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Temeswar sollte es besser machen als Rijeka

Der Hafen von Rijeka

Die St.-Vitus-Kathedrale von Rijeka Fotos: Helmut Heimann

Von Weitem sieht das Nationaltheater in Rijeka gut aus, ganz anders aus der Nähe: Der Lack an den Türen blättert ab, der Putz bröckelt, die Mauern sind löchrig, Türen mit Graffiti besprüht, Teile aus den Eingangstreppen herausgebrochen ebenso an den Säulen, Überdachungen beschädigt. Und in diesem heruntergekommenen Zustand fand hier am 1. Februar 2020 die Eröffnungsfeier des europäischen Kulturhauptstadtjahres statt.

Eine Seefahrt, die ist lustig.
Eine Seefahrt, die ist schön.
Denn da kann man fremde Länder
Und noch manches andre sehn.

So hieß es in einem Lied, 1934 auf Schallplatte aufgenommenen, der Kabarettistin und Filmschauspielerin Isa Vermehren, in dem sie Nazi-Größen pfiffig auf die Schippe nahm. Eine Seefahrt machten auch wir, meine Partnerin und ich. Unsere Kreuzfahrt führte durch die bezaubernde Inselwelt der Kvarner Bucht an der oberen Adria bis nach Zadar in Norddalmatien. Diese kroatische Urlaubsreise habe ich letztes Jahr auf der Stuttgarter Reisemesse CMT bei einem Gewinnspiel gewonnen. Wegen Corona fiel sie im Vorjahr aus. Nun haben wir sie nachgeholt und so wie im Lied auch noch „manches andre“ gesehen. Besonders in Rijeka, wo die Kreuzfahrt begann und endete.

Rijeka ist europäische Kulturhauptstadt 2020/21 gewesen, deren Laufzeit wegen der Pandemie bis April dieses Jahres verlängert worden war, ebenso wie jene des irischen Galway. Rijeka hatte also in diesem Jahr jenen Status, den Temeswar 2023 haben wird: Kulturhauptstadt Europas. Was lag da näher, als auf Kultur-Tour durch die mit 130000 Einwohnern drittgrößte Stadt Kroatiens zu gehen, in der früher auch Deutsche lebten. 1900 waren sie für zehn Jahre sogar die fünftgrößte Gruppe. Im Jahr 1910 lebten hier 2135 Deutsche. Wie viele es heute sind, wird beim diesjährigen Zensus ermittelt. Bei jenem vor zehn Jahren waren es 45.

Der Kultur auf der Spur, haben wir in der Hafenstadt viele Gemeinsamkeiten zwischen Rijeka und Temeswar entdeckt, aber auch so manches Trennende – und nicht Nachahmenswerte.

An einem Hochsommertag läuft unser 35 Meter langer Motorsegler MS Maček im Hafen von Rijeka ein, dessen Gründung 1719 durch Kaiser Karl VI. von Österreich erfolgte. Er entwickelte sich zum zehntgrößten Hafen Europas, in dem 17 Prozent aller ungarischen Warenexporte und fast ein Zehntel der Importe abgewickelt wurden. 1903 lizenzierte die ungarische Regierung die Gesellschaft Cunard Line aus Liverpool für den regelmäßigen Schiffsverkehr und eine direkte Passagierschiffslinie zwischen Europa und New York wurde eröffnet. Die Cunard-Line-Schiffe mit den typisch roten Schornsteinen verkehrten an der Spitze mit der „Carpathia“ zweiwöchentlich zwischen Rijeka und New York. Von den zwei Millionen Menschen aus dem Königreich Ungarn, die zwischen 1871 und 1913 aus der Alten in die Neue Welt ausgewandert sind, waren 332986 Personen, die das zwischen 1903 und 1913 von Rijeka aus getan haben. Ein Siebtel davon wurden als Deutsche beziehungsweise deutschsprachig bezeichnet.

