Es war nicht viel, was die aus den sowjetischen Zwangsarbeitslagern entlassenen donauschwäbischen Deportierten bei ihrer Heimkehr mitnahmen: ein paar Habseligkeiten und das ein oder andere Erinnerungsstück, verstaut in einem Koffer. Manches davon wurde aufbewahrt, oft ein Leben lang, und irgendwann von den Zeitzeugen selbst oder nach deren Tod von den Angehörigen dem Donauschwäbischen Zentralmuseum in Ulm überlassen. Mit jedem dieser Gegenstände aus der Zeit der Deportation ist eine Geschichte, ein persönliches Schicksal verbunden. Daran hängen Erinnerungen an Erlebtes und Erlittenes, an traumatische Erfahrungen, die sich tief in die Seele eingegraben haben, aber auch an vielfach erfahrene Mitmenschlichkeit, Freundschaft und Zuneigung.
Anlässlich des 80. Jahrestages der Deportation von Deutschen aus Südosteuropa zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion, von der auch ca. 90000 Donauschwaben aus Rumänien, Jugoslawien und Ungarn betroffen waren, erinnert das Donauschwäbische Zentralmuseum (DZM) mit einer Kabinettausstellung an eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte dieser Volksgruppe. „Verschleppt – Donauschwäbische Erinnerungen an die Zwangsarbeit in der Sowjetunion“ lautet der Titel dieser von Amelie Bach, wissenschaftliche Mitarbeiterin am DZM, kuratierten Ausstellung. Die kleine Schau nähert sich den Ereignissen anhand ausgewählter Lebensgeschichten und Gegenstände aus der Sammlung des Museums.
Geschichten von Deportierten
Es sind zehn Biografien von deportierten Frauen und Männern, die stellvertretend für abertausende Schicksale stehen. Einzelne Fotos und Dokumente, persönliche Gegenstände und Erinnerungsstücke, Zitate und erläuternde Texte vermitteln ein Gesamtbild dieser Schreckenszeit, die für die Mehrzahl der Verschleppten fünf lange Jahre dauerte.
Fern der Heimat, getrennt von ihren Lieben und im Ungewissen darüber, ob sie den nächsten Tag überleben, mussten sie in Lagern im Donezbecken und im Ural ihr Dasein fristen und Sklavenarbeit leisten. Über die widrigen Umstände – permanente Unterernährung, extreme Kälte, harte Arbeit, schlechte hygienische Bedingungen und unzureichende medizinische Versorgung – geben Texttafeln und einige repräsentative Exponate Auskunft.
Die Deportierten wurden wie Nummern behandelt, „als namenlose Ressource für den Wiederaufbau der Sowjetunion“. Was zählte, war allein ihre Arbeitskraft. In den Lagern wurde nur das Mindeste getan, um diese zu erhalten. „Von allem zu wenig“, steht auf einer der Tafeln: Es fehlte an nahrhaftem Essen, an warmer Kleidung, an menschenwürdigen Unterkünften und Arbeitsbedingungen, an medizinischer Versorgung im Falle von Krankheiten oder Verletzungen. Der Tod der an Körper und Seele geschundenen Menschen wurde billigend in Kauf genommen. Ungefähr 15 Prozent der Verschleppten überlebten die Deportation nicht. Von manchen blieb nicht mehr als ein Foto – so etwa von Margarethe Szierer aus Etsching/Ecsény (Ungarn), die im Arbeitslager starb.
Geschichten der Exponate
Berührend, geradezu aufwühlend sind nicht nur die in der Ausstellung erzählten Lebensgeschichten, sondern auch jene Geschichten, die sich hinter den Exponaten verbergen und von den Besuchern entdeckt werden wollen. So zum Beispiel das Schicksal der Ungarndeutschen Emilie Krug, die als 19-Jährige verschleppt wurde. Sie durchlief drei Lager in fünf Jahren, musste zunächst zehn bis zwölf Stunden täglich Holz und Kohle verladen, dann in einem Kohlebergwerk schuften, um nach einer Malariaerkrankung in einem Sägewerk eingesetzt zu werden. Halt fand sie in ihrem tiefen Glauben – davon zeugen die beiden Erinnerungsstücke, die sie aus dem Donbass mitgebracht hat. Bei ihrer Deportation hatte sie ein kleines Marienbild mitgenommen. Dafür fertigte sie in aufwändiger Handarbeit aus Materialien, die sie im Lager fand, einen kunstvollen Rahmen. Bis zu ihrem Tod hing das Bild im Wohnzimmer. Ihre Angehörigen erfuhren seine Geschichte erst, als sie beim Abhängen des Bildes die Beschriftung auf der Rückseite entdeckten: „Erinnerung aus / Russland, dieser / Traht, ist aus der Kohlen / Grube No. 13 in / Gornyatzky 1948 Jan“. Das zweite Erinnerungsstück ist ein ebenfalls im Lager hergestelltes Holzkreuz.
