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Ein neuer Stern am Literaturhimmel: Nadine Schneider

Nadine Schneider: Wohin ich immer gehe. Roman. Salzburg: Jung und Jung, 2021. 236 Seiten. ISBN 978-3-99027-256-5. Preis: 22 Euro

Der Journalist und Literaturkritiker Dirk Kruse mit der Autorin Nadine Schneider bei der Lesung im Innenhof des Stadtmuseums Erlangen. Foto: Malwine Markel

Im Rahmen des 41. Erlanger Poetenfests las Nadine Schneider am 27. August 2021 aus ihrem neuen Roman „Wohin ich immer gehe“ gleich zweimal an zwei verschiedenen Orten. Einmal um 16 Uhr im Burgberggarten unter dem Titel „Lesung und Gespräch“ mit Hajo Steinert, einem Journalisten, Schriftsteller und Moderator. Und um 18 Uhr im Innenhof des Erlanger Stadtmuseums unter dem Titel „Lesung und Gespräch“ mit Dirk Kruse, einem Journalisten, Moderator und Literaturkritiker. 

Eine junge Autorin erobert die Herzen der Zuhörer und der Kritiker. Sie wird in einem Zug genannt mit Herta Müller und Iris Wolf. Dabei will sie das gar nicht, weil sie der Meinung ist, dass sie anders schreibt und andere Themen hat. Und das stimmt. Ihr Schreibton ist ein anderer. Leise, fein und melancholisch. Aber trotzdem unterhaltsam, spannend, gefühlvoll und in einem Fluss. Sie nimmt die Leser und Zuhörer mit auf die Reise ihrer Protagonisten. Die Autorin lässt den Leser und Zuhörer miterleben, mitfühlen, mitfreuen, mitzittern und mittraurig sein. Alles in diesem Roman zu finden. Schon der Titel verheißt Spannung und eine versteckte Neugier auf das, was er bietet. 

Unter der Rubrik „Literatur aktuell“ findet man im Programmheft alle Autoren und Schriftsteller, die auf dem Poetenfest lesen, ob bekannt oder weniger. Es ist eine internationale Bühne. Darunter auch die junge Autorin Nadine Schneider. In diesem Jahr haben die Organisatoren das 41. Erlanger Poetenfest überschrieben mit „Sonderausgabe II“. Ein gelungenes Festival in Corona-Zeiten, wenn auch mit Verzicht im Schlosspark zu flanieren. 

Hundert Stühle wurden im Innenhof des Erlanger Stadtmuseums aufgestellt. Alle durchnummeriert, mit Abstand und den üblichen Hygienevorschriften, und unter einem Dach aus vier großen Schirmen, falls es regnen sollte. Dieses Mal ist das Erlanger-Poetenfest-Team vorbereitet. Letztes Jahr war es nicht so. Es war das erste verregnete Erlanger Poetenfest. Gehofft, dass der Regen diesmal ausbleibt hatten alle, doch es sollte nicht sein. Es regnete moderat fast die ganze Zeit. 
Trotzdem füllte sich der Innenhof des Erlanger Stadtmuseums zusehends. Pünktlich 18 Uhr wurde die Lesung durch Dirk Kruse eröffnet. Dirk Kruse ist unter anderem seit 2008 Moderator und Berater des Erlanger Poetenfests. Nach einer kurzen und freundlichen Begrüßung der Gäste sagte er noch lachend: „Der Wettergott ist kein Literaturfreund“. Das Publikum lachte mit. Nun stellte er die junge Autorin Nadine Schneider vor. Schon begann das Gespräch mit der Autorin. Die Zuhörer erfuhren, dass man in letzter Zeit auf der Suche nach literarisch schreibenden Autoren aus der näheren Region ist, trotz internationalem Ruf des Festivals. Und Nadine Schneider ist in Nürnberg geboren, lebt aber in Berlin. Heuer las sie auf Einladung von Brigitte Schwens-Harrant beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb ihren Text „Quarz“ vor. Er handelt von einer Flüchtlingsfamilie, die in Nürnberg angekommen ist. Leider hat Nadine Schneider den Preis nicht erhalten. Traurig war sie nicht. Aber enttäuscht, weil sie Erwartungen an diesen Preis hatte. Es ist eine positive Bilanz und sie sei froh, dabei gewesen zu sein. Die Sendung lief auf ORF. 