Unsere Anfrage zur Auswanderung der Donauschwaben beziehungsweise Banater Schwaben von Rijeka aus beantwortete Dr. Daniela Simon vom Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde aus Tübingen: „Die Cunard-Linie hatte mehrere Agenturen der ‚Adria‘ in den donauschwäbischen bzw. banatschwäbischen Siedlungsgebieten in Novi Sad, Pančevo, Đekenješ, Gombos (Bogojevo), und Čakovec (Čaktornje). Diese Agenturen warben für die Auswanderungen mit der Cunard-Linie. Zum Zeitpunkt der Etablierung der Auswanderung aus Rijeka oder Triest nach Übersee wanderten bereits drei Viertel der Banater Schwaben von Bremen, fast ein Viertel von Hamburg und der Rest von Antwerpen und Rotterdam aus. Ab 1904 gingen dann fast die Hälfte der Banater Schwaben über Rijeka oder Triest nach Nordamerika. Die Auswanderung aus dem Banat wird auf dem Höhepunkt der Überseeauswanderung 1907 zu 45 Prozent über Rijeka abgewickelt.“ Weil Rijeka aus dem Banat viel näher und mit weniger Strapazen zu erreichen war als die Häfen in Hamburg, Bremen oder Rotterdam. Von Temeswar nach Rijeka sind es 700 Kilometer, nach Rotterdam um ein Tausend mehr. Insgesamt wanderte ein Viertel aller Emigranten aus dem ungarischen Teil der Monarchie vom Hafen Rijeka aus, also eine halbe Million.

Berühmt wurde die „Carpathia“, weil sie 1912 als erstes Schiff den Unglücksort der havarierten „Titanic“ passierte und 706 Menschen vor dem Ertrinken rettete. Im Seefahrts- und Geschichtsmuseum von Rijeka ist ein Schwimmgürtel aus der gesunkenen „Titanic“ ausgestellt, mitgebracht von einem Kroaten, der auf der „Carpathia“ als Kellner gearbeitet hat. Weltweit soll es davon nur noch fünf Stück geben. Der Spielfilm „Titanic“ von 1997 mit Leonardo DiCaprio und Kate Winslet war übrigens unser erster gemeinsam gesehener Kinofilm in Deutschland. So lange sind wir auch zusammen.

Den ganzen Tag über hat es in Rijeka geregnet. Doch der Wettergott meinte es gut mit uns, ebenso mein Lieblingsheiliger Antonius von Padua, der Schutzpatron der Reisenden. Seit einer Wallfahrt als Kind nach Maria Radna vor 52 Jahren besitze ich ein Amulett von ihm, das mir schon oft geholfen hat. Als wir in den Hafen von Rijeka einlaufen, bessert sich das Wetter schlagartig. Die Sonnenstrahlen scheinen auf uns gewartet zu haben. Sie durchbrechen die graue Wolkendecke und kitzeln unsere Gesichter. Statt des berüchtigten stürmischen Fallwindes Borat, der regelmäßig über die kroatische Küste hinwegfegt, streichelt eine leichte adriatische Brise durch unser Haar. Wir atmen den verführerischen Duft des Meeres ein – und träumen von der großen weiten Welt. Wegen der Pandemie haben wir sie schon zwei lange Jahre nicht gesehen. 

Wir machen uns vom Hafen aus auf den Weg in die Stadt. Er führt uns schnurstracks zur kulturellen Hauptattraktion der europäischen Kulturhauptstadt – das Kroatische Nationaltheater „Ivan Zajc“. Unter allen Kulturstätten der Adriastadt haben wir am meisten von ihm gehört und gelesen. Der Neorenaissance-Bau mit zweistöckigem Portikus, der 1883 nach Plänen des auf Theaterbauten spezialisierten Wiener Architektenbüros Ferdinand Fellner und Hermann Helmer modernisiert wurde, befindet sich unweit des Hafens. Sein Zuschauerraum wird durch ein Deckengemälde mit allegorischen Darstellungen verziert, das unter anderem vom berühmten österreichischen Maler Gustav Klimt geschaffen wurde, dem bedeutendsten Vertreter des Wiener Jugendstils. Sein bekanntestes Werk „Der Kuss“ haben wir im Schloss Belvedere, der Sommerresidenz des Prinzen Eugen von Savoyen, in Wien bewundert. Kurze Zeit danach wurde das Gemälde für 107 Millionen Euro verkauft.

