Im Herbst, im Totenmonat November, dem „Nebelung“ der Altvorderen, begehen Katholiken zwei wichtige Feiertage: Allerheiligen und Allerseelen.
An Allerheiligen gedenkt die katholische Kirche aller ihrer Heiligen. Wegen der steigenden Zahl von Heiligen wurde es zunehmend schwierig, jedes Heiligen mit einem eigenen Fest zu gedenken. Anfang des 7. Jahrhunderts ordnete Papst Bonifatius IV. eine jährliche Feier an. Papst Gregor IV. legte im Jahr 835 Allerheiligen auf den 1. November. Die evangelische Kirche feiert den Gedenktag der Heiligen ebenfalls am 1. November. In der orthodoxen Kirche wird der Feiertag am ersten Sonntag nach Pfingsten begangen.
Das eng mit Allerheiligen verbundene Fest Allerseelen am 2. November ist der eigentliche Totengedenktag der katholischen Kirche. Die Ursprünge des Festes befinden sich im 10. Jahrhundert. Im Jahr 998 wurde von Odilo, dem Abt der Benediktinerabtei Cluny (Frankreich), für den 2. November das feierliche Gedächtnis aller Verstorbenen für alle Klöster, die Cluny unterstellt waren, angeordnet. Von hier aus verbreitete sich in den folgenden Jahrhunderten das Fest in der abendländischen Kirche.
Allerseelen war früher magisch konnotiert, der Aberglaube war fest im Volk verbreitet. So hielt sich lange Zeit die Vorstellung, dass Verstorbene als Geister an diesen Tagen umherwandern und ihre Angehörigen aufsuchen.
Seit über tausend Jahren haben die beiden christlichen Feiertage Allerheiligen und Allerseelen einen festen Platz im Kirchenjahr. Memento mori – denk an den Tod! Der Friedhof ist das wichtigste „memento mori“ in der heutigen Zeit. Erinnerungen werden in uns wach, wenn wir an den Grabstätten unserer teuren Toten stehen und innere Zwiesprache mit den verstorbenen Angehörigen führen. Die Erinnerung ist das Fenster in die Vergangenheit! Grabbesuch und Grabpflege erinnern uns an die eigene Vergänglichkeit. „Wir sind aus nichts geboren und werden hernach sein, als wären wir niemals gewesen“, so lautet die Grabsteininschrift der auf dem Moritzfelder Friedhof zur letzten Ruhe gebetteten Eheleute Nikolaus (1888-1969) und Magdalena (1895-1973) Fonda.
Adam Müller-Guttenbrunn und Allerheiligen im Banat
Der große Schwabenschriftsteller Adam Müller-Guttenbrunn schreibt in „Götzendämmerung“ (1908): „Allerheiligen! Allerseelen! Zwei ernste Tage in katholischen Ländern, Tage der Einkehr, der Trauer um die Toten des Jahres, Tage der Pietät, des stillen Gedenkens an alle, die uns teuer waren. Die letzten Blumen des Jahres werden zu Kränzen gewunden und den Toten dargebracht, die Lichter brennen auf allen Gräbern und stumme Beter knien im Rasen der Friedhöfe“.
In „Deutsche Kulturbilder aus Ungarn“ (1896) heißt es bei Adam Müller-Guttenbrunn über Allerheiligen: „Im ganzen Dorfe herrschte ein Ernst und eine Feierlichkeit, die mich, den ich in der Heimat zum Fremdling geworden, gar seltsam berührten. (…) Die Leute gingen vormittags in die Kirche, still und ernst kamen sie heim, aßen fast nichts und um zwei Uhr begann neuerdings die Wanderung zum Gotteshaus. (…) Um drei Uhr begannen alle Glocken zu läuten (…) und der endlose Zug setzte sich unter den ernsten Klängen eines Trauermarsches und dem imposanten Glockengeläute gegen den Friedhof in Bewegung. (…) Das ganze Dorf hatte für den Rest des Tages verweinte Augen“.
