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Vom Leben hinter dem Eisernen Vorhang: Hans Finks Analyse der kommunistischen Diktatur in Rumänien

Der aus Temeswar stammende Journalist Hans Fink, Jahrgang 1942, war von 1965 bis 1991 Redakteur der Tageszeitung „Neuer Weg“ in Bukarest. Er gehört der Generation an, die große Teile ihres (Berufs-)lebens in der kommunistischen Diktatur verbrachte und deren Auswirkungen auf das Leben der Menschen dort – insbesondere aus der Sicht der deutschen Minderheit – sozusagen „am eigenen Leib“ studieren konnte. Darüber hat er nun ein Buch geschrieben: „Vierzig Jahre hinter dem Eisernen Vorhang“. Die Lebensgeschichte einer Generation, von der es nur noch wenige Zeitzeugen gibt?  Jein, denn das allein wäre dem als Analytiker und Publizist bekannten Autor zu wenig. Mit fundierter Sachkenntnis und der ihm eigenen Akribie analysiert er die historischen Hintergründe und verknüpft sie mit seinem subjektiven Erlebnishorizont. Dass er auch ein Faible für den Witz hat (der in dieser Zeit, wir wissen es alle, eine heilsame, wenn nicht gar „rettende“ Funktion im Alltagsleben hatte), ist dem einen oder anderen Leser vielleicht schon durch den Sammelband von Geschichten und Anekdoten „Jein, Genossen“, bekannt, den Hans Fink 2014 im IKGS-Verlag gemeinsam mit Hans Gehl herausgegeben hat. Auch diese nun neu erschienene Kulturgeschichte, wenn man sie so nennen will, ist an vielen Stellen gewürzt mit politischen Witzen, ohne die eine Betrachtung der Epoche unvollständig erschiene. 
Der rote Faden, der durch das Buch führt, ist die Geschichte der Nomenklatura Rumäniens. Das war die neue Ausbeuterklasse, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Schicht der Parteifunktionäre entwickelte. Es geschah unter der Schirmherrschaft der Sowjetunion, wo diese Ausbeuterklasse nach der Oktoberrevolution entstanden war. Fink stellt die Vorgänge aus der Sicht der deutschen Minderheit dar, die sowohl Opfer als auch Bestandteil der gesellschaftlichen Realität der rumänischen Nachkriegszeit war. Kein Wunder, dass es in dem Buch von deutschen Namen „wimmelt“ – von Berwanger und Breitenstein bis hin zu Wagner und Weber.
Als provokant erscheint die Feststellung, das kommunistische Regime habe die Existenz der deutschen Minderheit um zwei Generationen verlängert. Die Recherchen des Autors zeigen, dass auch in Rumänien sowohl die bürgerlichen als auch die kommunistischen Politiker die deutsche Minderheit nach dem 23. August 1944 vertreiben wollten, wie das in den meisten Ostblock-Ländern der Fall war. Er vermutet, dass dieses Anliegen bei den Waffenstillstandsverhandlungen in Moskau kein Gehör fand, weil die sowjetische Seite schon die Deportation von Zwangsarbeitern ins Auge fasste, mit der im Dezember in Jugoslawien begonnen wurde. Er vertritt sogar die These, dass die Rumäniendeutschen, wäre Rumänien im Machtbereich des Westens und kapitalistisch geblieben, nach der Enteignung der Bauern (70 Prozent der deutschen Minderheit) im Elend versunken wären, weil es keine Staatsgüter gegeben hätte, die Arbeitskräfte brauchen, keine Kollektivwirtschaften, kein zentral gesteuertes Programm der Industrialisierung, keine Schulreform mit zehntausenden Stipendien. 
Jenseits aller Spekulation ist es Tatsache, dass Nicolae Ceauşescu ab 1965 an die Spitze der Nomenklatura rückte, wo er sich fünfundzwanzig Jahre lang behaupten konnte. Zunächst intern und auch im Westen als „Hoffnungsträger“ gefeiert, baute er im Laufe der Jahre eine autokratische Diktatur auf (denn er schlief, wie jeder Diktator, „nur mit einem Auge“), ruinierte die Wirtschaft eines potenziell reichen Landes mit seinen ehrgeizigen, zunehmend größenwahnsinnigen Projekten ohne wissenschaftliche Basis und stürzte dessen Bevölkerung in die Katastrophe. Nebenbei manövrierte er sich ins Zentrum der rumänischen Witzkultur – das einzige Ventil, das der Bevölkerung blieb, um die Zustände einigermaßen zu ertragen. Mit der politischen und wirtschaftlichen Not ging auch ein Werteverfall einher, in dem der Diebstahl von gesellschaftlichem Eigentum als „bedeutendste Oppositionsform im Kommunismus“ zum allgegenwärtigen „Kavaliersdelikt“ mutierte. Diesem komplexen Phänomen widmet Fink ein ganzes Kapitel.