Die Eröffnung des Nationaltheaters in Rijeka fand 1885 mit der Oper „Aida“ von Giuseppe Verdi statt. Plötzlich macht es klick in meinem Kopf. Fellner und Helmer – war da nicht noch etwas? Volltreffer! Zwölf Jahre vor der Modernisierung des Nationaltheaters in Rijeka wurde das Nationaltheater und Opernhaus in Temeswar nach den Plänen von Fellner und Helmer im Renaissancestil erbaut. Es ist nicht die einzige Gemeinsamkeit zwischen dem Nationaltheater in Rijeka und der Staatsoper in Temeswar. Beide Gebäude beherbergen jeweils vier Einrichtungen. In Rijeka sind es Oper, Ballett, Kroatisches und Italienisches Theater. In Temeswar Oper, Rumänisches Nationaltheater, Deutsches und Ungarisches Staatstheater. Es handelt sich also um Viersparten-Häuser.

Von Weitem sieht das Gebäude des Nationaltheaters Rijeka imposant aus. Doch je näher wir kommen, desto mehr trauen wir unseren Augen nicht. Und als wir vor ihm stehen, verschlägt es uns die Sprache. Der Bau macht einen heruntergekommenen Eindruck: Von den Mauern bröckelt der Putz, aus den Treppen und Säulen am Eingangsportal sind Teile herausgebrochen, zwischen den Steinritzen wächst Unkraut, die Türen sind mit Graffiti besprüht, Überdachungen beschädigt, die Gitter an den Fenstern verrostet, in den Mauern Löcher, als wäre die Revolution in Rijeka und nicht in Temeswar gewesen.

Unglaublich, aber wahr: In diesem von außen verwahrlost aussehenden Gebäude wurde Anfang 2020 das Kulturhauptstadtjahr feierlich eröffnet, in dessen Verlauf das traditionsreiche Haus ein Hauptort im vielfältigen Programm werden und die Bühne für Auftritte international renommierter Musikensembles ebenso zur Verfügung stellen sollte wie für die Bühnenadaption kroatischer Literatur. Ein facettenreiches Programm, das gut zum Motto des Kulturhauptstadtjahres „Port of Diversity“ (Hafen der Vielfalt) gepasst hätte, wenn, ja wenn Corona den Organisatoren nicht einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht hätte, weil die meisten Veranstaltungen ausfallen mussten.

Schwer vorstellbar, dass sie im kulturellen Herzstück der europäischen Kulturhauptstadt geplant waren. Ein Herz, das aussieht wie nach einem Infarkt. „Es ist sehr traurig. Die letzte große Renovierung wurde um 1980 beendet, seit dann gab es immer nur kleinere Stopfungen“, berichtete Boris Zakošek. Mit „Stopfungen“ meinte der Leiter der Abteilung für Archivalien am Staatsarchiv von Rijeka kleinere Ausbesserungen.

Die Leiterin für Publikumsentwicklung am Kroatischen Nationaltheater Katarina Mažuran Jurešić versucht sich mit einer Ausrede aus der unangenehmen Situation zu winden: „Es tut mir leid, dass Ihr Eindruck so schlecht ist. Und wir stimmen Ihnen teilweise zu. Aber die Bau- und Renovierungsarbeiten stehen nicht unter unserer Kontrolle. Da es ein geschütztes Kulturerbe ist, müssen wir dem Masterplan formalisierter Aktivitäten streng folgen. Das Amt für Konservierung und die Stadt Rijeka unternehmen große Anstrengungen bei den langfristigen Konservierungsinvestitionen.“ Wer’s glaubt, wird selig. Worte statt Taten. Denn das Budget der Kulturhauptstadt Rijeka betrug immerhin 30 Millionen Euro, darunter auch nicht wenige finanzielle Mittel vonseiten der EU, die bei der Verleihung des Kulturhauptstadttitels eine entscheidende Rolle spielt. Mit anderen Worten: Auch Geld der Steuerzahler. Davon hätte man dem berühmten Nationaltheater wenigstens einen frischen Anstrich verpassen können. 

