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Der Maler Friedrich Schreiber: Fragen nach dem Lauf der Zeit

Friedrich Schreiber: „Dreifaches Selbstporträt“ Foto: Walther Konschitzky

In Veröffentlichungen über Künstler vermissen wir oft gesicherte Informationen über deren Entscheidung für diesen Beruf, über die Voraussetzungen in ihrem gesellschaftlichen Umfeld, über die schulische Ausbildung, über Lehrer und Vorbilder, ebenso über ihren Werdegang als Kunstschaffende und schließlich, im Fall eines Kunsterziehers, über eigene pädagogische Absichten, Leistungen und Erkenntnisse. Der Künstler in seiner Zeit – ein Thema, dem in literaturgeschichtlichen Untersuchen ein hoher Stellenwert in der Erschließung des Werkes zukommt, scheint in der kunsthistorischen Betrachtung eine weit geringere Aufmerksamkeit zu genießen; oft lassen sich nur in knappen bio- bibliografischen Übersichten im Hintergrund Hinweise finden.

Friedrich Schreibers Lebensweg, seine Ausbildung, sein künstlerisches Schaffen und sein kunstpädagogisches Wirken in zwei sehr unterschiedlichen Lebenswelten bieten sich geradezu an, näher beleuchtet zu werden. Er hat sich sowohl in Rumänien wie auch nach seiner Ankunft in Deutschland als Künstler und Lehrender behauptet. Seine Äußerungen bieten über das Persönliche hinaus auch umfassend Auskunft über die Kunstausbildung und die Herausforderungen, mit denen seine Künstlergeneration unter den Gegebenheiten nach dem politischen Systemwechsel in Rumänien unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg konfrontiert waren. Seine Äußerungen können durchaus als Antworten auf gestellte wie auch auf nicht gestellte Fragen in den sechs Jahrzehnten, seit ich den Maler kenne, gelten.

Wie zerbrechlich Welt, auch die nahe Umgebung, sein kann, wie beherrschend, hart, auch grausam der gesellschaftliche Rahmen, in den Schreiber sein Bildgeschehen fasst, belegen viele seiner Kompositionen bereits in der Anfangszeit als ausgebildeter Maler. Kühl, unwirtlich, kalt, herausfordernd und abweisend erscheinen oft die imaginären Räume, kaum irgendwo ein Ruhepunkt, ein behüteter Ort des gedeihlichen Wirkens und der Geborgenheit. Das Ungewisse, das Geheimnisvolle, das Bedrohliche beherrscht die Atmosphäre viele seiner erfundenen Bildwelten – und das macht uns seit Jahren und Jahrzehnten immer wieder betroffen. So wundert es nicht, dass wir dieser Grundstimmung auch in zahlreichen Gemälden begegnen, die seit Schreibers letzter Ausstellung 2013 in Regensburg entstanden sind und die vor kurzem im Oberpfälzer Künstlerhaus  ausgestellt wurden.

Die Kompositionen belegen die eiserne Konsequenz im Einsatz seiner seit Mitte der 1960er Jahre dem Surrealismus oder phantastischen Realismus verpflichteten Gestaltungsmuster. Es sind belebte, zeitlos wirkende Räume und Orte, wo am hellen Tag vor aller Augen menschliche Dramen und Komödien mit tragischem Unterton spielen. Auf den ersten Blick mögen sie als geheimnisvolle, fremde, unheimliche Gegenwelten erscheinen. Letztlich aber erweisen sie sich als Schreibers poetische Interpretationen unserer Jetztzeit, in der das Böse gleich hinter der nächsten Straßenecke hervorbrechen kann. Ein Rest von Geheimnis aber bleibt.

In den üppig ausgestatteten Szenerien äußert sich das große intellektuelle und gestalterische Potenzial des Künstlers, ebenso sein emotionales Wissen um fragile gesellschaftliche Bindungen und leise Töne von Nähe und Intimität zwischen den Menschen. Es sind Zeichen der verständnisvollen Zuwendung für seine Zeitgenossen, es sind aber auch Zeichen der großen Sorge des Künstlers angesichts des zerstörerischen Umgangs mit unserem Lebensraum Erde. So erweitert er unser Blick- und Erlebnisfeld und bietet dem Betrachter an, seine Weltinterpretationen prüfend wahrzunehmen, zu hinterfragen und für sich zu erschließen.

