Als Franz Heinz mit seiner Familie 1976 von Bukarest an den Niederrhein kam, stand er in der Mitte seines Lebens. Er war im siebenundvierzigsten Lebensjahr, einer der bekanntesten Redakteure der Bukarester Tageszeitung „Neuer Weg“ und namhafter Prosaschriftsteller und Essayist im rumäniendeutschen Literaturbetrieb.
Bis heute zieht sich dieses Ereignis mit all seinen Implikationen und Folgen durch sein Leben und Schreiben: Heimatverlust dort mit allem, was dazugehört, und neue Selbstfindung hier. Und doch erweist sich auch diese imaginäre Grenze zwischen erzwungenem Abschied und versuchter Ankunft als überwindbar durch die Zusammenführung von lebendiger Erinnerung mit der Aktualität einer neuen Lebenswelt. Das „Sich-Erinnern“ als organischer Teil der eigenen Identität beschäftigte den Schriftsteller Franz Heinz bereits in seinen frühen Texten. So lautet der Schlusssatz seines Romans „Vormittags“(1970): „Wie langlebig ist aber eine Erinnerung?“ Der ein Jahr danach erschienene Kurzgeschichtenband trägt den Titel „Erinnerung an Quitten“ (1971) und die Eingangserzählung „Die Krähen kommen“ beginnt mit dem Satz: „Manchmal ist es mir, als hätte ich nur eine Erinnerung an jenen Sommer.“
Der Schriftsteller und Journalist, der bekennende Banater Schwabe und viel gereiste Europäer Franz Heinz ist in diesem November fünfundneunzig Jahre alt geworden. In den sechseinhalb Jahrzehnten seines literarischen und publizistischen Wirkens hat er ein herausragendes, vielgestaltiges und umfassendes Werk geschaffen. Im heimatlichen Banat nahm alles seinen Anfang. Es sollte als früher Erfahrungsraum nicht nur geographischer Ausgangspunkt des Lebensweges unseres Jubilars sein, sondern bleibende Wirkung behalten auf seine Persönlichkeit und damit auf sein Werk. Sein Themenspektrum und seine Sichtweise erfuhren indessen mit jeder Lebensstation, die ihn vom Banat entfernte, Neuerungen und Erweiterungen. Doch den Kern seiner Lebenshaltung berührte dies nicht.
Bukarest war der zweite Lebensmittelpunkt unseres Schriftstellers, der dritte schließlich das Land an Rhein und Ruhr. Heute lebt er in Düsseldorf. Vielleicht war es kein Zufall, dass seine erste Veröffentlichung nach seiner Ankunft in Deutschland den Titel „Heimat und Welt“ trägt, auf den ersten Blick ein zugespitzter Gegensatz, bei Franz Heinz nie ein Widerspruch.
Geboren wurde er am 21. November 1929 in Perjamosch, wo seine Eltern eine Bäckerei betrieben. Sie schickten ihn 1940 in die „Banatia“ bzw. „Prinz-Eugen-Schule“ nach Temeswar. Doch im Frühherbst 1944 begab sich die Familie Heinz wie Tausende andere deutsche Familien aus dem westlichen Banat auf die Flucht in Richtung Österreich. In seinem Kurzroman „Vormittags“ (Bukarest 1970) findet sich – wohl erstmalig in der banatdeutschen Literatur nach 1945 – eine Erinnerung an die Flucht nach Westen vor der näherrückenden Sowjetarmee, ein Thema, das im kommunistischen Rumänien tabu war.
Nach der Rückkehr der Familie im Juni 1945 nach Perjamosch arbeitete der junge Franz Heinz in der Bäckerei des Vaters. Seine frühen literarischen Neigungen und seine Begabung – er debütierte 1958 in der „Neuen Literatur“ – führten ihn zur Redaktion der Tageszeitung „Neuer Weg“ in Bukarest. Im rumäniendeutschen Literaturbetrieb war es gang und gäbe, dass Schriftsteller als Journalisten arbeiteten und Journalisten sich dem literarischen Schreiben widmeten. Bei Franz Heinz scheinen sich beide Bereiche, über längere Zeiträume gesehen, die Waage zu halten. In Reportagen und Reisebeschreibungen entwickelt er zuweilen seinen literarischen Schreibstil, in seiner Prosa macht sich der essayistische Kulturjournalist bemerkbar. Das Schreiben aus eigener Anschauung, aus eigenem Erleben oder gestützt auf verbürgte Überlieferung, etwa auf echte, nicht auf fingierte Tagebücher, verleiht seinen Texten Authentizität und Glaubwürdigkeit.