Eva Porst, 1921 in Glogowatz geboren, dienten persönliche Gebrauchsgegenstände – eine Jacke, ein Kopftuch, ein Löffel und ihre Zahnbürste mit Behälter – als Andenken an die Deportationszeit. Sie hatte diese Dinge 1948 bei ihrer Entlassung aus einem Lager bei Kriwoi Rog, wo sie drei Jahre lang 360 Meter unter der Erde im Schacht „Rosa Luxemburg“ zur Eisenerzförderung eingesetzt war, in ihre Heimat mitgenommen und ein Leben lang aufgehoben. 1990, als sie von Glogowatz nach Deutschland zog, befanden sich die Erinnerungsstücke in ihrem Gepäck. Eva Porst lebte noch einige Jahre in Kissing bei Augsburg.
Nicht nur der Glaube, sondern auch wahre Freundschaften oder die Liebe zweier Menschen zueinander konnten in diesen schweren Zeiten Halt geben. Davon erzählen die Geschichten von Rosalie Wilhelm und Imre Tillinger. Die aus der Nähe von Budapest stammende Rosalie freundete sich in einem georgischen Lager mit einer gleichaltrigen Landsmännin an. Diese schenkte ihr zum 21. Geburtstag ein Gebetbuch, in das sie hineingeschrieben hatte: „… mögest Du so glücklich sein, wie Du es Dir in Deinen Träumen vorstellst“. Der Wunsch der Freundin ging in Erfüllung. Bereits während des Transportes in die Sowjetunion hatte Rosalie Wilhelm den Sathmarer Schwaben Imre Tillinger kennengelernt, der bei einer Straßenkontrolle in Budapest aufgegriffen worden war und in dem gleichen Waggon landete. Beide verliebten sich im Lager ineinander und sparten jeweils einen Teil ihres kargen Lohns, um für den anderen ein Geschenk anfertigen zu lassen. So schenkte er seiner Rózsika ein Holzkästchen mit gravierter Widmung auf dem Deckel, während ihr Geschenk an Imre ein Schachspiel war, ebenfalls mit einer liebevollen Widmung. Diese Erinnerungsstücke nahmen Rosalie Wilhelm und Imre Tillinger nebst ihrem wenigen Hab und Gut in einem grob gezimmerten Holzkoffer mit, als sie 1947 gemeinsam in die Heimat zurückkehren durften. Danach benutzten sie den Koffer nie wieder. Er stand bis 2007 unberührt im Keller ihres Hauses in Budapest. Nun steht er in der Ausstellung als stummer Zeuge einer Geschichte, die ein Happy End fand.
Bewältigungsstrategien der Überlebenden
Die nüchtern erzählte und anschaulich präsentierte Deportationsgeschichte thematisiert auch die Herausforderungen, vor denen die Zwangsverschleppten nach ihrer Heimkehr standen, die unterschiedlichen Bewältigungsstrategien des Erlebten während der Deportation und nach der Entlassung, als das Geschehen hinter dem Eisernen Vorhang tabuisiert wurde und die meisten ihre Erinnerungen allein verarbeiten mussten, wie auch das erst spät, nach der Wende 1989/90 einsetzende kollektive Gedenken an die Russlanddeportation.
Die Kabinettausstellung ist bis zum 21. April zu sehen. Empfehlenswert ist auch die Sonderausstellung „Schwerer Stoff. Frauen – Trachten – Lebensgeschichten“, die ebenfalls bis zum 21. April läuft. Das Donauschwäbische Zentralmuseum in Ulm ist Dienstag bis Freitag von 11 bis 17 Uhr, samstags sowie an Sonn- und Feiertagen von 10 bis 18 Uhr geöffnet.