Auch die Kompositionen und Titel zahlreicher Exponate der Ausstellung en passant lassen kaum Zuversicht oder berechtigte Hoffnung auf eine friedliche, lebenswertere Welt erkennen. Verloren und verzweifelt wirkende Gestalten und Charaktere auf der Bühne Leben, wo gerade Der letzte Akt spielt oder Das Ende der Vorstellung stattfindet, sie deuten vielmehr auf ein befürchtetes Ende mit Schrecken hin. Ist es ein eindringlicher Appell? Die Fragen nach dem Lauf der Zeit und das häufig eingesetzte Motiv der Uhr wie in Abgelaufene Zeit oder Abschied ins Zeitlose werden gar noch drängender. Was sich da, mit dunklen Tönen untermalt, ankündigt, weist wohl in eine andere Richtung, ins Persönliche. Ist es ein memento mori, als die Aufforderung Gedenke des Todes zu werten? Und – was hat zu dieser Auslegung von Zeit geführt? Ich stelle dem Maler die Frage direkt: „Ist es das Alt-Werden, ist es das Alter?“ – „Ja, ganz sicher.“ Dann relativiert er die knappe Antwort: „Aber da spielt auch noch anderes mit.“

Die Fragen nach der Zeit prägen in hohem Maß sein Spätwerk – beispielhaft etwa im dreifachen Selbstporträt zu sehen –, und sie bestimmen auch das Gespräch, das wir mit dem Künstler führen. Es geht nicht allein um Inhalte seiner jüngeren Bilder und deren Gestaltung, wir fragen auch nach frühen Erlebnissen und späten Erfahrungen, die ihren Niederschlag in seinem Werk gefunden haben – oder aber bewusst ausgespart blieben. In Schreibers Gemälden lassen sich keine Darstellungen als Illustration persönlich erlebter Ereignisse identifizieren. Auch der Ursprung und die Bedeutung einzelner symbolisch eingesetzter Bildmotive bleiben in der Schwebe oder gänzlich verborgen. Zum Thema Angst, das nicht selten anklingt und gelegentlich das Bildgeschehen beherrscht, hat er vor Studierenden der Regensburger Universität eine Erklärung gegeben: Diese Angst geht auf ein traumatisches Erlebnis in seiner Kindheit zurück: die Aushebung seines Vaters im Januar 1945 zur Deportation in die Sowjetunion. Auf nicht wenige Fragen zum Verständnis seines Oeuvres stehen die Antworten allerdings noch aus.

Über Friedrich Schreibers Hinwendung zur Kunst, über seine Ausbildung in Temeswar und Bukarest, über sein künstlerisches Schaffen und sein Wirken als Hochschullehrer in Rumänien und in Deutschland sprach Walther Konschitzky mit dem Künstler in seinem Atelier in Regensburg.

Wege und Umwege

Was treibt einen Jugendlichen mit abgeschlossener Eisendreher-Lehre und ersten Erfahrungen im Beruf an, sich aufzumachen und im unbekannten Raum Kunst ein neues Tätigkeitsfeld zu suchen? Welche Motivationen und Optionen waren bestimmend, in der bizarren, unberechenbaren Zeit Anfang der 1950er Jahre einen Schritt von solcher Tragweite zu wagen?

Vom Entscheid für die Kunst bis zur Ankunft an einer Kunstschule war in der Nachkriegszeit eine lange Strecke. Die von der Schwerindustrie geprägte Stadt und Landschaft meiner Herkunft im Banat brachte einen sehr realitätsgebundenen Menschenschlag hervor, der auf die eigene Kraft, auf messbare Leistung und auf geradliniges, ehrliches Miteinander zwischen den Menschen baute. Das übertrug sich auch auf die jeweils nachfolgende Generation. In den erlernten Berufen waren in erster Linie Verstand und Geschick gefragt, aber auch eigene Kreativität wurde geschätzt. Diese Mentalität war nicht ethnisch gebunden, sie stellte sich bei allen ein, die einer bestimmten Arbeits- und Lebensgemeinschaft angehörten und entfaltete auch in geistigen oder gestalterischen Bereichen der multi-ethnischen und multikonfessionellen Bevölkerung ihre Wirkung. Ich hatte schon früh Interesse an Kunst.

Und warum dann doch einen praktischen Beruf erlernt?

In Wahrheit musste ich aus finanziellen Gründen an eine Berufsschule. Der Wunsch, an eine Kunstschule zu gehen, stellte sich im Stillen schon viel früher ein, als in einer Kinderausstellung in Reschitz eine Zeichnung gezeigt wurde, die ich in der 7. Volksschulklasse gemacht habe. Damals schon spürte ich deutlich: Ich kann mehr. Eigentlich habe ich meine ersten Zeichnungen in den Kochbüchern meiner Mutter gemacht. Meine Eltern aber haben entschieden, ich sollte Eisendreher werden. So gelangte ich erst über diesen Umweg mit unerwarteten, heute kaum begreifbaren Hindernissen an die Temeswarer Mittelschule für Bildende Kunst.

Entsprach diese den Erwartungen des Jungen mit frühen Erfahrungen an der Werkbank?

