Die Teilnehmer der ersten Auflage der Literaturtage in Reschitza trafen sich 1991 und pflanzten einen symbolischen literarischen „Apfelbaum“: Am 9. Juni 1991 eröffnete der Initiator und Organisator Erwin Josef Ţigla die ersten Reschitzaer Literaturtage mit dem Motto „Lasst uns doch heute ein Apfelbäumchen pflanzen, auch wenn das Deutschtum in Rumänien morgen untergeht.“ Nach nunmehr 35 Jahren wurden wie all die Jahre davor die Früchte dieses literarischen Apfelbaums geerntet. Das „Deutschtum“ lebt weiter, repräsentiert durch wenige deutsche Bürger aus Rumänien, deutschsprachige Gäste und ehemalige Banater und Siebenbürger aus Deutschland. Das Plakat der Literaturtage 2025 in Reschitza trug das Symbol des reifen Apfels.
Zahlreiche Autoren, Moderatoren und Teilnehmer sind in die Jahre gekommen und neue, junge Autoren kamen hinzu. Seit Jahren bereichert die Veranstaltung die Verleihung des Rolf-Bossert-Gedächtnispreises, der während der Literaturtage verliehen wird, nämlich an den Gewinner (oder die Gewinnerin) des Wettbewerbs für Poeten, dessen Bewerber jeweils sieben Gedichte einreichen können. Rolf Bossert, die Symbolfigur der Reschitzaer Literatur, Mitglied der „Aktionsgruppe Banat“ (gegründet 1972) und bereits 1986 kurz nach seiner Ausreise in Frankfurt am Main verstorben, ist der Namensträger des literarischen Preises. Dieser ist im deutschsprachigen literarischen Raum mittlerweile etabliert und hat zahlreiche wertvolle Einsendungen (es waren mehr als 200 Bewerber) deutscher Poesie auf den Plan geholt. Die Gewinnerin von 2025 ist Nicola Quaß, gelernte Juristin aus Düsseldorf.
Die Alexander-Tietz-Bibliothek am Ufer der Bersau lädt wie gewohnt mit ihrem Lese- und Konferenzraum zur viertägigen literarischen Veranstaltung ein. In diesem Jahr eröffnete Erwin Josef Țigla die Veranstaltung mit der Präsentation des Buches überdie deutschen Literaturtage von 2016-2020, das als 122. Buchausgabe der Deutschen Vortragsreihe Reschitza erschienen ist. Das diesjährige Programm zeigte erneut die vielfältigen, bunten, multikulturellen und interkulturellen Beiträge: Albert Bohn, Werner Kremm und Anton Sterbling stellten ihre Zeitzeugen-Sammlung „Flucht der Deutschen aus dem Banat im Herbst 1944: Erzählberichte“ vor, erschienen 2024 in der Reihe „Banater Bibliothek“. Es folgte ein Beitrag von Udo Peter Puschnig aus Klagenfurt mit einer Dokumentation aus Kärnten, die auch Beiträge aus Rumänien beinhaltet. Zum Thema Erinnerung und Zeitgeschichte las Barbara Zeizinger aus ihrem Roman „Leben in Etagen“, 2025 im Pop-Verlag erschienen. Die Lesung aus dem Gedichtband von Franz Hodjak „Ehrenplatz im Jenseits. Gedichte. Mit elf Illustrationen von Astrid Hodjak“ (Pop-Verlag Ludwigsburg 2025) von Horst Samson war eine nachträgliche Hommage zum 80. Geburtstag Hodjaks. Edith Ottschofski, Temeswarerin aus Berlin, las einige ihrer unveröffentlichten Gedichte aus „wasserworte“ vor, die sie anschließend in Übersetzung von Nora Iuga auch in Bukarest vortragen sollte.
Zu den interkulturellen Beiträgen gehörte unter anderen die Ausstellungseröffnung im Universitätszentrum Reschitza zum Thema „Schreiben gegen den Krieg – Ingeborg Bachmann 1926-1973“ und „Paul Celan – unter den Wörtern“, organisiert vom Österreichischen Kulturforum Bukarest. Österreich war auch durch die renommierte Suhrkamp-Autorin Valerie Fritsch aus Graz vertreten, die am Samstagabend aus ihrem Roman „Zitronen“ vorlas. Weitere österreichische Teilnehmer waren der siebenbürgische Arzt und Autor Kurt Thomas Ziegler, der seinen Erinnerungsband vorstellte, sowie Christian T. Klein aus Hermannstadt, Preisträger des Rolf-Bossert-Gedächtnispreises 2023, mit neuen Gedichten zum Thema „Aus der Ferne gefallen“. Die Foto-Präsentation „Auf den Spuren der Inka“ von Éva Seiler-Iszlai führte die Teilnehmer mit bunten Fotos in die Welt der Inkas ein, durch Aufnahmen, die die Künstlerin auf ihrer Reise nach Peru letztes Jahr erstellt hatte. Auch das Nachbarland Ungarn trug mit bemerkenswerten Beiträgen aus Kunst, Kultur und Musik zur Veranstaltung bei: Christina Arnold aus Nadasch, die Leiterin der deutschen Radio-Redaktion in Fünfkirchen, moderierte und präsentierte eigene Gedichte und Kinderreime auf Deutsch. Gábor Ruda, Vorsitzender des Kulturvereins in Werischwar, organisierte die Fotoausstellung „Schein und Wirklichkeit“ mit interessanten Foto- und Kunstwerken ungarischer und ungarndeutscher Künstler, die viel Beachtung fand. Weitere ungarndeutsche Vertreter wie der Autor Josef Michaelis, Deutschlehrer aus Schomberg, präsentierten ihre Werke, darunter die Anthologie „Mehrstimmig“. Die Stimmen der Deutschen aus Slowenien waren durch Veronika Haring aus Maribor vertreten, die die Anthologie des Kulturvereins deutschsprachiger Frauen vorstellte und auf die Herausforderungen der deutschsprachigen Minderheit in Slowenien hinwies, die dort nicht als Minderheit anerkannt ist.
