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»Und wir leben einfach weiter«

Ein Banat-Roman von Joachim Pretz. „Denn das Erste, an das ich mich wirklich erinnern kann und was ich mein Leben lang in schöner Erinnerung behalten werde, ist die Reise in die Heimat meines Vaters, in das Banat“, schreibt der Buchautor Joachim Pretz (geboren 1948 in Potsdam-Babelsberg, wohnhaft in Berlin). Er ist der Sohn des Dominik Pretz (1920–1993) aus Klein-Omor im Banat. Pretz ist kein Berufsschriftsteller, sondern Friseurmeister. Mit seinem Erstlingswerk, dem Roman „Und wir leben einfach weiter“, hat der Autor seiner Familie und zugleich dem Banat und den Banater Schwaben ein Denkmal gesetzt, obzwar die besagte Reise schon 1959 stattfand und er das Banat nur aus Besuchen, Erzählungen der Familie und aus der Fachliteratur kennt. Joachim Pretz schreibt einfühlsam und voller Begeisterung über die Heimat seines Vaters: „Dann kam die Reise nach Klein-Omor. Das Dorf, in dem mein Vater und seine Geschwister geboren worden waren. Wir waren fünf Tage dort. Es war wie aus einer anderen Zeit. Ich fühlte mich dort sauwohl. Ein Paradies für Kinder. Nichts war hier so wie ich es kannte.“ Das banatschwäbische Dorf – ein Paradies und nicht ein Unort und die Hölle auf Erden, wie dies gewissenlose Leute und Medien hierzulande immer wieder tendenziös in die Welt posaunen. Wohltuend, dies zu lesen und gleichzeitig Balsam auf die Wunden der verletzten Seelen der Banater Schwaben.

Die Familiensaga umfasst die Jahre 1886 bis 1986, also ein Jahrhundert Zeitgeschichte. Im Mittelpunkt der Schilderungen stehen der Werdegang der Familie Pelz in Klein-Omor und Busiasch und die Kriegserlebnisse der Pelz-Brüder. Die Familie Pretz (im Roman Pelz) stammt aus Klek im heutigen serbischen Teil des Banats. Sie ist eine der Gründerfamilien von Klein-Omor, einer Binnensiedlung, die erst 1895/96 entstanden ist. Heute ist der Ort bereits aufgegeben. Der letzte deutsche Einwohner hat 1984 das Dorf verlassen. Die Saga beginnt mit der Geburt des Großvaters in Klein-Omor, zeichnet sodann ein Bild des dörflichen Lebens und der Wirren während des Ersten Weltkrieges. In der Zwischenkriegszeit verlässt die Familie Pelz Klein-Omor und lässt sich in Busiasch nieder. Kurz darauf machen sich schon die Vorboten des Zweiten Weltkrieges bemerkbar. Alles sollte anders werden! Auch die Pelz-Buben wurden in den Strudel der Ereignisse hineingezogen. Sepp und Franz wurden beide zuerst in Jugoslawien im Kampf gegen die Partisanen eingesetzt, um dann im Osten in Russland (Sepp) und an der Westfront in Frankreich (Franz) die Gräuel des Krieges zu erleben. Wie sagte doch die alte Godl: „Junge Burschen müssen im Krieg für Leute, die sich davon einen Vorteil erhoffen, ihren Kopf hinhalten.“

Genau wie die Pelz-Buben mussten auch tausende Banater Schwabensöhne ins Feld ziehen. Und sie mussten für Hitlers Krieg, der nicht der ihre war, teuer bezahlen. Die Banater Schwaben waren vor allem Bauern und Handwerker, der Krieg war ihnen fremd: „Niemand sah in mir den Sepp, der eigentlich nur Musik machen wollte. Der desertiert war. Der nie vorgehabt hatte, einen Menschen zu töten. Der seine Familie über alles liebte (…) Ich fing an, alles zu hassen. Die verfluchten Rumänen, die mich in die Armee gesteckt hatten. Die Russen, die mich für einen Spion hielten. Die Deutschen, die diesen verdammten Krieg angefangen hatten.“

In den deutschen Medien wird oft auf die „totale Verstrickung der Banater Schwaben in den Nationalsozialismus“ hingewiesen. Stimmt das aber? Selbstverständlich sind auch viele Banater Schwaben auf Hitler und die Nationalsozialisten hereingefallen und dienten diesen letztendlich als Kanonenfutter. Das zu leugnen wäre falsch und unehrlich. Insgesamt aber waren die Banater Schwaben eher unpolitisch. Der Krieg war nicht ihre Sache. Vor allem beim konservativen bäuerlichen Element auf den Dörfern konnte die neue Weltanschauung nicht Fuß fassen. Diesbezüglich vermerkt Landsmann Josef Hornung aus meinem Heimatdorf Klein-Omor in seinen Lebenserinnerungen: „Damals ahnte schon jeder, was auf uns zukommen wird. So denke ich an meinen Onkel Sepp, der im Wirtshaus schon 1941 sagte: Der Hitler kann gegen die ganze Welt den Krieg nicht gewinnen. Und bei einer Hitlerrede hat der alte Kiefer sogar sein Radio zertrümmert mit der Bemerkung: Der Mann bringt uns Unglück!“ Er sollte leider Recht behalten. Die Einstellung der Banater Schwaben zum Nationalsozialismus kann nicht pauschal und undifferenziert beurteilt werden, wie dies bedauerlicherweise auch manche unserer Literaten leichtfertig tun. Wer sich aber ernsthaft bemüht, die Frage der Verstrickung der Banater Schwaben in den Nationalsozialismus zu beantworten, kann unmöglich zu einer schnellen und allumfassenden Antwort gelangen. Joachim Pretz unterscheidet korrekt zwischen Nationalität und Staatsbürgerschaft, was in den deutschen Medien immer wieder durcheinandergebracht wird. Als Waldarbeiter 1941 in der Pfalz musste Franz Pelz in den Pausen seinen Arbeitskollegen erzählen, wie es sich im Banat so lebt und warum wir alle deutsch sprechen würden, obwohl wir rumänische Staatsbürger waren. „Die Frauen fanden es alle gut, dass wir nie unsere deutsche Herkunft verleugnet haben.“

