185 Feldpostbriefe eines Offiziers der 7. SS-Freiwilligen-Gebirgs-Division „Prinz Eugen“ aus einem privaten Archiv erstmals veröffentlicht
Die 7. SS-Freiwilligen-Gebirgs-Division „Prinz Eugen“ hat in den Jahren von 1942 bis 1945 das Leben vieler Familien aus dem gesamten historischen Banat sowie Siebenbürgen geprägt und die Nachwirkungen halten bis heute an. Davon zeugt das hohe Interesse an jeglichen Veröffent-
lichungen zu diesem Thema, seien es wissenschaftliche Dokumentationen und Interpretationen des damaligen Geschehens, sei es Erinnerungsliteratur im Spagat zwischen Biographie und Belletristik.
Unverfälschte wie unverblümte Eindrücke aus jenen Jahren bietet ein bislang nur begrenzt wahrgenommenes Buch aus dem Berliner Story Verlag. „‚Liebste Janni!‘ – Briefe von Hans S. aus dem Krieg, 1940-1945“ heißt der im September 2019 erschienene Band, in welchem die thüringische Schriftstellerin Alice Frontzek als Herausgeberin 185 Feldpostbriefe ihres Großvaters vorstellt.
Als Janni – Marianne Heinrich, verwitwete S., geborene Rüger – 2006 im Alter von 83 Jahren starb, hinterließ sie ihrem Sohn Hans-Eberhard die bis dahin nie angesprochenen Feldpostbriefe. Diese sind dann über weitere Jahre weitgehend unbeachtet geblieben – bis 2018, als sich Alice Frontzek als Enkelin dem schmerzhaften Kapitel der Familiengeschichte annahm.
Die in Erfurt lebende Autorin mit Berliner Wurzeln erkannte schnell den Wert der privaten Unterlagen für die Allgemeinheit. Es reifte die Idee eines Buches, in welchem zum Schutz des Familienverbandes lediglich der Nachname der beiden verstorbenen Protagonisten auf S. beschränkt ist.
Der Historiker Dr. Reiner Prass und der Verleger Wieland Giebel ordnen Zeitzeugnisse und Rechercheergebnisse in einem Vor- und Nachwort ein. Mit einer persönlichen Einleitung von Alice Frontzek und der Moderation der Feldpostbriefe durch Verlagsredakteur Norman Bösch, zahlreichen Fotos und anderen Illustrationen, einigen kürzeren Beiträgen und faksimilierten Auszügen etwa aus Kriegstagebüchern der „Prinz Eugen“ wuchs das Projekt zum 302-seitigen Buch.
Dieses beginnt im August 1940, als der 23-jährige Rottenführer (Obergefreite) Hans S. der 18-jährigen Erfurter Postangestellten Marianne den ersten Liebesbrief schreibt. Und zwar aus dem lothringischen Metz, wo sich der Siebenbürger Sachse aus Wolkendorf mit der Leibstandarte SS Adolf Hitler auf den seinerzeit geplanten Überfall Großbritanniens vorbereitet.
Zu diesem Zeitpunkt war Hans S. schon geraume Zeit weg von zu Hause. Nach einem um 1935 geleisteten Dienst in der rumänischen Armee studierte er ab 1936 an der Sporthochschule in Berlin. In jenem Jahr soll er da sogar der rumänischen Feldhandballnationalmannschaft bei den Olympischen Spielen angehört haben. Auf alle Fälle meldete sich Hans S. Mitte September 1939, nach dem Überfall des Dritten Reichs auf Polen, freiwillig zur Waffen-SS. Der Diplom-Sportlehrer wird zunächst in der Reichshauptstadt ausgebildet. So lernt er Marianne kennen und es entwickelt sich eine so innige Beziehung, dass er ihr zunächst alle paar Tage schreibt.
Englischen Boden betrat Hans S. nie. Dafür stand er 1941 unverhofft in der rumänischen Walachei, wo der Einfall seiner Division in Bulgarien und Griechenland begann. Von der Ägäis ging es zur Auffrischung nach Mähren, wo ihm die Ferntrauung mit der mittlerweile schwangeren Marianne erlaubt wurde, um dann Rädchen des „Unternehmens Barbarossa“ zu werden, was ihn quer über verschiedene Kriegsschauplätze des Russlandfeldzuges bis zum Schwarzen Meer brachte.
Der ehrgeizige und linientreue Hans S., der zwischendurch zum ausgesuchten Publikum einer Berliner Sportpalast-Rede Hitlers gehörte, durfte sich dann in Bad Tölz und München-Freimann weiterbilden, um ab dem 4. Juni 1942 als SS-Untersturmführer (Leutnant) beziehungsweise Ausbildungsoffizier im jugoslawischen Großkikinda die „Prinz Eugen“ mit aufzustellen. In seiner Feldpost nennt er Rumänien wiederholt sein Heimatland, auf dem Balkan wird er nun als Reichsdeutscher betrachtet, vielleicht weil er 1916 zufällig in Wien das Licht der Welt erblickt hatte.
