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Ein Feuerwerk an Formen und Farben

Die meisten Skulpturen sind aus weißem Carrara-Marmor gefertigt.

In seiner Retrospektive zeigte Walter Andreas Kirchner im Atrium des VolksbankHauses Pforzheim Gemälde, Skulpturen und Grafiken aus nahezu sechs Schaffensjahrzehnten.

Der Künstler Walter Andreas Kirchner (links) und sein Laudator Hans Hausenstein-Burger Fotos: Walther Konschitzky

Der Vernissage wohnten zahlreiche Gäste − Freunde des Ehepaares Kirchner, Banater Landsleute und Kunstinteressierte − bei.

Der Maler, Grafiker und Bildhauer Walter Andreas Kirchner ist im April vergangenen Jahres achtzig geworden. Zum runden Geburtstag sollte im VolksbankHaus Pforzheim eine Retrospektive des Künstlers gezeigt werden und ein Katalog erscheinen. Die Werkschau musste jedoch wegen der Corona-Pandemie abgesagt und dann mehrmals verschoben werden. Das 260 Seiten starke, durchweg bebilderte Kunstbuch mit einer Einführung von Franz Heinz – „Kirchner und die Bestätigung der Unrast“ – liegt hingegen seit vergangenem Jahr vor. Es dokumentiert vor allem das künstlerische Spätwerk von Walter Andreas Kirchner und setzt somit den 2008 im Banat Verlag Erding erschienenen repräsentativen Band fort, in dem Dr. Walther Konschitzky – langjähriger Freund und kritischer Wegbegleiter des Künstlers – das Frühwerk Kirchners vorstellt.

Nachdem die Pandemie-Beschränkungen nun weitgehend entfallen sind, konnte die Retrospektive von Walter Andreas Kirchner am 23. September endlich eröffnet werden. Im riesigen Atrium des VolksbankHauses in Pforzheim, einer idealen Räumlichkeit für Kunstwerke, empfing die zahlreich zur Vernissage erschienenen Besucher „ein Strom von Farben und Formen, diskret beleuchtete Bilder und dazwischen schimmernd Skulpturen im edlen Weiß des Carrara-Marmors“, so Eva Filip auf Facebook. Die Gemälde, Skulpturen und Grafiken, wohldurchdacht aufgestellt, sprechen für den rastlosen Künstler und zeigen, welche Antworten er auf Erlebtes gibt. „Man geht schwanger mit einem Gedanken und trifft plötzlich auf etwas, in dem sich die Idee materialisiert“, erklärte Kirchner gegenüber der „Pforzheimer Zeitung“ seine Vorgehensweise, die seit Jahrzehnten sein malerisches und bildhauerisches Werk prägt. In seinem Kopf bewege er aktuelle Themen aus den Nachrichten, Eindrücke von Begegnungen mit Menschen oder der Natur so lange in einer Art stummem Dialog hin und her, bis es „klick“ mache und die Gedanken sich zu einer Form, einem Bild fügten. Kirchner versteht Kunst „als Antwort auf das, was man erlebt“.

Nach der Begrüßung der Besucher durch den Vorstand der Volksbank René Baum hielt der langjährige Freund des Künstlers Hans Hausenstein-Burger, der sowohl als Künstler als auch durch die gemeinsame Banater Herkunft mit Kirchner verbunden ist, die Laudatio. Er bettete das Werk in die Biografie des 1941 Perjamosch geborenen Künstlers ein, die geprägt ist von den dramatischen Ereignissen des 20. Jahrhunderts – 1944 Flucht aus dem Banat, Rückkehr und Leben in der kommunistischen Diktatur, Ausreise 1981 in die Bundesrepublik Deutschland – und ordnete es kunsthistorisch ein.

