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Rückschau auf einen langen Lebensweg

Zu Adam Nagelbachs Lebensgeschichte „Wege und Irrwege. Vom Banater Land in die Pfalz“. Oft hört man Aussagen wie diese: „Das müsste man aufschreiben“ oder „Darüber könnte ich ein ganzes Buch schreiben“. Eine Umsetzung solcher Pläne in die Tat erfolgt jedoch nur in den wenigsten Fällen. Adam Nagelbach gehört zu den rühmlichen Ausnahmen. Dank seines exzellenten Gedächtnisses war es ihm möglich, noch im hohen Alter Details aus seinem Leben zu erinnern. Die Tochter und ihre Familie halfen ihm bei der Niederschrift seiner Lebensgeschichte. Es wurde ein richtiges Buch daraus. Adam Nagelbach nannte es „Wege und Irrwege. Vom Banater Land in die Pfalz“. Im Herbst 2012 war es ihm noch möglich, den Vorabdruck zu versenden. Das fertige Buch konnte er jedoch nicht mehr in Händen halten. Am 22. Mai 2013, dem Tag, an dem es in den Buchhandel kam, ist Adam Nagelbach 95-jährig in Berlin gestorben.

Er habe seine Erinnerungen „Wege und Irrwege“ genannt, denn „Krieg, Flucht, Gefangenschaft und die Suche nach einer neuen Heimat ließen meinen Lebensweg um vieles verschlungener werden als den meiner Vorfahren. Und so ist eben nicht nur von Wegen, sondern auch von so manchen Irrwegen und leider auch von politischen Verirrungen zu berichten“, schickt der Autor voraus.

Adam Nagelbachs Lebensweg begann 1918 in Liebling. Obwohl er nur bis zu seinem elften Geburtstag dort lebte, habe ihn diese dörfliche Herkunft für immer geprägt. „Wenn man an einem Ort wie Liebling aufwächst, dann trägt man seine Kindheit ein Leben lang mit sich“, bekennt der Autor gleich zu Beginn des ersten Kapitels. Es ist eine warmherzige Hommage an seinen Heimatort, in dem die Menschen ein zutiefst traditions- und naturverbundenes Leben pflegten. Mit drei Geschwistern wächst er in einer wohlgeordneten Welt in gediegenem, bäuerlichem Wohlstand auf. Diese intakte, von Traditionen und festen Regeln geprägte Welt beschreibt Nagelbach sehr eindringlich. Vieles ist ihm auch nach so langer Zeit erinnerlich: Haus und Hof der Eltern, Kindergarten- und Schulbesuch, Weihnachten, die Schweineschlacht, das Kirchweihfest. Darüber hinaus rollt der Autor die eigene Familiengeschichte auf und berichtet, wie seine aus der Pfalz stammenden Vorfahren 1786 nach Liebling kamen und wie es seinem Vater gelang, aus dem beschwerlichen Bauernleben in das eines erfolgreichen Holzhändlers zu wechseln.

Auf Bildung hielt der Vater große Stücke, und er bestand darauf, dass seine drei Söhne auf die höhere Schule nach Hermannstadt gehen. In den beiden folgenden Kapiteln erzählt Adam Nagelbach vom Besuch des Brukenthal-Gymnasiums in Hermannstadt und seinen Schuljahren in Temeswar. Nachdem er an das dortige Handelslyzeum gewechselt war, legte er 1939 die Prüfung zum Handelskaufmann ab und kehrte nach Liebling zurück. Es war die Zeit, in der der Nationalsozialismus auch das Banat erreicht hatte und das tägliche Leben mehr und mehr zu prägen begann. „Das Singen und Strammstehen war noch nie meine Sache. Mit dem Hitlergruß hatte ich anfangs weniger Probleme. Ernsthafte Zweifel stellten sich erst nach und nach bei mir ein“, bekennt der Autor.

