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Der Einfall der Dichter. Zum 40. Geburtstag der Aktionsgruppe Banat (III)

Horst Samson an seinem Schreibtisch in der Kulturabteilung der NBZ 1983

Dankesrede zum Adam-Müller-Guttenbrunn-Literaturpreis 1982. Im Bild (von links): Eduard Schneider, Helmuth Frauendorfer, William Totok, Franz Binder (Reporter bei Radio Temeswar), Preisträger Horst Samson, Richard Wagner, Nikolaus Berwanger.

Verleihung des AMG-Literaturpreises 1983. Im Bild (von links): Franz Binder, Laudatorin Herta Müller, Preisträger Jakob Mihailescu, AMGSekretär Horst Samson. Bilder: Fotoarchiv Horst Samson

Richard Wagners Gedichtbände „Hotel California I“, „Hotel California II“ und „Gegenlicht“ waren für mich Glanzlichter der rumäniendeutschen Lyrik, aber auch der lyrischen Moderne. Und in der Bundesrepublik profilierte er sich dann als einer der großen Prosaautoren unserer Tage, besonders durch seine meisterhaft konstruierten und in unverwechselbar präziser Sprache erzählten Romane „Das schöne Mädchen“ und „Be-lüge mich“. Eine Reihe anderer Titel wäre hier noch zu ergänzen, natürlich „Rostregen“ oder „Habseligkeiten“ und ganz aktuell das gemeinsam mit Thea Dorn brillant geschriebene Nachdenk-Kompendium über „Die deutsche Seele“.

Johann Lippet ist der nächste Autor der Aktionsgruppe, dessen Bücher Referenzwerke der deutschen Literatur sind. Sein großes Poem „Biographie. Ein Muster“ setzt Maßstäbe, und ich hoffe sehr, dass sich Peter Motzan durchringt, ein Bei-Wort für eine Neuausgabe dieses Poems im Ludwigsburger Pop-Verlag zu schreiben, dessen Verleger Traian Pop es längst schon neu herausgebracht hätte, würde mein Freund Johann nicht so kategorisch auf diesem Bei-Wort aus Motzans Edelfeder bestehen. Sodann wären noch zu erwähnen Lippets Gedichtband „Banater Alphabet“ und die herrlichen Erzählungen „Der Toten-gräber“ und „Der Altenpfleger“. Hinzu kommt noch Lippets exemplarische Dokumentation „Das Leben einer Akte. Chronologie einer Bespitzelung“. Und das sind ebenfalls nicht alle Titel, die Erwähnung verdienen. Es ist eine subjektive Auswahl.

Nicht zu vergessen ist das „korrespondierende Mitglied“ der „Aktionsgruppe Banat“, Rolf Bossert aus Reschitza, damals schon Bukarester, und dessen Gedichtbände „Siebensachen“ und „Neuntöter“, dann sein letzter Band „Auf der Milchstraße wieder kein Licht“ (1986). In Anlehnung an Bert Brecht sei hier festgestellt: Im Unterschied zu Ländern brauchen Lyriker manchmal Helden, und zwar als Helfershelfer! Deswegen kann ich Gerhard Csejka nicht genügend für seine ans Heldenhafte grenzende Großtat rühmen, gelang es ihm doch, die verlorengegangene Aufmerksamkeit der Literatur noch einmal auf den Lyriker Rolf Bossert zu lenken, indem er 2006 dessen gesammelte Gedichte (1972–1985) in einer soliden und gebundenen Ausgabe unter dem Titel „ Ich steh auf den Treppen des Windes“ herausbrachte.

Ein Kapitel für sich stellen die fulminanten Erzählungen meines Baragan-Kumpanen Gerhard Ortinau dar, der in einer hinreißenden Sprache und Problembetrachtung ein von niemandem erteiltes Mandat annahm und die „Ver-teidigung des Kugelblitzes“ zu seiner literarischen Sache machte. Aber auch sein Buch „Ein leichter Tod“ war mir ein unvergessliches Leseerlebnis, wobei ich mich besorgt fragte, warum schreibt jemand, der so viel Begabung in sich trägt, nur so wenig wie Gerhard Ortinau.