„Der schöpferische Akt der Kunst, vor der wir heute stehen, ist das bezaubernde Zeugnis einer lebenslangen Selbstvergewisserung. Staunend steht man vor einer überbordenden, geradezu hektischen Produktivität“, sagte der Laudator. Es scheine, als ob diese Kunst einer vor sich hin sprudelnden, unversiegbare Quelle entspringe und jeder Atemzug des Künstlers neue Bilder und Gestalten hervorbringe. Kirchners Werk sei ein stetiges Präsenzzeichen, ein Ruf: „Hier bin ich, und so ist, ja so war die Welt, in der ich lebe.“ 

Der Künstler „öffnet uns seine Seele, beschreibt bildhaft seine Ängste und Zweifel“, er mahnt und klagt an, sodass „gelegentlich sogar ein etwas mulmiges Gefühl der Mitverantwortung in uns aufkommt“. Beim Betrachten lösten die Werke zunächst Betroffenheit aus, „denn es sind einfache, luzide Bilder und Skulpturen, welche seelisch berühren“, so Hausenstein-Burger. Kunstbewanderte hingegen „bestaunen nicht selten die gewagten technischen Verfahren und Raffinessen, mit denen die Werke entstanden sind“, sie „bewundern auch die Virtuosität der Ausführung“ und „suchen das Bleibende, welches hier als Summe zu sehen ist“.

Breiten Raum widmete Hans Hausenstein-Burger der Antwort auf die Frage: „In welchem sozialen Biotop können solche künstlerischen Äußerungen heranwachsen?“ Kirchner habe die Hälfte seines Lebens in Rumänien, einem repressiven kommunistischem Land, verbracht. Die Kindheit in einem multiethnischen Umfeld, geprägt von der Maroscher Landschaft, sei „erfahrungsreich und schön“ gewesen, und diese ins Unterbewusstsein eingebrannten „kindlichen Traumzeiten“ beteiligten sich am Schöpfungsakt. Der Laudator ging auf Kirchners Kunststudium in Temeswar (1964-1967) und den ihn prägenden Privatunterricht bei Professor Julius Podlipny wie auch auf seine Tätigkeit als Kunsterzieher in Heltau in Siebenbürgen (1967-1974) ein, wo sich rasch sein Ruf als aufstrebender junger Bildhauer festigte. 

Mit dem Umzug nach Temeswar 1974, wo Kirchner als Grafiker und Designer arbeitete, habe sich dem inzwischen anerkannten Künstler ein zweiter großer Erfahrungsraum geöffnet. Die Druckgrafik, wofür hier die Voraussetzungen vorhanden waren, habe ihm neue künstlerische Möglichkeiten geboten. „Nicht nur seine stilistischen Herangehensweisen sind filigraner geworden, feiner und gefestigter, sondern auch durch die Themenwahl gewinnt er eine größere Aktualität. Die grafischen Zyklen mit Motiven der Banater Kinderlieder, den Illustrationen zu Sagen und Schwänken erweitern seinen Kontakt zu den größeren Leserkreisen der Presse und Literatur“. Die Temeswarer Jahre seien, so der Laudator, „eine erfüllte Zeit“ gewesen, in die auch die Eheschließung mit Hedwig Andree und die Geburt des ersten Sohnes Ralf-Armin fielen.

Zu den Umständen der Auswanderung der Familie im Jahr 1981 sagte Hans Hausenstein Burger: „Die kollektive Abwehrhaltung gegenüber dem repressiven System erfasste auch den stets aufstrebenden Künstler, was mehr und mehr in der Themenwahl wie auch in der Ausführung spürbar wurde. Diese Wandlung wurde zunehmend kritisch beäugt. Die künstlerische Ich-Findung ist ja stets auch eine sich selbst entblößende Offenbarung des Fühlens und Denkens. Wenn aber jede Äußerung als soziale und politische Haltungsfrage hingestellt wird, kann diese Entpuppung schon als Anklage benutzt werden. Die Folge war zunehmender Unmut und Frust (…)“.

In Pforzheim begann für Walter Andreas Kirchner und seine Familie (der zweite Sohn Rai-Hilmar kam hier auf die Welt) der zweite Lebensabschnitt. Neben seiner beruflichen Tätigkeit als pädagogischer Mitarbeiter des Stadtjugendrings Pforzheim arbeitete Kirchner unentwegt weiter und schuf eine Vielzahl von Bildern und Skulpturen. Sie sind im Atelier in Pforzheim oder im Künstlerdomizil in der Toskana entstanden. Seitdem er 2004 in Rente gegangen ist, kann er seiner Kunst ungehindert dienen.

