Der volle Konferenzraum und das rege Interesse an den Autorenlesungen zeigen, dass die Tradition des „Grünen Sofas“ längst ein fester Bestandteil der Heimattage in Ulm ist.
„Herzlich willkommen zur Literaturstunde der Banater Heimattage 2024, die wir traditionell ‚Grünes Sofa‘ nennen und mit der wir in diesem Jahr 10-jähriges Jubiläum feiern!“, begrüßte Katharina Kilzer die Gäste. Zusammen mit Walter Roth führte sie wie schon vor 10 Jahren durch die Veranstaltung. Als akribische Beobachterin hat sie nicht nur die Veranstaltungen der Kulturhauptstadt Temeswar 2023 verfolgt, sondern auch mit künstlerischem Blick so manche Ecke in Temeswar dokumentiert. Nach einem kurzen Blick in die Geschichte der Stadt vermittelte ein kleiner Film, zusammengestellt aus eigenen Fotos und Leihgaben von Anita Maurer, Eindrücke des vergangenen Jahres.
Für die diesjährige Lesung wurden Autoren aus dem Banat auf das Grüne Sofa eingeladen, die aus ihren Büchern Texte und Lyrik vortrugen, die eng mit den eigenen Erlebnissen und Impressionen in dieser Stadt verknüpft sind. Es ist kein Zufall, dass alle drei in ihrer Arbeit und ihren Interessen so vielfältig sind, sondern ein Beweis dafür, welches Potenzial in unseren Landsleuten steckt und wie viel Wissen, Können und Talente sie aus der „alten Heimat“ herübergerettet und gepflegt haben.
Vorgestellt von Walter Roth las Fred (Alfred) Zawadzki die Erzählung „Durch die Maschen des Netzes“ aus seinem 2021 in WaRo-Verlag erschienenen Buch „Im Schatten des Domes“ vor. In dieser entführt er die Zuhörerschaft in die Lenauschule der 70er Jahre. Eindringlich erzählt der Autor, wie der Ich-Erzähler in einer ideologisch-autoritär geprägten Welt in die Maschen des Netzes gerät. Im Alter der Rebellion weigert er sich, sich den oft absurden Regeln und Zwängen zu unterwerfen und muss sich den Konsequenzen stellen. Treffend werden die Reaktionen der Lehrerinnen und Lehrer geschildert, die noch viele in Erinnerung haben oder aus eigener Erfahrung kennen, aber auch von anderen gut nachvollzogen werden können, entsprechen sie doch den Mustern eines autoritären Regimes. Lichtgestalt dieser Erzählung ist der Schulleiter, allen als „Boss“ bekannt, der es immer wieder schafft, Strenge mit Milde und Verständnis zu verbinden und manche unliebsamen Situationen zu entschärfen. Im Falle des Ich-Erzählers wird die Strafe dann doch nicht in der Metallverarbeitungswerkstatt, sondern im Geographie-Kabinett abgesessen. Mit dieser Erzählung setzt Fred Zawadzki dem Schulleiter ein Denkmal. Der Zuhörer erfährt am Ende der Erzählung auch, dass sie am 22. November 2011 geschrieben wurde, zwei Tage nach dem Tod von Erich Pfaff. Möge sie auch ein Dokument dafür sein, wohin ideologische Verblendung, falsch verstandene Autorität und Machtmissbrauch führen und ein Beweis, dass es zu jeder Zeit Menschen gibt, die mit Diplomatie, Empathie, Liebe und Verständnis jede Situation meistern können.
Seine Geschichte über Temeswar „Kirchweihfest“ aus dem in seinem Verlag 2023 erschienenen Buch „Von der Leichtigkeit des Seins“ erzählt Walter Roth aus der Perspektive eines jungen Erwachsenen im Banat der 80er Jahre. Als Reaktion auf die Außenwelt zieht dieser sich in den Ferien in die Einsamkeit zurück und begrenzt seine Welt auf Lesen, Schlafen und allein Fahrrad fahren. Rückblickend denkt er darüber nach, dass die zahlreichen Verbote dieser Jahre und das Eingesperrt-sein im eigenen Land dazu führten, dass Jugendliche sich das Recht herausnahmen, „die Spielregeln zu missachten“, vor allem im Westen Rumäniens, „wo das Leben der freien Welt aus dem damaligen Jugoslawien trotz der schwer bewachten Grenze herüberschwappte.“ Zu dieser Haltung kam bei den deutschen Jugendlichen noch eine zusätzliche Komponente hinzu, "nämlich jene, dass diese, ohne Ausnahme, von der Prämisse ausgingen, früher oder später das Land in Richtung Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Sie betrachteten ihre Rolle, eher unbewusst als bewusst, als eine vorbereitende Vorstufe der schweren, größtenteils traumatischen Ereignisse des bevorstehenden Exodus.“ Ein Zustand der „Schwebe“ ermöglicht dem Erzähler ermöglichte die Leichtigkeit, die das Individuum aus seiner Isolation befreien konnte, in der Hoffnung auf das danach, den Beginn „des richtigen Lebens“. Auch diese Erzählung ist eine Chronik der Ereignisse der Dämmerung des Kommunismus und ein Spiegel des Gemütszustandes einer Generation mit einer ungewissen Zukunft.
