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Zum 175. Todestag des Dichters Nikolaus Lenau (1802-1850): Lichtgestalt banatdeutscher Identität (Teil 2)

Das Dichter-Denkmal in Lenauheim (feierlich enthüllt 1905) in einer Aufnahme aus dem Jahr 2004. Foto: Archiv Banater Post

Adam Müller-Guttenbrunns Lenau-Trilogie, erschienen in den 1970er Jahren im Temeswarer Facla-Verlag. Fotos: Archiv Walter Engel

Umschlag des Begleitbuchs von Eduard Schneider und Stefan Sienerth zur Lenau-Ausstellung 1993

In seiner Würdigung zum 175. Todestag von Nikolaus Lenau fokussiert sich der Literaturhistoriker Dr. Walter Engel auf die Bedeutung des Dichters für das Banat. Lesen Sie im zweiten Teil mehr über den Bezug zu seinem Geburtsort Lenauheim und dessen Wirkung auf das Banater Kulturleben. 

Zum Banat-Aufenthalt der Familie Niembsch
Der historische Hintergrund des Geburtsortes unseres Dichters und die banatschwäbische Herkunft seiner Mutter, nicht zuletzt der Aufenthalt der Familie Niembsch im Banat, werden in den Lenau gewidmeten biographischen und literarischen Publikationen nur selten und dann oberflächlich berücksichtigt. So im Falle der detailreichen Biographie „Zeit des Herbstes“ (Wien-Frankfurt: Deuticke 2002, 380 S.) von Michael Ritter. Darin ist zu lesen, dass die Familie Lenaus nach „Csatád, einer Stadt(!) bei Temesvár im damaligen Ungarn und heutigen Rumänien“ kam und dass der Ort „als Lenauheim bekannt“ ist. Des Weiteren: „Lenau war also von Geburt her ein Sohn des Banat(!), was ihn mit berühmten Autorinnen und Autoren wie Peter Barth, Marie Eugenie delle Grazie, Hans Kaltneker, Herta Müller und einigen anderen verbindet.“ (Ritter, S. 16) Der Banat-Bezug wird immerhin erwähnt, wenn auch unvollständig, die Autorenliste bleibt rätselhaft.
Es waren schließlich verdienstvolle Banater Kulturhistoriker und Literaten, Germanisten und Kulturjournalisten, die diese Aspekte aus Lenaus Lebensgeschichte erforschten. Manches davon vertieft das Verständnis für die Persönlichkeitsentwicklung und das Werk des späteren Dichters. Otto Alscher berichtete allerdings noch 1911 in einer Reportage: „Es waren nur kurze Jahre, die der Knabe Lenau in Csatád verbrachte. Es waren die aufnahmefähigsten, aber auch die äußerlich unglücklichsten des Kindes.“ Von dieser Vermutung ausgehend, entwirft Alscher die prägende Nachwirkung der Banater Landschaft – in der Reportage ist es die „ungarische“ – auf den melancholischen Grundton der späteren Lenauschen Lieder. (O. Alscher: Lenau und die ungarische Landschaft. In: Jung Ungarn. Monatsschrift, Berlin 1. Heft/1911, S. 199-211). 