„Kriegsjahre eines Untauglichen“ nennt Nagelbach das die Zeitspanne 1939 – 1943 behandelnde Kapitel. Darin erzählt er, wie er zweimal bei der Musterung wegen einer Gesichtsverletzung „durchfiel“, die er sich als kleines Kind zugezogen hatte und die ihn ein Leben lang begleitete: erst in Temeswar, beim rumänischen Militär, dann 1940 in Wien bei der Waffen-SS. Nagelbach hatte sich nämlich zur „Tausend-Mann-Aktion“ gemeldet – aus jugendlicher Abenteuerlust und in der Hoffnung, eine neue Zukunftsperspektive zu finden, wie er schreibt. 1942 absolvierte er an der Hochschule für Welthandel in Wien ein auf den Südosthandel ausgerichtetes Kurzstudium.

Im Sommer 1943 bekam er überraschend einen Einberufungsbefehl von der Waffen-SS. „Sie untersuchten mich nur oberflächlich und befanden mich für tauglich“, schreibt Nagelbach. Er wird einem Sanitäts-Ersatzbataillon in Stettin zugeteilt und erlebt als Sturmmann den Irrsinn der letzten Kriegsjahre. Davon handelt ein eigenes Kapitel.

Das darauf folgende steht „Im Zeichen der Null“, womit die Tätowierung des Blutgruppenzeichens am Oberarm gemeint ist. In russische Gefangenschaft geraten, versuchte er vor allem eins: verhindern, dass die „blaue Null“ entdeckt wird. Mit einer List ist ihm dies gelungen, bis eines Tages die Entlassung vor der Tür stand. Als der russische Lageroffizier die Gefangenen die Arme hochheben ließ, simulierte er einen Schwächeanfall. Am nächsten Tag – es war der 27. September 1945 – gehörte er zu jener Kompanie, die man in der Hektik zu kontrollieren vergaß. Nach einem in Liebling verbrachten Jahr gelang ihm dann die Flucht aus Rumänien.

Adam Nagelbach findet nun seinen „Frieden in der Fremde“ – so die Überschrift des vorletzten Kapitels. Es erzählt vom Los eines staatenlosen Flüchtlings, vom Wiedersehen der im Herbst 1944 geflüchteten Familie, von Heimatsuche, Familiengründung und Heimischwerden in der Pfalz. In Speyer fand er eine Anstellung bei der staatlichen Rentenversicherungsanstalt. Als Kenner der einschlägigen Eingliederungsgesetze half er später vielen Landsleuten, in Deutschland Fuß zu fassen.

„Der Kreis schließt sich“ im letzten Kapitel des Buches. Adam Nagelbach hatte – auch dank der immer größer werdenden Lieblinger Gemeinde in Speyer – „so etwas wie eine neue Heimat gefunden“, ohne die alte Heimat zu vergessen. Er besuchte oft seinen Heimatort, auf seiner letzten Reise nach Rumänien im Jahr 2009 begleiteten ihn Tochter, Schwiegersohn und Enkelsohn.

„Wege und Irrwege“ ist ein berührendes autobiografisches Werk eines Mannes, der immer Lieblinger geblieben ist. Es sei die Geschichte dieses Ortes, die die weltweit verstreuten Lieblinger verbinde, aber auch „das schmerzliche Erlebnis, wie eine Heimat innerhalb weniger Generationen entstehen, erblühen und wieder untergehen kann“, so der Autor. Adam Nagelbachs Autobiografie ist eine ehrliche Reflexion seines langen, mitunter verschlungenen Lebensweges, eine spannend erzählte, vorzüglich geschriebene und leicht lesbare Lebensgeschichte.   

Adam Nagelbach: Wege und Irrwege. Vom Banater Land in die Pfalz. Münster: Verlagshaus Monsenstein und Vannerdat, 2013. 187 Seiten. ISBN 978-3-86991-880-8. Preis: 17.50 Euro.