„Lifeline“ heißt die Ausstellung, die derzeit im Temeswarer Kunstmuseum zu sehen ist. Schon der Titel lässt erahnen, dass sie mehrere Themen behandelt, die der Künstler Dieter Mammel, 1965 in Deutschland geboren, darin zu bearbeiten versucht. Gemeint ist einmal die „Lebenslinie“, die Furche in der Innenhand, die die Länge der Lebensdauer anzeigen soll. Es kann womöglich auch die „Rettungsleine“ gemeint sein, ein Gurt zur Rettung von Menschen, die zu ertrinken drohen. In der Ausstellung von Dieter Mammel, die am 10. Mai 2024 eröffnet wurde, geht es um Leben und Tod, aber auch um die unzähligen Erfahrungen dazwischen, die guten, wie die schlechten, die uns ein Leben lang begleiten. Eine breite Palette an Erfahrungen der eigenen Familie kommt in der Ausstellung zum Ausdruck. Die eigene Familiengeschichte steht stellvertretend für die Tragödien, die auch anderen Menschen widerfahren sind und widerfahren können, denn Krieg und Flucht gehören weiterhin weltweit zum Alltag. Sechs große Themen stehen in der Ausstellung von Dieter Mammel im Vordergrund: Heimat, Krieg, Zuflucht, Schutz, Familienalbum und Überleben.
„Lifeline“ entstand durch die Zusammenarbeit des Donauschwäbischen Zentralmuseums in Ulm und des Nationalen Kunstmuseums in Temeswar. Die fast 80 Werke, meist von großem Format, können die Museumsbesucher in der Ioachim-Miloia-Galerie bewundern.
Am 9. Mai 2024, demTag vor der offiziellen Eröffnung der Ausstellung, führten der Maler Dieter Mammel persönlich und Kurator Alexandru Babuşceac die Vertreter der Presse und die Museumsmitarbeiter durch die Ausstellung. Auch der Direktor des Donauschwäbischen Zentralmuseums Tamás Szalay und der Temeswarer Kunstmuseumsleiter Filip Petcu nahmen daran teil.
In den ausgestellten Werken zeigt der Maler die menschliche Existenz sowohl durch die Linse der eigenen Familie, die von den grausamen Ereignissen des Zweiten Weltkriegs geprägt ist, als auch durch die Augen derer, die heute Ähnliches erleben. Dieter Mammels Vorfahren stammen aus dem Banat, seine Großmutter mütterlicherseits kam aus Großscham und sein Großvater aus dem serbischen Franzfeld in der Wojwodina. In den 1940-er Jahren floh die Großmutter mit ihren Töchtern nach Österreich. Nach sieben Jahren in serbischer Kriegsgefangenschaft fand der Großvater sie dort. Dieter Mammels Vater war als Bessarabiendeutscher mit seiner Familie aus dem ukrainischen Köstnitz Richtung Westen geflohen.
Der Künstler erzählt, dass er bereits vor 20 Jahren eine Ausstellung im Kunstmuseum Bonn mit Gemälden aus der Familie hatte. Die jetzigen Arbeiten sind „eine Referenz an diese Ausstellung von vor 20 Jahren“. Mit der eigenen Familiengeschichte beschäftigt er sich, da er „die Malerei als einen sehr persönlichen Akt betrachte“. Deshalb malt er seine eigenen und die Erfahrungen seiner Familie. Persönlichen Kontakt mit Flucht hatte er 2015 auf der griechischen Insel Kos, als er die Ankunft der Boote mit syrischen Flüchtlingen miterlebte. Zurück in Deutschland, ging er zu den Kindern in den Flüchtlingsheimen, um mit ihnen zu malen. So entstand das Projekt „Zeig mir, woher du kommst“. Die Werke, die in der Ausstellung „Lifeline“ zu sehen sind, stammen aus der Zeit nach 2015. Anhand der Geschichte seiner eigenen Familie erzählen die Werke Mammels von dem kollektiven Trauma derer, die unter dem Krieg zu leiden hatten, aber auch von dem mühsamen Weg des Heilungsprozesses nach diesen Erfahrungen. Die Werke sind in Farbtinte teilweise mit sehr starken Farben gemalt. Die Symbolik, die in ihnen steckt, ist bemerkenswert. In den letzten drei Räumlichkeiten der Ausstellung treten Mammels Werke, die das Thema des Todes ergründen, in einen Dialog mit einigen Werken, die der eigenen Sammlung des Temeswarer Kunstmuseums entstammen.
Tamás Szalay, der seit einem Jahr an der Spitze des Donauschwäbischen Zentralmuseums in Ulm steht, sagte, sein Konzept sei, „viel mehr im Donauraum präsent“ zu sein. Dafür eigne sich diese Ausstellung perfekt, da „sie einerseits eine Familiengeschichte, also die typische donauschwäbische Fluchtgeschichte erzählt, aber trotzdem (sei) alles so allgemein gehalten, dass es zugleich die Geschichte vieler anderer sein kann, nicht nur die donauschwäbische Geschichte bzw. die Familiengeschichte.“ Die Ausstellung erzählt mit den Bildern über die Fluchtwelle in 2015/16 und aus der Ukraine auch „eine ganz allgemeine und ganz aktuelle Geschichte“. Er fügte hinzu: „Unser Auftrag ist, die deutsche Kultur im Donauraum zu bewahren und zu stärken.“ Museumsleiter Filip Petcu ist seit seinem Amtsantritt offen für Zusammenarbeit mit Kulturinstitutionen aus dem Ausland. „Für uns war es eine besondere Erfahrung, den Künstler Dieter Mammel hierher zu bringen – ein Künstler mit Wurzeln im Banat. Er hat sich – ganz im Sinne der Temeswarer Multikulturalität – mit diesen Wurzeln identifiziert, was uns sehr gefreut hat.“ Der Künstler blickt auf seine Wurzeln und konkretisiert diese „als Linie, die die Vergangenheit mit der Gegenwart und Zukunft verbindet.“ Es entsteht so „ein Kreis, durch den wir uns auf die Geschichte beziehen können, auf die menschlichen Beziehungen, auf den Stammbaum, auf die Quellen unserer Identität und auf die Herausforderungen, die uns dazu bringen, in die Zukunft zu blicken.“
Das Temeswarer Kunstmuseum hat bereits im vorigen Jahr eine Initiative gestartet, Künstler mit Wurzeln in Rumänien, die im Ausland bekannt wurden, wieder nach Temeswar zurückzuholen. Der britische Künstler mit rumänischen Wurzeln Paul Neagu (1938 – 2004) war der erste, den das Kunstmuseum am Domplatz in diesem Zusammenhang vorstellte. Der Banater deutschen Kultur widmete sich das Kunstmuseum voriges Jahr anlässlich der Heimattage der Banater Deutschen mit einer Ausstellung von Banater deutschen Malern.
Die Ausstellung „Lifeline“ von Dieter Mammel ist die hundertste im Leben des deutschen Künstlers und stellt eine Verbindung zwischen dem Banat und Deutschland dar. Sie kann bis zum 4. August dieses Jahres besichtigt werden.