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Grundlegende Bausteine zu einer Kulturgeschichte des Banats

Dr. Erich Lammert

Das Publikationsverzeichnis von Dr. Erich Lammert umfasst zwar  eine beachtliche Anzahl von wertvollen Studien und Dokumentationen zur Dialektologie, Kulturgeschichte, Volkskunde und  Medizingeschichte der Banater Deutschen, zu einer selbständigen Buchveröffentlichung oder einem repräsentativen Sammelband kam es Zeit seines Lebens jedoch nicht. Weit verstreut erschienen seine zum Teil umfangreichen Aufsätze in den deutschen periodischen  Publikationen Rumäniens. Dreizehn davon wurden immerhin in den von Dr. Hans Gehl im Temeswarer Facla-Verlag in den Jahren 1973–1984 herausgegebenen fünf Bänden der Buchreihe zur banat-schwäbischen Volkskunde abgedruckt. Bedingt durch die Tatsache, dass Lammerts Beiträge in Zeitungen und Zeitschriften erschienen sind, verzeichnet Anton Peter Petri in seinem „Biographischen Lexikon des Banater Deutschtums“ (1992) nur einen einzigen Titel – die 1987 veröffentlichte Monografie der  Gemeinde Mercydorf, zu deren  Autorenkollektiv Lammert zählt –, regt aber gleichzeitig an: „Seine wertvollen kulturhistorischen Aufsätze, die in verschiedenen  Presseorganen erschienen sind, sollten in einem Sammelband herausgebracht werden.“ Erst zwei Jahrzehnte später und fünfzehn Jahre nach dem Tod des verdienten Forschers konnte ein  solcher Sammelband auf den  Weg gebracht werden. Dank der Bemühungen des Banat-Verlags Erding und der Heimatortsgemeinschaft Perjamosch erschien aus Anlass des 100. Geburtstags von Dr. Erich Lammert vor kurzem die Edition „Erich Lammert: Banater deutsche Lebensformen. Beiträge zur regionalen Kulturgeschichte und Dialektforschung“. Hans Gehl und Walther Konschitzky, die  beiden Herausgeber, legen damit eine repräsentative Auswahl aus dem Werk Erich Lammerts vor. Während Gehl in einer fundierten Einführung den „Arzt und Kulturhistoriker Erich Lammert“ porträtiert und dabei vor allem seine vorbildliche wissenschaftliche Tätigkeit zur Erforschung und Bewahrung unseres Kulturerbes und seinen Beitrag zur Untersuchung der banat-deutschen Mundarten hervorhebt, untersucht Konschitzky in seinem Nachwort „Vom Ortsbezug zur regionalen Zusammenschau“, wie Lammert vom lokalen Beispiel zum regionalen Überblick gelangte und es vorzüglich verstand, interethnische und interdisziplinäre Bezüge herzustellen.

Sein umfangreiches Wissen um die komplexe Welt des ländlichen Raumes schöpfte Dr. Erich Lammert in erster Linie aus  persönlichen Erinnerungen, Erfahrungen und Erkundungen in zwei unterschiedlich geprägten  banat-schwäbischen Gemeinden: in seinem Herkunftsort Mercydorf und in der Marktgemeinde Perjamosch, wo er viele Jahre als Arzt wirkte. Am 12. Juni 1912 als Sohn eines Volksschullehrers geboren, besuchte Erich Lammert, der  eigentlich Adam Anton Emmerich hieß, das Piaristengymnasium in Temeswar, wonach er Humanmedizin und Naturwissenschaften in Wien, Freiburg (Schweiz),  Marburg an der Lahn und Innsbruck (Österreich) studierte. Er promovierte 1936 zum Doktor der Medizin und arbeitete danach bis 1941 in Königsberg (Ostpreußen), dann als selbstständiger Arzt in  Temeswar. Daneben war er von 1941 bis 1944 Schularzt und  Hygienelehrer am Temeswarer  Realgymnasium. In diese Zeit  fielen wiederholte Fronteinsätze beim rumänischen Heer an der Ostfront. 1945 in die Sowjetunion verschleppt, verbrachte er die  Jahre bis 1948 als Lagerarzt in  einem zivilen und in mehreren Kriegsgefangenenlagern. Von 1949 bis 1972 war Lammert als Kreis- bzw. Bezirksarzt in Perjamosch tätig. Nach 36 Jahren Dienst am Menschen trat er in Ruhestand. 1985 siedelte er in die Bundesrepublik Deutschland aus und verstarb 85-jährig am 27. Februar 1997 in Siegen.

