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Charlottenburg: Der letzte Deutsche erzählt

Symbolhafte Darstellung der Lage des letzten Deutschen im Runddorf Charlottenburg

In der deutschen Fassung von Beatrix Ungar brachte der Hermannstädter Honterus-Verlag das Buch „Zwischen den Welten. Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben erzählen“ heraus. Autorin der 13 Aufzeichnungen – verbunden mit Kommentaren und angereichert mit Beschreibungen – ist die in Rumänien bekannte und streitbare Publizistin Ruxandra Hurezean. 

Der Veröffentlichung sind ein begründendes Geleitwort und ein Nachwort der Autorin hinzugefügt sowie ein Vorwort der Politikwissenschaftlerin Anneli Ute Gabanyi. Diese nennt das Werk „ein Buch, das uns alle angeht“ in dieser Zeit der Migrationen, in der wir, so ein Gesprächspartner, „alle die Heimat verlieren“. 

Im Zentrum der Veröffentlichung, in  der viel über die Geschichte der Rumäniendeutschen und die Auswanderungen berichtet wird, stehen Schicksale und Lebensgeschichten von Deutschen in Rumänien, die nicht ausgewandert oder zurückgekommen sind, Menschen unterschiedlicher Berufe und Beschäftigungen, vom evangelischen Pfarrer, dem „Schmetterlingsprofessor“ Rákosy László, einem Manager mit Bundeswehr-Auslandseinsatzerfahrung, einer erfolgreichen Kinderärztin in Temeswar bis hin zum Rentner auf dem Lande. Im Banat sprach die Schriftstellerin mit dem letzten Deutschen der ehemals schwäbischen Bergs-Au-Dörfer und seiner in Temeswar tätigen Landsmännin. Es sind dies der Mann „zwischen Menschen und Hirschen“ Peter Trimper und Dr. med. Margit Şerban (geboren 1942), die in Rumänien die ersten erfolgreichen Knochenmarktransplantationen vorgenommen hat, die Frau mit deutschem Vater, ungarischer Mutter, jüdischem Stiefvater und Kindheit bei der deutschen Großmutter in Charlottenburg, „als noch kein Rumäne im Ort lebte“.

Den Gesprächspartner Peter Trimper stellt Hurezean einführend wie folgt knapp vor: „Er ist allein. Der letzte Deutsche, der in Charlottenburg geblieben ist, ein für die Deutschen gegründetes Dorf. Wie die Hirsche im Reservat am Dorfrand blieb Peter gefangen in seinem eigenen Leben, er konnte nicht mehr fliehen.“ Weiter ist dem Text ein kurzes, aussagekräftiges Trimper-Zitat vorangestellt, das hier gekürzt wiedergegeben sei: „Das Schlimmste ist die Einsamkeit. (…) aber wenn du ins Haus kommst, ist es fast unerträglich. Erst dann herrscht die Einsamkeit, Einsamkeit.“ Gezeigt werden dazu sein Porträt mit Katze und eine beindruckende, symbolträchtige Zeichnung des heute fast 80-Jährigen als Schluss des 20-seitigen Beitrags. 

Bevor Hurezean den Gesprächspartner in die Mitte seines einzigartigen, „nahezu perfekten“ Runddorfes, in seine engere Hügelland-Heimat stellt, fragt sie, wie es dazu kommen konnte, dass dieses „Deutsche Reservat“ nach zweieinhalb Jahrhunderten verschwand, das der Hirsche aber fortlebt, dass die „Seele“ der Menschen an nichts mehr gebunden war und das „Wandern“ begann. Alles, was nun im Beitrag folgt, ist Geschichte des Ortes von der Gründung 1771 an, teils sind es auch Legenden, eng verwoben mit der Familiengeschichte des letzten Zeitzeugen vor Ort, mit sieben Brüdern in Deutschland, mit der menschenleeren Kirche, der Dorfanlage, die zum UNESCO-Kulturerbe zählt, und dem Friedhof mit den Gräbern seiner Eltern. Aber auch verflochten mit der Geschichte des alten Reservats an Edel- und Damhirschen, die hier angesiedelt wurden zu Habsburger Zeiten in einem Jagdwildpark, der 1904 auf rund 1200 Hektar erweitert wurde. Auch heute noch sind die Hirsche „harte Währung“, wie „früher die Deutschen“. Hurezean findet den dienstältesten Förster dieses Reservats, Vasile Toroc, und spricht mit dem Kenner der Historie, der Tiere und der Jagd im alten Staatsforst.  

