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SchwabenLand-Museum Charlottenburg: Aus der Vergangenheit Zukunft gestalten

Historische Fotos erzählen im SchwabenLand Museum vom früheren Leben in Charlottenburg: Hier eine Charlottenburger Kirchweih. Archivbilder: Erhard Berwanger

Bauernstube mit Webstuhl Farbbilder: Katharina Kilzer

Gruppenbild des Charlottenburger Männergesangsvereins 1931

Ein Blick in die typische Bauernstube mit Kredenz, Wiege und Frauentrachten

Es war die Zeit des Spätbarocks, als österreichische Ingenieure die Dörfer des Banats auf dem Reißbrett entworfen haben. Neben der Besiedlung der Festung Temeswar nach der Eroberung durch die Habsburger wurden in drei Wanderzügen deutsche Siedlungen im Banat gegründet. Die dörfliche Siedlung wurde das Sinnbild einer in sich ruhenden Gemeinschaft. Die meisten Dörfer erhielten quadratische oder rechteckige Formen, wie etwa Schöndorf oder Engelsbrunn. Auch mein Geburtsort Jahrmarkt ist wie ein Rechteck angelegt. In der Mitte stand immer die Kirche, von da gingen die Straßen mit den Wohnhäusern aus.
Das einzige Runddorf im Banat
Das Dorf Charlottenburg, etwa 40 Kilometer von Temeswar entfernt in der Heckenlandschaft des nordöstlichen Banats gelegen, wurde 1771 kreisförmig angelegt. Es ist das einzige Runddorf im Banat und war ein funktionales Kunstwerk der spätbarocken Zeit. Das Dorf wurde während der zweiten Kolonisierungswelle mit 131 deutschen Kolonisten (32 Familien) von Graf Karl Ignaz Clary-Altringen besiedelt. Im Runddorf umfährt man den Mittelplatz auf der einspurigen Straße mit Blick auf die Kirche und die Schule auf einem großen Innenplatz zwischen Nussbaum und sonstigen Laubbäumen. Ursprünglich war dort auch ein Brunnen, umgeben von Maulbeerbäumen wie überall im Banat. Wie auf der Homepage www.sarlota.de von Erhard Berwanger zu erfahren ist, kamen die Siedler aus der Grafschaft Tirol, aus Lothringen, aus Baden und Württemberg, dem Rheinland und der Rheinpfalz, aus Bayern und Österreich.
In dem kleinen Dorf, wo die „Welt schun bucklich ist“ wohnten in einem „scheene Baurehaus mit Hof un Garte zwaa liewi alti Leit“ im Haus Nummer 12: der „Vetter Schmidt Ernest un sei Weib, es Bäsl Rosalia“. Laut einem NBZ-Bericht von Eduard Schneider vom 4. Februar 1989 feierten die beiden an dem Februartag Diamantene Hochzeit. In den damals (kurz vor der Wende) noch sechzehn Häusern, in denen noch echte Charlottenburger lebten, waren viele Witwen und Witwer, die das Dorf nicht Richtung Deutschland verlassen hatten. Vetter Ernest war 83 und Bäsl Rosalia 75 Jahre alt und sie arbeiteten gemeinsam in ihrem traditionellen schwäbischen Haus und Hof. Ihr Dorf zu verlassen, hatten sie nie im Sinn, obwohl nach der Wende fast alle Dorfbewohner aussiedelten. Ernest war im Dorf stets als Helfer bei der Schweineschlacht dabei und Rosalia arbeitete in Haus und Garten und versorgte die vier gemeinsamen Kinder – eine Rollenverteilung, wie sie damals üblich war in schwäbischen Haushalten. Im Alter von 15 Jahren hatte Rosalia am 5. Februar 1929 Ernest geheiratet und bald musste sie allein Haus und Hof versorgen, da sowohl ihre Schwiegermutter als auch ihre Mutter verstarben. 1945 wurde ihr Mann mit 22 anderen Charlottenburgern in den Donbas deportiert, und so musste die Frau vier Kinder allein versorgen, bis ihr Mann 1948 zurückkehrte, zusammen mit weiteren 16 Dorfbewohnern. Sechs waren in Russland verstorben. Ernest arbeitete dann als Waldarbeiter in Aliosch und später als Elektriker bei den Hochleitungen, um die große Familie zu versorgen. Im Februar 1989 versammelten sich die Kinder, die mittlerweile nicht mehr in Charlottenburg lebten, sowie vier Enkelkinder und vier Urenkel zur Feier des Tages im Elternhaus. Da die deutsche Grundschule nur bis 1980 im Ort funktionierte, mussten die Kinder nach Arad zur Schule gehen und haben das Dorf deshalb früh verlassen. Wenige Jahre später verstarben die alten Schmidts und nach der Wende wurde das Haus verkauft. Es wechselte mehrmals den Besitzer, bis Sorin und Maria Prada, die jetzigen Verwalter des SchwabenLand-Museums, es 2023 erwarben.
Erinnerungsort für Besucher