Der ungemein aktive Regional- und Kulturhistoriker Felix Milleker hat in seiner Schrift „Lenau im Banat“ (Wrschatz, 1926) nach dem damaligen Forschungsstand festgehalten: „Der kleine Nikolaus war, als seine Eltern von Deutsch-Bogschan schieden, um in die Heimat der Mutter nach Alt-Ofen zurückzukehren, erst acht Monate alt. Er nahm daher keine eigenen Eindrücke mit. In keinem einzigen der uns erhaltenen Briefe, und es gibt deren viele, oder in seinen Gedichten, ist sein Heimatland, das Banat, oder sein Geburtsort Csatád erwähnt.“ (S. 17) Franz Liebhard, der vielseitige Literat und Kulturhistoriker, stimmt diesem Befund in seiner Studie „Die Banater Jahre der Familie Lenaus“. (NBZ, ab 16. September 1969 in 10 Folgen) grundsätzlich zu, präzisiert jedoch auf Grund neuerer Archiv-Recherchen zum Ende des Banat-Aufenthalts der Familie Niembsch: „Er, der Knabe Nicolaus Franciscus Niembsch, war aber nie in Bokschan, ebenso wie Vater, Mutter und Schwester nie dort waren ...Therese (Lenaus Mutter, W.E.) scheint nicht lange nach dem Ableben von Magdalena (11. Dezember, 1802), in ihren Gefühlen als Gattin und Mutter tief verletzt, ohne ihren Mann das Banat verlassen zu haben“. (Folge 8)
Dichter mit Kultstatus bei den Banater Schwaben
Der Umstand, dass Lenau nur seine ersten Lebensmonate im Banat verbracht hat, beeinträchtigte keineswegs die früh einsetzende und bis heute anhaltende Verehrung des Dichters bei seinen Landsleuten. Dieses Phänomen hat die bekannte Temeswarer Hochschullehrerin Radegunde Täuber in ihrer umfassenden Arbeit „Lenau-Ehrungen und das Echo seines Werkes im Banat“ (In: Banatica. Beiträge zur deutschen Kultur. München, 2/1995, S. 15-28) akribisch und übersichtlich dokumentiert.  Ausgehend von Felix Milleker, der als erster Zeugnisse der Lenau-Ehrungen im Banat für die Zeitspanne 1836-1926 erfasste, bezieht die Autorin eine beachtliche Fülle einschlägiger Publikationen in ihre Untersuchung mit ein und ergänzt das Material mit eigenen Forschungsergebnissen. Als wichtige Quelle bot sich die vielgestaltige Banater Presse an, die in Abständen Lenau-Gedichte publizierte, über Aspekte der Biographie und Werke Lenaus aus aktuellen Anlässen berichtete, darunter über öffentliche Geburtstags- und andere Feiern den Dichter betreffend, über Gründungen und Tätigkeiten der nach Lenau benannten Kultur- und Kunstvereine sowie über Initiativen zu Ehrungen des Dichters. Darüber berichtet Radegunde Täuber ausführlich in ihrem bereits erwähnten Beitrag. Sie klammert dabei die Wirkung der aggressiven Magyarisierungspolitik auf den Umgang mit Lenau in der allmählich „gleichgeschalteten“ banatdeutschen Presse nicht aus: „Auch in der Berichterstattung der ,patriotischen‘ deutschen Presse  – etwa der ,Temesvarer Zeitung‘ oder des ,Temesvarer Volksblatts‘ – stößt man noch auf weitere kuriose Äußerungen wie: ,deutscher Dichter ungarischer Abkunft‘.“
Doch der Name Lenau war aus dem banatschwäbischen Kulturleben, das sich trotz aller Hindernisse weiter entfaltete, nicht mehr wegzudenken. Vereinsgründungen (darunter Gesangsvereine in größerer Zahl) in Stadt und Land, wählten Lenau als Namensträger. Diese Tendenz hat sich nach dem Ersten Weltkrieg verstärkt fortgesetzt. Relevante Beispiele dafür erwähnt und kommentiert neben Radegunde Täuber auch der Literatur- und Theaterforscher Dr. Horst Fassel in der von ihm redaktionell betreuten Vierteljahresschrift „Banatica“ (München, Heft 2/1995, S. 8-14). Er vermerkt in einem mehrteiligen Beitrag u.a. die Gründung und Tätigkeit der Lenau-Vereine an deutschen Schulen im geteilten Banat, das nach 1918 teils an Rumänien, teils an Jugoslawien angegliedert worden war, weist auf niveauvolle, dem Dichter gewidmete Gedenkfeiern und Kulturveranstaltungen an mehreren Banater Orten hin und bewertet kritisch „die extreme Politisierung der Lenau-Ehrungen“ Ende der dreißiger Jahre, das teilweise Abgleiten in den Sog des Dritten Reiches, bis hin zur „Nachahmung großdeutscher Massenveranstaltungen“. (siehe Fassel, S. 13)
An der deutschen Lehrerbildungsanstalt in Temeswar trat der 1920 gegründete Lenau-Verein mit literarisch geprägten Aktivitäten, darunter Rezitationen und Liedern, an die Öffentlichkeit und hatte Erfolg mit Klassiker-Inszenierungen auch außerhalb Temeswars. Im Hatzfelder Deutschen Realgymnasium kam es im selben Jahr zur Gründung eines Lenauverbandes, der in den Bereichen Literatur, Volkskunde und Musik „deutsche Abende“ veranstaltete und eine rege Theatertätigkeit entfaltete.