Wahrscheinlich sind die Anstrengungen der Stadt Rijeka bei den „langfristigen Konservierungsinvestitionen“ so groß, dass die Kraft der städtischen Pressestelle nicht mehr für eine Antwort auf unsere Anfrage ausreichte. Obwohl ich eine Lesebestätigung meiner E-Mail erhalten habe. Keine Antwort ist auch eine Antwort...

Fazit: Außer Spesen nix gewesen! Das gilt auch für die marode ehemalige Luxusjacht „Galeb“ des früheren kommunistischen Führers und autoritären Staatschefs Jugoslawiens Josip Broz Tito, auf der er zwischen 1952 und 1980 Politiker wie Nikita Chruschtschow oder Indira Gandhi, Filmstars wie Elizabeth Taylor oder Sophia Loren und sogar die Queen empfangen hat. Galeb bedeutet auf Deutsch Seemöwe. Zack – und schon sind wir wieder beim Lied „Eine Seefahrt, die ist lustig.“ Genauer bei der vorletzten Strophe: „Und die kleinen weißen Möwen,/ Die erfüllen ihren Zweck./ Und sie scheißen, scheißen, scheißen/ Auf das frischgewaschne Deck.“ Auf das Deck der „Galeb“ können die Möwen das noch nicht verrichten. Weil die Yacht zu einem Museum umgebaut wird und deshalb nicht im Hafen liegt. Fertig werden sollte der Umbau bereits zum Start des Kulturhauptstadtjahres. Für die aufwändigen Arbeiten waren 6 Millionen Euro vorgesehen. Dafür ist Geld da, aber für das repräsentative Nationaltheater keines. Vor dem Umbau der kommunistischen Yacht hätte man lieber an die Worte des Wirtschaftsjournalisten Jürgen Eick denken sollen: „Die besten Geschäfte sind die schlechten, die man nicht gemacht hat.“

Dass eine europäische Kulturhauptstadt mit einer ihrer wertvollsten Kulturbauten auch anders umgehen kann, zeigt das Beispiel Temeswars. Auch dort ist die Staatsoper – wie das Nationaltheater in Rijeka – als historisches Baumonument denkmalgeschützt. Trotzdem wird ihre Fassade zurzeit renoviert, wenn es auch lange gedauert hat, bis die Arbeiten ins Rollen kamen. Temeswar ist übrigens die Stadt mit dem größten Patrimonium an historischen Gebäuden in ganz Rumänien.

International anerkannte Richtlinie in der Denkmalpflege und wichtigster Text des 20. Jahrhunderts zum Denkmalschutz ist die Venediger Charta von 1964. Sie legt zentrale Werte und Vorgehensweisen bei der Konservierung und Restaurierung von Denkmalen fest. Das hätte sich auch bis Rijeka rumsprechen müssen. Zeit genug hatten die Verantwortlichen für eine Renovierung des Nationaltheaters: Von der Verleihung des Titels am 23. September 2016 bis zur Eröffnungsfeier der Kulturhauptstadt am 1. Februar 2020 verstrichen fast dreieinhalb Jahre, in denen weder Corona noch Erdbeben waren, die die Renovierungspläne hätten durchkreuzen können. Hätte, hätte, Fahrradkette...

Wir machen uns auf den Weg Richtung Stadtmitte. Es kann eigentlich nur besser werden. Und es wird tatsächlich besser. Im Zentrum verströmt alles k.u.k.-Atmosphäre – wie in Temeswar. Klar, denn bis zum Ersten Weltkrieg gehörte Rijeka genauso wie Temeswar zur kaiserlichen und königlichen Monarchie. Beide Städte werden nicht von ungefähr Klein-Wien genannt. Wie in der österreichischen Hauptstadt gibt es auch in Rijeka und Temeswar pompöse Kommerz- und Verwaltungsgebäude. Natürlich in Kaisergelb, auch Schönbrunner- oder Habsburgergelb genannt. Deshalb sind auch die katholischen Kirchen im Banat gelb verputzt.

