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„Jeder Tag ist ein Gedicht ist eine Zerreißprobe“

Der Banater Horst Samson ist Lyriker, Prosaist, Herausgeber, Übersetzer, Musiker, Anreger, Förderer und Erinnerer, ein „Silbentaucher im berüchtigten Wörtersee“, der die Sprache, die Natur und die Heimat liebt – ein „Davongekommener“, der auch als „Ankommender“ daheim sein will auf den Kontinenten dieser Erde. Man stellt ihn sich vor durch die Zeit und Welt reisend, nicht nur die Schönheiten und Eigenheiten dieser Welt betrachtend, sondern auch in Gedanken und Erinnerungen versunken, im Betrachten von Phänomenen, die für ihn immer irgendwo verankert sind, die eine Heimat haben – als Versuchung. Das nackte Leben eben.

„Heimat als Versuchung – Das nackte Leben“ ist denn auch der Titel der im Ludwigsburger Pop-Verlag erschienenen Anthologie mit Texten von und über Horst Samson. Die zahlreichen Texte – Gedichte, Rezensionen, Interviews, Reden, Vorträge – des 484 Seiten umfassenden Bandes, der vom Autor selbst zusammengestellt wurde, geben einen Überblick über die Vielseitigkeit dieses Banater Dichters, der immer wieder Heimat und Herkunft thematisiert hat. Eine „verschlüsselte Autobiographie“ nannte Erwin Messmer bereits den 2000 erschienenen Gedichtband „La Victoire. Ein Poem“. Die vorliegende Anthologie ist eine Fortsetzung dieser verschlüsselten Biographie des Autors.

Eröffnet wird der Band mit einer Würdigung des Schweizer Journalisten, Lyrikers und Essayisten Andreas Saurer, der Samson bereits 1983 in Temeswar kennengelernt hat und dessen Gedichte „unerhörte Findlinge“ nennt, die nach „Aufmerksamkeit und Zuneigung“ heischen. Unerkannt geblieben und nicht mit der gebührenden Aufmerksamkeit im literarischen Leben hierzulande bedacht sind bis heute die Klagen des Autors, die im lyrischen Protokoll seines Lebens-Poems „La Victoire“ thematisiert werden. Aus einem Land kommend, wo nur Siege verzeichnet und Niederlagen unter den Teppich gekehrt wurden, erfuhr der Journalist in der neuen Heimat, dass Siege unter den Teppich gekehrt, Niederlagen hingegen verzeichnet werden. Das nackte Leben hat ihn wieder eingeholt in der neuen Heimat, die vieles nicht hält, was man sich von ihr versprochen hat. Insofern bezeichnet auch Peter Motzan in seinem Beitrag „Überwintern mit einem verschwiegenen Zeugen“ Samsons Poem als „Psychogramm einer Identitätsberaubung“. Und Eduard Schneider betrachtet Samsons Lyrik als „lyrische Psycho- und Kryptogramme eines Lebens unter der Diktatur“.

Politik und Dichtung gehören bei Horst Samson zusammen. Der im Bărăgan, in der Deportation Geborene hat diese zwei Aspekte in seinen Texten nie richtig getrennt. Die „Gegenüberstellung“ zwischen Rumänien und dem Westen ist auch für Edith Ottschofski ausschlaggebend für die in dem Band „Kein Schweigen bleibt ungehört“ (2013) vereinten Gedichte Samsons, wobei sein lyrisches Ich sich in beiden Welten unsicher bewege. Im „Diskurs des Dichters“, den Samson in seinem neuen Heimatort Neuberg 2007 hält, definiert er selbst sein Schreiben, seine Dichtung, sein Sein: „Jeder Tag ist ein Gedicht ist eine Zerreißprobe…“.

Im Gespräch mit Stefan Sienerth über seine Securitate-Akte antwortete Samson auf die Frage, ob es darin Hinweise auf seine verbale Aufmüpfigkeit gebe, dass er sich entschlossen hatte, „zu sein, wie ich war, und zu sagen, was ich dachte“. Diese Geradlinigkeit brachte ihm nicht nur Freunde und Ruhm. Aber die Akte habe ihm „vergessenes, vielleicht verdrängtes Leben zurück(gegeben)“ und sogar Freundschaften wiedergeschenkt, wie die von Richard Wagner. Samsons Initiative, bei einer Sitzung des Temeswarer Literaturkreises „Adam Müller-Guttenbrunn“ Lieder des prominenten DDR-Dissidenten Wolf Biermann abzuspielen, rief 1982 auch die Stasi auf den Plan, wie Georg Herbstritts Beitrag „Doppelt überwacht“ zeigt.

Einen Rückblick mit „Nostalgie und Melancholie“ gibt Samsons Text „Der Einfall der Dichter“ zum 40. Geburtstag der Aktionsgruppe Banat, der der Dichter verbunden war. Aber nicht nur die Melancholie überfällt den Leser bei der Lektüre des Bandes, sondern genauso die Heiterkeit, das Komödiantenhafte einiger Texte wie „Epitaph auf ein paar Halbschuhe“ oder „Lange Betrachtung über das Schlachten von Karpfen“.

Weitere Texte sind Horst Samson gewidmet von Freunden und Wegbegleitern wie Franz Hodjak, Erwin Messmer, Traian Pop, Andreas Saurer, Kurt Drawert und anderen. Johann Lippet hat genau wie in dem Widmungsband für Richard Wagner auch für Horst Samson Zeilen seiner Gedichte zu einem Poem aneinandergereiht: „und gehe genau wie horst samson oder Horst Samson in Selbstzeugnissen“. Samsons Bedeutsamkeit im deutschsprachigen Raum ist damit verankert. Auffällig jedoch, dass kein rumänischer Zeitgenosse vertreten ist. Absicht oder Zufall? Zeugnisse, Analysen, Kritiken seiner Werke sind dagegen nachzulesen bei Luzian Geier, Walter Engel, Mark Jahr, Ulrich van Loyen, Marie-Elisabeth Lüdde, Katharina Kilzer, Gabriela Şandor, Josef Balazs, Theo Buff, Wolfgang Wiesmüller und anderen sowie in den Texten von Horst Samson selbst. In der Adenda finden sich zahlreiche Fotos, die meisten aus dem Privatarchiv des Autors, sowie bibliographische Angaben zu den Autoren. Die Illustrationen stammen von Florin Pucă, einem rumänischen Dichter, Grafiker und Karikaturisten aus Bukarest.

Der hier vorgestellte Band nimmt den Leser mit auf eine Reise durch Zeit und Welt, Politik und Dasein, Heimat und Leben Horst Samsons. Man folgt ihm auf seinen Streifzügen. Heute ist Samson immer wieder unterwegs, mit dem Wohnmobil auf literarischen Spuren, in heimischen Gefilden, in den neuen Medien bei Facebook und mit Auftritten bei Lesungen, Musikdarbietungen und Tagungen – jeden Tag auf der Suche nach neuem Stoff für Gedichte. Legendär sind seine Auftritte mit selbstkomponierten Songs und eigenen Texten. Vielleicht wird der nächste Band den Liedern von Horst Samson gewidmet sein.

Horst Samson: Heimat als Versuchung – Das nackte Leben. Literarisches Lesebuch – Gedichte, Prosa, Literaturkritiken, Interviews. Ludwigsburg: Pop Verlag 2018. 484 Seiten. ISBN 978-3-86356-196-3. Preis: 24,50 Euro. Zu bestellen beim Verlag, über den Buchhandel oder bei Amazon.