Parallel zu seinem Wirken als Arzt – eine Tätigkeit, die Dr. Erich Lammert verantwortungsbewusst und hingebungsvoll ausgeübt hat – pflegte er sein Hobby, das ihn weithin bekannt machte: seine Studien auf volks- und sprachkundlichem, kulturhistorischem und medizingeschichtlichem Gebiet. Lammert, dessen wissenschaftliche Neugier sprichwörtlich war, etablierte sich als ausgezeichneter Kenner der Banater Mundarten, der Volkskunde und Geschichte und galt als Autorität auf diesen Gebieten. Zu den Zielen seiner Forschungs- und Sammlertätigkeit befragt, erklärte er 1973: „Man hat mir den leisen Vorwurf gemacht, ich beschäftige mich mit allem, was in meiner Reichweite liegt. Nun, das werde ich auch weiterhin versuchen zu tun, um eben – im Rahmen meiner Möglichkeiten – ein Gesamtbild der Kulturgeschichte des Banats auszubauen. Meine vielseitigen  Interessen verstehe ich als  Steine eines kulturgeschichtlichen Mosaiks.“ Und Lammerts Studien, die oftmals eine Pionierleistung darstellen, sind in der Tat grundlegende Bausteine einer Banater Kulturgeschichte, deren Bedeutung und Tragweite sich einem auf Schritt und Tritt bei der Lektüre des nun erschienenen Sammelbandes erschließen. Darauf weist auch Walther Konschitzky in seinem Nachwort ausdrücklich hin: „In  ihrer Gesamtheit ergeben Erich Lammerts Studien zur Geschichte und Kulturgeschichte der Banater Deutschen ein komplexes, anschaulich und eindringlich gezeichnetes Bild des Universums Dorf in seiner zeitnahen Ausprägung und seiner historischen Entwicklung. Der  Autor widmete sich sehr unterschiedlichen Bereichen der Kultur des ländlichen Raumes – der Sprachforschung, Ethnologie,  Lokal- und Medizingeschichte –, und in allen erweist er sich nicht  allein als profunder Kenner seiner deutschen Landsleute; sein interethnisches Interesse eröffnet auch eine in den siebziger Jahren im  Banat noch weitgehend neuartige Betrachtung und Wertung regionaler Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Lebenswelt der  Ethnien dieses vielsprachigen und multikonfessionellen Raumes.“

Der in einer großzügigen grafischen Aufmachung edierte Band ist weder eine Gesamt- noch eine wissenschaftliche Edition, zumal keine genauen Angaben über den Umfang des Werkes von Erich Lammert vorliegen und die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit seinen Veröffentlichungen und seinem Nachlass noch aussteht. Der vorliegende Band ist lediglich als ein Schritt zur Erschließung und Würdigung seiner in der Zeitspanne von 1957 bis 1987 in  einem Dutzend periodischer Publikationen und in Sammelbänden erschienenen Untersuchungen und Aufsätzen zu betrachten. Entsprechend seiner Interessensgebiete gliedert sich das Buch in fünf Kapitel: 1. Kulturgeschichte;  2. Volkskunde, Volksgut; 3. Sprachkunde; 4. Banater Geschichte; 5. Volksmedizin, Medizingeschichte. Von den rund vierzig abgedruckten Studien und Dokumentationen  seien exemplarisch nur einige  genannt: „Heide und Hecke“, „Entwicklung des schwäbischen Hauses“, „Die Tracht in der Sprache“, „Geschichte der schwäbischen Kerweih“, „Banater Regenzauber und Brauchen“, „Julbock – Capra – Habergeiß“, „Der Teufelspfarrer Grobacher“, „Wieder zur Frage  der Banater Mundartforschung“, „Banater Ortsneckereien“, „Ulaker und Knappmesser“, „Zwangsansiedlungen des 18. Jahrhunderts im Banat“, „Franzosen im Banat“, „Banater Volksmedizin und Krankheitsaberglaube“, „Kolonistenspitäler in Banater Dörfern“. Allein schon diese Aufzählung verdeutlicht das weite Forschungsfeld, das Dr. Erich Lammert beackert hat, und den breitgefächerten thematischen Horizont seiner Publikationen.

Der 376 Seiten starke, mit Fotografien von Walther Konschitzky ausgestattete Würdigungsband enthält ein möglichst vollständiges Verzeichnis der Zeitungsartikel  Erich Lammerts und der über ihn erschienenen Beiträge, ein  Abkürzungsverzeichnis, Worterklärungen und ein Ortsregister. Dr. Erich Lammerts Beitrag zur  Banater Kulturforschung kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Mit dieser Edition zu  seinem 100. Geburtstag ist es den beiden Herausgebern gelungen, das Wirken dieses verdienten  Forschers umfassend zu würdigen und eine signifikante Auswahl  seiner zum Teil schwer zugänglichen Aufsätze zu präsentieren, die nicht nur für die Forschung  relevant sind, sondern auch für  unsere Landsleute – vor allem für die jüngere Generation – eine  gewinnbringende Lektüre darstellen. 

Bestellungen bei Banat-Verlag  Erding, Aneta Konschitzky, Zugspitzstraße 64, 85435 Erding, Tel. 08122 / 2293422, E-Mail banatverlag@gmx.de. Preis 29 Euro zuzüglich Versandkosten.