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Schreiben als Form des Widerstands

Ana Blandiana zu Gast in der Temeswarer Lenauschule. Foto: Katharina Kilzer

Der Festsaal der Temeswarer Lenauschule verwandelte sich Ende März für drei Tage in ein Auditorium und Bühne für einen literarisch-politischen Austausch der Lenauschüler mit der bekannten rumänischen Dichterin Ana Blandiana. Blandiana, die 1942 in der Fabrikstadt in Temeswar geboren ist, fühlt sich – obwohl sie schon früh mit ihren Eltern nach Großwardein gezogen ist – seit jeher der Banater Hauptstadt verbunden. Nicht nur, dass sie ihre bis 1978 in Temeswar lebenden Großeltern immer wieder besuchte, nein, sie gehörte später auch zu den Befürwortern der „Proklamation von Temeswar“, die im März 1990 die liberal-demokratischen Ziele, wie sie dem Geist der Revolution von 1989 entsprachen, zum Ausdruck brachte. Die nach einer etwa fünfjährigen Abwesenheit erfolgte Rückkehr von Ana Blandiana in ihre Geburtsstadt gestaltete sich zu einem Großereignis, das entsprechende Resonanz in den Medien fand.

Die Lenauschule mit ihrer Leiterin Helene Wolf und den Fachlehrkräften für Rumänisch, Deutsch und Geschichte hatte den Besuch perfekt organisiert. Am 28. März traf Ana Blandiana im Festsaal eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern der Gymnasialklassen 5-8. Zum angekündigten Thema des Austausches „Warum schreiben wir? Wie schreiben wir?“ hatten die Schülerinnen und Schüler Schautafeln mit Zeichnungen und Versen von Ana Blandiana angefertigt, die im Festsaal ausgestellt waren. Viele kannten besonders die Kinderbücher Blandianas, die zu kommunistischen Zeiten für Furore gesorgt hatten. Das erste, 1980 erschienene Kinderbuch „Geschehnisse aus meinem Garten“ erhielt den Preis für Kinderliteratur des Rumänischen Schriftstellerverbandes. In dem Helden des zweiten Kinderbuchs „Geschehnisse auf meiner Straße“ (1988), Kater Steckzwiebel (Motanul Arpagic), sahen die Leser das genaue Abbild des Diktators Ceauşescu. Das Buch wurde schon bald auf Anweisung von „höchster Stelle“ aus den Buchhandlungen entfernt. Es folgten weitere Geschichten über den Bilderbuch-Kater, die bis heute gerne gelesen und – da sie mittlerweile auch als Audiomedium vorliegen – auch gerne gehört werden.

Die Lenauschüler stellten aber auch Fragen zu den Gedichten und Essays von Ana Blandiana und ihrer politischen Implikation bei der Bürgerakademie. Die Autorin und ihre Übersetzerin Katharina Kilzer lasen einige Gedichte aus dem 2018 veröffentlichten zweisprachigen Lyrikband „Geschlossene Kirchen / Bise-rici închise“. Die Frage nach ihrem Lieblingsgedicht beantwortete Blandiana mit der Lektüre des Gedichts „Erinnerst du dich an den Strand“ (Îţi aminteşti plaja), erstveröffentlicht in dem Band „Octombrie, noiembrie, decembrie“ (1972). Die deutsche Version wurde von Katharina Kilzer vorgetragen. Einige Schüler lasen anschließend eigene Gedichte vor, andere wiederum führten Diskurse über das Schreiben.

Der nächste Tag war der Begegnung mit Schülerinnen und Schülern der Lyzeumsklassen 9-12 gewidmet, die sich mit dem Thema „Schreiben als Form der Widerstands“ auseinandersetzten. Die Veranstaltung wurde von Literatur-Lehrerin Dorina Ciuhandu eröffnet, die eine zusammen mit den Schülern realisierte Tonaufnahme zu Gehör brachte. Lehrer und Schüler der Lenauschule sowie deren Eltern und Großeltern erzählten, welche Rolle Ana Blandiana und ihre Bücher in ihrem Leben gespielt haben. An den Wänden des Festsaals hatten die Schüler Collagen mit Auszügen aus den Büchern der Dichterin auf Leinen aufgehängt, die nun über ihren Köpfen schwebten. Nach der Lesung von Ana Blandiana und Katharina Kilzer stellten die Schüler Fragen.

Radu Trică, Mitglied der NiL- Theatergruppe der Lenauschule, trug Blandianas Gedicht „Mutter“ (Mamă) vor. Die Autorin war sehr beeindruckt und erzählte mit Begeisterung über ihr literarisches Schaffen wie auch darüber, welchen Einfluss Politik und „Schreiben als eine Form des Widerstands“ darin spielten. Sie verdeutlichte ihre Ausführungen am Beispiel des Gedichts „Alles“ (Totul), eine Aneinanderreihung von im Kommunismus gängigen Begriffen, wie „Fähnchen schwenken“, „Ersatzkaffee“, „Einkaufsschlangen“, „Samstagsabendfilm“, „mit Gasflaschen betriebene Autos“ usw. Blandiana erklärte das Gedicht Zeile für Zeile, zumal diese Begriffe, die das Leben und Überleben im Kommunismus beschreiben, für die heutige Generation nicht mehr nachvollziehbar sind.

Aber Erinnerung ist wichtig, um die Vergangenheit zu verstehen, und so erzählte die Dichterin Begebenheiten aus dem kommunistischen Alltag, die ihr als Inspiration für ihre Poesie dienten. Ana Blandiana stand unter Beobachtung der Securitate. Als im Dezember 1984 einige ihrer nonkonformistischen Gedichte, darunter auch jenes mit dem Titel „Alles“, in der Zeitschrift „Amfiteatru“ erschienen waren, erhielt die Autorin sofort Publikationsverbot. Die Gedichte verbreiteten sich jedoch in handschriftlicher oder xerokopierter Form. Es war das erste literarische Samisdat in Rumänien. Diese Gedichte, in der britischen Zeitung „Independent“ veröffentlicht, begründeten im westlichen Ausland Ana Blandianas Ruf als Mahnerin wider die politische Unterdrückung in ihrem Land. Die Begegnung in der Lenauschule endete mit einer Überraschung: Luca Dragu und Cătălina Ciortea sangen ein eigen komponiertes Lied nach dem Gedicht „Ohne eine Geste“ (Fără un gest) von Ana Blandiana.

Die Veranstaltungsreihe endete am Samstagabend mit einer Filmvorführung und Diskussion über die Gedenkstätte „Memorial Sighet“ für die Opfer des Kommunismus und des antikommunistischen Widerstands in Rumänien. Die Lehrkräfte der Lenauschule nannten den Besuch Ana Blandianas „ein Gedicht“ und äußerten den Wunsch, diesem noch weitere Strophen hinzuzufügen.

Während ihres Aufenthaltes in Temeswar hielt Ana Blandiana noch einen Vortrag zum Thema „Eine Gedenkstätte zwischen zwei Europas“ vor großem Auditorium an der West-Universität und stellte ihren neuesten Gedichtband „Variationen zu einem gegebenen Thema“ (Varia-ţiuni pe o temă dată) in der Buchhandlung Humanitas vor.       (KK)