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„Die Überlebenden im Winter“

„Was uns geholfen hat, dort überhaupt zu überleben, war das Brot, das wir bekommen haben. Ich kann bis heute keinen Krümel wegwerfen, sondern muss immer wieder an Russland denken, wie wir dort das kleinste Krümelchen Brot, das auf den Boden gefallen war, aufgehoben und gegessen haben.“ Über diese bittere Erfahrung berichtet Ignaz Bernhard Fischer in Florin Besoius Dokumentarfilm „Die Überlebenden im Winter. Erinnerungen aus der Deportation“, der am 3. November zum ersten Mal vor Publikum im Temeswarer Adam-Müller-Guttenbrunn-Haus gezeigt wurde.

Es ist nicht der erste Film über die Russlandverschleppung der Rumäniendeutschen im Januar 1945, den der 1984 in Mühlbach (Siebenbürgen) geborene Filmregisseur gedreht hat. 2010 kam sein Dokumentarfilm „Die Alptraumreise“ auf den Markt, der die Geschichten einiger ehemaliger Russlanddeportierter aus Mühlbach und Umgebung erzählt. Das im Anschluss daran geplante Filmprojekt, ehemalige Verschleppte aus mehreren Regionen Rumäniens zu Wort kommen zu lassen, konnte der in Leipzig lebende Regisseur erst 2015 in Angriff nehmen und in diesem Herbst der Öffentlichkeit präsentieren.

Der 40-minütige Dokumentarfilm „Die Überlebenden im Winter“ basiert auf Interviews mit drei Überlebenden der Russlanddeportation und dem Sohn eines nicht mehr heimgekehrten Deportierten. Die vier Hauptprotagonisten des Films sind Ignaz Bernhard Fischer (Jahrgang 1926, geboren in Bakowa) aus Temeswar, Vorsitzender des Vereins der ehemaligen Russlanddeportierten in Rumänien, Alois Weil (geboren 1928 in Sigmundhausen, heute ein Stadtteil von Arad) aus Arad, Maria Szilágyi, geborene Kaiser (geboren 1926 in Petrifeld) aus Sathmar sowie der Komponist, Musikwissenschaftler und Hochschullehrer Hans Peter Türk (geboren 1940 in Hermannstadt) aus Klausenburg.

Eingangs skizziert die Journalistin Hannelore Baier, eine ausgezeichnete Kennerin der Archivquellen zur Geschichte der Rumäniendeutschen ab 1944 und Herausgeberin einer Dokumentensammlung zur Russlanddeportation, den historischen Kontext, in dem etwa 70000 Deutsche aus Rumänien – neben Volksdeutschen aus anderen südosteuropäischen Ländern – auf Befehl Stalins zur Zwangsarbeit in die damalige Sowjetunion deportiert wurden.

In ihren Stellungnahmen gehen die ehemaligen Deportierten, damals 17-18 Jahre alt, auf die Aushebung, den Abstransport in Viehwaggons mitten im Winter, die unmenschlichen Lebensbedingungen in den Lagern (Kälte, Hunger, Wanzen, mangelnde Hygiene), die schwere Arbeit, ihre persönlichen Überlebensstrategien, das Sterben in der Fremde (Haupttodesursache war laut Fischer Dystrophie) sowie die Rückkehr in die Heimat nach fünfjähriger Verbannung ein. Der Zuschauer merkt, dass das vor mehr als siebzig Jahren Erlebte und Durchgestandene auch heute noch in der Erinnerung der Betroffenen sehr präsent ist. Es war zwar eine Erfahrung, die sie unfreiwillig machen mussten, die sie aber fürs Leben wappnete.

Berührend sind die Schilderungen von Hans Peter Türk, der zum Zeitpunkt der Deportation seines Vaters noch keine fünf Jahre alt war. Die letzte und einzige Erinnerung an ihn sei mit der Aushebung und dem Abstransport des Vaters aus der Wohnung in Zeiden in der Nacht vom 13. Januar 1945 verbunden; auf einem Lkw sitzend, habe er seiner Mutter und ihm zum Abschied gewunken. „Ich habe ihn nie wiedergesehen“, sagt Türk mit trauriger Stimme. Der Moment, in dem ihm wirklich bewusst geworden sei, dass er keinen Vater mehr habe, sei der Tag gewesen, an dem die Väter seiner Jugendfreunde aus der Verschleppung heimgekommen sind. „Meine Freunde haben sich gefreut, und ich musste danebenstehen und sehen, dass mein Vater nicht dabei war“, so Türk. Im Dezember 1946 hatte man ihn, schwerkrank, nach Frankfurt an der Oder gebracht, wo er noch am Tag seiner Ankunft starb und in einem Massengrab beerdigt wurde. Sein Vater habe Musiker werden wollen, was ihm aber verwehrt blieb. „Den Traum, den er hatte, habe ich erfüllt“, sagt Hans Peter Türk mit einer gewissen Genugtuung.

Am Ende berichtet der Abgeordnete der deutschen Minderheit im Bukarester Parlament, Ovidiu Ganţ, über die Wiedergutmachungsleistungen des rumänischen Staates für die Opfer der Deportation, während Hannelore Baier die Frage nach der „Schuld“ der zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion Verschleppten so beantwortet: „Ihre vermeintliche Schuld war einzig und allein, dass sie ethnisch dem Volk angehört haben, das den Krieg verursacht hat und jetzt im Begriff war, diesen Krieg zu verlieren.“

Den Interessenten stehen zwei Varianten des Dokumentarfilms zur Verfügung, eine mit rumänischen Untertiteln und die andere ohne Untertitel. Die DVD kann zum Preis von 20 Euro zuzüglich Versandkosten bei Florin Besoiu per E-Mail an fbfilmproduktion@gmail.com oder unter Tel. 0176 / 35562419 bestellt werden.