Wir erreichen das Zentrum und stellen eine weitere Gemeinsamkeit zwischen beiden Städten fest. In Rijeka heißt die Flaniermeile wie in Temeswar: hier Korzo, dort Korso. Es ist die Pulsader beider Städte. Man spaziert, trifft sich, schließt Geschäfte ab, flaniert, kauft an den Ständen oder in den Läden ein.

Für die Einwohner Rijekas ist ihr Korzo wie eine lebendige Tageszeitung. Hauptattraktion in seiner Mitte ist das Renaissancetor mit dem aufgesetzten Glockenturm. Durchs Tor geht’s in die attraktive Altstadt. Dass in Rijeka die Uhren schon früher anders gegangen sind, zeigt der Habsburger Doppeladler auf dem Glockenturm. Die beiden Vögel schauen nicht wie in Österreich-Ungarn in entgegengesetzte Richtungen, sondern strecken ihre Hälse in die gleiche Richtung – genauso wie auf dem Stadtwappen von Rijeka. Österreich führte den Doppeladler als Wappen bis zur Auflösung der Doppelmonarchie im Jahre 1918.

Wir schlendern an einem Freitagabend über den Korzo in Rijeka. Die untergehende Sonne taucht ihn in goldenes Licht. Es riecht köstlich. Waren aller Art werden feilgeboten. Ich lasse mir einen der berühmten kroatischen Topfenstrudel aus Äpfeln und Kürbis munden. Mmh, sehr lecker. Er schmeckt fast so gut wie einst daheim im Banat. Aus allen Ecken und Enden erklingt Musik. Es scheint, als würde die ganze Stadt in ihrem Rhythmus vibrieren und ein unsichtbarer Dirigent die Kräne am Hafen als Taktstock führen. 

Einen Unterschied gibt’s allerdings zum Temeswarer Korso. Der ist prachtvoller mit Blumen geschmückt. Auf dem Korzo in Rijeka gibt es sie auch, vorwiegend auf den Lichtmasten. Doch es sind weniger als in Temeswar und sie duften nicht so intensiv wie in der Stadt an der Bega.

Verständlich, dass der gebürtige Temeswarer Ioan Holender schwärmte: „Der Korso ist mein liebster Platz. Dort war in meiner Jugend das Zentrum meines Lebens zwischen der Rumänisch-Orthodoxen Kathedrale und der Oper.“ Der weltberühmte Ehrenbürger Temeswars amtierte als Ehrenvorsitzender des 2011 gegründeten Temeswarer Kulturhauptstadtvereines. Nach sieben Jahren legte er sein Amt 2018 nieder. „Man hat ihn ignoriert und beleidigt, nie um Rat gefragt“, nannte der langjährige Bürgermeister Nicolae Robu den Grund. Dabei ist der fünffache Ehrendoktor Holender eine der größten europäischen Kulturpersönlichkeiten. Er war 18 Jahre lang Direktor der Wiener Staatsoper, ist somit der am längsten amtierende Direktor seit Bestehen des traditionsreichen Hauses 1869.

Robu wollte Holi, wie er von seinen Freunden genannt wird, überzeugen, einen Rücktritt vom Rücktritt zu machen. Doch es ist bei leeren Worten geblieben. Vielleicht schafft es ja sein Nachfolger Dominic Fritz. Zu wünschen wäre es. Zumal der 86-jährige Holender, aufgewachsen unweit des Temeswarer Rosengartens, nach wie vor reges Interesse am politischen Leben Rumäniens im Allgemeinen und am kulturellen seiner Heimatstadt Temeswar im Besonderen zeigt. Mit seiner reichen Erfahrung und seinem großen kulturellen Netzwerk könnte er entscheidende Impulse für Temeswar setzen, dessen Kulturhauptstadtstatus wegen der Pandemie von 2021 auf 2023 verlegt wurde. Zwei Jahre mehr bedeuten eine große Chance! Noch ist also ausreichend Zeit und Gelegenheit, um Holender wieder ins Temeswarer Projekt einzubinden. „Mehrere wichtige Wiener Zeitungen mit großer Auflage haben mich nach dem Projekt gefragt. Aber ich konnte ihnen nur sagen, dass ich nichts weiß“, erzählte er. Vielleicht ändert sich das ja noch. Zu wünschen wäre es.