Im Kontext der gesamten Lenau-Ehrungen sind zwei Ereignisse hervorzuheben, die zur konstant lebendigen Erinnerung an das Leben und Werk des Dichters im Banat wesentlich beigetragen haben und heute noch weiterwirken: einmal die mobilisierende Initiative und Realisierung eines angemessenen Dichter-Denkmals im Geburtsort und sodann die Einrichtung der Gedenkstätte im Geburtshaus. Dazu kam die Umbenennung des Geburtsortes 1926, der seither den Dichternamen trägt: Lenauheim.
Das Denkmal in Lenauheim
Bereits 1876 war am Geburtshaus des Dichters eine Gedenktafel angebracht worden mit dem Hinweis in deutscher und ungarischer Sprache: „In diesem Hause wurde der Dichter Nikolaus Lenau am 13. August 1802 geboren“. Gespendet wurde dieses Zeichen des Gedenkens von Wagnermeister Matthias Gehl, bezeichnenderweise aus Csatád. Das Erinnern an den Dichter war zu einer Selbstverpflichtung der Gemeinschaft geworden. Dafür sprechen ungezählte Lenau-Veranstaltungen, die in vielen Fällen Besucher aus dem ganzen Banat zusammenführten. Ein herausragendes Beispiel dafür: Die Enthüllung des Lenau-Denkmals vor dem Rathaus der Großgemeinde, die 1905 noch Csatád hieß. Vom ersten Aufruf 1867 zur Errichtung eines Denkmals zu Ehren des Dichters bis zu dessen Vollendung mussten nahezu vier Jahrzehnte vergehen.
Diese Geschichte und den Lebenslauf des mit der Gestaltung des Denkmals beauftragten Bildhauers Béla Radnai/Rausch (1875-1923) erzählt die verdienstvolle Temeswarer Kunsthistorikerin und Kulturschaffende Dr. Annemarie Podlipny-Hehn in ihrer Publikation „Nikolaus Lenau in Rumänien“. (București: Kriterion Verlag 1988, S. 50-55) Darin lesen wir: „Das Denkmal im heutigen Lenauheim kann als das größte und prachtvollste Bildhauerwerk bezeichnet werden, das dem Dichter je gewidmet wurde; es übertrifft durch die meisterhafte künstlerische Ausführung bei weitem alle anderen Büsten und Plaketten, die seither entstanden sind.“ (S. 50)
Ganz in diesem Sinne, aber emotionaler, schildert der namhafte Schriftsteller und Journalist Otto Alscher den ergreifenden Eindruck, den er beim Betrachten des Denkmals empfunden hat. In seiner Reportage über Lenaus Geburtsort beschreibt er zudem die bedrückende Dorf-Atmosphäre und Landschaft (allerdings zur Winterszeit). Er zeigt sich fest davon überzeugt, dass das frühe Landschaftserlebnis des Kindes Niki sowohl im Lebenslauf als auch im Werk des späteren Dichters deutlich nachgewirkt habe. Der Schriftsteller ging nämlich noch 1911 davon aus, dass Lenau seine ersten Kindheitsjahre im Banat verbracht hatte, was nicht zutraf. Das ändert natürlich nichts an der poetischen Denkmal-Beschreibung, die hier aus Alschers kaum bekannter Reportage zitiert wird:
