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Das Ungesagte wirkt in uns allen fort - Podiumsdiskussion im Rahmen der zentralen Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestag der Deportation in die Sowjetunion

In einer Podiumsdiskussion versuchten Vertreter der Enkelgeneration sich „an das Ungesagte“ anzunähern. Foto: Jürgen Griebel

Filmausschnitte und Interviews zeigte der Fotograf Marc Schroeder. Foto: Jürgen Griebel

„Wir erinnern unser Leben anhand einzelner aufscheinender Momente“, erklärt Iris Wolff Foto: Karin Bohnenschuh

Das Trauma der Großeltern stand unter dem Druck der Tabuisierung, findet Erika Möwius. Foto: Karin Bohnenschuh

Heike Schuster setzt Geschehnisse und Emotionen in Tanz um. Foto: Jürgen Griebel

Zwei Schulfreunde aus der Generation der Nachgeborenen: Rainer Kierer und Wilfried Michl (im Foto re) geben der Entfremdung von Mutter und Tochter als Folge der Deportation Stimme und Klang. Foto: Jürgen Griebel

Aus Anlass des 80. Jahrestages der Deportation fast aller arbeitsfähigen Rumäniendeutschen zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion veranstaltete der Bundesverband unserer Landsmannschaft gemeinsam mit dem Verband der Siebenbürger Sachsen, der Kulturreferentin für den Donauraum sowie der Kulturreferentin für Siebenbürgen, Bessarabien, die Dobrudscha und den Karpatenraum eine Gedenkveranstaltung im Stadthaus Ulm. Von Seiten unseres Bundesvorstands  befanden sich außer dem Bundesvorsitzenden auch seine Stellvertreter Christine Neu und Jürgen Griebel sowie die HOG-Sprecherin Anita Maurer im Publikum, nebst vielen weiteren interessierten Landsleute aus nah und fern. Über die Gedenkreden berichteten wir ausführlich in der letzten Banater Post.  Der Hauptteil der Veranstaltung war jedoch eine Podiumsdiskussion, deren Teilnehmer sich auf künstlerische Weise dem Thema Deportation angenähert hatten. Sie stand unter der Überschrift: „Annäherungen an das Ungesagte – Die Deportation in der Kunst.“ Die Moderatorin Dr. Heinke Fabritius sprach mit den vier Podiumsteilnehmern, die mit einer Ausnahme der Enkelgeneration der Deportierten zugehören.

Fotografien

Die Ausnahme ist der Fotograf Marc Schroeder – er hat keinerlei biografischen Bezug zur Deportation, geriet eher durch Zufall an das Thema: Als gebürtiger Luxemburger kam er vor gut 20 Jahren nach Siebenbürgen, weil er gehört hatte, dass die dortige Mundart dem Letzeburgischen seiner Heimat ähneln soll. Im Gespräch mit  Siebenbürger Sachsen erfuhr er von der „Deportation“ – ein Thema, das offenbar alle beschäftigte, von dem er selbst aber noch nie gehört hatte. In einem groß angelegten Projekt, das dann teils auch vom Rumänischen Kulturministerium gefördert wurde, entstand das später mit Preisen ausgezeichnete Fotobuch „ORDER 7161“ – ein eindrückliches Dokument, das die Erinnerungen von 40 Zeitzeuginnen und Zeitzeugen der Deportation enthält, die Schroeder in allen Teilen Rumäniens interviewt hatte. Filmausschnitte aus den Interviews  wurden in Ulm eingeblendet. Neben den Filmen hat Marc Schroeder auch statische schwarz-weiß Fotos der Interviewpartner angefertigt, die sie abseits ihrer Lebensrealität in ihre Erinnerungen versunken zeigen. Die Fotos, die schon mehrfach in Ausstellungen gezeigt wurden, verknüpfen die geschilderten Erlebnisse mit Gesichtern. Im Podiumsgespräch stellte sich heraus, dass von den vor 20 Jahren Befragten wohl kaum noch welche am Leben sein dürften. Einer davon ist der hochbetagte Ignaz Fischer in Temeswar, der dort nach der Wende den Verein der ehemaligen Russlanddeportierten gegründet hat.

Erinnerungen

Um Erinnerung geht es auch in den Werken der Schriftstellerin Iris Wolff, die in Siebenbürgen geboren wurde und in den 1980er Jahren als Kind mit ihren Eltern in die Bundesrepublik kam. In all ihren Büchern setzt sie sich mit den Befindlichkeiten der Menschen in verschiedenen Regionen Rumäniens auseinander, mit der Gespaltenheit der Existenzen ihrer Eltern- und Großelterngeneration zwischen den Welten. Der Titel ihres letzten  Romans, „Lichtungen“, deutet auf die Begrenzung von Erinnerung hin. „Wir erinnern unser Leben anhand einzelner aufscheinender Momente“, erläutert die Autorin in der Podiumsdiskussion. Erinnerung sei kein Kontinuum. Der Roman stand monatelang auf den Bestsellerlisten und auch auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis – ein Zeichen dafür, dass die spezielle Thematik einer Freundschaft mit Schauplätzen in der Maramuresch, Siebenbürgen, dem Banat und der Schweiz, auch beim deutschen Lesepublikum ohne biografischen Bezug ankommt. Sie versuche die Geschichten immer aus der „Innenperspektive“ der Figuren zu erzählen, sich über Generationengrenzen in sie hineinzuversetzen, erklärte sie dem Publikum. Ihre Romane sind ein beredtes Beispiel dafür.

