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Heimatliebe geht durch den Magen

Kulinarische Erinnerung und Entdeckungsreise zugleich ist das Banater Koch- und Backbuch von Ramona Lambing. Schon der Umschlag mit den Bäckerkipfle macht neugierung und Appetit auf mehr.

Eine Doppelseite aus dem Kapitel „Hefegebäck, Blätterteig, Brandteig“: links das Rezept für Nusse- un Moosomestrudel (Nuss- und Mohnstrudel), rechts ein Bild mit dem aufgeschnittenen servierbereiten Strudel

„Die Rezepte der Gemeinde Orczydorf“ hat Ramona Lambing in einem ansprechenden, mit Bildern bestückten Buch zusammengetragen. Sie stammen hauptsächlich von ihrer Großmutter Katharina Anselm, die in Orczydorf (sie benutzt tatsächlich die ungarische Schreibweise des Ortsnamens) einst Hochzeitsköchin war. Oder vielmehr Hochzeitsbäckerin, wie die Autorin in ihrem Eingangstext präzisiert, denn die Kuchen und Torten wurden vor den großen Feiern mit Vorlauf im Haus der Bäckerin zubereitet. „So kam es, dass bei uns in Speis und Keller manchmal bis zu 75 Torten standen.“

Natürlich war das nicht nur in Orzydorf so und schon die appetitlich angerichteten Salzkipfel auf dem Titelblatt rufen bei allen Banatern sofort heimatliche Gefühle wach. Das Buch richtet sich explizit an „Nostalgiker, Genießer, Neugierige, Reiselustige, Wissenshungrige, ehemalige und zukünftige Besucher des Banats“. 

Schon von Berufs wegen verknüpft Ramona Lambing die eigene Familiengeschichte mit dem Drang, Banater Kultur, sei es eben Esskultur, in einen Kontext zu stellen und bekannt zu machen. Ihre Biografie führte sie bereits in jungen Jahren nach Saarbrücken, wo sie nach dem Schulabschluss eine Ausbildung zur Reiseverkehrskauffrau machte und auch viel in der Welt unterwegs war. Der Zufall wollte es, dass sie nach der Wende wieder den Weg ins Banat fand und ihre berufliche Erfahrung und Qualifikation im Tourismus-Bereich hier einbringen kann. Sie organisiert Reisen für Leute, die das Banat und Rumänien kennenlernen wollen, vermittelt kulturelle Begegnungen und authentische Erlebnisse. Dass in diesem Bereich auch viel über die Kulinarik läuft, ist eine altbekannte Weisheit. Das brachte sie auf die Idee, die Rezepte ihrer Oma zu sammeln, nachzukochen und nach heutigen Standards aufzuschreiben. Nicht zuletzt auch, weil sie feststellen musste, dass „im Banat die echte Küche der Banater Schwaben von der Speisekarte verschwindet“, sie ist sozusagen mit den Schwaben (und vor allem den Schwäbinnen) ausgewandert. Mit dem Buch wollte sie dazu beitragen, dass sie in einer allgemein verständlichen Form verbreitet und weitergegeben wird. 

Im Fokus steht der kulturgeschichtliche Kontext der Banater Küche. Eine historische Einführung skizziert die Besiedlung von Orzydorf nach dem Ende der Türkenherrschaft und die weitere Entwicklung des bäuerlich geprägten Umfeldes im österreichischen, ungarischen und schließlich rumänischen Staatsverband in multiethnischer Umgebung. All das beeinflusste die nachhaltig und jahreszeitlich orientierte Küche der Banater Schwaben. „Ein Orczydorfer Speiseplan um 1900“ wird aus dem Heimatbuch Orczydorf übernommen, der zu dieser Zeit so oder ähnlich für alle Banater Gemeinden galt. 