„Das Denkmal ist von einer tiefen, wunderschönen Wirkung. Die Gestalt des Dichters, dem ein Genius zur Seite steht, der nach dem Geburtshause Lenaus hinüberdeutet, seine Züge sind von ergreifender Trauer. Und der wehmutsschwere, düstere Blick, der voll erschütternder Schwermut nach jenen Fenstern schaut, durch die einst seiner Kindheit Sehnsucht nach Lebensfreude suchte, bannt den Beschauer in schmerzlicher Bewunderung. Kein Pathos, keine Gesuchtheit stört, das Ganze ist zu vorzüglicher Einfachheit zusammengefasst: das Denkmal ist ein Kunstwerk ersten Ranges.“ (Otto Alscher: Lenau und die ungarische Landschaft. In: Jung Ungarn. Monatsschrift für Ungarns politische, geistige und wirtschaftliche Kultur, Berlin, 1. Heft 1911, S. 202) 
Die feierliche Enthüllung des Denkmals am 12. Juni 1905 stand jedoch unter keinem guten Stern: Ungarische Nationalisten, darunter der Festredner Herczeg, der seinen ursprünglichen Namen Herzog magyarisiert hatte, gaben den Ton an. Sie verstiegen sich zu unsäglichen Äußerungen über die Banater Schwaben und über den Dichter, den es eigentlich zu feiern galt. (s. Täuber, S. 24)
Unter anderen Voraussetzungen verlief die Eröffnungsfeier des Lenaumuseums 1931. Sie gestaltete sich zu einem Volksfest, das „dem Andenken des in unserer Heimat geborenen großen deutschen Lyrikers in dankbarer Verehrung gewidmet“ war, wie die Einladung es angekündigt hatte. In diesem Sinne stellte Andreas Friedrich, Deutschlehrer am Deutschen Realgymnasium Temeswar, das „Bild des Dichters, ein Bild des Menschen Lenau“ in den Mittelpunkt seiner Festrede und erinnerte daran, was ihn mit dem Banat verbindet, um abschließend „die Beziehungen, in welchen dieses Fest zu unseren kulturellen Bestrebungen steht,“ aufzuzeigen. Wie kaum ein anderes überliefertes Zeugnis der Lenau-Verehrung im Banat vermittelte diese Rede einfühlsam und kompetent, dabei anspruchsvoll und doch zugänglich, dem wohl sehr gemischten Publikum Einblick in das Wesen der unsteten Persönlichkeit des Dichters und die Besonderheit seiner Natur- und Liebeslyrik. Andreas Friedrichs Redestil ist nicht ohne Pathos: „Die Augenblicksstimmung, das Temperament siegt, sich selbst und oftmals seine Umgebung reißt es mit sich fort, der Rausch der Begeisterung verflüchtet, tiefe Niedergeschlagenheit lähmt seine Energie, er stürzt in den Abgrund grübelnder Melancholie, die dann häufig in tiefempfundenen Weltschmerz ausmündet … Dabei flüchtet seine verwundete Seele mit Vorliebe in die Natur … In tausendfachen Bildern, sei es eine rieselnde Quelle, das Rauschen des Waldes, das geheimnisvolle Säuseln des Schilfes, die weihevolle Stille der Heide, sei es die flüchtig dahinziehende Wolke, der bleiche Mond, seien es aufgescheuchte Vögel, fliehende Rehe, – in all diesen und anderen unzähligen Naturbildern weiß er stimmungsvoll und ganz neuartig, neuartig besonders für seine Zeit, seine Wehmut, seine Trauer, seinen Schmerz zu verdolmetschen.“ (Siehe:  Festrede, gehalten bei der Eröffnung des Lenaumuseums zu Lenauheim von Prof. Andreas Friedrich. In: Banater deutsche Kulturhefte, 5. Jg. Heft 3/1931, S. 3-10)
Über die Einrichtung der Gedenkstätte sagte Andreas Friedrich u.a., dass „der weitgrößte Teil der Lenaureliquien, gleichsam der Grundstock des Museums, aus Wien stammt“.