Im Sommer 2023 fuhr das Ehepaar Prada, das auch das Landgut der Domäne Murani bei Bruckenau seit 2020 erfolgreich betreibt, nach Siebenbürgen. Dort besuchten sie mit ihren beiden Kindern verschiedene Dörfer, die mit Gästehäusern und Museen zahlreiche Besucher anlocken, unter anderen das bekannte Deutsch-Weißkirch (Viscri), Birthälm (Biertan), Rosenau (Risnov) oder Kleinschenk (Cincșor). Da kam ihnen die Idee, dass man auch im Banater Heckenland, in der schönen hügeligen Bergsau, für Touristen interessante Dörfer mit alten Bauernhäusern als Erinnerungsorte der banatschwäbischen Vergangenheit ausbauen könnte. Sie wurden in Charlottenburg fündig und erwarben das Haus der Familie Schmidt, das mit Hof, Garten, Flur und dem „Hambar“ mit Schuppen noch authentisch erhalten war. Ein typisches banatschwäbisches Dorfhaus mit dem noch funktionierenden Hofbrunnen, dem Schuppen für Vorratslagerung, einem langen Gang mit vielen Säulen, dem Lehmboden-Keller für Vorräte, zwei Speisekammern, einem alten Steinbackofen, den typischen Bodenfliesen in Speisezimmer und Küche, den Holzfenstern und natürlich dem breiten Hofeingang zum Einzug der Pferde oder Kühe, der Ziegen und des Federviehs, das früher gewöhnlich auf der Gasse graste.
Der traditionelle Bau des Hauses mit den aneinandergereihten Stuben, den Kellergewölben, dem Hof und dem Hambar mit Schuppen wurde im Laufe der Zeit kaum verändert. Die schwäbische gute Stube, auch „Paradizimmer“ genannt, im vorderen Teil des Hauses war sehr geeignet für die museale Ausstattung. In den schwäbischen Häusern wurde das „Paradizimmer“ am Giebel meistens nicht bewohnt, es diente als Vorzeigeraum oder wurde bei den Dorffesten wie der „Kerwei“ den Gästen angeboten. Das Museum SchwabenLand (SchwabenLand auf Facebook und Instagram) wurde im vorderen Zimmer mit zwei getrennten Betten sowie „Kredenzen“ mit der Wäsche und den Decken des Haushalts ausgestattet. Rumänische Trachten aus dem Banat, aber auch aus anderen westlichen Regionen des Landes fanden hier ihren Platz genauso wie Reisetruhen, Wandbilder und Hochzeitsgeschirr (das meiner Großeltern) im Schrank, Wandbilder Kinderwiegen u.a.
Auch der zweite Raum zur Küche mit Speisezimmer („Pranzitor“) mit gefliestem Eintritt und Sparherd an der Seite, war ursprünglich nicht nur Küche (wie im heutigen Museum), sondern Aufenthaltsstube, besonders im Winter, wenn sich die Familie um den Herd versammelte. Die Küche wurde eingerichtet mit einem grünen Kredenzschrank, dem Sparherd, Wandregalen und der Ecke mit dem Wasch-„Lavor“ und vielen Töpfen und Geschirr aus früheren Zeiten. Ein kleiner Küchentisch mit Besteck-Schublade erinnert an unsere Kindheit, als wir mittags mit Oma am kleinen Tisch saßen und ihre leckeren hausgemachten Suppen, Kartoffel-Käsetaschen oder Süß- und Sauerkraut mit Bratwurst und frisch gebackenem Brot aßen. Auch die Museumsküche führt uns zurück in die Zeit, als wir die Wandtücher-Sprüche immer wieder lasen und sie als Kinder nicht immer verstanden haben: „Folge deinem Mütterlein /Dann wirst du immer fleißig sein. / Dank ihr für jedes Wort. / Denn sie geht ja einmal fort. /Tausend Tränen sind zu spät. / Denn es gibt nur eine Mutter / Die dich versteht.“
Den langgezogenen Flur im Schmidt-Haus hat man mit Bänken, Stühlen, Krügen, Gläsern, Holzhobeln, Büchertischen, alten Puppen, Büchern und Petroleumlampen bestückt. Leinen- und Hanfdecken liegen auf den Stühlen. Aus dem Flur gelangt man in den dritten Raum mit zahlreichen Küchengeräten. („Camera de mestesuguri a femeilor“), wo der Blick gleich auf die links in der Ecke stehenden Trachtenpuppen fällt: Eine trägt die schwarze, seidene schwäbische Sonntagstracht, die zweite die blaue seidene Schöndorfer Sonntagstracht mit Faltenrock und Jäckchen über der weißen Spitzenbluse. Die alte Wanduhr sowie die gestrickten Patschen am „Zappebrett“ waren in vielen Haushalten zu finden. Umrandet werden diese Gegenstände von Spinnrädern, hölzernen Geräten für Mais und Kraut, Butterfässern, eisernen Bügeleisen, Koffern, Reisetruhen, einem Webstuhl und vielen handwerklichen Dingen des früheren Haushalts. Da das Museum einen Aufruf gestartet hat, um