Das hat mit Nationalismus oder Ethnozentrismus, was den Banater Schwaben gelegentlich vorgeworfen wird, absolut nichts zu tun. Es ist dies kein Werturteil, sondern nichts anderes als der legitime Wunsch, die eigene Identität zu bewahren. Joachim Pretz gelangt zur weisen Einsicht, dass „das Einzige, was uns Menschen trennt, nicht die Nationalität, sondern nur die Intelligenz oder Dummheit und Gut oder Böse (ist). Mehr nicht“. Pretz versteht es, bekannte Redewendungen und Volksweisheiten in seinen Text einzubinden. Auch der Humor (stellenweise sogar Galgenhumor: „Ich und Kater Iwan werden es den Russen zeigen…“) kommt nicht zu kurz. Oft erwähnt der Autor in seinem Roman das Paprikasch, „das Leibgericht, welches die Mutter uns Buben immer gekocht hat“. Das ist sehr aussagekräftig und steht sozusagen stellvertretend für die deftig-herzhafte banatschwäbische Küche. Auch der gute Banater Wein findet in der Familiensaga mehrfach Erwähnung.

Was die Personennamen betrifft, so sind Vornamen wie Erika, Renate, Helga, Gerda usw. für die Zeit um 1900 und die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts unglücklich gewählt, denn damals gab es diese Namen in Klein-Omor noch nicht. Störend wirkt die Schreibweise „Sep“ für Josef, diesbezüglich war bei uns immer die Form „Sepp“ oder „Seppi“ gebräuchlich. Die deutsche Schreibweise für Buziasch, so im Roman, ist Busiasch. Und die Banater Hauptstadt Temeschburg (Pretz gebraucht diese Namensform und nicht Temeswar) heißt rumänisch nicht Timesuara, sondern Timisoara. Aber das nur am Rande.

In dichterischer Freiheit beschreibt der Autor, dass die Italiener in Klein-Omor den Weinbau eingeführt hätten, in der Realität aber haben sie sich um den Reisbau in der Gegend verdient gemacht. Ebenso fiktiv ist die Person des katholischen Pfarrers von Klein-Omor, der im Roman negativ dargestellt wird. Abgesehen davon, dass in Klein-Omor nie ein Pfarrer wohnte (er hatte seinen Sitz im benachbarten Groß-Omor), bekommt er sozusagen „sein Fett weg“. Es fällt auf, dass auch bei anderen Schriftstellern die katholischen Geistlichen oft in einem äußerst negativen Licht dargestellt werden. Ich möchte da nur an den „Teiwlspharre“ aus Glogowatz, einer von Josef Gabriel dem Jüngeren gestalteten Lokalsage, und an das Spottbild des Nitzkydorfer Pfarrers im 1987 erschienenen Buch „Barfüßiger Februar“ unserer Literaturnobelpreisträgerin erinnern. Selbstverständlich gab es auch schwarze Schafe unter den Priestern, aber das war bestimmt nicht die Regel, sondern eher die Ausnahme. Es war im Banat auch nicht üblich, den Pfarrer zu duzen („Setz dich“ oder „Ich muss mit dir was bereden“), war er doch immerhin eine Respektsperson gewesen. Bedauerlicherweise haben sich in den Text auch einige Druckfehler eingeschlichen.

Obwohl nicht im Banat geboren und aufgewachsen, erweist sich Pretz als ein profunder Kenner der Lebensweise der Banater Schwaben. Und er fühlt sich der Wahrheit verpflichtet und zeigt viel Verständnis für seine Romanfiguren. Auch wenn der Autor gelegentlich unangenehme Wahrheiten ausspricht, wird er nie verletzend. An keiner Stelle des Romans kommt Hass oder Verleumdung ins Spiel. Die Familiensaga „Und wir leben einfach weiter“ ist ein ehrliches und zutiefst humanes Buch. Man sollte den Roman von Joachim Pretz nicht mit dem Maßstab großer Weltliteratur messen, aber wir sollten ihm Beachtung schenken und ihn gebührend würdigen. „Es bleiben die Erinnerungen, und selbst die werden mit der Zeit immer blasser“, schreibt der Autor an einer Stelle seiner Familiensaga. Der Roman von Joachim Pretz ist ein willkommener Beitrag gegen das Vergessen und ein beachtenswertes Plädoyer zugunsten der Banater Schwaben.


Joachim Pretz: Und wir leben einfach weiter, Wagner-Verlag Gelnhausen, 2012, 299 Seiten, 14,80 Euro, ISBN 978-3-86279-329-7. Zu beziehen über den Buchhandel.