Allerheiligen in Detta und in anderen Orten
Über Allerheiligen und Allerseelen Ende des 19. Jahrhunderts in Detta schreibt die „Dettaer Zeitung“ in ihrer Ausgabe Nr. 45 vom 8. November 1896: „Der Gottesdienst fand an beiden Tagen in der üblichen Weise statt, und war das Gotteshaus jedes Mal von Andächtigen gefüllt. Der Gräberbesuch zu Allerheiligen war groß. Das Publikum strömte den ganzen Tag über in Schaaren auf den Friedhof, wo auch heuer die Gräber mit kostbaren Kränzen und lebenden Blumen besonders schön geschmückt waren. (…) An den Gräbern (...) wurden so manche Erinnerungen an die darin Ruhenden wachgerufen und manche schmerzliche Träne benetzte die Wangen der Ueberlebenden!“
Am Allerheiligenabend hielt Dechant Johann Eghi/Egi (1912-2005) vor dem großen Friedhofskreuz eine Predigt. Besonderheit in Detta ist, dass am 1. November nicht nur Katholiken das Allerheiligenfest begehen, sondern dass auch orthodoxe Rumänen und Serben an diesem Tag ihrer Toten gedenken, der neben dem katholischen Friedhof gelegene orthodoxe Friedhof ebenfalls einem Blumen- und Lichtermeer gleicht. Das zeugt vom Verständnis und guten Mit- bzw. Nebeneinander der Dettaer, ungeachtet der Nationalität und des Glaubens. Wir Banater haben unsere Toten stets pietätsvoll verehrt und deren Grabstätten bestens gepflegt. Vom zeitigen Frühjahr bis spät in den Herbst blühten Blumen auf den Gräbern unserer Verstorbenen. Besonders schön geschmückt waren die Grabstätten zu Allerheiligen und Allerseelen. An diesen Feiertagen glichen unsere Friedhöfe einem Blumenmeer und sie erstrahlten im Lichte vieler Kerzen: „Gräberreihen, buntes Laub, / Blumenkränze, Kerzenschein, / Unvergänglichkeit in Stein, / Zwiegespräche -stumm und taub…“, heißt es im Gedicht „Friedhof im November“ von Anton Theer.
„Der Friedhof glich in der Abenddämmerung einem Meer von Lichtern. Nach dem Gräberbesuch gingen die Menschen ergriffen und schweigend nach Hause. (...) Im Dorf wurde es dunkel, die Menschen gingen zur Ruh, nur auf dem Friedhof verzehrten sich die Kerzen in einer Flamme als Zeichen der Liebe und des Gedenkens an unsere Toten“, schreibt Peter Konrad aus Nitzkydorf in der „Banater Post“ vom 5. November 1984.
In fast allen Schwabendörfern ging am Nachmittag oder am frühen Abend eine Prozession auf den Friedhof, wo der Pfarrer eine Predigt hielt, den Friedhof segnete und für die Verstorbenenbetete. Auch in Eichenthal wurden manchmal Prozessionen organisiert, und zwar nur dann, wenn das Wetter günstig war und ein Seelsorger in den Ort kam. Heute ist der Eichenthaler Friedhof kaum noch zu begehen, denn die Natur hat von ihm Besitz ergriffen.
In Glogowatz zog eine Prozession mit Musikbegleitung zum Friedhof. Am Abend beteten die Gläubigen mit einer Vorbeterin auf dem Friedhof den schmerzhaften Rosenkranz zum Gedenken an die Verstorbenen.
In manchen Orten, wie z.B. in Neuarad, sind „Heilichstritzl“ (Allerheiligenstritzl) gebacken worden, ein zopfförmig geflochtener Hefeteig. Besucher des Friedhofs erhielten ein Stück davon.
Wie an keinem anderen Tag im Jahr werden an Allerheiligen die Friedhöfe „lebendig“. Von nah und fern strömten nun die Menschen an die Grabstätten ihrer Toten. Am 1. November 1982 bin ich von Detta mit dem Fahrrad die zehn Kilometer nach Kleinomor, meinem Heimatort, gefahren, um meiner Urgroßeltern und Großeltern zu gedenken. Als einziger Deutscher lebte damals nur noch der 74jährige Anton Klein im Ort. Er war sozusagen auch der „Hüter“ des Friedhofs und gleichzeitig ein begehrter Gesprächspartner für die an diesem Tag zahlreichen Friedhofsbesucher. Selbstverständlich habe auch ich mich mit ihm unterhalten. Auf die Frage, warum er denn nicht zu seinen Kindern zieht, antwortete er in aller Bescheidenheit: „Do bin ich doch drhem, do fiehl ich mich am wohlschte“. Und, ehrlich gesagt, ich schämte mich, ihm diese Frage überhaupt gestellt zu haben.
Allerheiligen heute im Banat
Wie sieht es heute zu Allerheiligen und Allerseelen auf unseren Heimatfriedhöfen aus? Im Gedicht „Allerseelen“ heißt es beim Hatzfelder Dichter Peter Jung: „Die Stadt der Toten prangt im Lichterglanze; / Auf blassen Blumen glänzt der Kerzenschein; / Denn angetan mit einem grünen Kranze / ist heute auch der ärmste Leichenstein.