Für die Vertonung von Lenau-Gedichten hatte der „Festausschuss“ eine „Preisausschreibung“ veröffentlicht. Am Wettbewerb beteiligten sich auch Siebenbürger Komponisten. Preisträger waren u.a. Josef Linster für die Vertonung der Gedichte „Die Drei“ und „Schilflied“ (1) und Franz Waschek für „Bitte“. Annemarie Podlipny-Hehn hat über die Ausstattung des Museums des Öfteren geschrieben und selbst für die konzeptionelle Erneuerung und inhaltliche Weiterentwicklung der Einrichtung gesorgt.
Adam Müller-Guttenbrunn über Nikolaus Lenau
Gleichsam unter Lenaus Schirm rückten die banatdeutschen Schriftsteller näher zusammen. Die auf Anregung Felix Millekers 1919 gegründete „schönliterarische Gesellschaft“ wurde nach Nikolaus Lenau benannt. Sie werde, hieß es in der Aufgabenstellung, „die im Banat geborenen deutsch-schwäbischen Schriftsteller in sich vereinigen“ und „die Pflege des Andenkens und der Verbreitung der Werke Nikolaus Lenaus, dann die Pflege der Literatur in Reim und Prosa und endlich die Erforschung der deutschen Mundarten zum Ziele haben.“ Als „ordentliche Mitglieder“ werden bekannte banatdeutsche Autoren aufgezählt:  Otto Alscher, Josef Gabriel, Marie E. Delle Grazie, Franz Xaver Kappus, Julius Meier-Graefe, Adam Müller-Guttenbrunn u.a. (Tem. Zeitung, Jg. 68, Nr. 160, 30.7.1919, S. 1)
Der streitbare Literat und Journalist Viktor Orendi-Hommenau gründete 1909 die literarische Monatsschrift „Von der Heide“, die in ihren besten Jahren eine Auflage von etwa 3000 Exemplaren erreichte. Die Zeitschrift förderte vor allem Banater Autoren, brachte aber auch literarische Beiträge und Nachrichten aus dem deutschen Sprachraum. Nikolaus Lenau war dabei mehrfach mit Gedichten vertreten. Sein Porträt erschien auf dem Umschlag der 6. Ausgabe des I. Jahrgangs, in der auch biographische Informationen über den Dichter zu lesen waren.
Der von seinen Banater Landsleuten hoch geschätzte Schriftsteller Adam Müller-Guttenbrunn hat in der Zeitschrift mehrere Beiträge über Lenau publiziert. Der wohl gehaltvollste erschien zum 110. Geburtstag des Dichters. Darin geht es um die Deutung des Wesens und Werks und die Rolle der Briefe in der Ergründung ungeklärter Hypothesen über Lenau. Im Zeichen der polemischen Akzente in der Nationalitätenfrage stehen Müller-Guttenbrunns Artikel „Nikolaus Lenaus Abstammung“ und „Verstand Lenau magyarisch?“ Der letztgenannte Text ist eine Reaktion Müller-Guttenbrunns gegen die Zeitung „Pester Lloyd“, in der Lenau gute ungarische Sprachkenntnisse bescheinigt wurden, die er nicht besaß.
