Vor gut 50 Jahren wurde es erbaut und seiner Bestimmung übergeben: Das Haus der Donauschwaben in der Goldmühlestraße in Sindelfingen, das sich – wie in der Homepage des Hauses zu lesen ist – als „das geistige, kulturelle und emotionale Zentrum der weltweit verstreut lebenden Donauschwaben“ und als „Kristallisationspunkt des donauschwäbischen Kultur- und Gemeinschaftslebens“ bewährt hat. Unzählige Tagungen, Ausstellungen, Vorträge, Lesungen, oder Konzerte finden hier statt, ebenso Theateraufführungen und Auftritte donauschwäbischer Tanzgruppen. Das Haus verfügt über eine donauschwäbische Spezialbibliothek und ist Sitz des Arbeitskreises donauschwäbischer Familienforscher (AKdFF).
Nach fünfzig Jahren wurde es nun großzügig renoviert. Dabei schenkten die Verantwortlichen der Neugestaltung des Eingangsbereichs und der Ausstellungsräume besondere Aufmerksamkeit. Zeitgemäß, attraktiv und informativ sollte die neue Ausstattung werden – das war das Ziel, das sich der Vorstand des Vereins Haus der Donauschwaben gesetzt hatte. Raimund Haser, MdL, ist Vorsitzender des Vereins. Seine Stellvertreter sind Dr. Vöhringer, der Sindelfinger OB, und die Historikerin Dr. Hertha Schwarz, Vorsitzende des AKdFF.
Für die Umsetzung des Vorhabens war Dr. Hertha Schwarz zuständig. Sie hat das Konzept der Ausstellung entwickelt. Professionelle Unterstützung in technischen Belangen erhielt sie von der Grafikerin Polina Maykova und der Szenografin Gitti Scherer. Den drei Damen ist Hervorragendes gelungen.
Der neu gestaltete Ausstellungsraum
Der Ausstellungsraum zieht die Besucher sofort durch seine Helligkeit in ihren Bann und durch die Harmonie der Farben: viel Weiß, mehrerlei Blau, sparsam gesetzte Grautöne, das warme Hellbraun des Holzes. Der Raum scheint mir jetzt viel größer zu sein als vor der Umgestaltung, obwohl er, wie mir Hertha Schwarz versicherte, bei der Renovierung erheblich verkleinert wurde.
Eine ganze Wand wird von einer Karte eingenommen. Sie ist das Herzstück der Ausstellung. Ein intensives Blau lenkt den Blick des Betrachters auf die Siedlungsgebiete der Donauschwaben im Königreich Ungarn: auf Augenhöhe, im wahrsten Sinn des Wortes „begreifbar“. Die Lage und Größe des Königreichs Ungarn, des heutigen Ungarn, der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, werden farblich diskret aufgezeigt. Eine weiße gestrichelte Linie weist auf die Grenzen der osmanischen Expansion im Jahr 1683 hin. Moderne Staatsgrenzen, große Städte und Flüsse sind eingezeichnet und erleichtern die Orientierung. Außerdem gibt die Karte die Herkunftsgebiete der deutschen Siedler an. Sie informiert auch über andere Gebiete im Osten, in denen es vom 11. bis zum 20. Jahrhundert deutsche Siedlungen gab.
All das befindet sich gleichzeitig im Blickfeld dessen, der vor der Karte steht. Sie vermittelt ihm ein realistisches Bild von Ländergrößen und Entfernungen. Auf einen Blick erfasst er, wo die donauschwäbischen Siedlungsgebiete (Batschka, Schwäbische Türkei, Syrmien, Slawonien, das Schildgebirge) liegen, von denen den meisten von uns nur die Namen bekannt sind.
Leitsystem der Ausstellung ist ein Fries, der entlang der Oberseite dreier Wände verläuft und auch einige Fensterflächen mit einbezieht. Er stellt die Geschichte der Deutschen in Südosteuropa dar – vom Beginn der Ungarn-Auswanderung im 11. Jahrhundert bis 1989, dem „Ende einer Ära“. Schwarz auf weißem Grund, sehr gut lesbar, sind darauf wichtige Jahreszahlen vermerkt. Stichworte und z.T. kurze Sätze nennen die jeweiligen historischen Ereignisse in deutscher und in englischer Sprache.