Ein Markenzeichen seiner Prosa ist die Kunst, aus der beschriebenen Natur Stimmungen aufsteigen zu lassen, Landschaft und Mensch in eine eigenartige Beziehung zueinander zu setzen. Bei Franz Heinz begegnet man immer wieder einer „belebten Landschaft“, in der sich präzise Beschreibung der Dinge und Wesen verbindet mit emotionaler, wenn auch distanzierter Anschauung. Nicht selten ist in seiner lyrischen Prosa ein Hauch von Melancholie zu spüren.
Den größten schriftstellerischen Erfolg in Rumänien brachte Franz Heinz die von der Kritik auch als Novelle bezeichnete Dorfgeschichte „Ärger wie die Hund“ (Bukarest 1972) ein. Er wurde dafür mit einem Preis des Rumänischen Schriftstellerverbandes, dem er seit 1965 angehörte, ausgezeichnet. Zwanzig Jahre später erlebte die Erzählung in Deutschland eine Neuauflage. Die Handlung spielt in einem banatschwäbischen Dorf um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert auf dem Hof eines wohlhabenden Bauern. Darin geht es um das Schicksal eines Knechts, welcher der Macht und Willkür des Bauern zum Opfer fiel, unschuldig ins Gefängnis kam und dort seine Lebensgeschichte aufschrieb.
In Franz Heinz‘ Bukarester Zeit erlebte die Wiederentdeckung des kulturellen Erbes der Rumäniendeutschen eine unerwartete Konjunktur. Ihm kommt das Verdienst zu, vergessene oder verdrängte Autoren wieder ans Licht gebracht zu haben. So den in Bogarosch geborenen Mundartdichter Johann Szimits (1852-1910), im Grunde den ersten Banater schwäbischen Mundartdichter, sodann den aus Perjamosch stammenden Lyriker Karl Grünn (1855-1930), aus dessen Dichtung er einen stattlichen Auswahlband publiziert hat.
Es war sicher kein Zufall, dass gerade Franz Heinz ein für die Banater deutsche Literatur spektakulärer Fund glückte: Ihm ist es gelungen, den Nachlass von Otto Alscher (1880-1944) in Orschowa aufzuspüren, kurze Zeit bevor die evakuierte Stadt durch die am Eisernen Tor gestaute Donau Ende der sechziger Jahre überflutet wurde. Die von Franz Heinz aus dem aufgefundenen Nachlass veröffentlichten literarischen Texte ergänzten das bis dahin bekannte Werk des bedeutenden Prosaschriftstellers und Journalisten Otto Alscher und vermittelten noch unbekannte Aspekte seines Schaffens.