Dr. András F. Balogh (Babeș-Bolyai-Universität Klausenburg) stellte die dreibändige Ausgabe „Deutsche Sprache und Kultur in Rumänien 1918-1933“ vor - eine Recherchearbeit eines großen Teams von Mitarbeitern, geleitet von dem Germanisten Andrei Corbea-Hoisie aus Iassy. Nina May, Chefredakteurin der ADZ, wurde für ihr Buch „Das gibt’s doch gar nicht: Die Walachei ist nicht im Nirgendwo, sondern mitten unter uns“ (Pop-Verlag Ludwigsburg) mit dem Debüt-Preis des Pop-Verlags aus Ludwigsburg ausgezeichnet. Beatrice Ungar, Journalistin der Hermannstädter Zeitung, und Mariana Gorczyca aus Schässburg, Vizepräsidentin des rumänischen PEN, präsentierten das ins Deutsche übertragene Buch „Rubla, Ort ohne Schatten“ – die Geschichte eines Dorfes im Bărăgan, wo im Kommunismus viele namhafte politische Häftlinge deportiert waren. Weitere bekannte siebenbürgische Autoren wie Heinrich Hoechsmann und Dagmar Dusil lasen aus ihren Prosawerken. Dusil stellte ihren Roman „Das Geheimnis der stummen Klänge“ (Pop-Verlag Ludwigsburg 2023) vor, eine interessante Geschichte einer Familie im Kommunismus. Hellmut Seiler bereicherte die Veranstaltung mit einer Lesung aus seiner Poesie und Haiku-Schöpfung. Horst Samson moderierte die Präsentation des Buches von Yiani Mantsu: „Von den Aromunen, Vlachen, Makedo-Romanen“ (Timme-Verlag Berlin 2024), das die bunte Geschichte und Ethnogenese dieses Völkchens beleuchtet, das in fünf Balkanstaaten lebt, davon eine große Mehrheit in Rumänien. Bastian Kienitz aus Wittenberg und Britta Lübbers aus Oldenburg präsentierten bildreiche Poesie. Sprachpoesie feinster Art konnte man auch bei dem bekannten Autor Horst Samson genießen, der aus seinem neuen Gedichtband „Vom Auftauchen und Verschwinden der Landschaft“ (Pop-Verlag 2025) sowie sein Essay „Ein Molekül springt aus der Bahn - Vom Schreiben und Reiben an der Sprache und der Welt“ las. Sein Kollege Anton Sterbling las aus seinem Prosaband „Ungewissheiten heimwärts fliehender Krähen. Neuere Gedichte, Kurzprosa und Erzählungen“ (Pop-Verlag) sowie unveröffentlichte Gedichte. Die Bossert-Preisträgerin von 2021 Britta Lübbers aus Oldenburg erfreute wieder mit ihrer bilderreichen Poesie zum Thema „Osten“. Der Banater Autor und Journalist Balthasar Waitz las Ausschnitte seiner erfolgreichen Erlebnisgeschichten vor. Ein besonderer Moment während der Literaturtage war am Freitagnachmittag der bekanntesten rumänischen Dichterin Ana Blandiana gewidmet. Der neu aufgelegte Gedichtband „Geschlossene Kirchen“ (Pop-Verlag 2025) in der deutschen Übersetzung von Maria Herlo, Katharina Kilzer und Horst Samson war Thema einer Lesung mit den Übersetzern, zu denen sich Hellmut Seiler gesellte, der seine Übertragung in der Anthologie „Schwebebrücken“ (Noack&Block-Verlag Berlin 2021) vorlas. Auch Gedenkmomente an Helmuth Frauendorfer und den rumänischen Künstler und Dichter PAPI fanden während der Lesung statt.
Ein Höhepunkt der Veranstaltung war der Besuch im „Diaconovici-Tietz“-Nationalkolleg Reschitza, wo der Rolf-Bossert-Gedächtnispreis 2025 an die Dichterin Nicola Quaß verliehen wurde. Sie sprach in ihrer Dankesrede über die Einflüsse von Ost und West in ihrer Familie und las einige beeindruckende Gedichte aus ihrem letzten Band „Moorland“ vor. Da sie Rumänien zum ersten Mal besuchte, war sie beeindruckt von der Vielfalt der Nationen und Literaturen und von dem herzlichen Empfang in Reschitza.
Zum Abschluss der Literaturtage präsentierten am letzten Tag Mitglieder des Temeswarer Literaturkreises „Stafette“ (Arnold Schlachter, Benjamin Burghardt, Arthur Funk sowie die Schwestern Henrike und Lorette Brădiceanu-Persem) neue und alte Gedichte aus der neu erschienenen Anthologie des Literaturkreises. Einen interkulturellen Abschluss fand die Veranstaltung in Werschetz im serbischen Teil des Banats, wo alle dichtenden Teilnehmer in der Bibliothek der Stadt aus ihren Gedichten und Prosastücken lasen. Frohen Mutes aufgrund zahlreicher Anregungen, Begegnungen und interessanter Gespräche versprachen die mehr als 40 Teilnehmer dieses Jahres, sich auch im nächsten Frühling wieder zu treffen, wenn Erwin Josef Țigla die 36. Literaturtage eröffnen wird.