Der Musikethnologe und Volksmusikforscher Gottfried Habenicht erreichte am 14. November 2024 das hohe Alter von 90 Jahren. Er war nach seiner Auswanderung 1973 über mehr als zwanzig Jahre am Institut für ostdeutsche Volkskunde (später „Johannes-Künzig-Institut“, heute „Institut für Volkskunde der Deutschen des östlichen Europa“) in Freiburg tätig, wo er das ostdeutsche Liedgut und im Besonderen auch die Liedüberlieferung der Banater Schwaben erforschte.
Geboren wurde er 1934 in Temeswar, wo er in unsicheren Zeiten eine zerstückelte Schullaufbahn bestritt – zuerst noch in der Banatia, dann in der rumänischen Schule. Nach dem Abitur am Pädagogischen Lyzeum wollte er eigentlich Geige studieren, jahrelang hatte er dieses Instrument bei dem berühmten Joseph Brandeisz gelernt. Doch eine Rippenfellentzündung hinderte ihn an der Vorbereitung für die Aufnahmeprüfung und so entschied er sich für das theoretische Musikstudium in Bukarest. 1957 absolvierte er das Staatsexamen und erhielt eine Stelle am „Institut für Folklore“ in Bukarest, das sich der Erforschung des immateriellen Volksgutes verschrieben hatte – von Erzählungen, Liedern, Sagen, Tänzen usw. Später wurde das Institut mit dem „Institut für Ethnografie“ zusammengeschlossen, wo das materielle Volksgut (Trachten, Häuser, Handwerk) untersucht wurde. Dadurch war die gesamte Bandbreite der Volkskunde abgedeckt. Die Feldforschung führte den jungen Musikologen und seine Kollegen an entlegene Orte in ganz Rumänien, wo sie schon damals mit schweren Geräten Tonbandaufnahmen machten. Er forschte über Lieder aller Art, speziell Totenlieder und Totenklagen, auch über einzelne Instrumente. Mit deutschem Volksliedgut hatte er in Bukarest wenig Kontakt, nur gelegentlich war er auch in Siebenbürgen unterwegs oder machte 1971 Tonaufnahmen mit Helga und Werner Salm. Aus Anlass einer internationalen Tagung in Bukarest lernte er 1968 den Volkskundler Johannes Künzig und dessen spätere Frau Waltraut Werner kennen. Künzig hatte bereits in der Zwischenkriegszeit über die alemannische Fastnacht in Saderlach und über Volkslieder im Banat geforscht und war einer der Begründer der modernen ostdeutschen Volkskunde der Nachkriegszeit. Er holte den frisch ausgereisten Gottfried Habenicht an sein Institut in Freiburg. Das riesige Tonarchiv des Instituts bot dem Musikethnologen ein gutes Betätigungsfeld.
Als Ergebnis seiner Forschungen entstanden mehrere Bücher, auch zu Banater Themen. So brachte er 1987 eine illustrierte, kommentierte und mit Noten ausgestattete Ausgabe der „Volksliedersammlung Linster aus Hatzfeld im Banat“, ursprünglich 1932/33 verfasst, heraus. 1995 folgte eine viel beachtete Sammlung von Liedern „von Flucht, Vertreibung und Verschleppung“ mit dem Titel „Leid im Lied“. Es ist eine einmalige Zusammenstellung von wechselnden Varianten all der Lieder, die den Deportierten in der Sowjetunion das Leben etwas leichter machten. Das Vorwort dazu hatte der damalige Beauftragte für Vertriebene und Aussiedler in Baden-Württemberg Gustav Wabro verfasst.
Eine von ihm kommentierte, illustrierte und mit Melodien ergänzte Ausgabe der banatschwäbischen Volksliedersammlung, die Johann Szimits 1908 herausgebracht hatte, („Pipatsche un Feldblume vun dr Heed“) publizierte das Künzig-Institut 1997. Gottfried Habenicht vertrat das Institut auf Tagungen, hielt Gastvorträge, schrieb Aufsätze und war Mitglied in zahlreichen Fachverbänden und wissenschaftlichen Kommissionen. Ab 1988 übernahm er wegen Vakanz sogar die geschäftsführende Leitung des Johannes-Künzig-Instituts. Seit 1997 ist er im aktiven Ruhestand. Für sein Lebenswerk wurde ihm 2003 der „Hauptpreis des Donauschwäbischen Kulturpreises des Landes Baden-Württemberg“ verliehen.
Privat ist Gottfried Habenicht seit 1959 mit der ebenfalls aus dem Banat stammenden Ingeborg Bürger verheiratet, die er in Bukarest kennengelernt hatte. Sohn Günther wurde 1962 geboren. Aus Anlass seines 75. Geburtstags führte seine Institutskollegin Elisabeth Fendl im Jahr 2010 ein langes Gespräch mit ihm. Schon damals blickte er, bei allen Turbulenzen der Zeitläufe, mit Dankbarkeit auf sein Leben und seinen Berufsweg zurück. Vieles, was heute längst verloren ist, konnten er und seine Kollegen in ihrer aktiven Zeit noch sichern, auswerten und archivieren. Auf diese Weise wurde auch ein Teil der musikalischen Überlieferung der Banater Schwaben vor dem Vergessen bewahrt.
Im Rahmen seiner Möglichkeiten nimmt der Jubilar immer noch Anteil an den Entwicklungen in seinem Fachbereich, pflegt Kontakte mit Kollegen in aller Welt und genießt ansonsten das häusliche Leben in Zweisamkeit mit seiner Frau. Sein ehemaliges Institut ehrt ihn zum 90. Geburtstag mit einer kleinen Feier. Mögen ihm noch ein paar gesunde Jahre vergönnt sein.