Sicher an die Geheimhaltungsvorschriften und die Militärzensur denkend, schreibt Hans S. seiner Janni oft über persönliche, ja allzu menschliche Dinge wie Fußlappen, Fettmarken und Filzläuse. Es dringen aber auch Nachrichten vom mal stinklangweiligen, mal überaus erschöpfenden Dienst im Hinterland beziehungsweise an der Front durch, und in diesem Spannungsfeld bewegen sich auch seine Nachrichten vom Balkan.
Die vermitteln zunächst ein Leben „wie im Paradies“. Bester Muskateller fließt wohl in Strömen. Nur unerträgliche Hitze scheint zu stören. „Wir haben hier alles in Hülle und Fülle“, schreibt Hans S. am 8. August 1942 seiner Frau, die später im Jahr mit Kind und Kegel aus dem luftkriegsgefährdeten Erfurt nach Wolkendorf zu ihren siebenbürgisch-sächsischen Schwiegereltern zieht.
In seiner Batterie stehen dem Chef „alle Künstler des Handwerks“ und allein drei Berufsfotografen zur Verfügung, was sich in etlichen Bildern niederschlägt. Die zeigen eine unbeschwerte Zeit und einen seinen Männern zwar verbundenen, aber selbstbewussten Offizier.
„Wenn ich hier wollte, ich könnte jede Woche 2-3 große Schinken umsonst haben“, meldet Hans S. aus Großkikinda. „Doch ist mir meine Autorität lieber als alles Essen. Ich habe ein paar sehr reiche Kerle in meiner Batterie, schwerreiche Bauern mit eigenen Mühlen. In der nächsten Woche schicke ich Dir mit einem meiner Köche, der zu einem Kursus ins Reich fährt, eine Kiste mit 20 kg Mehl, Schinken und Eier.“
Bald darauf wird’s ernst. Es kommen Zeiten, für welche keine Post von der Front erhalten ist. Und wenn es Briefe gibt, dann weicht in den Zeilen des jungen Mannes die Verliebtheit der Sorge um die Familie. Unbeschwertheit blitzt nur noch selten auf. Höhepunkt ist ein Besuch des Reichsführers SS Heinrich Himmler, dem die Einheit von Hans S. ihre Kriegskunst vorführen darf.
Als Hans S. im Sommer 1943 auf Heimaturlaub darf, trägt er als nunmehriger SS-Obersturmführer (Oberleutnant) das Eiserne Kreuz II. Klasse im Knopfloch. In seinem Heimatdorf spricht er in einer Propagandaveranstaltung der Volksgruppe vor Landsleuten, die kurz vorm Abtransport zu Einheiten der Waffen-SS, wohl auch zur „Prinz Eugen“ stehen. Später im Jahr lernt er mit der Adria das dritte Meer als Soldat kennen.
Der letzte Feldpostbrief, der die Familie von Hans S. erreicht hat, stammt vom 24. Januar 1945. „Harte und kalte Angriffstage liegen heute hinter uns“, heißt es da. Die Auflösung der „Prinz Eugen“ im Chaos der letzten Kriegs- und ersten Friedenstage erwischt Hans S. irgendwo zwischen Laibach und Cilli im heutigen Slowenien. Er ist mittlerweile SS-Hauptsturmführer (Hauptmann) und Träger des Kriegsdienstverdienstkreuzes II. Klasse mit Schwertern. Das hilft ihm Mitte Mai 1945 überhaupt nicht, als er beim Versuch, amerikanisch besetztes Gebiet zu erreichen, wohl den falschen Leuten über den Weg läuft.
Marianne S. hoffte im Frühjahr 1947, als ihr die Rückkehr aus Siebenbürgen nach Thüringen vergönnt war, noch auf ein Wiedersehen mit ihrem Mann. Erst 1956, nunmehr in West-Berlin zu Hause, sollte sie von einem Überlebenden der versprengten Einheit von Hans S. Näheres über seine letzten Stunden berichtet bekommen. Der genaue Todestag und -ort des vermissten Weltkriegssoldaten Hans S. sind bis heute unbekannt.
Alice Frontzek hat sich dem kurzen Leben ihres Großvaters mit einer typischen, aber auf der Hand liegenden Nachgeborenenfrage genähert: War Opa Opfer oder Täter? Einer ihrer Antworten zufolge war der Artillerist Hans S. selbst nur „Kanonenfutter“. Er wurde „fanatisiert, verleitet, verblendet, auf den Holzweg geführt, zum Täter und somit zugleich zum Opfer gemacht, nicht nur zum Opfer des Krieges, auch zum Opfer des Schweigens einer Generation, in der es keinen Raum gibt, sich an Soldaten zu erinnern, die einem der schlimmsten Unterfangen der Weltgeschichte dienten“.
Dem berührenden Taschenbuch sind reichlich Leser zu wünschen.
Alice Frontzek (Hrsg.): Liebste Janni! Briefe von Hans S. aus dem Krieg, 1940-1945. Berlin: Story Verlag, 2019. 302 Seiten. ISBN 978-3-95723-165-9. Preis: 19,95 Euro