Gefühle

Mit den Mitteln der Malerei befasst sich Erika Möwius mit der Deportation. Die in Liebling geborene Künstlerin kennt die Russlandverschleppung aus den Erzählungen der Großeltern, die ihr Trauma unter dem Druck der Tabuisierung nur bruchstückhaft erzählten. Die Not, die mit diesem Thema verbunden war, spürte sie – wie so viele ihrer Generation – schon als Kind. Unausgesprochen blieb aber auch die Not ihrer Elterngeneration, die dem Kind ebensowenig verborgen blieb. Das war die Generation, die durch die Deportation jahrelang von den eigenen Eltern getrennt worden war, die das Gefühl des Verlassenwerdens und der Entfremdung erdulden musste.

Mit farbkräftigen Bildern, von denen einige für das Publikum projiziert wurden,  zeigt Möwius, wie die Erinnerungen das Verhältnis der Generationen bis in die Gegenwart prägen. Sie beleuchten die Erlebnisse der Deportation aus der Enkelsicht, aber auch die danach folgende Entwurzelung in einer vollkommen veränderten Welt. Sinnbildlich zeigt ein Bild die Einsamkeit der Alten vor dem Fernseher, der als Ersatz für die Großfamilie und Gemeinschaft dient. Die Künstlerin hat mehrere eindrucksvolle Bilderserien zum Thema „Kriegsenkel“ gemalt, die immer wieder in Ausstellungen gezeigt werden.

Bewegungen

Auf ganz andere Weise nähert sich die in Kronstadt geborene Tänzerin Heike Schuster der Deportation: Die Erzählungen ihrer Großmutter über die Einzelheiten der Verschleppung und des Lagerlebens haben sie zu einer tänzerischen Performance inspiriert. Auf der Grundlage von Körperbewusstsein, bewusster Atmung und kontrollierten Bewegungen setzt sie Geschehnisse und die damit verbundenen Emotionen performativ um. Im Rahmen der Veranstaltung präsentierte sie dem Publikum einen kurzen Ausschnitt aus einer abendfüllenden Performance zur Deportation: „Gleis 3“, wo der Moment der Verladung der Deportierten in die Viehwaggons auf beeindruckende Weise seinen gestalterischen Ausdruck findet.

Gedicht und Gesang

Außerhalb der Podiumsdiskussion genoss das Publikum noch eine weitere künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema Deportation: Rainer Kierer, 1953 in Orzydorf geboren, gehört auch der Generation der Nachgeborenen an, die mit dem Tabu-Thema der Deportation in der Kindheit konfrontiert waren. Seine Eindrücke hat er in einem Gedicht in banatschwäbischer Mundart verarbeitet: „Banat `49“.  Es handelt von der Rückkehr einer Frau aus der Deportation nach fünf langen Jahren, die von ihrem eigenen Kind nicht erkannt wird.  Die Entfremdung ganzer Kindergenerationen von ihren Eltern ist eine der dramatischsten Erschütterungen in den Familien der Deportierten, auch festgehalten in einem bekannten Bild von Franz Ferch. Das ergreifende  Gedicht hat der ebenfalls aus Orzydorf stammende Schulfreund von Rainer Kierer, der Musiker Wilfried Michl, vertont und als Bariton mit der Klavierbegleitung von Tobias Schmid dem Publikum in Ulm dargeboten. Es ist – neben anderen Liedern aus der Zusammenarbeit der beiden Orzydorfer – auch auf der kürzlich erschienenen CD „Luschtiche und ernschte Lieder iwers Banat“ zu hören.

Zeugen der Erinnerung

Deportation, das ist das Fazit des Publikums nach den emotionalen und beeindruckenden Beiträgen derPodiumsdiskussion und den künstlerischen Darbietungen, hört mit der Erlebnisgeneration nicht auf. Zum 75. Jahrestag konnten Zeitzeugen noch selbst über das Erlebte berichten. Der Aufruf der Veranstalter in den Saal, dass sich ehemalige Deportierte, sofern anwesend, melden sollten, blieb diesmal ohne Resonanz. Es meldete sich jedoch Herwig Ochsenfeld aus Frankfurt, der in der Deportation geboren ist. Ein Zeitzeuge, der die Erinnerung besonders einprägsam in seiner Biografie trägt. Dem Aufruf zum Gruppenbild von Kindern und Enkeln der Deportierten folgten dagegen viele der im Saal Anwesenden. Sie alle sind Zeugen der Erinnerungen ihrer Eltern und Großeltern. Auf verschiedene Weise setzen sie sich mit dem Thema auseinander, das die Familiengeschichten der Rumäniendeutschen fast ausnahmslos geprägt hat. Die künstlerischen Ausdrucksformen, die in der Podiumsdiskussion gezeigt wurden, dienen uns Nachgeborenen zum empathischen  Verständnis für die lange unterdrückten und von uns oft nicht wahrgenommenen Nöte unserer Eltern und Großeltern. Das ging aus vielen Gesprächen hervor, die im Nachklang der Veranstaltung stattfanden. Das Gedenken, darüber waren sich alle einig, kann und darf mit der Erlebnisgeneration nicht aufhören, zu nachhaltig wirkt das Erlebte in die Folgegenerationen hinein.