Für die Vertiefung und Veranschaulichung in Text und Bildern werden die Wandflächen unterhalb des Frieses genutzt. So z.B. widmet sich der erste Teil der Ausstellung mit der Überschrift: „Die Ungarn-Auswanderung“ dem „Traum vom besseren Leben“ und informiert über die „Schwabenzüge“.
Ausformung einer eigenen Welt
Um die „Ausformung einer eigenen Welt“ geht es in dem Teil der Ausstellung, der das für die Donauschwaben prägende 18. Jahrhundert zum Thema hat. Es wird auf zwei Flächen präsentiert, die zueinander senkrecht stehen. Auf der einen, der Wandfläche, wird über das „Ansiedlungsgeschäft“ informiert. Manch ein Besucher trifft hier Bekanntes an: Die Ulmer Schachtel z.B., den Ortsplan von Schöndorf, Baupläne von Kolonistenhäusern, einen Wiener Pass von 1767, ausgestellt für eine Auswanderergruppe, und die berühmte MercyKarte. Auf der anderen Fläche, dem Raumteiler, haben die Ausstellungsmacher die Themen „Konfessionen und Ethnien“ und „Die Regulierung der Landschaft“ sehr originell illustriert: Vor dem Hintergrund, bestehend aus zwei Landkartenausschnitten, ist – plastisch hervortretend – der übergroße Bauplan einer Barockkirche zu sehen.
Die ältere Karte (linke Seite) zeigt Tschanad als Haufendorf, die neuere (auf der rechten Seite) als Dorf mit geometrischem Grundriss. Dazu heißt es im Text: „Die unterschiedlichen ethnischen Gruppen, die im Königreich Ungarn lebten, bekannten sich auch zu unterschiedlichen Religionen und Konfessionen. […] In auffallendem Gegensatz zu dieser Vielzahl an Ethnien, Religionen und Konfessionen steht das einheitliche Erscheinungsbild der Siedlungen in Südungarn. […] Noch im ausgehenden 18. Jahrhundert lebte die alteingesessene Bevölkerung dort in Haufendörfern. Die Landesadministration kümmerte sich nicht nur um die Neugründung von Ortschaften, sondern wandelte die alten Dörfer durch sog. „Regulierung“ in moderne Orte mit geometrischem Grundriss um. […]
Am deutlichsten wird diese „Regulierung“ in der Kirchenarchitektur. Die Gotteshäuser aller christlichen Konfessionen sind im typischen Barockstil des 18. Jahrhunderts errichtet. Katholische und serbisch-orthodoxe Kirchen sehen entgegen aller Tradition völlig gleich aus. Der Typus der Barockkirche wird so zum übergreifenden Symbol des südlichen Ungarns.“
Wie sich „Das Königreich Ungarn“ vom Vielvölkerstaat zum intoleranten Nationalstaat wandelte, zeigt der folgende Teil der Ausstellung. Er bezieht sich auf die Zeit von 1848 bis 1920, thematisiert also die Magyarisierung, den Ersten Weltkrieg, den Vertrag von Trianon. Sehr eindrucksvoll wird der Krieg mit seinen Auswirkungen auf Ungarn und somit auf die Donauschwaben dargestellt: Eine schwarze, glänzende, mit weißen Buchstaben beschriebene Stele schiebt sich in den Raum. Der Text auf der Stele wird durch schräge, an Schwerthiebe erinnernde weiße Striche geradezu zerstückelt. Die Zerstückelung des Landes veranschaulicht eine Karte unterhalb des Textes.Auf der Rückseite der Stele wird die Zwischenkriegszeit dargestellt.
Die Nachkriegsgeschichte als Erfolgsgeschichte
Viel Raum wird in der Ausstellung dem Zweiten Weltkrieg und den Jahren danach gegeben. Eine angemessene Beschreibung der mit „Der zweite Weltkrieg“, „Verlust und Neubeginn“ und „Das Ende einer Ära“ betitelten Teile der Ausstellung würde den Rahmen meines Beitrags sprengen. Ich verzichte auch deshalb darauf, weil diese Themen aus gegebenen Anlässen in den zurückliegenden Monaten in allen unseren Publikationen vorherrschend waren.
