zur Druckansicht

Unser Lehár - Zum 150. Geburtstag des Komponisten Franz Lehár (Teil 1)

Franz Lehár als jüngster Militärkapellmeister Österreich-Ungarns (Losoncz 1890)

Franz Lehár sen. als Kapellmeister in Komorn 1870

Lambert Steiner mit seiner Banater Knabenkapelle (1885)

Eigentlich hat man sich das Lehár-Jubiläumsjahr 2020 ganz anders vorgestellt: Konzerte, Vorträge, Würdigungen… Doch: Der Mensch denkt und die Pandemie lenkt. Sämtliche Konzerte mussten abgesagt werden und selbst das Schreiben einer Würdigung fällt einem in dieser Situation schwer. Aber Franz Lehár verdient eine solche, zumal es meist seine Werke waren – „Dein ist mein ganzes Herz“, „Es stand ein Soldat am Wolgastrand“, „Immer nur lächeln“, „Vilja-Lied“, „Hör ich Cymbalklänge“, um nur einige zu nennen –, die unseren Vorfahren in Zeiten schwerster Not Trost und einige glückliche Stunden gebracht haben.

Als 1899 Johann Strauss in Wien starb, war man sich sicher, dass mit ihm auch die Wiener Operette zu Grabe getragen wird. Zu groß waren seine Erfolge, zu vielfältig seine musikalischen Leistungen und viel zu bekannt war seine Person in der ganzen Musikwelt. Doch mit dem Ende der Goldenen Ära der Operette bahnte sich bald eine neue Generation von Operettenkomponisten den Weg durch die dem Untergang geweihte Doppelmonarchie. Obzwar Österreich-Ungarn nach dem Ersten Weltkrieg von der Landkarte verschwunden ist, lebte der Geist dieses Imperiums in der Silbernen Operettenära weiter. Ihre Vertreter waren Emmerich Kálmán, Edmund Eysler, Oscar Strauss, Oskar Nedbal, Leo Fall und nicht zuletzt Franz Lehár.

Als Militärkapellmeister von Garnison zu Garnison

„In Ungarn bin ich zur Welt gekommen. Im Jahre 1870, in Komorn, wo mein Vater Franz Lehár als Militärkapellmeister stationiert war. Bis zu meinem zwölften Lebensjahr habe ich auch nur Ungarisch gesprochen und Ungarisch gelernt.“ So beschrieb Franz Lehár in einem frühen Interview die ersten Jahre seines Lebens. Damals lag die Garnisonsstadt Komorn (ung. Komárom, slowak. Komarno) noch Mitten in Ungarn, heute liegt sie an der ungarisch-slowakischen Grenze, diesseits und jenseits der Donau.

Besucht man heute das städtische Museum in Komorn, findet man nicht nur eine Ausstellung zum Leben und Wirken Franz Lehárs vor, sondern auch eine Gedenkstätte für den zweiten großen Sohn dieser Stadt, den ungarischen Schriftsteller Mór Jókai, auf dessen Novelle „Saffi“ das Libretto von Johann Strauss’ „Zigeunerbaron“ zurückgeht. Sowohl das slowakische als auch das ungarische und das deutsche Lebensgefühl hat Lehár bereits als Kind kennengelernt. Und die ganze Familie folgte dem Vater von Garnison zu Garnison.

Bis 1855 wirkte Franz Lehár sen. als Hornist am Theater an der Wien, wo er unter der Leitung von Adolf Müller sen. und Franz von Suppé große Erfolge erlebte. Hier wird fünfzig Jahre später sein Sohn mit der Operette „Die lustige Witwe“ einen Welterfolg erringen. Im Jahre 1863 wurde er einer der jüngsten österreichischen Militärkapellmeister seiner Zeit. Im Unterschied zu seinen Kollegen Karl Komzák, Philipp Fahrbach, Josef Gungl oder Alfons Czibulka blieb Lehár 42 Jahre lang der Militärmusik treu und wechselte alle paar Jahre seine Stelle zwischen Böhmen und Siebenbürgen, Norditalien und Galizien. Somit lernte der kleine Franz bereits als Kind die Musik mit all ihren Licht- und Schattenseiten kennen. Der Vater musizierte mit seiner Infanteriekapelle in Kasernen und Casinos, auf Paradeplätzen, in Kirchen und Konzertsälen. Franz Lehár jun. erinnert sich wie folgt an diese Jahre: „In meinem Elternhaus wurde Tag und Nacht musiziert oder doch wenigstens von Musik gesprochen… Vom ersten Tag meines Lebens an galt es als selbstverständlich, dass ich den Beruf des Vaters ergreifen würde.“