In der deutschen Literatur des Banats hatte die Lyrik schon immer eine herausragende Stellung. So ist es eine besondere Ehre, dass vorgestellt von Katharina Kilzer die „Grande Dame“ der rumäniendeutschen Lyrik, Ilse Hehn das „Grüne Sofa“ aus dem Schatz ihrer wundervollen Lyrik beschenkte. Seit den frühen 70er Jahre des letzten Jahrhunderts hat keine andere Persönlichkeit die rumäniendeutsche Lyrik so geprägt. Dass sie sich auch einen bedeutenden Platz in der gesamtdeutschen Lyrik erobert hat, beweist die Tatsache, dass sie mit zahlreichen Ehrungen und Preisen ausgezeichnet wird. Letztes Jahr erhielt sie den Andreas-Gryphius-Preis für die Verständigung zwischen Deutschen und ihren östlichen Nachbarn. Dazu gratulierte ihr Katharina Kilzer im Namen aller und überreichte ihr einen Blumenstrauß nachträglich zu ihrem Geburtstag. Eingangs las Ilse Hehn aus dem 2015 im Pop-Verlag erschienenen Band „Tage Ost-West“ Gedichte über Temeswar: „Sommer in Temeswar“, „Sommerskizze“, „Tafelbild“ und „Die Heimat, die Zunge“, sowie aus ihrem Künstlerband „Schottland“: „Jenseits des Tages“, „Atemgrau“ und „Amnesie der Schrift“.
Als besonderes Geschenk an die Zuhörer kann gewertet werden, dass sie zum Abschluss noch zwei unveröffentlichte Gedichte vortrug. In „Gaza“ kommt ihre ganze Sorge um den Zustand dieser Welt zum Ausdruck. In beeindruckenden Bildern von einem durchlöcherten Himmel, „ein Dach aus Verzweiflung gehängt über Geröll“, wo im „grauverschmierten Licht“ sich zwei Nachbarn belauern „mit Widerhaken im Blick geflammt in Hass“ klingt die Enttäuschung, aber auch der Schmerz über die Verrohung der Welt und die Unfähigkeit der Weltgemeinschaft, etwas gegen diese „Schleife ohne Umkehrpunkt“ zu unternehmen. Das Gedicht endet mit der Frage: „Diese Dunkelheit – wessen Schande?“
Dies beweist, wie interessiert sie an der Weltpolitik ist, aber auch wie sehr ihr die Zukunft der Menschheit am Herzen liegt. Doch im Sinne ihrer humanistischen und christlichen Erziehung, besinnt sie sich des 1. Korintherbriefes 13, allgemein als Hohelied der Liebe bekannt, den sie auf ihre Weise interpretiert, in einer besonderen Form, die leider beim Vorlesen etwas unter ging, aber gedruckt zu genießen ist in dem Gedicht „Die Wärme der Welt“. Der ersten Strophe des aus sechs Strophen bestehenden Gedichts ist die Luther-Übersetzung des 13. Kapitels des 1. Korintherbriefes als Motto vorangesetzt: „Wenn ich mit Menschen- und Engelszungen redete und hätte der Liebe nicht“. Es folgt eine Flut von Bildern, die zeigt, was mit der Sprache geschieht ohne die Liebe: Die Worte wären „verkrusteter Winter“, „gesichtslose Tiere“, die Fragen „Twitter-Geschwätz“ und die Antworten „Cursor gesteuert“. Die Strophe endet in der Frage nach dem Vertrauen. In den folgenden Strophen, die immer mit einer Zeile des Korintherbriefes beginnen, fragt sie, wer hören würde, wer sehen würde, wer singen würde, wer sprechen würde. Der letzten Strophe ist der vielzitierte Satz vorangestellt: „nun aber bleibt/ Glaube Hoffnung Liebe/ diese drei/ aber/ die Liebe/ ist die größte/ unter ihnen.“ Wenn uns „ihr Flügelschlag“ streift, werden wir schön, die „Jahre, die sie bewohnt/ werden hell“. Das Gedicht endet mit der Feststellung, dass „hätten (wir) der Liebe nicht/ ginge verloren/DIE WÄRME DER WELT“. Mit diesem Plädoyer für die Liebe endete die Autorenlesung unter stürmischem Applaus. Und schon war die für die Literaturlesungen eingeräumte Zeit vorbei. Zum Ausklang erinnerte ein kurzer, von Anita Maurer erstellter Film mit prägenden Impressionen aus dem Temeswar des Jahres 2023 an die Kulturhauptstadt im Laufe der Jahreszeiten.
Das „Grüne Sofa“ war wieder einmal ein Höhepunkt des Heimattreffens und die rege Beteiligung zeigt, dass gestiegene Interesse an der Literatur über unsere Heimat und an den Autoren, die sie noch in ihrem Herzen tragen. Wir hoffen, auch beim nächsten Treffen des „Grünen Sofas“ wieder namhafte Autoren zu begrüßen und wünschen uns, dass beim nächsten Mal auch junge Autoren aus der Generation der „Nachgeborenen“ zu Wort kommen.