Ernest Wichners Gedichte, z. B. aus „Steinsuppe“ oder „in ganz wie aufgesperrt“, sein neuer, viel zu wenig beachteter Gedichtband im Wunderhorn-Verlag Heidelberg, sind ein weiterer Aktivposten. Lorbeeren verdiente sich Wichner auch als Anthologist. Ohne ihn gäbe es den Leuchtturm der Aktionsgruppenwelle überhaupt nicht, woran sollten sich Inter-essierte auch halten, wollten sie Literarisches von der Aktions-gruppe lesen? Seine Anthologie „Ein Pronomen ist verhaftet worden. Die frühen Jahre in Rumänien. Texte der Aktionsgruppe Banat“ ist der Orientierungspunkt. Wichtig war auch sein Sammelband „Das Land am Nebentisch“, der für die rumäniendeutsche Literatur beste Werbung war, oder die ebenfalls von Wichner betreute Sondernummer der Literaturzeitschrift „Die Horen“. Zu würdigen wäre im hiesigen Kontext aber auch seine Arbeit als Übersetzer rumänischer Literatur (unter anderem Norman Manea, M. Blecher, Daniel Banulescu, Mircea Cartarescu).

William Totok ist der nächste in der Runde. Acht Monate Unter-suchungshaft konnten sein Inter-esse an der Dichtkunst nicht brechen. Seine beiden Gedichtbände „Die Vergesellschaftung der Gefühle“ und „Freundliche Fremdheit“ zeugen davon. Ich habe von ihm viel gelernt, vor allem, wer in dieser Stadt so alles als „Securist“ unterwegs ist und woran man sie erkennen kann. Er hat sich seit seiner Emigration vom Dichter zum Publizisten entwickelt und für die neuere Geschichte Rumäniens grundlegende Aufsätze geschrieben und viel Aufklärungsarbeit betrieben.

Zwar schreibt Anton Sterbling auch noch (vielleicht besser: wieder) wie zu Aktionsgruppenzeiten Gedichte, doch auch er ist von der literarischen Schiene ziemlich abgedriftet, schuf aber ein honoriges wissenschaftliches Werk, bestehend in etwa aus sage und schreibe 25 eigenen und 28 herausgegebenen Büchern sowie aus einigen hundert Vorträgen. Dennoch bleiben einige seiner AG-Texte wichtig für das Verständnis jener Zeit, jener Jahre, jener Dichter.

Natürlich sei in meinem Papier auch der beiden literarisch Verschollenen gedacht; der eine, Werner Kremm, lebt sich hier in Temeswar als Journalist aus und hält ein Update der „Neuen Banater Zeitung“ hoch; der andere, Albert Bohn, ist ein paar Jahre nach dem legendären Bad in der Marosch – wenn ich mich nicht irre – sang- und klanglos im Nichtschreiben ertrunken. Ob er sich wichtigeren Dingen als der Literatur zugewandt hat, kann ich nicht beurteilen, denn seine Spur habe ich vor langer Zeit im Dickicht der deutschen Städte verloren.

Damit wären alle erwähnt und mit der Aufzählung kurz abgefeiert, denen Herta Müller, Balthasar Waitz und ich „nahestanden“, wie es oft treffend heißt, aber auch immer noch nahestehen, wenn ich mal kurz Hertas Pressesprecher geben darf.

Vielleicht sollten dann – um den Blick auf unsere Bücher abzurunden – an dieser Stelle weder Herta Müllers großartige, in Rumänien erschienenen Erzählbände „Niederungen“ und „Drückender Tango“ vergessen werden, ihre sprachlich einzigartigen essayistischen Schriften, oder ihr Meisterwerk „Atemschaukel“, noch die beiden Bände mit Kurzgeschichten von Balthasar Waitz „Ein Alibi für Papa Kunze“ und „Widerlinge“ sowie sein neuestes Buch „Krähensommer und andere Geschichten aus dem Hinterland“, noch meine Gedichtbände „Tiefflug“, „Reibfläche“ und „Lebraum“ oder mein tiefschürfendes Poem „La Victoire“.

Nicht zu vergessen sind die rühmenswerten Montagen aus Texten unserer Banater Autorengruppe, wie zum Beispiel „Heu-duftend liegen die Felder vor uns“, die als Inszenierungen einer Gruppe Temeswarer Studenten in der Regie des Studenten und Nachwuchsdichters Helmut Frauendorfer das Publikum und die Autoren begeisterten und unsere Beobachter entsetzten.