Und so kam die Familie 1877 auch nach Klausenburg (rum. Cluj) und 1879 nach Karlsburg (rum. Alba Iulia). Mit Klausenburg verbindet Franz Lehár ein interessantes Erlebnis. Als Franz Liszt in der St. Michaelskirche ein Konzert dirigierte, meldete sich Franz Lehár Vater freiwillig, um als Geiger im Orchester mitzuwirken. Nach dem Konzert verabschiedete sich dieser von Liszt, wobei er sich über dessen Hand neigte, um sie zu küssen. Diese Geste verehrungsvoller Begeisterung hinterließ bei dem kleinen Franz, der an der Seite seines Vaters stand, einen tiefen Eindruck.

Damals sind bereits mehrere Kompositionen von Franz Lehár sen. bei bedeutenden Verlegern in Wien, Prag und Triest erschienen. Somit war sein Name weit und breit nicht nur als Kapellmeister bekannt geworden, sondern auch als Komponist.

Im Jahre 1881 war Franz Lehár sen. Kapellmeister des Infanterieregiments Kussevich Nr. 33 in Budapest. Zu seinen Musikern zählte auch der junge Feldwebel Michael Steiner aus dem Banat, dem er 1881 ein Zeugnis ausgestellt hat: „Dem Musikfeldwebel  Michael Steiner wird hiermit bestätigt, dass er während seiner 4 Jahre Präsent Dienstzeit durch Fleiß, Kenntnisse und insbesondere durch vortrefflichen Unterricht an Skolaren beim obigen Regiments Stab das größte Lob und meine vollste Anerkennung erwarb und kann ich den genannten allerseits auf´s beste anempfehlen. Budapest, am 27. August 1881. Franz Lehár, Capellmeister.“

Michael Steiner war der Sohn des Banater Kapellmeisters Lambert Steiner. Als Mitglied von dessen berühmten Banater Knabenkapelle durchreiste er halb Europa, Amerika und Südafrika. Bei dieser Kapelle hatte er auch seinen ersten Musikunterricht erhalten. Wie wir noch erfahren werden, hatte Michael Steiner seinerseits einen Schüler, der unter Franz Lehár jun. wirken wird.

Konkurrenten: Rudolf Novacek und Franz Lehár sen.

Der Banater Musiker Rudolf Novacek (geb. 1860 in Weißkirchen, gest. 1929 in Prag) wirkte um 1885 als Militärkapellmeister in Prag. Sein Vater Martin Novacek stammte aus Böhmen und hatte weiterhin gute Beziehungen zum dortigen Musikgeschehen. Er unternahm mit seinen drei Söhnen als „Novacek-Quartett“ größere Konzertreisen und trat auch in mehreren Orten Böhmens auf. Bald galt Rudolf Novacek als der beste Militärkapellmeister Prags, obwohl die Konkurrenz sehr stark war. Zu den vielen Kapellmeistern der böhmischen Metropole zählte damals auch Franz Lehár sen. Mit der Popularität Novaceks konnte selbst er nicht Schritt halten: „… mit mittlerer Präzision musizierte das Orchester des Freiherrn von Catty Nr. 102 unter der Leitung des Kapellmeisters Herrn Franz Lehár. (…) die Begleitung war nicht präzise und fein genug“, schrieb der Kritiker der Zeitschrift Dalibor (Jg. 1885, S. 25). Ganz anders äußerte er sich zu der von Rudolf Novacek geleiteten Kapelle: „… nobel vorgetragen durch die Kapelle des IR 28 unter der Leitung von Rudolf Novacek. Neuling auf dem Konzertpodium war für uns der Kapellmeister Novacek, in welchem wir zu unserer Freude einen Virtuosen von einem feinen Geschmack und großer technischer Vollkommenheit kennengelernt haben. Die Kompositionen wurden exzellent durchgeführt, für die vorbildliche Einstudierung danken wir dem Herrn Kapellmeister Novacek“ (ebenda, S. 26).