weitere schwäbische Trachten und andere Haushaltsdinge für die Ausstellung zu erhalten, ist noch einiges im Aufbau. Infotafeln und -flyer sowie QR-Codes für einige ausgestellte Stücke sind noch in Arbei. Die eigentliche Küche, heute im Museum der Raum mit Arbeitsgeräten der Frauen mit der original schwäbischen Ecke und dem Einwanderungsbild von Stefan Jäger an der Wand, führt durch eine kleine tief gelegene Tür in den Raum mit dem Steinbackofen, wo früher wöchentlich das Familienbrot gebacken wurde. Dort sieht man auch den Backtrog und Schaufeln aus jener Zeit. Dieser Raum führt schließlich in die „Weinkammer“, hier „camera mestesuguri barbati“, wo der Hausherr neben einem Kesselofen und der Werkzeugbank auch die Weinfässer stapelte. Eine hölzerne Leiter führt ins Untergeschoss, das im Schmidt-Haus mit Lehmboden bedeckt ist, wo man in gebückter Haltung Werkzeuge, Vorräte und auch die Fässer lagerte. Damals „schlug man Gemüse ein“, in einer Ecke mit schwarzer Erde, so blieben Kartoffeln und gelbe oder rote Rüben den gesamten Winter über frisch. Die schwowische „Speis“, im Museum „spait rece“ und „spait cald“ benannt, schließt den oberen Raum ab. Hier wurden die Schlachtereien, geräucherte Schinken und Würste, aufbewahrt, meistens auf Stangen zwischen den Wänden aufgehängt. Die authentischen grünen Holz-Fensterläden des Hauses sind sehr originell. Sie wurden neu gestrichen, ebenso wie der Kredenz in der Küche und die Wandregale.  Im hinteren Schuppen hausten im Sommer die Schwalben, die hoffentlich auch im nächsten Frühjahr wieder hier einkehren.
Helfer und Spender gesucht
Familie Prada machte sich im Frühling 2024 zusammen mit ihrem Team von Handwerkern und Helfern an die Arbeit und suchte Leute, die bei der  Ausstattung des Museums, das sie „SchwabenLand“ nannten, mithelfen wollten. Ich kuratierte das Haus mit und bestückte die Küche und die schwäbische Ecke. Trachten, Kochgeschirr, Wanduhr, Kleider, Bilder  und andere Dinge kamen als Spenden einiger Banater Schwaben aus Deutschland, von Familien aus Schöndorf (Familie Maurer und Denk), aus Jahrmarkt und Liebling (Familie Becker, Hedrich, Griess, Kilzer, Tasch) sowie von einem echten (halben) Charlottenburger, Erhard Berwanger. Weitere Spenden sind willkommen und werden nach und nach beigefügt. Als Grundstock hat Sorin Prada auf Flohmärkten und in vielen österreichischen, deutschen und rumänischen Antiquitätenläden zahlreiche Dinge erworben: Küchengeräte (vom  Butterfass bis zur traditionellen Sodaflasche), Backtröge („Molter“), Holztröge, Wollspindeln, Truhen, Tische und Stühle sowie Werkzeuge für Haus und Hof wie Honigschleuder, Maiskolbenreibe, Getreidemühle, Egge, Kutsche usw. Das Hinterhaus wurde zu einem einladenden Restaurant, ausgestattet mit antiken Bänken, Tischen, Stühlen, Wandschränken, einer Getreidemühle und den Brotträgen als Lampen an der Decke ausgestattet.  Kirchenstühle dienen als Sitzgelegenheiten an den langen Tischen. Dahinter ist ein Spielplatz und der Sommergarten, umsäumt von einer Baumreihe. Ein Bach in der Nähe eines Wäldchens auf den Hügeln lädt zum Wandern ein. In der Küche sind Einheimische aus Charlottenburg tätig, es werden auch Spezialitäten der banatschwäbischen Küche angeboten.
Im Nachbarhaus des SchwabenLand-Museums, dem Jagdhaus der Temeswarer Forstdirektion, wurde bereits 2014 anlässlich des 110jährigen Bestehens des Jagdparks ein Jagdmuseum eröffnet (Muzeul Cinegetic Charlottenburg). Das einzigartige Haus präsentiert die Fauna der Gegend, aber auch Tiere aus der Banater Wiese und Hecke wie auch aus den Karpaten. Schulgruppen, auch behinderte Kinder, werden hier pädagogisch betreut. Eine gute Ergänzung zum „SchwabenLand“, wo  Erinnerungen lebendig werden. Wer seine Vergangenheit kennt, kann seine Zukunft besser gestalten. Viele Museumsbesucher dieses Sommers konnten in ihren Erinnerungen die alte Zeit wieder aufleben lassen. Das Museum „SchwabenLand“ ist noch ausbaufähig und erwartet seine neugierigen Gäste. Wer noch Erinnerungsstücke ans Museum spenden möchte, ist herzlich willkommen. Es werden Alltagsdinge und Werkzeuge und insbesondere auch noch Trachten gesucht.