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„Irecuperabil – Die Unwiederbringlichen“ – ein neues Buch von Siegfried Chambre

Siegfried Chambre lebt in der Schweiz Foto: privat

Als Autor mehrerer Romane wandelt der aus dem Banat (Wiesenhaid) stammende Autor Siegfried Chambre, der als Journalist und im Marketingbereich in der Schweiz tätig war, immer wieder neu auf den Spuren vergessener Geschichten, Ereignisse und Menschen. In seinen Büchern „Die schwarzen Maulbeeren“ (2012, 2014) und „Auf und davon oder der Traum vom roten Flugzeug“ (1994, 2. Aufl. 2015) befasst sich der Autor mit Themen aus der Banater Geschichte. In seinem aktuellen Roman „Irecurabil – die Unwiederbringlichen“ (2025) widmet er sich einem Thema, das nach der politischen Wende in vielen deutschsprachigen Medien behandelt wurde: den Straßen- und Heimkindern im sozialistischen Rumänien. Das Kinderheim von Cighid bei Oradea war dabei häufig Gegenstand von Berichterstattung. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ veröffentlichte mehrere Reportagen, in denen diese Kinder als „Unwiederbringliche“ bezeichnet wurden.

Am Beispiel eines Kinderheims in Daia, ein Dorf in den Westkarpaten, „…wo Flüsse die Täler durchziehen, sich durch Molasse wälzen, Höhlen von unterirdischer Magie und Landschaften von überirdischer Schönheit auswaschen“, – widerspiegelt der Roman ein umfassendes Bild der sozialen Verhältnisse der 1970er Jahre bis kurz nach der Wende von 1990. Es ist ein Gesellschaftsroman, der die sozialen Schichten und Traditionen des Landes anhand des Schicksals eines Mädchens illustriert. In die Handlung des Buches sind verschiedene Aspekte integriert, darunter geografische Schauplätze in den Karpaten, kriminelle Aktivitäten, detaillierte Personenporträts sowie die Lebenswege von Kindern und Auswanderern. Die zentrale Figur des Romans, Luzi bzw. Luminița, ist eben eine der sogenannten „Unwiederbringlichen“ aus dem Kinderheim in Daia. Sie steht für eine emotional verkümmerte Gesellschaft der verflossenen Diktatur, während die Verantwortlichen des Heims, Rodica Bivol und Dr. Baran, Beispiele der verkommenen Schicht der damaligen Gesellschaft darstellen. Im Interview (ADZ vom 25. August 2025, S. 5) betont der Autor allerdings, dass auch diese Heimleiterin „….eine Durchschnittsbürgerin (ist), wie es viele gab. Sie ist nicht böswillig, aber mit ihrer Aufgabe im Heim überfordert. Sie steht für alle, und es waren viele, die sagten: Was soll man machen? Man kann nichts machen. So ist das halt. Es ist Schicksal, Schuld ist das System, die da oben etc. “ Durch einen Zufall wird das einstige Heimkind Luzi in ein Heim in der Schweiz vermittelt und entwickelt ein neugieriges Selbstbewusstsein, das sie auf die Suche nach ihrer Identität führt. Bei ihrer Rückkehr in die Westkarpaten entdeckt sie schreckliche Dinge um die Geschichte des Kinderheims. All diese erschreckenden Wahrheiten lassen sie an der Wirklichkeit verzagen. „Was sie entdeckt hatte, war kaum mehr als das, was aus der Presse bereits bekannt war: Die meisten der 107 verstorbenen Kinder waren zwischen drei und fünf Jahre alt gewesen, sechzehn Verstorbene zwischen fünf und zehn Jahre alt. Die angegebenen Todesursachen reichten von Bronchopneumonie, Encefalopatie bis Epilepsie oder Herzversagen. Auch Anorexie, dutzende Fälle von Unterernährung, Lungenentzündung, Mittelohrentzündung und Rachitis waren in den Papieren als Todesursachen vermerkt…. Wurde jemals jemand zur Verantwortung gezogen? … Man hätte sie bei adäquater Therapie vollständig wiederherstellen können…“
Die Geschichte spielt vorwiegend in den Westkarpaten und im Berner Oberland. „Das Dorf Daia war eine Handvoll unordentlich hingeworfener Häuser, zwischen denen die Kirche thronte, ein Holzbau, gezimmert aus ergrauten Schindeln, mit einem schlanken, rechteckigen Turm, dessen langgezogene Spitze in den Himmel stach. Bei Sonnenuntergang schimmerte aus den schuppenartigen Schindeln ausgelaufenes Harz an der Turmspitze wie ein Nylonfaden, als wäre die Kirche ein Köder an einer himmlischen Angel.“ Laut den Angaben des Autors ist das Dorf fiktiv. Es handele sich bei dem Roman „um eine pseudoreale Geschichte, eine Fiktion auf der Basis von Tatsachen“, so Chambre. Aufgrund seiner Erfahrungen aus der Kinder- und Jugendzeit in Rumänien kennt er die sozialen Verhältnisse, die Menschen, die Traditionen wie auch Landschaft und die Gegebenheiten der Verhältnisse in den Kinderheimen sehr gut. Bei Reisen nach Rumänien, auch in die Westkarpaten, hat er mit Menschen gesprochen und Eindrücke verarbeitet.

Aber das Buch ist nicht nur ein Gesellschaftsroman, sondern auch eine Art Krimi über die geheimen Machenschaften der Emporkömmlinge in der Diktatur. Deshalb, so der Autor, könne sein Roman auch als „Warnung vor jeglicher Art von Diktatur“ gelten. Themen wie Ausbeutung, Profit oder Einsamkeit ziehen sich durch den Erzählstrang, aber der Text hat nicht selten auch poetische Züge, wenn er über die Volksballade „Miorița“ (in der Übersetzung von Alfred Margul Sperber) spricht, über Mythen und Volkskultur oder den weit verbreiteten Aberglauben in der rumänischen Geschichte und Kultur. Nicht zuletzt spielen Witze eine Rolle. Chambre ist der Überzeugung, dass Witze wichtig sind, da sie von Diktatoren gefürchtet werden. Mit „Geist, Scharfsinn, Esprit“ (Chambre) zeichnen sie Befindlichkeiten des Volkes ab. Im sozialistischen Rumänien und bis heute beherrscht das rumänische Volk „die Kunst des Witzeverfassens und des Witzeerzählens in bester Manier“. 
Der Roman erzählt auf 228 Seiten eine spannende Geschichte, die viele Aspekte und Hintergründe einer unterdrückten Gesellschaft analysiert. 

Siegfried Chambre: Irecuperabil – die Unwiederbringlichen, Tolino Media, 228 S., 29,50 Euro. Zu beziehen in allen bekannten Online-Portalen oder Buchhandlungen.