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Ein Poetischer Chronist der Auswanderungszeit

Horst Samson beim Lenautreffen 2013 Foto: Călin Piescu

Der Lyriker, Essayist und Herausgeber Horst Samson hat sich als herausragender Repräsentant der rumäniendeutschen Literatur in der deutschen literarischen Öffentlichkeit erfolgreich etabliert. Seinen noch in  Rumänien erschienenen Gedichtbänden folgten nach seiner Ankunft in Deutschland (1987) weitere zehn Lyriksammlungen (vorwiegend im Pop Verlag Ludwigsburg publiziert). Darüber hinaus sind Gedichte Samsons in rund zwei Dutzend Lyrik-Anthologien aufgenommen  und in mehrere Sprachen übersetzt worden. Hoch geschätzt von der Fachkritik und als gern gesehener Gast bei Literaturveranstaltungen - ob in Temeswar oder Reschitza, in Ulm oder Bad Kissingen, Frankfurt oder Leipzig – ist Horst Samson vielfach präsent im deutschen Literaturbetrieb.

Leidenschaftlich und konsequent bekennt er sich zum Gedicht als der Urform der Dichtkunst in seinen Essays und Interviews. So im Text Ein Molekül springt aus der Bahn. Das Gedicht als Licht und Heimat – Vom Schreiben und Reiben an der Sprache und der Welt: „Lyrik ist unstrittig die verhexte Königsdisziplin der Literatur, der unsere Zeit die Bettelkleider übergeworfen hat, bevor sie aus Buchhandlungen verjagt und an die Ränder der Papierwelt vertrieben wurde auf die Deponie der missachteten Werte ...” (In: Heimat als Versuchung. Das nackte Leben, 2018)

Die Poesie ist für unseren nun 70jährigen Jubilar das prägende künstlerische Lebenselixier und war ihm in schwieriger Zeit auch Überlebenshilfe.

Sein Dichtertum war ihm nicht in die Wiege gelegt, vielleicht aber die Unrast oder die Rastlosigkeit. Denn er wurde am 4. Juni 1954 nicht in einem beschaulichen Banater Heidedorf geboren, sondern in Salcâmi, einem Verbannungsort in der weiten, unwirtlichen rumänischen Distelsteppe, genannt Bărăgan, wo seine Eltern fünf Jahre Zwangsaufenthalt hatten und erst 1956 in ihr  Heimatdorf Albrechtsflor (rumänisch Teremia Mică) zurückkehren konnten. Die Verletzungen aus dieser Zeit, die nie ganz vernarbten - weder in der Familie Samson noch in Tausenden anderen Banater Familien - wirkten auf den heranwachsenden Horst Samson ein und sollten sich späterhin immer wieder zu Wort melden (Zwiegespräch mit Disteln im Band Das Imaginäre und unsere Anwesenheit darin, 2014).

Die Steppe in der Biographie

In den beiden benachbarten banatschwäbischen Gemeinden Albrechtsflor und Marienfeld, nahe der serbischen Grenze, verbrachte er eine unbeschwerte Kindheit, eingebunden in die Familie und das dörfliche Traditionsgefüge, wovon nicht nur sein Mundartgedicht unsre glocke zeugt, veröffentlicht unter dem Pseudonym Harry Simon. Auch spätere lyrische Rückblenden wochenende  auf dem land (In: Tiefflug, 1981), Miniatüre in g-Moll (In: Das Imaginäre und unsere Anwesenheit darin, 2014) oder Weihnachten im Feld. Für Vater (In: In der Sprache brennt noch Licht, 2021) spiegeln die emotionale Bindung des inzwischen weitgereisten Dichters an das dörfliche Milieu und die eigene Familiengeschichte.

Am deutschen Pädagogischen Lyzeum in Hermannstadt wurde er zum Lehrer ausgebildet, arbeitete sodann kurze Zeit an einer Schule in Busiasch und von 1977 bis 1984 in der Redaktion der Neuen Banater Zeitung. Dort und im Literaturkreis Adam-Müller-Guttenbrunn traf der angehende Dichter auf  gleichgesinnte junge Autoren, die das banatdeutsche Literaturgeschehen dieser Jahre auffrischten und zunehmend prägten.

Mit mehreren Gedichtbänden machte er auf sich aufmerksam: Der blaue Wasserjunge (Temeswar, 1978); Tiefflug (Klausenburg, 1981); Reibfläche (Bukarest, 1982); Lebraum (Klausenburg 1985) und wurde mit Literaturpreisen ausgezeichnet.