Auf das folgende Bild, das weiter oben im Hintergrund zu sehen ist, möchte ich besonders hinweisen: Als „Erfolgsgeschichte“ bezeichnet Dr. Hertha Schwarz die Integration der Donauschwaben in der Bundesrepublik, in Österreich und Übersee, die größtenteils unter Wahrung der Identität stattgefunden hat. Herausragende Persönlichkeiten und Leistungen von Donauschwaben setzt sie eindrucksvoll, für den Besucher gut sichtbar ins Bild: Annemarie Ackermann (1913-1994), geboren in Parabutsch, „eine der ersten weiblichen Bundestagsabgeordneten, Mitglied in drei parlamentarischen Ausschüssen: Lastenausgleichs-, Vertriebenen- und Verteidigungsausschuss“. Hinzu kommen die beiden Nobelpreisträger Herta Müller, geboren 1953 in Nitzkydorf, Nobelpreis für Literatur 2009, und Prof. Dr. Stefan Hell, geboren 1962 in Arad, Nobelpreis für Chemie 2014 sowie die Cooperativa Agrária, Entre Rios. Das ist die durch Eigeninitiative der donauschwäbischen Siedlergemeinschaft in Brasilien gegründete Genossenschaft, „heute der größte Malzproduzent Südamerikas“.
Schwäbische Lebenswelten
Mit den „Schwäbischen Lebenswelten“ setzt sich die interaktive Station der Ausstellung auseinander. Hertha Schwarz nennt sie „Kachelwand“.
Die Station besteht aus 30 drehbaren Kacheln. Jede von ihnen beleuchtet einen Aspekt schwäbischen Lebens. Das Bild auf der Vorderseite gibt zu erkennen, welchen. Meistens, denn manche Bilder werfen Fragen auf. Die Antwort steht auf der Rückseite. Man braucht die Kachel also nur zu drehen. Zum Beispiel: Wer in der oberen Kachelreihe die dritte von links umdreht, erfährt:
„Die donauschwäbische Küche steht ganz in der Kochtradition der Österreichisch-Ungarischen Monarchie mit ihren Einflüssen aus Böhmen und dem Balkan. Feine Mehlspeisen, „Zuspeisen“, „Zwetschgenknödel“ und das „gefüllte Kraut“(Sarma) – Rouladen aus Sauerkohl mit Fleischfüllung – sind klassische Gerichte der schwäbischen Küche.“
„Von Schwaben in Stadt und Land und ihrer Selbstdarstellung“: Über die vier Kacheln in der Mitte der Wand zieht sich dieser Titel hin. Auf ihren tiefblauen Rückseiten ist u.a. zu lesen: „Wer nach Informationen über ‚Donauschwaben‘ sucht, trifft auf die romantisierende Darstellung einer rückständigen bäuerlichen Gesellschaft. Dieses sehr einseitige und künstlich erschaffene Zerrbild blendet das städtische Leben der (Donau)-Schwaben völlig aus. Ihre städtische Kultur, ihre weitläufigen Beziehungen und ihr hoher technologischer Standard bleiben unerwähnt.“
„Die donauschwäbische bäuerliche Bevölkerung zählte aufgrund ihrer Wirtschaftsweise und dem frühen Einsatz von Maschinen zu den fortschrittlichsten in Europa. […] Mit ihrer Prägung und ihren Sprachkenntnissen konnten sie sich ungehindert von der Adria bis in die Ukraine und von Nordböhmen bis nach Bosnien bewegen.“ „Es ist ein historisches Kuriosum, dass die (Donau)-Schwaben als Angehörige einer von tatsächlicher Vielfalt geprägten Kultur nach 1945 begannen, von sich selbst das Bild einer rückständigen, homogenen und reaktionären Gruppe zu zeichnen.
Die ihnen in Deutschland oft entgegengebrachte Ablehnung und die mangelhafte Empathie für ihr tragisches Schicksal dürften nicht zuletzt in dieser zweifelhaften Selbstdarstellung begründet sein.“
Auch sie gehören zu den schwäbischen Lebenswelten: Aspekte, die eine kritische Beurteilung erfordern, und Sachverhalte, die nachdenklich machen.
Ein Besuch im Haus der Donauschwaben in Sindelfingen ist vielen zu empfehlen: Allen Landsleuten, die sich in der Materie auskennen; der jungen Generation, die interessiert ist und Fragen stellt; den Nachkommen donauschwäbischer Eltern, die in reifen Jahren mit Bedauern feststellen, dass ihr Wissen um die Herkunft ihrer Vorfahren lückenhaft ist, denn: „Sie haben mir ja nichts gesagt…“.
Und nicht zuletzt den „Einheimischen“, damit sie uns und unsere Wurzeln in dem Umfeld, in dem wir schon seit vielen Jahren zusammen mit ihnen leben, richtig einordnen können.