Das Wichtigste war zunächst, dass ich dem bisherigen Umfeld entkommen konnte und an dieser Schule angenommen wurde. Hier wollte ich nicht nur meinen Lehrern, sondern auch mir selbst beweisen, dass ich dazu fähig bin. Ich bin dankbar, dass sie meine Fähigkeiten erkannt und mein Bemühen um gute Leistungen gefördert haben. Wir erhielten eine gediegene, vielseitige Ausbildung und wurden schon früh in die praktische Arbeit sehr unterschiedlicher Gestaltungsbereiche eingeführt.

Wie war die Begegnung mit Lehrern und welche Ergebnisse stellten sich ein?

In Rumänien war der Umgang mit den Schülern an Kunstlyzeen wie auch mit den Studenten an den Kunstakademien lockerer als an den übrigen Schulen und Fakultäten. Unsere Lehrer waren gut ausgebildete akademische Maler der alten Schule aus der Zeit zwischen den Weltkriegen:  Zeichnen, Gipsstudien, Darstellung lebender Figuren, Einführung in die Malerei, Stillleben, figürliche Kompositionen – das waren die Lehrfächer.

Wer waren diese Lehrer?

Direktor der Schule war der Bildhauer András Gál, Malerei und Grafik unterrichtete der Maler Franz Ferch, dekorative Künste Gyula Szappanos, Zeichnen aber Julius Podlipny. An ihm lässt sich die pädagogische Ausrichtung dieser Schule am deutlichsten festmachen – „Kein Tag ohne Linie! Kein Tag ohne Zeichnen“ war seine Devise. Doch so streng, so bestimmend und kantig Podlipny auch war, für uns hatte er aufbauende Worte und sehr viel Verständnis, auch für unsere privaten und familiären Probleme.

Nach zwei Jahren aber wurden die Mittelschulen für Bildende Kunst im Land aufgelöst.

Genauer gesagt, erhielten sie ein anderes, praxisorientiertes Profil, und nur die fünf besten Schüler aus Temeswar wurden für das einzige verbliebene Kunstlyzeum in Rumänien ausgewählt und nach Bukarest transferiert. Die Selektion hat Podlipny selbst vorgenommen. So kam auch ich für zwei weitere Jahre an diese Schule. Unmittelbar danach trat ich das sechsjährige Studium am Kunstinstitut „Nicolae Grigorescu“ der Bukarester Universität an.

Wie kam es zum Entscheid für das Studienfach Monumentalmalerei?

Hier herrschte ein großer Konkurrenzkampf, denn es gab nur 30 Studienplätze. Nach einem Einführungsjahr mit den Fächern Bildhauerei, Grafik, Monumentalmalerei, Keramik, Textilien musste man sich für ein Hauptfach entscheiden. Ich habe Grafik gewählt, weil wir in Temeswar von Franz Ferch in den grafischen Techniken gut unterwiesen wurden. Man legte mir aber nahe, als zweites Studienfach Monumentalmalerei zu nehmen, obwohl alle wussten, dass nach Abschluss des Studiums auf diesem Gebiet kaum mit Aufträgen zu rechnen war.

Trat dies dann so ein?

1963 wurde ich dem Pädagogischen Kunstinstitut der Temeswarer Universität zugeteilt, wo ich bis 1978 als Lehrkraft tätig war. In dieser Zeit konnte ich immerhin auch drei eigene Monumental-Projekte gestalten und bei der Realisierung mehrerer Großkompositionen anderer Kollegen mitwirken. Am neuen Stadion der Stadt führte ich 1966, unterstützt von Romul Nuțiu, eine 113 Quadratmeter große Sgrafitto-Malerei aus, 1971 im Kulturhaus von Großsanktnikolaus, zusammen mit meinem Kollegen Ion Sulea Gorj, ein siebzig Quadrameter großes Bühnen-Fresko in Alsecco und 1972 im Alutus-Hotel in Râmnicu Vâlcea ein zwölf Quadratmeter großes Alsecco-Fresko. Die Erfahrungen aus der Monumentalmalerei boten mir später auch Anregungen zur Umsetzung meiner Bühnenbildentwürfe am Temeswarer Nationaltheater. Die Arbeit sagte mir zu. Ich blieb aber nur kurze Zeit am Theater, denn als sich 1980 die Möglichkeit einer Reise nach Deutschland ergab, kehrte ich von dort nicht mehr nach Rumänien zurück. Meine Frau und unsere Tochter erhielten erst nach fast zwei Jahren die Genehmigung zur Ausreise. Die Zeit des Wartens fiel uns nicht leicht.

Themen und Motive

In der Mitte des beruflichen Lebens fällt der Neuanfang in einem anderen Land, selbst wenn man sich Jahre lang bemüht hat dahin zu gelangen, nicht leicht.