Walter Andreas Kirchner habe seine eigene Sprache gefunden, führte Hausenstein-Burger weiter aus. „Dieser ist er konsequent treu geblieben. Er sucht und findet allgemeingültige Symbole. (…) Wir erkennen in seinen Werken die Formen des Werdens und Vergehens: Naturgewalten, sich aufbäumende Fluten und Flammen, Sturm und zartes Blätterrauschen. Es kämpft und siegt, gelegentlich thematisiert er auch Verlust und Untergang. Alles – Mensch und Tier, Häuser, Blumen und Sträucher – wiegt sich uns zu oder von uns ab.“ Kirchner fordere lediglich „unsere kontemplative Betrachtung der Ergebnisse seiner Meditationen“. Er weigere sich, „den merkantilen Weg der Zeit einzuschlagen“, er verschließe sich „jedem Versuch (...) persönliche oder künstlerische Kompromisse einzugehen“. Kirchner „romantisiert nicht, er verschönt auch nicht, bleibt hart im Erkennen und Wiedergeben, stetig seine Auswahl überprüfend“. Sein „Weg zur gegenständlichen Kunst war vorgezeichnet, so wie seine Nähe zum Expressionismus ihm in die Perjamoscher Wiege gelegt war. Zum Symbolismus fand er aus schierer Lebensnot.“

Hans Hausenstein-Burger lobte Kirchners vorbildlichen Einsatz für die Gruppe, der er entstammt und der er sich zugehörig fühlt. Dafür stünden viele singuläre Werke wie Porträts oder Stelen, wichtig und bedeutsamer aber blieben seine Denkmale der Erinnerungsskulptur in großflächiger räumlicher Gestaltung. Damit sei er „zum ewigen Mahner geworden, denn viele Teile dieser Gedenkstätten werden uns lange Zeit überdauern“.

Zum Schluss kam der Laudator noch auf den dritten Lebensabschnitt des Künstlers zu sprechen: „Es ist das Elysium, der ersehnte Alterssitz am Busen des Carrara-Marmors, unweit von Michelangelos Pietrasanta, in Montignoso.“ Hausenstein-Burger gestand: „Neidvoll blicke ich auf die astral leuchtenden Marmorfigurinen und -torsi, welche er dort vollendet, auch wenn ich die zarten Porzellanfiguren, welche unter seinen Fingern entstanden sind, fast noch mehr schätze. Formvollendete Gebilde, beinahe an Bernini erinnernd (…). Er hat eben keinerlei Scheu vor dem klassischen Ebenmaß, das ja längst verpönt und verworfen wurde.“

Walter Andreas Kirchner bedankte sich beim Laudator und bei allen, die dazu beigetragen haben, dass diese Ausstellung zustande kommen konnte, vor allem bei der Deutsch-Rumänischen Gesellschaft Pforzheim und ganz besonders bei seiner Ehefrau Hedi Kirchner, die ihm immer unterstützend zur Seite steht und sich darum kümmerte, dass zwei wunderbare Bücher mit den Werken des Künstlers veröffentlicht wurden.

Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung durch den Solisten Jay Alexander, der mit seiner sonoren Stimme den Farben und Formen wunderbare Töne hinzufügte. In der Begleitung der Pianistin Juna Tcherevatskaja interpretierte er die „Zueignung“ von Richard Strauss, die „Barcarole“ von Jaques Offenbach, das Lied „Plaisir d’amour“ sowie die bekannten Volkslieder „Santa Lucia“ und Heinrich Heines „Loreley“. Bei einem Gläschen Sekt und Fingerfood standen die Besucher noch lange beisammen und tauschten sich aus.

Die Ausstellung war bis zum 5. Oktober geöffnet. Den Besuchern bescherte sie ein wunderbares Kunst-erlebnis. Über die Retrospektive berichteten Thomas Kurtz unter dem Titel „Steter Kampf als Diener der Kunst“ in der „Pforzheimer Zeitung“ und Axel Fischer-Lange im „Pforzheimer Kurier“ unter der Überschrift „Kunst als Reflexion des Lebens“.