In einem Gutachten eines Prager Musikers viele Jahre später wird auch erwähnt, dass Kapellmeister Rudolf Novacek von Antonin Dvořak sehr geschätzt wurde. Mehrmals hat er diesem bei der Orchestrierung von größeren Werken geholfen oder auf dessen Wunsch einige seiner Kompositionen für Blasorchester instrumentiert. Und am Schluss dieses Gutachtens lesen wir: „Solche Ehre genoss keiner der fünf Kapellmeister der damaligen Prager Garnison, darunter solche Fachleute wie František Šmíd, Josef Pietschmann, Mahr und Lehár.“

Franz Lehár und seine Banater Studienkollegen

Antonin Dvořak, der Titan der tschechischen Musik, schätzte sehr die ersten Kompositionen des jungen angehenden Violinisten und Studenten des Prager Konservatoriums Franz Lehár jun. So steht in seinen autobiographischen Aufzeichnungen: „Bestärkt wurde ich in diesem Bestreben noch durch Anton Dvořak, den berühmten tschechischen Symphoniker und späteren Direktor des Prager Konservatoriums. So oft er ein neues Quartett vollendet hatte, wurden ich und noch einige Konservatoriumsschüler eingeladen, es bei ihm zu spielen.“

Am 12. Juli 1888 legte Franz Lehár jun. im Prager Rudolfinum seine Abschlussprüfung ab. Auf dem umfangreichen Programmblatt befinden sich neben seinem Namen auch die zweier Banater Musiker: Eduard Pavelka (1879-1960) und Viktor Novacek (1875-1914). Pavelka wird später als Kapellmeister der Reschitzaer Werkskapelle tätig sein, während Viktor Novacek, Rudolfs Bruder, sich nach weiteren Violinstudien in Berlin und Leipzig in Helsinki niederlassen wird.

Jüngster Kapellmeister Österreichs

Nur kurze Zeit nach dem Abschluss des Violinstudiums am Prager Konservatorium wird Franz Lehár 1889 seine Tätigkeit als Primgeiger der Militärkapelle seines Vaters in Wien beginnen. Er wird in den Berichten als ein sehr talentierter Geiger erwähnt, der in zahlreichen Konzerten als Solist aufgetreten ist. Im Jahre 1890 wird er als jüngster k. u. k. Militärkapellmeister die Leitung der Kapelle des Infanterieregiments (IR) 25 in Losoncz übernehmen. Doch zwischendurch komponierte er fleißig, so die beiden Opern „Rodrigo“ und „Kukuška“ wie auch mehrere kleinere Werke. 1897 übernahm er die Kapellmeisterstelle des IR 87 in Triest, 1898, nach dem Tod seines Vaters, dessen Kapellmeisterstelle in Budapest und ein Jahr später wurde er Kapellmeister des IR 26 in Wien.

Bis 1902 wird Lehár einige Male zwischen dem Beruf eines Militärkapellmeisters und dem eines freien Komponisten wechseln. Er wollte endlich nur mehr als Komponist tätig sein. Doch könnte er davon leben? Jedenfalls legte er in diesem Jahr endgültig die bunte Uniform des Militärkapellmeisters ab und wurde Vertragskomponist am Theater an der Wien.

Noch vor seiner Kündigung entstand einer seiner schönsten Walzer, der in Windeseile ein Welterfolg wurde: „Gold und Silber“. Wie verbreitet diese Komposition war, bezeugen auch die zahlreichen Abschriften für Akkordeon, die im Banat in den 1950er und 1960er Jahren sehr beliebt waren.