Ich hatte unverhofftes Glück, denn 1981 suchte das Institut für Kunsterziehung der Universität Regensburg eine Lehrkraft. Ich nahm an und war dort bis 1996 als Werkstattleiter und Lehrbeauftragter tätig, folgte aber nach dem Eintritt in den Ruhestand der Bitte des Instituts und führte die Arbeit als Lehrbeauftragter im Fach Komposition noch mehr als zehn Jahre weiter.

Welche Unterschiede gab es in der kunstpädagogischen Ausbildung an den Universitäten Temeswar und Regensburg?

In Temeswar wurde zwar eine gute künstlerische Ausbildung gesichert, die pädagogischen Ziele aber wurden im Hinblick auf den späteren Einsatz als Kunsterzieher stärker in den Vordergrund gerückt und mussten den verbindlichen Lehrplänen gemäß auch mit Nachdruck verfolgt werden. Jede Lehrkraft betreute eine Gruppe während des dreijährigen Studiums in sämtlichen Bereichen der Ausbildung. In Deutschland dagegen gab es keine verpflichtend zu befolgende Lehrpläne, vielmehr wurden Angebote gemacht, die den Studierenden die Möglichkeit gaben, ihre Ausbildung weitgehend eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen entsprechend mitzugestalten. In Regensburg habe ich viele Jahre Komposition gelehrt, was bei den Studierenden sehr gut ankam, denn dieses Lehrfach war hier meines Erachtens vernachlässigt, was ich angesichts der Bedeutung, die ihm in meiner eigenen Ausbildung zukam, nur schwer begreifen konnte.

Erlebte Welt und die erlebte Zeit in einen eigenen bildlichen Ausdruck zu fassen, das zeichnete sich bereits als Grundanliegen deiner frühen künstlerischen Projekte ab.

Wie wir uns bildlich oder sprachlich artikulieren, das sagt Wesentliches über uns, aber auch über Ort und Zeit unseres Seins und Wirkens in der jeweiligen Lebensphase und über unsere Gesellschaft aus. Viele Bilder, die ich in Rumänien geschaffen habe, spiegeln die Lebenswelt unter den Gegebenheiten eines totalitären Systems in verfremdenden Ausdrucksformen und mit verdeckter Symbolik. Sie sprechen von allgegenwärtiger geistiger Gängelung, von Bevormundung und Überwachung, sie sprechen aber auch von der Sehnsucht nach Aufbruch, nach Überwindung von Grenzen und nach Freiheit. Und heute ist es nicht anders: Wir entwerfen keine Abbilder, wir illustrieren nicht; um persönlich Erlebtes oder Botschaften zu übermitteln setzen wir Allegorien ein.

Meine letzten Fragen betreffen die Schwarzwälder Uhr, die im Lauf der Zeit in deinen Gemälden zum immer wiederkehrenden Motiv, das auf persönliche Erlebnisse zurückgeht, wurde.

In meiner Kindheit befanden sich diese Uhr und ein Schildkrötenpanzer im Haus meiner Großmutter in Franzdorf im Banater Bergland. Sie faszinierten mich, und nach dem Tod der Großmutter gelangten sie in meinen Besitz. Für mich standen sie schon sehr früh als Symbole für die philosophischen Kategorien Zeit und Ewigkeit, die mich heute immer intensiver beschäftigen. Ebenso haben mich die grenzenlose Weite des Weltraums und die grandiosen Bemühungen je weiter in unbekannte Sphären vorzudringen und die Ergebnisse dieser Forschung magisch angezogen.

Das Thema Zeit und Vergänglichkeit klang schon Mitte der 1960er Jahre an, und es beherrscht auch viele deiner Bilder aus den letzten Jahren. Da erscheint „en passant“ ein treffender Titel für ein Kunstband zu deinem Spätwerk und für die Ausstellung: Omnia fluunt – alles fließt, auch die Zeit verrinnt –, omnia mutantur, alles verändert sich.

Diesen Erfahrungen haben wir uns zu stellen. Das Symbol der Uhr erscheint bei mir mit unterschiedlichen Bedeutungsnuancen. Es steht für den Lauf der Zeit, für Entwicklung und Veränderung in der Welt und im eigenen Leben. Heute verbinde ich mit der Uhr aus der Kindheit in meinem Atelier immer noch das anregende Grübeln über Zeit und Ewigkeit, über Vergänglichkeit oder kosmische Unendlichkeit – und Schönheit.

Und das Ergebnis solcher Sinnsuche?

Eindeutige Schlussfolgerungen zeichnen sich verständlicher Weise nicht ab, außer die Erkenntnis, dass auch wir Teil dieses Unbegreiflichen sind.

Als langjähriger Weggefährte und Gesprächspartner danke ich dir sehr herzlich für diese Ausführungen.