Doch seine nonkonforme Haltung, die Abfassung und Mit-Unterzeichnung eines offiziellen Protestbriefes Temeswarer deutscher Autoren an die Parteioberen hatte den erhöhten Druck der Securitate zur Folge, die ihn schon längst im Visier hatte. Er erhielt Schreibverbot und war Repressalien und Bedrohungen seitens des Geheimdienstes ausgesetzt. Schließlich entschied sich Horst Samson für die „Auswanderung“, die folgenreichste Zäsur in seinem Leben.

Der Dichter bekennt: „Viele meiner Gedichte spiegeln exemplarisch die Zeitläufte des Emigranten, die fortgesetzte Suche nach Vaterländern und verlässlicher Verortung, nach unverbrauchter Sprache und nach einem Stück blauen Himmel, die Heimat  sein können, und sie bilden den Reichtum der Sprache, der Literaturen dieser Welt und des poetischen Arsenals ab.” (Heimat als Versuchung, S. 290)

Seinen Band Das Imaginäre und unsere Anwesenheit darin  leitet er ein mit dem Gedicht Sonate für Gehirn und Violine, dem er die Orts- und Zeitangabe „Heidelberg-Kirchheim, 1987” anfügt, dem Standort des Aussiedler-Wohnheims und dem Jahr seiner Ankunft in der neuen Welt. Bedeutsam erscheinen mir die Akzentsetzungen in diesen zehn Versen: „große Freiheit”, „Gedichte gegen das Vergessen”, „Kiste mit den Habseligkeiten”. Hozschnittartig beschreibt der ausgesiedelte Dichter die Hoffnung und den realen Zustand seiner neuen Existenz. Horst Samson gilt zu Recht als poetischer Chronist der Auswanderungszeit.

In seinen Gedichten blickt er zurück im Zorn, mit Bitterkeit, Schmerz und Melancholie ob des unwiederbringlichen Verlustes der eigenen Lebenswelt, der demütigenden Abfahrt aus dem Grenzbahnhof Curtici nach Westen und eingedenk des unfassbaren Verfalls, der die Hinterlassenschaft der Ausgewanderten in wenigen Jahren heimsuchen sollte. Sprachbilder werden potenziert durch Anklänge an musikalische Genres und Begriffe, so unter vielen anderen in Violine. Die Köpfe sind unterwegs, Miniatüre in g-Moll oder in Requiem.

Überall trägt der Entwurzelte das Gepäck der Erinnerungen mit sich. Sie beflügeln die Imagination bei der emotionalen Naturbegegnung in anderen Breiten. Ob im schweizerischen Verzascatal - „Valle Verzasca” hat „nur selten ... zwei Aussiedler gesehen”  -, ob in Südwestafrikas gigantischer Wüste Namib („Land unter dem Sand”) oder in Norwegens Geisterort Nykstad („Verortung”): In die geradezu mythische Wahrnehmung fremder Landschaften durch das im Universum verlorene Ich nistet sich Erinnerung ein, unmerklich genährt von den entfernten Wurzeln der Herkunft.

Ein Dichter unserer Zeit

Unrast ist des Dichters ständiger Begleiter. Auch in den Gedichten über Liebe und Tod, über Schönheit und Verfall, Vergänglichkeit und Trauer. Nicht zuletzt im Spannungsverhältnis zur Sprache, zum Wort als Wunder und Freund, aber auch als Gefahr und Schmerz (Denn alles hat angefangen). Horst Samson ist eben ein Dichter unserer Zeit, längst angekommen in der heutigen deutschen Lyrik, was ihm unbestechliche Kenner des Literaturbetriebs bescheinigen. Man lasse sich nicht täuschen von den zahlreichen Anspielungen  auf große Literatur in seinen Texten, darunter auf die Bibel, oder auf klassische Gedichtformen wie Ode, Elegie und Sonett, gar auf das Vaterunser. Es geht auch in seinen Widmungsgedichten an große Dichter nicht um äußerliche Bildungselemente, eher um zeitgemäße bzw. originelle Verfremdungen oder inspirierende Anverwandlung und überraschende, vertiefende Assoziationen.

Horst Samson ist ein politischer Dichter mit Ecken und Kanten. Aber trotz des kämpferischen, zuweilen aufrührerischen Tons seiner Gedichte gegen den Zustand der Welt erscheint er mir doch wie ein verkappter Romantiker, der die sensible Suche nach der „blauen Blume” nicht aufgibt und die Schönheit des Lebens selbst in Bildern der Vergänglichkeit preisen kann: Ein blauer Tag, September./ Die Pracht des Sommers noch einmal.// ... Die Blätter schmücken sich für den Wind./ Gleich wird er sie abholen / zum Tanz durch die Alleen. (Algorithmus der Natur, 2014)

Herzlichen Glückwunsch, lieber Horst Samson!