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Banater Geschichte von außen betrachtet: Gastspiel des Chawwerusch-Theaters in Ulm

Szene aus dem vom Chawwerusch-Theater aus Herxheim aufgeführten Stück „Donaukinder“ Foto: Helmut Dudenhöffer

Der ungewöhnlich sonnige Sommer 2022 konnte vergessen machen, dass es bei Freiluftveranstaltungen auch ein Regenrisiko gibt. So freuten sich viele Banater Schwaben aus Ulm und der näheren (ja, auch weiteren) Umgebung auf das angekündigte Gastspiel des Chawwerusch-Theaters aus der südlichen Pfalz im Innenhof der Ulmer Wilhelmsburg. In dem Stück „Donaukinder“ sollte es laut Ankündigung des Theaters um die Geschichte der Banater Schwaben gehen. Die neuere Geschichte in kommunistischer Zeit, aber auch mit Rückblicken auf die seinerzeitige Auswanderung mit den „Ulmer Schachteln“ und auf die neuzeitliche Rückwanderung wegen Repressionen und politischen Verwicklungen. Alles eben, was man aus der eigenen Geschichte so kennt als Banater Schwabe.

Aber wie kommt ein Pfälzer Theater darauf, sich diesem Thema zu widmen? Der Kultursommer Rheinland-Pfalz, erklärt uns die Pressesprecherin des Theaters Silke Bender, hatte das Motto: „Kompass Europa – Ostwind“. Das Chawwerusch-Theater suchte ein passendes Stück dazu und kam bei der Recherche im „Ostwind“ auf Rumänien und auf die Banater Schwaben. Erst bei näherem Hinsehen erkannte man auch den Bezug zu der eigenen Region, aus der einst viele der Vorfahren der Banater Schwaben ausgewandert waren. Unter Mithilfe des Donauschwäbischen Zentralmuseums und der Kulturreferentin für den Donauraum entstand eine Geschichte, die das professionelle Ensemble auf eine wandertaugliche Bühne brachte, um damit auf Tour zu gehen. Das Donauschwäbische Zentralmuseum hatte das Ensemble zur Freiluftsaison auf der Wilhelmsburg nach Ulm eingeladen. Ein besonders passender Ort für ein Stück, das auch Teile der Ulmer Geschichte thematisierte, die von den Auswandererströmen ins „Ungarland“ geprägt und nicht zufällig Patenstadt der Banater Schwaben ist. So ist es nicht verwunderlich, dass unter den Zuschauern trotz Ferien- und Urlaubszeit auch teils von weit her angereiste Banater waren.

Geschickt hat Danilo Fioriti, ein Mitglied des Theaterensembles, einen roten Faden für das Bühnengeschehen konstruiert. Es spielt nach der Wende, im Jahr 1994, als in Triebswetter das 300-jährige Bestehen des schwäbischen Dorfes gefeiert wird. Historisch zwar nicht korrekt, aber das tut der Handlung keinen Abbruch. Die Familie Geier, Mutter Barbara und ihr Sohn Paul, sind die letzten Banater Schwaben im Dorf. Zu Besuch kommt auch Karla, die Tochter und Schwester, die Rumänien einst durch Flucht verlassen hat, weil sie als Schriftstellerin und Mitglied einer Künstlergruppe bei der Securitate angeeckt war. Auch ihr jugendlicher Sohn Lukas ist dabei, der noch ein paar Erinnerungen an seine frühe Kindheit und so manche ungeklärten Fragen hat. Karla hatte den Kontakt zu ihrer Mutter abgebrochen, weil diese weder ihre künstlerische Tätigkeit noch ihre Flucht gutgeheißen hatte. Dies ist das erste Wiedersehen der beiden Frauen. Im Verlauf des Stückes kommen somit einige Ungereimtheiten und Geheimnisse der Familie und der ganzen Gemeinschaft zutage. Alle Akteure – der rumänische Bürgermeister, der Landsmannschaftsfunktionär, die regimekritische Autorin, auch Bruder Paul und Mutter Barbara – haben eine „Leiche im Keller“. Nach und nach lüftet sich das eine oder andere Geheimnis.

Wie kommt so eine komplexe Geschichte auf eine kleine Bühne? Regisseur Uwe John und dem aus nur wenigen Personen (Danilo Fioriti, Arthur Gander, Ben Hergl, Kerstin Kiefer, Alexander Müßig, Claudia Olma und Stephan Wriecz) bestehenden Ensemble gelingt das Kunststück, in Windeseile durch Fingerschnipsen in die unterschiedlichsten Rollen zu schlüpfen, das Geschehen durch Rückblenden voranzutreiben und dennoch in der Gegenwart des Dorfes im Jahr 1994 zu bleiben. Da wird nicht nur gespielt, sondern auch gesungen, mit dem Akkordeon musiziert und Polka getanzt. Ein Ceauşescu-Bild taucht auf, die unvergessenen Reden des Genossen schallen aus einem Lautsprecher, die Nationalhymne „Trei culori“ wird symbolschwanger (in rumänischer Sprache!) intoniert. So manche Ungenauigkeit (auch beim Bühnenbild und den Kostümen) sieht man dem Plot gern nach, denn er ist in sich stimmig und das Geschehen, das einen Bogen über die gesamte Geschichte der Banater Schwaben schlägt, ist höchst spannend und lebensnah dargestellt.

Bei der Ulmer Aufführung wurde die Spannung leider durch ein schnell aufkommendes Gewitter jäh gedämpft. Nach einer guten Stunde, noch vor der Pause, musste die Vorstellung abgebrochen werden. Den in der Burg Schutz suchenden enttäuschten Zuschauern wurde aber noch vor Ort versprochen, dass es im nächsten Sommer eine Wiederaufnahme geben wird. In Ulm und wohl auch an anderen Orten. Unter www.chawwerusch.de kann man sich im Internet zu Saisonbeginn über den Spielplan informieren. Das Theater lässt sich auch gerne einladen, an geeigneten Veranstaltungsorten zu spielen. Das Wandern liegt dem Chawwerusch-Theater nämlich im Blut, der ungewöhnliche Name bedeutet in der „Gaunersprache“ Rotwelsch nämlich sowas wie „die Umherziehenden“. Er wurde gewählt, weil das Ensemble ursprünglich in einem Bauwagen durch die Lande tourte. Mittlerweile hat Chawwerusch eine feste Bleibe in Herxheim, doch die Reiselust ist geblieben. Vielleicht auch wieder ein Bezugspunkt zum Schicksal der Banater Schwaben…