Lassen Sie mich jetzt mit fernen, uns dennoch naheliegenden Begriffen meine Reise durch die Zeit fortsetzen. Zum Beispiel mit dem Wort „Mondlandung“. Es wurde Ende des 20. Jahrhunderts sogar in die Aufstellung der hundert Wörter des 20. Jahrhunderts aufgenommen und ist auch im literarischen Oeuvre der Aktionsgruppe fest verankert. Für alle, die sich nicht mehr daran erinnern, blicke ich hier auf das Mutterschiff Apollo 11 und die Aktionsgruppe Banat zurück und richte den Fokus auf Neil Armstrong, der am 21. Juli 1969 bekanntlich als erster Mensch den Mond betrat. In Anlehnung an diesen mutigen Kosmonauten aus Amerika und an Richard Wagner, jenen inspirierten Jungschriftsteller aus Perjamosch, bitte ich vorweg um Nachsicht, dass auch ich mich dem Vorwurf des Dichters Wagner aussetzen muss, weil ich zu einem so eminent wichtigen Ereignis, gemeint ist nicht die Mondlandung, sondern die Vierzig-Jahr-Feier der Aktionsgruppe Banat – genau wie der Astronaut Armstrong nur einen vorbereiteten Text lesen kann. Leider kann ich das nicht vor Millionen Zuhörern, dafür aber vor einer Gruppe von Aufrechten. Tempus fugit, die Zeit läuft, aber wir liefen nicht mit, waren keine Mitläufer, auch wenn wir nicht immer haar-genau wussten, worauf unser Schreiben damals hinauslief.

Zur Erklärung meiner Selbst-bezichtigung, eine Form, die schon in der rumänischen kommunistischen Partei so überaus beliebt war und die Genossen stets blendete, zitiere ich dazu – zum Verständnis, worauf ich anspiele – sogleich das passende Grund-lagen-Gedicht mit dem Titel „Vorwurf“ meines Freundes Richard Wagner, der das Weltereignis Mondlandung nicht nur scharf beobachtet, sondern auch kritisch begleitet hat und damit signalisierte, von nationalen Grenzen lassen wir uns nicht aufhalten, wir haben unsere eigene Welt, unsere eigene Weltanschauung, kurzum wir sind literarische Weltbürger. Auch wenn wir im Augenblick auf der dunklen Seite der Geschichte leben und hinter dem Mond schreiben. Und hier Wagners jugendfrischer Fünfzeiler, vermutlich diktiert von seiner außergewöhnlichen Gabe des freien Redens:

 

vorwurf

der mann der als erster den mond betreten hat sprach im augenblick da millionen zuhörten einen vorbereiteten text.

 

Trotz solcher Erde-Mond-Distanzen und eines Konfliktes mit buchstäblicher Sprengkraft in den Achtzigern um die damalige brennende Positionierung des Adam-Müller-Guttenbrunn-Literaturkreises und die von uns vergebene Chance, der ich heute noch nachtrauere, am Fallbeispiel des prolet-kultistischen Parteidichters Franz Johannes Bulhardt die ceauschistische Huldigungsdichtung akribisch zu durchleuchten, stehen wir uns inzwischen wieder nahe, vielleicht näher als je zuvor und wissen heute voneinander, dass wir beide aufrecht durch die Geschichte gegangen sind. Ich bin überzeugt, wir hätten eine fröhliche Sternstunde des AMG erleben können, hätten wir damals Maria Schreiber näher betrachtet und literaturkritisch entkleidet, jene Protagonistin aus Bulhardts „berühmtem“ Gedicht „Maria Schreiber kämpft mit Friedens-waffen (Portrait der ersten deutschen Stachanow-Arbeiterin eines Kombinats in der RVR”). Aber auch wenn wir uns über die Sach- und Faktenlage der sogenannten „Bulhardt-Affäre“, die uns als „erweiterte Aktionsgruppe Banat“ im AMG-Kreis an den Rand des Abgrunds getrieben hat, vermutlich nie in extenso einigen können werden, will ich doch hier und heute als überprüftes „faschistisches Element“ jener Jahre, als AMG-Zeuge und Literaturtäter bekennen, dass es dennoch gut war, dass jeder von uns seinen eigenen Kopf hatte, was uns letztendlich nicht geschadet hat, nicht in der Zeit des AMG, auch nicht später, als wir kurz nacheinander ins Exil in die Bundesrepublik aufbrachen, auch nicht im Dschungel der Securitate-Akten oder gar des heutigen 40-Jahre-Jubeltrubels.