Die zwei letzten Abschnitte des Charlottenburg-Beitrags übertitelt die Autorin als Lektionen, Lehren aus dem Ort mit der kreisförmigen Anlage, die eine gleichmäßige Aufteilung von Grundbesitz mit inbegriffen hatte, mit gleichen Regeln, selbst die Aufteilung des Wassers mit einer festen Anzahl von Brunnen. Und dazu erwähnt sie den besonderen und interessanten frühen Bericht über das Dorf, das mit „einer völlig zirkelförmigen Maulbeerpflanzung umgeben ist“, den Johann Caspar Steube 1779 während seiner Banat-Reise schrieb. Es herrschte in allem „die schönste Symetrie“.

Die zweite „Lektion“ ist die vom Jäger und nimmt Bezug auf die Beherrschbarkeit durch den Diktator: Die Tiere – 800 sind es gegenwärtig im Reservat – konnte er kontrollieren und beherrschen, die Menschen nicht. Darum hat er erstere behalten, die letzteren „verkauft“. Trotzdem schrieb Peter Trimper aus Überzeugung ein Heimatgedicht für das Bleiben, das 1990 in der Temeswarer „Neuen Banater Zeitung“ erschienen ist.

Margit, verheiratete Şerban, und hochgeschätzte Banater Kinderärztin, „verbrachte ihre Kindheit in Charlottenburg, neben 'Trimpers Leuten'“. Sie wollte Architektin werden, aber die erziehende Großmutter in dem Bergs-Au-Dorf war dagegen, wollte lieber ruhig sterben mit der Gewissheit, dass die Enkelin Medizin studiere. Das war letztlich ein Gewinn für Margit, die Ärztin wurde, und für die unzähligen Patienten im Verlauf eines halben Jahrhunderts. Auch über ihre weitere Spezialisierung haben andere mitentschieden, denn so wurde sie zu einer Spitzenfachkraft in der Kinderonkologie des Landes. 

Die politische Wende in Rumänien öffnete auch für Fachärzte neue Weiterbildungswege. So gehörte Dr. Şerban am 5. Juni 2001 zum Team, das die erste Knochenmarktransplantation an einem zwölfjährigen Jungen in Temeswar am Louis Ţurcanu-Kinderkrankenhaus vornahm. Stammzellen-Transplantationen, schwierige OPs an Wirbelsäulen kamen inzwischen hinzu. Der Austausch mit Fachleuten aus dem westlichen Ausland wurde gepflegt und die Hilfen, auch von deutschen Politikerinnen, wie Barbara Stamm, hatten Bestand. Zu den großen Leistungen des Ärzte-Ehepaares Şerban zählt die Gründung eines Zentrums für chronisch kranke Kinder in Busiasch, in dem bisher über 20000 Patienten behandelt wurden.
Dr. Margit Şerban, verheiratet mit einem aus Tismana (Oltenien) stammenden Kinderarzt, erklärt dem Leser auch, warum sie es vorgezogen hat, in Temeswar zu bleiben und hier zu wirken, nicht nur, weil sie hier ihren elfjährigen Sohn verloren haben.    

Ruxandra Hurezean: Zwischen den Welten. Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben erzählen. Deutsche Fassung: Beatrice Ungar. Hermannstadt: Honterus Verlag, 2017. 217 Seiten. ISBN 978-606-5873-81-6. Preis: 15 Euro