Landsmannschaft der Banater Schwaben e.V.

Eindrucksvolle Lebensleistung eines herausragenden Künstlers

Professor Franz Kumher bei einem Besuch im Kultur- und Dokumentationszentrum der Landsmannschaft in Ulm. Foto: Archiv BP

Franz Kumher, Ieri - oggi - domani II, 2001, Mischtechnik mit Acryl, 70 x 100 cm

Vor wenigen Tagen, am 16. Juli d.J., beging der aus dem Banat stammende Künstler Franz Kumher in Hildesheim seinen neunzigsten Geburtstag. Geboren in Orawitz, Schüler der Banatia in Temeswar, als Siebzehnjähriger mit Zehntausenden Landsleuten 1945 nach Russland verschleppt, ab 1948 als Studierender auf der Suche nach Halt und Orientierung in Westdeutschland, fand er schließlich seine neue Heimat in Niedersachsen, wo er in Hildesheim als geschätzter Kunstpädagoge an der Universität Jahrzehnte lang wirkte und sich gleichzeitig zu einem über die Grenzen Deutschlands hinaus anerkannten Künstler entwickelte.

Dies sind die Marksteine der äußeren Biographie unseres Jubilars, der auf einen eindrucksvollen Ertrag seines mehr als sechs Jahrzehnte währenden künstlerischen und kunstpädagogischen Wirkens zurückblicken kann. Als er seine Laufbahn als Professor für bildende Kunst an der Universität Hildesheim 1992 formal beendete – in Wirklichkeit war er dort noch viele Jahre tätig – wies Rektor Prof. Dr. Weber auf die innige Verknüpfung von Kunsttheorie und Kunstpraxis bei Franz Kumher hin: „Franz Kumher ist einer der Mitbegründer dieses für die Universität Hildesheim so charakteristischen Studiengangs Kulturpädagogik. Sein besonderes Engagement galt jedoch immer der Lehrerausbildung. Das Selbstverständnis kunstdidaktischer Tradition hat auch seine Lehrtätigkeit geprägt, nämlich eine Einheit von künstlerischer Praxis, Kunstvermittlung und dem Nachdenken über Kunst zu stiften. Dabei akzentuierte er besonders die Bereiche Malerei, Grafik und Lichtkinetik, die Arbeitsschwerpunkte der eigenen künstlerischen Praxis.“

Die Entwicklungslinien der Persönlichkeit von Franz Kumher – zunächst geprägt von frühen Lebenserfahrungen im Banat und der bewegten Nachkriegszeit, angereichert durch ein vielseitiges Studium und langjährige akademische Arbeit – bündelten sich eindeutig in seiner künstlerischen Eigenständigkeit und mündeten in sein vielgestaltiges Lebenswerk.

Die Konsequenz seiner künstlerischen Arbeit dokumentiert Franz Kumher klar in den Titeln und der Struktur seiner zahlreichen Ausstellungen: „Spuren und Zeichen“ heißt die zu seinem 80. Geburtstag in Hildesheim gezeigte Werkauswahl. 2005 stellte er im Düsseldorfer Gerhart-Hauptmann-Haus unter dem Titel „Bild-Zeichen. Ieri – Oggi – Domani“ (Gestern, heute, morgen) aus. Gleichsam als Essenz des künstlerischen Anliegens von Franz Kumher liest sich die Ankündigung seiner Hildesheimer Präsentation: „In einer verschlüsselten Bildsprache setzt sich Kumher mit Inhalten und Problemen unserer Zeit auseinander und geht dabei eigene künstlerische Wege. Die inszenierten Kompositionen drücken das Bemühen aus, seine Konzepte in Bildzeichen und Chiffren zu vermitteln. Bei seiner Malerei und Grafik soll sich der Betrachter auf Spurensuche begeben, um Kumhers malerischen Dialog mit der Dingwelt in einem von Technik geprägten Zeitalter zu entschlüsseln oder zu deuten.“