Das war einmal! Heute sieht es auf unseren Friedhöfen im Banat zu Allerheiligen und Allerseelen notgedrungen ganz anders aus. Wenn unsere Friedhöfe in früheren Zeiten bestens gepflegt und voller Blumen waren – nicht umsonst wurden sie auch noch „Rosengärten“ genannt –, so sind diese heute vielerorts zu kalten und öden Beton-Friedhöfen geworden. Manche unserer Friedhöfe sind, da verwildert und von Gras und Gestrüpp bereits überwuchert, kaum noch zugänglich.
Meine Frau und ich haben im Frühsommer des vergangenen Jahres in mehr als 80 Banater Ortschaften 90 Friedhöfe besucht und konnten uns an Ort und Stelle davon persönlich überzeugen. Auch wenn das Gras gemäht ist und keine Hecken und Gestrüpp die Friedhöfe verunstalten – was gut für die Besucher ist –, wird dies den steten Verfall unserer Gottesäcker nicht verhindern können.
Wir Banater Schwaben haben unsere Heimat „in freiheitsbedingter Notgedrungenheit aufgegeben“. (Hans Bohn) Im Banat zurückgeblieben sind unsere Kirchen und Friedhöfe. Die einst so sorgsam gepflegten Gräber unserer in der Heimatscholle ruhenden Verstorbenen verkommen und verfallen von Jahr zu Jahr immer mehr. Anschaulich beschreibt Stefan Heinz-Kehrer diesen Zustand im Gedicht „Alter Friedhof“: „Da sind sie, die Gräber, / die niemand mehr kennt. / Auf den Steinen die Namen, / die niemand mehr nennt. / Geneigt schon die Steine, / zum Sturze bereit, / in das jüngste Jahrhundert / der ewigen Zeit.“
Es blühen fast keine Blumen mehr auf den verlassenen Grabstätten (gelegentlich sind es „Pipatsche“, die den Platz der von Menschenhand gepflanzten Blumen einnehmen) und zu Allerheiligen und Allerseelen brennen kaum noch Kerzen auf den Gräbern. Es ist eben niemand mehr da, der sie anzünden könnte!
Es wird „dunkel“ auf unseren Heimatfriedhöfen, wie Hans Wolfram Hockl es so treffend in seinem Gedicht „Allerheiliche“ beschreibt: „Dunggl is de Kerchhoff. Die Kapell / in de Mitte is noch leenich hell. / Feierlich brennt dort es heilich Licht / vorm Altar sin Blume hergericht.“ Vergessen sind unsere Toten in der Banater Heimat jedoch nicht.
Ich habe während meiner Friedhofsbesuche 2023 im Banat viele Gebinde bzw. Kränze aus Kunstblumen auf unseren Gräbern vorgefunden. Diese wurden größtenteils im Auftrag gegen Bezahlung von Rumänen oder anderen Einheimischen dort angebracht. In Einzelfällen mag dies aber auch aus Eigeninitiative der dortigen Bewohner geschehen sein.
Dass aber nicht alles nur eine Sache des Geldes ist, zeigt folgendes Beispiel: Während ich meiner Dokumentationsarbeit auf dem Engelsbrunner Friedhof (1996) nachging, entdeckte meine Frau Helga eine alte Schwäbin bei der Grabpflege. Auf das „Grüß Gott“ und die deutsche Anrede antwortete die Frau mit einem herzhaften Lachen und sagte: „Sie sind nicht die Erste, die mich deutsch anspricht!“ Die vermeintliche „Schwäbin“ war in Wirklichkeit eine Rumänin, die als Kolonistin zwölf Jahre bei Deutschen im Haus gewohnt hatte. Sie hat die schwäbische Kleidung von einer schwäbischen Oma vor deren Ausreise nach Deutschland erhalten. Sie war gerade dabei, das Familiengrab ihrer ehemaligen deutschen Hausbesitzer herzurichten. Geld bekam sie dafür nicht, aber es war für sie Ehrensache, das Grab der Deutschen auch nach so vielen Jahren immer noch zu pflegen. Ihr Kommentar: „Gewollt haben uns die Deutschen damals nicht, aber verstanden haben wir uns doch.“ Respekt, Frau Viorica!
„Die Erde nahm sie alle auf. / Was blieb, sind Tränen, / Erinnerungen und Kerzenlicht. / Wohl dem, dem noch gedacht wird.“ (Adelheid Mokka / Allerheiligen). Ja, wohl dem, dem noch gedacht wird. Und das nicht nur zu Allerheiligen und Allerseelen...
Memento mori: Allerheiligen und Allerseelen - Totengedenken bei den Banater Schwaben
Kultur Erstellt von Helmut Ritter