Auch der deutschen Minderheit im kommunistischen Rumänien widmet der Autor ein eigenes Kapitel. Einerseits lebte diese mit objektiv vorbildlichen Minderheitenrechten – Schule, Presse, Theater usw., andererseits galt es, die Vorgaben der Parteiführung (inklusive der Zensur) zu erfüllen. Als Insider des Pressebetriebs und anhand von konkreten Beispielen zeigt Fink, wie schwierig die Gratwanderung der Minderheit und ihrer politischen und kulturellen Leitfiguren in dieser Konstellation war. „Die Zeitung … so zu gestalten, dass kein Zensor aneckt, war eine Wissenschaft für sich, die zu einer spezifischen Anpassung führte – der Selbstzensur“, resümiert der erfahrene Redakteur im Rückblick. Dennoch sieht er auch die positiven Seiten dieses Systems für die Minderheit, deren Nachkriegsgeneration durch die Enteignung neue Wege suchen musste und diese nicht selten im Bereich von Studium und solider beruflicher Qualifikation fand – was auch wegen der Vergabe von staatlichen Stipendien möglich war.
Fink analysiert auch die Lage nach dem Umsturz 1989, in dem der Diktator zunächst durch eine Nomenklatura aus der zweiten Reihe ersetzt wurde. Fink verfolgt die Entwicklung weiter und zitiert den Historiker Lucian Boia, der ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des kommunistischen Regimes feststellt, dass der Abgrund zwischen Reichen und Armen noch tiefer ist als vor dem Zweiten Weltkrieg. „Als ob die Geschichte des Kommunismus keinen anderen Sinn gehabt hätte als den, eine herrschende Klasse durch eine andere zu ersetzen.“ Mit dieser eher pessimistischen Betrachtung endet die Analyse, die weitere Entwicklung Rumäniens – das noch immer eine anerkannte deutsche Minderheit hat, die im Parlament vertreten ist, – bleibt künftigen Betrachtungen vorbehalten.
Dass das Buch von Hans Fink keine dröge historische Faktenansammlung ist, liegt auch daran, dass Hans Fink bei jeder Gelegenheit politische Witze zitiert – wie es auch tatsächlich der Lebensrealität dieser Jahre entsprochen hat. Sie waren natürlich verboten, aber allgegenwärtig. Im Gegensatz zu anderen Ländern – wie etwa der DDR – waren sie in Rumänien vom doch sehr eigenen, trockenen Humor der Rumänen geprägt. Auf die Frage: „Wird es im Kommunismus noch Geld geben?“ wäre die in Rumänien verbreitete Antwort: „Nein, das wird es auch nicht mehr geben.“ (bei Radio Jerewan: „Im Kommunismus wird es nur noch Geld geben.“ Variante der Tschechoslowakei: „Die Dogmatiker sagen nein, die Revisionisten ja, und wir Marxisten-Leninisten: bei den einen – ja, bei den anderen – nein.“)
Zum Ausklang und als Fazit seiner Ausführungen zitiert Fink aus einem Vortrag von Gudrun Schuster über die politische Sozialisation der deutschen Lehrer in Rumänien nach 1944, die nach Deutschland ausgewandert sind. Demnach kennzeichnet diese (und sicher nicht nur sie) grob vereinfacht zweierlei: einerseits politisches Misstrauen, Defensive und Rückzug ins Private, auf der anderen Seite aber Leistungsbereitschaft, Durchhaltevermögen, Anpassungsfähigkeit und Gemeinschaftssinn. Kann man sicher ohne weiteres nachvollziehen.
Das Sachbuch von Hans Fink ist nicht nur übersichtlich und angenehm zu lesen, es wird durch den feinen Humor auch zur vergnüglichen Lektüre, die bei so manchen Lesern Erinnerungen wachrufen dürfte. Wie man es von Hans Fink gewöhnt ist, gibt es am Ende des Buches eine Zeittafel mit wichtigen Ereignissen von 1939 bis 2007 (dem Eintritt Rumäniens in die EU) und eine ausführliche Bibliografie.

Hans Fink: Ein gerbranntes Kind. Vierzig Jahre hinter dem Eisernen Vorhang. 261 Seiten, 10,99 Euro. Norderstedt: Books on Demand, 2025. ISBN: 9-783695-143078.