In seinen Bild-Zeichen setzt der Künstler Natur, Kultur und Technik in Beziehung zueinander, desgleichen Tradition und Fortschritt. Historisches Denken und kritischer Gegenwartsbezug sowie die Neigung des Malers zur Reduktion und Synthese vermittelt in exemplarischer Weise sein Bild „Alte Mauer in Rom“, das auf Grund vieler vom Künstler in Rom gefertigten Skizzen entstanden ist. „An dieser Malerei wird besonders deutlich“, schrieb Franz Kumher selbst, „dass mehr zu sehen ist als nur eine Mauer. Denn die Geschichte, die in diese Mauer eingegangen ist, sollte gleichsam sichtbar gemacht werden. Neben alten und neuen Mauerresten kommen Zeichen vor, die dem Bild eine Rätselhaftigkeit verleihen. Während unten vor der Mauer alte Relikte liegen, wird die Mauer selbst von technischen Geräten und Zeichen überragt“.  Zum Motiv der Technik in seinem Werk sagte der Künstler unter anderem: „ Meine künstlerische Aufgabe sehe ich weder in der Verharmlosung noch in der Überbewertung der Technik. In meinem Werk findet wohl ein Dialog mit der Technik statt, jedoch handelt es sich dabei nicht um physikalische oder politische, sondern um humane Fragestellungen und um visuelle Auseinandersetzungen.“

Weniger als die Malerei und Grafik wurde die Lichtkinetik Franz Kumhers bisher kommentiert. Daran erinnerte der verdienstvolle Kunsthistoriker Günther Ott – er stammte aus Siebenbürgen – in einem weit gefächerten Essay. Ihm verdanken wir auch eine einprägsame Darstellung der künstlerischen Entwicklung Franz Kumhers und dessen kunsthistorische Zuordnung: „Der Bogen ist weit gespannt – vom Konstruktivismus bis zu den Anklängen an den Magischen Realismus, von einer vermeintlichen, jedoch hintergründigen Sachlichkeit, bis zur symbolhaften Sprache. Er abstrahiert und entstofflicht seine Gegenstände, mal geometrisch flächig, mal in malerisch gestischer Weise. Aber er bleibt stets gegenständlich. Ob das sein Banater Erbe ist?“

Auf diese Frage von Günther Ott, und allgemein auf die Frage, was den Künstler Franz Kumher außer seinem Geburtsort Orawitz mit seiner Heimat Banat verbindet und inwiefern ein Heimatbezug in seinem Werk erkennbar ist, gibt es keine einfache Antwort. Vordergründige thematische Bezüge zum Banat sind in seinen Kunstwerken nicht festzustellen. Umso überraschender dürfte es sein, dass eine Kunstjournalistin in der „Süddeutschen Zeitung“ (Beilage „Münchner Stadtanzeiger“) ihren Bericht über eine Ausstellung von Franz Kumher unter dem Titel „Starke Beziehung zu Kindheitserlebnissen“ veröffentlicht hat: „Der Künstler erklärt sein starkes Beziehungsverhältnis zum Gegenstand mit seinen Kindheitserlebnissen: Großvater und Vater waren als Handwerker tätig, als Bub hatte er seine Lieblingsplätze in der Tischler- und Zimmermannwerkstatt seiner Vorfahren. Hier lernte er sehen, denn ‚die Kunst ist eine Kunst des Auges‘, so versichert der Professor, der alle seine Materialien selbst sammelt.“

Seine Prägung in den Jahren der Kindheit und frühen Jugend im Elternhaus und in der Atmosphäre der Banatia – seine Eltern wohnten übrigens auf dem Schulgelände und der Vater war dort als Tischlermeister tätig, der Bub Franz erledigte Kurierdienste für den Lehrkörper – hatte gewiss Langzeitwirkung im Leben und Werk Franz Kumhers. Diese Zeit dürfte die Nähe des Künstlers zum Beruf des Pädagogen mitbewirkt haben, denn Schule und Lehrerberuf hatten im Banat einen besonders hohen Stellenwert, der nicht zuletzt in der Banatia zur Geltung kam. Vielleicht haben sich frühe Erlebnisse und Erfahrungen unsichtbar, für Eingeweihte aber spürbar eingewoben in seine Kunstwerke, vielleicht ist es die Sehnsucht nach Harmonie und die zurückhaltende Emotionalität, die aus ihnen spricht, vielleicht ist es die Spurensuche in der Vergangenheit und die damit einhergehende Rätselhaftigkeit vieler seiner Werke oder die sanft-ironische Inszenierung disparater Fundgegenstände als Strandgut der Geschichte.

