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Wenn dir die Kinder Löcher in den Bauch fragen

Gar manchem Erwachsenen geht die kindliche Fragelust auf die Nerven, auch wenn er nicht gerade mit einer Verrichtung beschäftigt ist, die Aufmerksamkeit erfordert. Der tschechische Humorist Jaroslav Hašek schildert, wie ein Mann seinen Neffen, den vierjährigen Mila, mit dem er eigentlich nur spazieren gehen wollte, aus Verzweiflung über dessen Fragerei in der Puszta aussetzt und deswegen in Untersuchungshaft gelangt.

Tatsächlich sind die meisten jungen Eltern auf diese Herausforderung nicht vorbereitet – wobei es nicht um das nötige Wissen geht, der Mensch ist schließlich kein Lexikon, sondern um die prinzipielle Einstellung. Wer Kinder hat, die Fragen stellen, darf sich glücklich schätzen, weil diese ihre geistige Entwicklung erkennen lassen und ihr Vertrauen offenbaren. Doch wie soll man sich verhalten? Immer sofort antworten oder von Fall zu Fall den Bescheid hinauszögern? Unbedingt die Wahrheit sagen oder flunkern? Sich als allwissend ausgeben oder mit dem Kind zusammen im Lexikon beziehungsweise bei WIKIPEDIA nachschauen? Tatsächlich fragen auch große Kinder gern – wenn man ihnen die Neigung dazu nicht versalzen hat, als sie noch klein waren.

Mit den Anleitungen zu einer Gesprächstaktik kommt Hans Fink, der Verfasser des kürzlich erschienenen Bandes „Wie dein Kind scherzen lernt (und andere Geheimnisse)“jungen Eltern entgegen.

Der Verfasser ist in Temeswar aufgewachsen, in der Mondschein-Gasse, wo die alten Leute, wenn ein Kind sich an einem Dorn oder Nagel verletzt hatte, begütigend versicherten: „Bis du heiratest, vergehtʼs.“ Dort in der Mondschein-Gasse hat er gehört, dass man einen Vogel fangen kann, wenn man ihm Salz auf den Schwanz streut, und wie man aus Kalbs-Gulasch Rinds-Gulasch macht. Die Kunst des Scherzens, wird im zweiten Aufsatz ausgeführt, ist keine angeborene Gabe, an irgendwelche Gene gebunden, sondern eine Fähigkeit, die sich im Laufe der Jahre unter günstigen Umständen herausbildet. Zu diesen Umständen zählt die Atmosphäre in der Familie, die Kenntnis der Folklore und der humoristischen Literatur.

Wo lernt man scherzen? In der Schule nicht – dafür gibt es kein Fach. Die Voraussetzung ist Humor. Wo erwirbt man Humor? Dafür gibt es kein Fach.

Wenn bei uns im Banat, mit diesen Worten beginnt der Aufsatz, der Werkstoff zu einem Vorhaben nicht ganz reichte – da fehlten zum Beispiel drei Stützstangen beim Paradeis-Aufbinden oder ein halber Topf Tünche beim Weißeln, man brauchte noch ein Knäulchen Wolle oder eine Handvoll Teig –, dann hörte man oft folgenden Kommentar: „Es geht aus wie bei Matzens Hochzeit – der Letzte hat keinen Löffel gekriegt.“ Mit dieser Redensart verscheuchte der Banater Schwabe den Ärger seines Partners über den Fehlbetrag. Wie lässt sich ihre Wirkung erklären?

Durch die Bezugnahme auf die Hochzeit wird ein Vergleich vorgenommen. Die Redensart macht deutlich, um wie viel schlimmer es anderen schon ergangen ist. Was für ein Gegensatz zwischen Anlass und Anstalten, wenn bei dem großen Fest, welches gewöhnlich Überfluss und Freigebigkeit auszeichnen, ein Gast ohne Löffel oder gar die Braut als Hauptperson ohne Teller bleibt! Man fühlt sich über den Unglücksraben von Matz erhaben; an seiner Not gemessen erscheint das Pech mit den drei Stützstangen beim Paradeis-Aufbinden als gering. Diese Auftrieb verleihende Einsicht verschmilzt mit einer weiteren Erleichterung. Während die erste Hälfte der Redensart den Zuhörer neugierig macht auf die Ähnlichkeit zwischen Matzens Hochzeit und seinem banalen Missgeschick, löst die zweite Hälfte die Spannung, indem sie eine unerwartete Gemeinsamkeit aufdeckt.

Wichtig fürs Scherzen ist ein Vorrat an Redensarten – an bildhaften Redensarten mit übertragener Bedeutung. Denn auf den Sack schlägt man, und den Esel meint man.

Der dritte Aufsatz deckt auf, ab wann Rätsel Kinder ansprechen, wobei es nicht auf die Zahl der Jahre ankommt, sondern auf die Beherrschung der Sprache. 

Der vierte Aufsatz ist eine Draufgabe wie das Päckchen Papiertaschentücher für treue Kunden in der Apotheke. Er handelt von einem Stilmittel der Kinderliteratur. Der Kinderbuchautor lässt einen törichten Wunsch in Erfüllung gehen und schildert drastisch die unangenehmen Folgen. Mit diesem Kunstgriff führt er den kindlichen Leser, der sich mit dem Helden identifiziert, zur Besinnung.   

Hans Fink: Wie dein Kind scherzen lernt (und andere Geheimnisse). Norderstedt: Books on Demand, 2023. 120 Seiten. ISBN: 9-783741-266492. Preis: 5,99 Euro