Ein literarisches Denkmal setzte Müller-Guttenbrunn Nikolaus Lenau schließlich mit der Roman-Trilogie „Lenau, das Dichterherz der Zeit“ (Leipzig: Verlag L. Staackmann 1921). Der Schriftsteller nannte sein Werk eine „Romandreiheit“. Die einzelnen Romane erschienen in zeitlicher Folge: „Sein Vaterhaus“ (1918), „Dämonische Jahre“ (1919) und „Auf der Höhe“ (1921). Unter rund zehn bekannten Lenau-Romanen dürfte Adam Müller-Guttenbrunns Werk, ein Künstler- und Zeitroman, das Leben und Schaffen des Dichters am detailliertesten beschreiben. Und dies mit beachtlichem Erfolg, wie Ferdinand Ernst Gruber am Anfang seiner Rezension zum Band „Dämonische Jahre“ feststellte:
„Das Publikum hat eine gute Nase für Bücher, die wertvoll und – was noch bedeutsamer – nicht für den Tag, sondern (...) der Nation zur Bereicherung geschrieben sind. Das beweist wieder der neue Roman Müller-Guttenbrunns, von dem erst kürzlich das 15. Tausend ausgegeben wurde.“ (Tem. Ztg. 26.04.1921)
Lenau-Präsenz im Banat nach 1945
Im Zweiten Weltkrieg und in den für die Rumäniendeutschen katastrophalen Folgejahren unter dem Regime nach sowjetischem Muster kam es in den fünfziger Jahren nur zögerlich zur ideologisch vorgegebenen Wiederaufnahme des Kulturlebens in deutscher Sprache. Nachdem Zeitungen erscheinen konnten (zuerst die Temeswarer Zeitung) und die Zeitschrift „Banater Schrifttum“ ab 1949 herausgegeben wurde, begannen deutsche Autoren wieder zu publizieren. Von einem Literaturbetrieb konnte noch nicht die Rede sein. Kulturvereine im demokratischen Sinn waren und blieben bis 1989 tabu. Die kommunistische Partei bestimmte die Inhalte des institutionellen und öffentlichen Lebens. Sie konnte aber allgemein hoch angesehene, international geschätzte Künstler und Schriftsteller nicht ignorieren und ließ ihre Werke im sozialistischen Sinn deuten.
In den 1950er Jahren wurde der erste deutsche Literaturkreis nach Nikolaus Lenau benannt. Der Dichter war sodann im Literaturkanon des muttersprachlichen Unterrichts an deutschsprachigen Gymnasien Rumäniens präsent, und er ist es bis heute. Seine kämpferischen Vormärz-Gedichte und Vers-Epen, vor allem „Die Albigenser“, standen dabei im Vordergrund, aber die Schilflieder konnten einfach nicht übergangen werden. Im Lehrbuch „Deutsche Literatur für die IX. Klasse“ (1992) an deutschsprachigen Gymnasien sind ausführliche Interpretationen der „Schilflieder“ und der „Albigenser“ enthalten, die zur Lektüre in einer dazugehörenden Textauswahl (1983) verfügbar waren. Lenau-Anthologien sind in Bukarester Verlagen in den sechziger Jahren erschienen, als der „Proletkultismus“ in Rumänien ausgedient hatte. 
Die Temeswarer Universitätsdozentin Eva Marschang hat in der Reihe „Die schönsten Gedichte“ (Bukarest: Jugendverlag1964) eine stattliche Auslese aus Lenaus Lyrik (140 Seiten) mit Auszügen aus seinem „Faust“ und den „Albigensern“ herausgegeben. Auch für die umfangreichere Lenau-Anthologie „Gedichte und lyrisch-epische Dichtungen“ (Bukarest: Kriterion Verlag. Kleine Schulbücherei, 1971, 2. Auflage, 350 Seiten) besorgte Eva Marschang die Auswahl und schrieb dazu eine einführende, anspruchsvolle Studie.
Rückgriffe auf das eigene Literaturerbe war den deutschen Verlagsabteilungen in den 1970er Jahren vorübergehend gestattet. Einst populäre Bücher rumäniendeutscher Autoren, die seit der Vorkriegszeit nicht mehr in den Buchhandlungen standen, sind als Neuausgaben erschienen. Dazu gehörte die erwähnte Lenau-Trilogie Adam Müller-Guttenbrunns. Im Temeswarer Facla-Verlag gaben die Universitätsdozenten Karl Streit und Herbert Bockel die drei Romane heraus: „Sein Vaterhaus“ (1978), „Dämonische Jahre“ (1976) und „Auf der Höhe“ (1977). Zweifellos bot die Trilogie mit den begleitenden Studien der Herausgeber – über Adam Müller-Guttenbrunns Leben und Werk als Einführung und mit einer trefflichen Analyse der Lenau-Romane als „Nachwort“ – den Banater Literaturfreunden, insbesondere der jüngeren Generation, Gelegenheit, sich zu dieser Zeit mit Lenau vertraut zu machen.