Wie dem auch sei, fest steht, dass der Mensch Franz Kumher, der ja vom Künstler und akademischen Lehrer nicht zu trennen ist, dem Raum seiner Herkunft tief verbunden geblieben ist. Er hat seine Werke in halb Europa ausgestellt, pflegte regen Austausch mit Künstlern aus europäischen Kulturzentren und hatte inspirierende Kontakte zu bedeutenden Persönlichkeiten der Kunst und Literatur, so zu Oskar Kokoschka, bei dem er Kurse für Malerei an der Internationalen Sommerakademie in Salzburg besuchte, und zum Dichter Paul Celan, dem er 1964 begegnet ist. Fruchtbar, künstlerisch ergiebig war Kumhers bildnerische Auseinandersetzung mit Gedichten Paul Celans, aus der ein viel beachteter Grafiken-Zyklus hervorgegangen ist. Die Kunsthistorikerin Beatrix Nobis schreibt von „Brüdern im Geiste“: „Eine eigenartige und melancholische Nähe verbindet Franz Kumher mit dem Dichter Paul Celan, der 1920 in der Bukowina, in Czernowitz, geboren wurde (…) Beide, die sich in Hannover kennengelernt haben, scheinen Brüder im Geiste zu sein in ihrer Heimatlosigkeit, der beständigen Nähe von Gefahr und Vernichtung, auch in ihrer Aufrichtigkeit, mit der sie sich ihren eigenen Schwächen und Stärken aussetzen.“ (2007)

Doch trotz weiter Reisen und längerer Aufenthalte in europäischen Metropolen, trotz seiner vielfachen künstlerischen Präsenz an bedeutenden Orten Europas und Deutschlands gestaltete sich die späte Wiederbegegnung Franz Kumhers mit dem Banat, das er erst nach dem Fall der Stacheldraht-Grenze wiedersehen konnte, zu einem besonderen Erlebnis.

1993, nahezu fünfzig Jahre nach seiner Deportation, besuchte Franz Kumher das Banat als angesehener Künstler. Im vollbesetzten Temeswarer Opernhaus, wo damals die offizielle Feier anlässlich der 275 Jahre seit Beginn der Ansiedlung der Banater Schwaben stattfand, wurde er mit großem Beifall als Ehrengast und renommierter Künstler begrüßt, der im Banat geboren und nach vielen Jahrzehnten nun erstmals heimgekehrt ist, wenn auch nur zu Besuch. In den folgenden Jahren wurde Franz Kumher mit Ausstellungen in Temeswar, Reschitza und Orawitz, seiner Geburtsstadt, gewürdigt, die ihn zu ihrem Ehrenbürger ernannt hat.

Aus dem umfassenden Verzeichnis der Orte seiner Einzelausstellungen seien hier nur einige herausgegriffen: Hildesheim, Frankfurt am Main, Düsseldorf, Kassel, München, Erlangen, Mailand, Palermo, Rom, Bologna, Triest, Dubrovnik. Ebenso zahlreich sind seine Beteiligungen an Gruppenausstellungen, darunter in Bradford, New York, Mailand, Neapel, Paris, Salzburg, München, Athen, Bukarest. Mehrfach wurde unser Jubilar in Deutschland und auch international mit Kunstpreisen und Anerkennungen ausgezeichnet, so in Österreich, Monaco (Goldene Palme), Italien, Griechenland.

Für seine verdienstvollen ehrenamtlichen Aktivitäten wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse geehrt. Sein steter Einsatz für Künstler aus den früheren deutschen Ostgebieten und aus dem südosteuropäischen Raum, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Heimat verloren hatten, verdient hier anerkennend und mit besonderem Dank hervorgehoben zu werden. In führenden Ehrenämtern wirkte er mit bei der Künstlergilde Esslingen, in der Ostgalerie Regensburg und in den neunziger Jahren engagierte er sich im Kulturverband der Banater Deutschen, als dessen Vizepräsident er sich acht Jahre zur Verfügung gestellt hatte. Dafür, dass er mir selbst in dieser Zeit mit Rat und Tat hilfreich zur Seite gestanden hat und dass sich daraus eine freundschaftliche Beziehung entwickelte, die bis heute Bestand hat, bin ich Franz Kumher sehr dankbar.

Zu seiner herausragenden Lebensleistung gilt dem Jubilar unsere hohe Wertschätzung, zu seinem 90. Geburtstag unsere herzliche Gratulation!