Es ist nicht die einzige Stelle, wo es im Gebälk der zukünftigen Kulturhauptstadt Temeswar knirscht. Streitereien, Vorwürfe, Eifersüchteleien und Machtkämpfe ziehen sich wie ein roter Faden durch ihre noch junge Geschichte. Deshalb hatte Robu den umstrittenen Kulturhauptstadtverein entmachtet und seine Aufgaben dem Rathaus übertragen. Sein Nachfolger Fritz scheint auch nicht mehr vom Verein überzeugt zu sein, hat andere Vorstellungen. Diese umriss er in einem Interview: „Dieses Projekt ist nicht mein Projekt und auch nicht das Projekt des Rathauses, sondern der kompletten Stadtgesellschaft und sogar das Projekt Rumäniens. Wir brauchen ganz klar die Unterstützung der Regierung, anderer Autoritäten, wir brauchen die Beteiligung der Kulturinstitutionen, aber auch jene der unabhängigen Kulturszene, wir brauchen die Wirtschaft. Meine wichtigste Aufgabe jetzt ist es, all diese Akteure zusammenzuführen und in dieselbe Richtung zu führen, denn in der Vergangenheit gab es da viel Gezerre in unterschiedliche Richtungen.“ Hoffentlich gelingt das dem neuen Stadtoberhaupt. 

Vielleicht macht Dominic Fritz ja auch einen Abstecher nach Rijeka, um die positiven wie negativen Erfahrungen der diesjährigen Kulturhauptstadt kennenzulernen. Getreu dem Spruch des Psychologen Carl Gustav Jung: „Das Ziel liegt nicht auf dem Gipfel, sondern im Tale, wo der Aufstieg begann.“ Das sollte auch in Temeswar der Fall sein.

Eine wichtige Rolle spielt dabei der Domplatz, das Herzstück von Temeswar. „Das ist der schönste Platz der ganzen Stadt. Wenn er fertig renoviert ist, werden die prachtvollen Barockbauten wie der Dom, das Vikariat, die Serbisch-Orthodoxe 
Kathedrale und das Museums-Palais wieder wunderbar von den Schanigärten der vielen Cafés aus zu bewundern sein“, hofft Ioan Holender.

„Das Projekt der Renovierung der Domkirche hat nichts mit dem Projekt Kulturhauptstadt zu tun. Es ist eine Initiative des Bistums“, teilte uns Diözesanarchivar Dr. Claudiu Călin mit. Das mag wohl so sein. Doch Temeswar ohne renoviertem Dom ist wie eine Suppe ohne Salz. Wegen der sich noch in Arbeit befindenden einen Turnhaube ist der Hohe Dom weiter eingerüstet. Die Innenarbeiten werden Anfang nächsten Jahres beendet sein. „Vorläufig gibt es noch kein genaues Datum, an dem wir wieder Heilige Messen in der Domkirche feiern werden“, so Călin.

Die Renovierungsarbeiten an der Fassade der gegenüber liegenden Serbisch-Orthodoxen Kathedrale sind beendet. Jene am Miksa-Steiner-Palais an der südlichen Ecke des Domplatzes dauern an. In Temeswar ist es auch als Lebkuchen-Haus bekannt. Die Generalüberholung der Sezessionsperle begann vor zwei Jahren und kostet 500000 Euro.

Szenenwechsel. Als es dunkel wird, machen wir uns auf den Rückweg zu unserem Schiff im Hafen von Rijeka. Vorher genießen wir einen Hugo-Cocktail in einem der vielen urigen Straßencafés. Er ist wie geschaffen für diesen lauen Sommerabend. Unser Café befindet sich neben dem Nationaltheater. Selbst die anbrechende Nacht verschluckt nicht seine Bauschäden. Da sie von Straßenlaternen angestrahlt werden, erscheinen sie in einem anderen Licht. Aber da sind sie nach wie vor. Selbst mit morbidem Charme hat das Ganze nichts zu tun.