Auch die Einteilung des Buches entspricht nur bedingt dem üblichen Kochbuch-Standard nach Kategorien, vielmehr versucht die Autorin, Situationen mit den dafür typischen Gerichten zu entwerfen, etwa „Sonntagsessen“, „Ostern“ oder „Schweineschlacht“. Gerade letztere war von großer Bedeutung im Banater Jahreslauf und deshalb durch und durch ritualisiert. Ihren genauen Ablauf mit den entsprechenden Mahlzeiten hält die Autorin akribisch mit Rezepten fest. 

Soßen, Suppen, Fleischgerichte, „Zuspeisen“ und „Mehlspeisen“ umfasst das reiche Repertoire der Banater Alltagsküche, auch „Eingemachtes“ kommt nicht zu kurz. Eine besondere Stellung gebührt jedoch den Backwaren, die gut ein Drittel des Buches ausmachen: von den besagten Salzkipfeln (korrekt „Bäckerkipfle“), „Grammlpogatschle“, „Nusse- un Moosomestrudel“ über die Sonntags- und Feiertagskuchen, „Kiechle“ und „Ziehstrudel“, bis hin zu den bekannten aufwändigen Torten. Die Rezepte stehen alle mit ihrer schwowischen Bezeichnung da, die hochdeutsche ist nur in Klammern als Untertitel beigefügt. Neben dem „zweisprachigen“ Register gibt es darum noch zusätzlich ein „rein schwowisches“, wo man unter „Äpplpitta“ oder „Lewwerkneedl-supp“ nachschlagen kann.

Dass die Rezepte keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, versteht sich von selbst. Die Autorin räumt bereits in ihrem Vorwort ein, dass sie etwa „gebratenes Fleisch“ oder andere Dinge bewusst weggelassen hat oder von manchen Speisen ihrer Kindheit keine Rezepte vorliegen hatte. Es ging ihr um einen „Querschnitt von Haus zu Haus und von Familie zu Familie“. Und von Ort zu Ort im Banat, sollte hier ergänzt werden.

Besonders ansprechend wird das Buch durch die professionelle grafische Gestaltung. Die Fotos der Gerichte stammen von Mircea Opris, die Gestaltung des Bandes hat der Designer Péter Attila Antal übernommen. Nicht jedes Gericht wird durch ein Bild illustriert, doch die Auswahl ist aussagekräftig und stimmungsvoll. Zusätzlich enthält der Band aber auch gut zusammengestelltes Bildmaterial aus Orzydorfer Familienalben. Sie zeigen Dinge wie Kirchweih, Schlacht, Kukuruzlieschen, Speis, Hühnerstall und vieles mehr in Schwarz-Weiß oder Farbe zu unterschiedlichen Zeiten. Um das kulturgeschichtliche Stimmungsbild abzurunden, werden an passenden Stellen Gedichte eingestreut: Vom „Auswandererlied“ über Neujahrs- und Ostersprüche bis hin zu „Hemmweh“- und „Erinnerungs“-Gedichten in Mundart. 

Das rundum gelungene Werk schlägt seinen Bogen weit über den Horizont von Orzydorf hinaus. Einziger Wermutstropfen: Es ist in Temeswar (Verlag Cosmopolitan Art) mit finanzieller Unterstützung des Departements für Interethnische Beziehungen im Generalsekretariat der Regierung Rumäniens durch das Demokratische Forum der Deutschen im Banat erschienen, deshalb kann es in Deutschland nicht verkauft werden. Die Auflage ist ohnehin bereits weitgehend vergriffen. Derzeit sucht die Landsmannschaft nach einer Möglichkeit, das Buch in einer weiteren Auflage auch hier zugänglich zu machen. Mit Sicherheit eine gute Idee, die Erfolg verspricht. 

Ramona Lambing: Heimatliebe geht durch den Magen. Kochen und Backen im Banat. Die Rezepte der Gemeinde Orczydorf. Temeswar: Cosmopolitan Art, 2020. 246 Seiten. Hardcover mit Fadenheftung, 21 x 28,5 cm, zahlreiche Illustrationen