Nach der Aussiedlung blieb Franz Heinz in der neuen, größeren Welt beim Journalismus, schrieb weiterhin auch literarische Texte, die allerdings größtenteils über Jahre vereinzelt in Zeitschriften erschienen sind. Mit seiner Anstellung 1977 als Redakteur des Pressedienstes „Kulturpolitische Korrespondenz“ (Bonn), herausgegeben vom Ostdeutschen Kulturrat, kam er in engen Kontakt zur jüngsten Geschichte, Literatur und Kunst der früheren deutschen Ostgebiete – Ost- und Westpreußen, Pommern und Schlesien u.a. – , lernte die von dort vertriebenen oder geflüchteten Autoren und Künstler kennen, die sich mehrheitlich in der „Künstlergilde Esslingen“ zusammengeschlossen hatten, ein großer literarisch-künstlerischer Kreis, der ihn angenommen hat und in dem er heimisch wurde. Dabei vernachlässigte er keineswegs den südosteuropäischen Raum. Seine Rezensionen zu Büchern aus diesen oder über diese Regionen sind ungezählt. Gewiss versuchte er in seiner Arbeit die Proportionen zwischen den östlichen Gebieten zu wahren. Gerade deshalb verschaffte er den Künstlern und Autoren aus dem Banat und Siebenbürgen in der Kulturpolitischen Korrespondenz, wo er für Literatur und Kunst zuständig war, und als Chefredakteur der Vierteljahresschrift „Der gemeinsame Weg“ (1984-1990) die ihnen gebührende Medienpräsenz. Seine einfühlsamen und kompetenten Beiträge über Banater und Siebenbürger Künstler, seien sie in Buchform, in Ausstellungskatalogen oder in der Presse erschienen, so über Franz Ferch, Franz Kumher, Walter Andreas Kirchner, Reinhardt Schuster, Hildegard Kremper-Fackner u.v.a., verdienen besondere Beachtung.
Ein Dauerthema von Franz Heinz, dem Heimat oder „Dazugehören“ so wichtig war und ist, zieht sich wie der berühmte „rote Faden“ durch seine Publizistik im Westen und spiegelt sich auch in seiner Literatur: die Folgen der Entwurzelung, der Heimatverlust und die daraus resultierende Frage nach der Identität und dem Selbstverständnis der Betroffenen. In essayistischen Beiträgen, in Interviews mit Autoren, Künstlern oder Kulturpolitikern, in Rezensionen und Tagungsberichten – seine publizistische Arbeit ist äußerst vielfältig und kaum überschaubar – zeigt er viele Facetten der Aussiedlung der Rumäniendeutschen auf.
Franz Heinz wird zum publizistischen und literarischen Begleiter dieses historischen Vorgangs, dessen entscheidende Triebkraft für ihn die Sehnsucht nach Freiheit war. Vielleicht schreibt er gerade aus dieser Überzeugung gegen das Vergessen, gegen die Selbstaufgabe.
Die eindrucksvollste literarische Gestaltung der Begegnung eines Flüchtlings oder Aussiedlers mit der neuen Welt, das Widerspiel von Erinnerung und Aktualität, gelingt Franz Heinz mit der Erzählung „Lieb Heimatland, ade!“ (1998), in der ein rumäniendeutscher Flüchtling an den harten Realitäten im verheißungsvollen Mutterland zerbricht.
Die Prosastücke der zweiten Lebenshälfte unseres Autors handeln nicht selten von Menschenschicksalen, die in das Räderwerk geschichtlicher Ereignisse geraten und darin oder an widrigen gesellschaftlichen Verhältnissen scheitern. Sein facettenreiches Werk krönt Franz Heinz mit zwei Romanen. Mit „Endzeit“ (2021) setzt er dem Maler Franz Ferch und dem banatschwäbischen Dorfleben der Zwischenkriegszeit am Beispiel Perjamosch ein bleibendes literarisches Denkmal. Sein Roman „Kriegerdenkmal 1914 – Hundert Jahre später“ (2014) schildert das tragische Schicksal eines jungen Banater Schwaben und dessen Familie, verursacht durch den Ersten Weltkrieg. Erzählt wird jedoch aus heutiger Sicht, aus der Perspektive des im Westen aufgewachsenen Enkels, der auf der Suche nach dem Grab des verschollenen Großvaters bis nach Sibirien reist. Bilder des mörderischen Krieges und des heute trüben Alltags im Südosten des damaligen Habsburgerreichs greifen im Romangeschehen ineinander. Das Fazit der Spurensuche: Die Menschen haben aus der Geschichte nichts gelernt. Dieser bitteren Einsicht setzt der Erzähler den tieferen Sinn seines Schreibens mit einem der Kernsätze des Romans entgegen: „Es kann nicht untergehen, was unverwunden in Erinnerung geblieben ist.“
An dieser Stelle sei unserem Jubilar herzlich gratuliert zu seinem 95. Geburtstag und zu seiner herausragenden Lebensleistung.