kurzzeitig gestoppt, verändert hat es ihn nicht.

Um das von den Autoren der „Aktionsgruppe Banat“ ausgehende Literaturphänomen zumindest skizzenhaft zu beleuchten, will ich an dieser Stelle eine summarische Inventarisierung einiger Bücher vornehmen, die einem heute noch den Atem stocken lassen vor Begeisterung für die damalige
literarische Phase, aber auch auf einige Titel verweisen, die insgesamt andeuten, mit welcher literarischen Dimension wir es zu tun haben.  

(Fortsetzung folgt)