Am nächsten Morgen besuchen wir den bunten, lebhaften Obst- und Gemüsemarkt. Als wir nach dem Einkauf zum Hafen zurückkehren und um die Ecke biegen, sehen wir sie plötzlich – die Katze auf dem heißen Blech. Nein, nicht „Die Katze auf dem heißen Blechdach“, den berühmten Hollywoodfilm aus meinem Geburtsjahr 1958 mit den Stars Elizabeth Taylor und Paul Newman. Einer der größten Kassenschlager aller Zeiten, der für sechs Oscars nominiert war. Die Katze in Rijeka ist eine quicklebendige. Sie liegt träge auf der Motorhaube eines Autos und lässt sich die pralle Sonne genüsslich aufs flauschige Fell scheinen. Ein seltener, aber symbolischer Anblick. Denn in Rijeka scheint vieles für die Katz gewesen zu sein – nicht nur wegen Corona. Man denke nur an Nationaltheater oder Tito-Yacht. 

Für die Katz war auch der Schriftzug in großen Lettern, den wir vor unserem Rückflug im Flughafengebäude gesehen haben: „Rijeka 2020, capital of culture.“ Und wir wundern und fragen uns auch jetzt noch, wie der ohne Corona erhoffte große Touristenansturm von einem Flughafen bewältigt worden wäre, der nicht mal die ankommenden und abfliegenden Flugzeuge auf elektronischen Tafeln anzeigt. Stattdessen wird unser Flug nach Stuttgart auf ein DIN-A4-Blatt geschrieben, in eine Klarsichthülle gesteckt und diese auf eine Schiebetür geklebt. Eine manuelle statt elektronische Anzeigetafel. Als Weltenbummler haben wir schon etliche Flughäfen gesehen – von Auckland bis Buenos Aires, von Honolulu bis Hongkong, von Havanna bis Johannesburg, von Toronto bis Los Angeles oder von São Paulo bis Shanghai. Selbst der exotische Flughafen von Punta Cana in der Dominikanischen Republik, der ein Palmendach hat und wegen seiner Freiluft-Terminals völlig offen ist, zeigt die Flüge auf elektronischen Tafeln an. Aber der in Rijeka nicht.

Flughafenmäßig scheint es Temeswar etwas besser zu haben – trotz einer auch hier unvermeidlichen Posse. Am 12. Juli dieses Jahres sollte das neue Terminal für Ankünfte am Flughafen „Traian Vuia“ im Beisein des rumänischen Transportministers eingeweiht werden. Weil der Antrag zur Erteilung der Brandschutzgenehmigung zu spät eingereicht wurde, fehlte sie – und die Eröffnungsfeier musste verschoben werden. Der Berliner Pannenflughafen lässt grüßen...

Zwei Wochen später war die Genehmigung da und das Terminal konnte endlich eingeweiht werden. Allerdings fehlte diesmal der Minister. Wahrscheinlich befürchtete er, dass die Eröffnungsparty wieder ins Begawasser fallen würde. „Die Geschichte wiederholt sich und jedes Mal kostet es mehr“, pflegte der irische Literaturnobelpreisträger Halldor Laxness zu sagen. Ein Wink mit dem Zaunpfahl – sowohl für Rijeka als auch für Temeswar. 

Der Text der letzten Strophe das Liedes „Eine Seefahrt, die ist lustig“ lautet: „In der Heimat angekommen,/ Fängt ein neues Leben an,/ Eine Frau wird sich genommen,/ Kinder bringt der Weihnachtsmann.“ Statt sich eine Frau zu nehmen und dass der Weihnachtsmann Kinder bringt, sollte er beide Städte mit Einsicht, Tatendrang, Schwung, Ausdauer, Durchsetzungsvermögen, Dynamik und Beharrlichkeit bescheren. Dovidenja, Rijeka! Willkommen, Temeswar!