Auch in diesem zweiten Roman „Wohin ich immer gehe“ hat die Autorin die beiden Themen Flucht und Freiheit als tragende Säulen ihrer Handlung genommen. Wobei in diesem Roman der Schwerpunkt auf die Freiheit gelegt wird, auf das Ankommen in der neuen Welt und das Sich-Zurechtfinden. Es hört sich an wie eine Fortsetzung des ersten Romans, ist es aber nicht. Andere Handlung, andere Charaktere, andere Sichtweise. Warum dieses Thema Flucht und gleich zweimal, fragte Kruse. Weil es in der Familienbiografie vorkommt, antwortete Nadine Schneider. Sie interessiert sich für diese Zeit der Ceauşescu-Diktatur und der Revolution. Und sie will wissen, wo sie herkommt, wo ihre Wurzeln liegen, denn beide Eltern kommen aus dem Banat. Es war eher persönlich am Anfang. Erst später kam diese literarische Form hervor, während des Studiums der Musikwissenschaften und Germanistik. Zudem ist es für Nadine Schneider ein historischer Stoff, denn sie ist in Nürnberg geboren, nach der Revolution. Sie kennt alles nur aus Erzählungen, deswegen wollte sie auch vor Ort im Banat recherchieren. Das war ihr ganz wichtig. Zudem fesseln sie Ereignisse mit Parallelen wie zum Beispiel Vergangenheit und Zukunft. 

Dirk Kruse teilte mit, dass Schneider drei Passagen lesen, aber dazwischen immer ein Gespräch geführt werde. Nun begann die Lesung. 

Nadine Scheider steigt ganz am Anfang ein. Die Flucht schwimmend über die Donau nach Jugoslawien. Johannes, der Protagonist, hat es geschafft. „Das Eiserne Tor hat sich einfach geöffnet für mich“, sagt Johannes. Welch eine Ironie in diesem Satz steckt. Und gleichzeitig Erleichterung und Freude, aber auch Angst und Unsicherheit. Schneider lässt den Zuhörer mit Johannes auf einem lichten Platz zwischen Tannen verweilen, mitten in der Natur den Rehen zuschauend, und vergessen, was gerade passiert ist. Sehr einfühlsam und bildhaft geschrieben, wie durch eine Kamera gesehen. Dann folgt ein Rückblick auf die Zeit in Rumänien, wo Johannes und sein Freund David sich gemeinsam auf die Flucht vorbereiten. David lernt schwimmen in einem Weiher, der auch „Tintenfleck“ genannt wird, weil er so dunkel mitten in der grünen Natur liegt. 

Hier endet Teil eins der Lesung und Dirk Kruse fragt: „Wie flieht man über die Donau in den Westen, das ist doch nicht einfach?“ „Es gibt verschiedenen Möglichkeiten: Schwimmen, mit Schlauchboten, Neoprenanzügen im Winter und schwimmend. Dabei muss man wissen, wo die Donau nicht zu tief und zu schwarz ist, und wo man durch Bäume gut geschützt ist“, war die Antwort der Autorin. 

Johannes ist eine Figur, die einen kleinen Platz in der Welt hat, und zudem noch homosexuell. Dieses „Prädikat“ bekam die Figur, während die Autorin am Roman schrieb. Es war also nicht von vornherein geplant. Drei große Weltthemen, die auch noch aktuell sind, und die politische Wendezeit von 1989. Johannes bleibt Außenseiter auch in der Freiheit in Nürnberg, denn er hat Angst vor seiner Neigung. Zudem hat er traumatische Erfahrungen gemacht und eine dunkle Vergangenheit. Dirk Kruse sagt, dass Schneider eine unsentimentale Sprache habe, einen Sound, den er „musikalische Techniken“ nennt. Und man kann sagen, der Roman ist in „Moll“ geschrieben, also melancholisch. 

Teil zwei der Lesung ist eine Szene, wo Johannes nach sechs Jahren zurück nach Rumänien fährt, weil sein Vater verstorben ist. Er kann nicht schlafen. Seine Gedanken kreisen durcheinander, zurück in die Vergangenheit im Elternhaus, dann schon unterwegs im Auto und schließlich wieder im Jetzt, in seinem Bett. Hier haben wir wieder diese feinfühlige Schreibweise, einfühlsam und spürbare Angst. Während der einsamen Fahrt im Auto nach Hause ins Banat ist er immer wieder im Versuch, umzudrehen, er tut es aber nicht. 

Die letzte Passage, die Nadine Schneider vorliest, handelt in Nürnberg, in der Wohnung von Johannes im Dezember 1989. Er erfährt von der Revolution in Rumänien aus dem Fernseher. Gezeigt werden dort die Städte Temeswar, Hermannstadt, Kronstadt und Bukarest. Verletzte, grausame Bilder, und immer wieder sucht er nach einem Gesicht in der gezeigten Menschenmenge. Damit endet diese kurzweilige Lesung. Anhaltender Applaus.

Nun folgte das Signieren der Bücher am Bücherstand der Erlanger Buchhandlung „Ex Libris“.

Die gelesenen Passagen/Szenen waren gut auf das Gespräch abgestimmt, so dass der Zuhörer nicht von der Lesung abgelenkt wurde, sondern mittendrin war. Eine gelungene „Lesung mit Gespräch“. Und für so eine junge Autorin, die erst ihren zweiten Roman herausgebracht hat und schon zum Erlanger Poetenfest eingeladen war, muss es aufregend gewesen sein. Dazu noch im Gespräch mit dem bekannten Literaturkritiker Dirk Kruse. Für Nadine Schneider war es sehr schön, etwas Besonders, eine Ehre und es ist ein Wunsch in Erfüllung gegangen.