Impulse für den wissenschaftlichen Umgang mit Nikolaus Lenau gingen von der Temeswarer Tagung der Internationalen Lenau-Gesellschaft aus, die im September 1969 führende Lenau-Forscher aus mehreren Ländern zusammengeführt hat. Der äußerst produktive Lenauspezialist Prof. Antal Mádl (Budapest) schilderte in einem Interview seinen Gesamteindruck von dieser Begegnung: „Wir kamen diesmal zur Wiege des Dichters, wie es jemand formulierte. Temeswar war nicht nur deshalb sehr wichtig. Wir hörten hier sehr gute Vorträge aus verschiedenen Perspektiven und stellten gleichzeitig engere Beziehungen zu Rumänien und seiner Dichtung her (...). Zusammenfassend würde ich sagen, dass die Temeswarer Tagung für die Internationale Lenau-Gesellschaft einen Höhepunkt darstellt.“ (Walter Engel, Gespräch mit Doz. Dr. Antal Mádl, Budapest: Gibt es ein neues Lenau-Image?  „Der Weltschmerz ist nicht das Wichtigste...“. In: Hermannstädter Zeitung, 26. September 1969, S. 7)
Die massive Auswanderung implizierte einen reduzierten kulturellen und damit auch literarischen Transfer aus dem Banat und aus Siebenbürgen nach Deutschland und Österreich. Die zur Pflege dieser Bereiche gegründeten Institutionen sind bisher kaum mit Publikationen oder Veranstaltungen im Zusammenhang mit Nikolaus Lenau aufgefallen. Als eine rühmliche Ausnahme ist die von Eduard Schneider gemeinsam mit Stefan Sienerth erarbeitete, sehr erfolgreiche Ausstellung: Nikolaus Lenau. „Ich bin ein unstäter Mensch auf Erden“ (1993), die vom Südostdeutschen Kulturwerk (München) initiiert und gefördert wurde. Den Haupttext für das Begleitbuch zur Ausstellung hat Eduard Schneider unter dem Titel „Lenaus Leben und Werk in Bildern, Daten und Zitaten“ verfasst. Auf Grund der Dichtungen und Briefe Lenaus sowie einer umfangreichen Sekundärliteratur beschreibt Eduard Schneider detailliert und übersichtlich den Werdegang des Dichters, die Charakteristiken seines dichterischen Schaffens und dessen Nachwirkung. Eingangs fasst er die zugänglichen Daten zum Aufenthalt der Familie Niembsch im Banat zusammen.
Studien namhafter Lenau-Forscher reihen sich im zweiten Teil des Buches aneinander.
Fazit
Tiefgreifend staatspolitische und gesellschaftliche Veränderungen in knapp anderthalb Jahrhunderten – österreichisch-ungarischer Ausgleich 1867, zwei Weltkriege und deren Folgen – bedingten zwar den Wandel im  öffentlichen, kulturpolitisch bestimmten Literatur- und Kulturbetrieb und damit auch weitgehend die Deutungsschwerpunkte der Lenau-Rezeption, doch das im Selbstverständnis der Banater Schwaben früh verankerte Lenau-Bild konnten weder extrem national orientierte, noch ideologisch übereifrige Politiker beschädigen. Die vorausschauende Aussage unseres Dichters im eingangs zitierten Gedicht haben sich bewahrheitet: „Und meine steigenden Lieder / Wachsen begrabend euch über die Köpfe.“

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