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Was weh tut, bleibt im Gedächtnis

Beiträge einer IKGS-Tagung zu Aspekten der Erinnerungskultur erschienen - „Mein Gedächtnis ist seltsam, manches ist weg, manches gestochen scharf wie feine Zähne beim Kamm“. Dieses Zitat von Herta Müller setzt Kathrin Schödel ihrem Tagungsbeitrag voran, in dem sie einen Abriss kulturwissenschaftlicher Gedächtnistheorien präsentiert. Die Tagung, die im Juni 2013 am Münchner Institut für Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) stattgefunden hatte, war dem scheidenden Direktor des Instituts, Stefan Sienerth, gewidmet und hatte die „Rumäniendeutschen Erinnerungskulturen“ zum Thema. Ein Forschungsbereich, dem sich das Institut und auch dessen
Direktor selbst seit Jahren verschrieben hatten.

Die Betrachtung der jüngeren Geschichte ist immer auch mit dem verbunden, was Zeitzeugen darüber aussagen. Die Aussagen stimmen, siehe Herta Müller, nicht immer überein, da Gedächtnis und vor allem die Wertung des Erlebten vielen subjektiven Einflüssen unterworfen sind. Für die Geschichtsschreibung muss daher eine Schnittmenge an Erinnerungen erstellt werden, die als „kollektives Gedächtnis“ Geltung haben und mit den objektiven historischen Daten in Korrelation gesetzt werden kann. Gleichzeitig hat Erinnerungskultur auch ein demonstratives Moment – eine Gruppe ist daran interessiert, die eigene kollektive Vergangenheit in einem bestimmten Licht zu zeigen und davon abweichende Aspekte zu unterdrücken.

Die Rumäniendeutschen sind erst seit 1918 eine „Gruppe“ – und auch das ist nur ein historisch-geografisches Konstrukt. Mehrere Gruppen – Banater Schwaben, Siebenbürger Sachsen, Sathmarschwaben, Buchenländer –, die davor nur lose miteinander Kontakt hatten, kamen zu diesem Zeitpunkt nach dem Zerfall der Donaumonarchie an den neuen Staat Rumänien. Heute sind aus dieser Gruppe vor allem Aussiedler aus Rumänien in Deutschland geworden, die ihre Gruppengeschichte – die jeweils eigene sowie die gemeinsame „rumäniendeutsche“ – rückblickend verwalten, zumal die Gruppen im Herkunftsgebiet physisch praktisch nicht mehr existieren. Das Münchner IKGS ist eine der Institutionen in der Bundesrepublik, die sich damit befassen.

Die in dem Band vorliegenden Beiträge behandeln jeweils Aspekte dieser Erinnerungskultur, die auf dem kollektiven Gedächtnis der Gruppen aufgebaut sind. Ein wesentlicher Teil des kollektiven Gedächtnisses wird über Literatur vermittelt, nicht nur die Banater Nobelpreisträgerin Herta Müller ist ein lebendiges Beispiel dafür. Der „Inszenierung von Erinnerung“ in ihrem Roman „Atemschaukel“ widmet sich der Beitrag der Temeswarer Germanistin  Grazziella Predoiu. Über die poetische Identitätskonstruktion bei dem aus Siebenbürgen stammenden Dichter Franz Hodjak schreibt Réka Sánta-Jakabházi. Jürgen Lehmann hat die rumäniendeutsche Lyrik des späten 20. Jahrhunderts im Visier seiner Forschungen. Dieter Schlesaks Roman über Vlad Dracula („Die Dracula-Korrektur“) steht im Fokus des Münchner Literaturwissenschaftlers Markus May, während sich Waldemar Fromm das Non plus Ultra des kulturellen Selbstverständnisses der Siebenbürger Sachsen zum Forschungsgegenstand erkoren hat, Adolf Meschendörfers „Siebenbürgische Elegie“ von 1927, die, damals schon als vorausschauend interpretiert („zögernd bröckelt der Stein“), durch  den Exodus der Sachsen aus Siebenbürgen nach 1945 eine besondere Rezeptionsgeschichte erfuhr.

Aus historiografischer Sicht befasst sich der Grazer Harald Heppner mit der ruralen Erinnerungskultur der Banater Schwaben um die Jahrtausendwende. Über die Kriegerdenkmäler des Ersten Weltkriegs als Zeichen der Erinnerungskultur im Banat und in Siebenbürgen schreibt der Historiker Bernhard Böttcher. Die Deportation der Rumäniendeutschen in die Sowjetunion gilt als eines der wichtigsten kollektiven Erlebnisse des 20. Jahrhunderts, sie ist Gegenstand des Beitrags des jungen rumänischen Forschers Cristian Cercel. Florian Kührer-Wielach, derzeitiger Direktor des IKGS, befasst sich dagegen mit der Nachkriegsgeschichte der Rumäniendeutschen im Zeichen der kommunistischen Indoktrination, indem er die Darstellung des „gemeinsamen Kampfes gegen den Faschismus“ in der Zeitschrift „Forschungen zur Volks- und Landeskunde“ untersucht.

Die Beiträge sind in der Veröffentlichungsreihe des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der LMU München als ein weiteres Puzzleteilchen aus dem Gesamtbild der Geschichte und Identität der Rumäniendeutschen erschienen.    

Jürgen Lehmann / Gerald Volkmer (Hrsg.): Rumäniendeutsche Erinnerungskulturen. Formen und Funktionen des Vergangenheitsbezuges in der rumäniendeutschen Historiografie und Literatur. Regensburg: Pustet, 2016. 184 Seiten. ISBN 3-7917-2784-2. Preis: 24,95 Euro.