zur Druckansicht

Von einem, der auszog, die Welt zu ergründen

Im Forum Ostsüdost der Leipziger Buchmesse wurde Marius Koity (Mitte) am 26. März 2017 der Lyrik-Debütpreis des Pop-Verlags verliehen; links die Schriftstellerin Barbara Zeizinger, rechts der Verleger Traian Pop. Foto: Maria Koity

Zu Marius Koitys preisgekröntem Debütband „Eine unvermeidliche Collage“ - Es ist eine Besonderheit, wenn ein deutschsprachiger Autor in Rumänien, der 1987 Gedichte in Zeitungen und einer Literaturzeitschrift, aber noch kein einziges Buch vorweisen kann, einen Literaturpreis erhält. Wenn der gleiche Autor dreißig Jahre später den Debütpreis eines aus Rumänien stammenden Verlegers in Deutschland erhält, der vor allem Autoren aus dem Osten und Südosten in deutscher Sprache verlegt, wird die Sache für Außenstehende noch verwirrender. Dabei spiegeln diese beiden Fakten nur die politische Geschichte der Deutschen in Rumänien. Es ist auch die Geschichte des Marius Koity. 1966 in Großsanktnikolaus geboren, besucht er die Schule in seiner Heimatstadt, in der schon Jahrzehnte vorher später namhaft gewordene Schriftsteller zu ersten Schreibversuchen animiert worden sind. Nach dem Abitur in Temeswar und der Zeit als Arbeitersoldat unter Tage wird er Redakteur deutschsprachiger Zeitungen. Im Literaturkreis Adam Müller-Guttenbrunn in Temeswar liest er, erfährt Zustimmung und Kritik. 1992 siedelt er nach Deutschland aus, lässt sich im Osten Deutschlands nieder, wo er das journalistische Handwerk bis heute ausübt. Erfolgreich, 2016 erhielt er den Journalistenpreis Thüringen.

Mit seinem Erstling „Eine unvermeidliche Collage. Gedichte, meine alten Tagebücher und andere Papiere“, im Ludwigsburger Pop-Verlag erschienen, gewährt uns Marius Koity Einblick in sein bisheriges dichterisches Schaffen. Er entpuppt sich als genauer Beobachter seiner Umwelt und reflektiert diese in äußerst knappen Zeilen: „bluejeansgeneration / verirrt ein schwabenrock / der dichter besingt einen kahlen acker“, wird das Gedicht „provinzzug“ eingeleitet. Die Gedichte, die Ende der achtziger Jahre entstanden sind, zeugen von Enge, Bevormundung und Unbehagen, von einer bleiernen Zeit. Picasso würde nun die „wenigen worte / die wir noch haben“ malen, „Losungen / drücken ihm eine Falte in die Stirn“, heißt es in einem Gedicht über den Vater, und den „üblichen Mailieder[n] / aus dem Rundfunk, / [dem] Blöken der Schafe, / [dem] Gackern der Hühner ums Haus“ stellt der Autor „Die Knappheit der Begriffe, / die es gibt / für uns Mächtige, / Mächtige“ gegenüber.

Ja, Koitys Verse aus den achtziger Jahren sind politisch, sie wirken aber nicht plakativ. Die dürren Zeilen entfalten eine breite Wirkung, sie lassen jedem Leser genügend Raum, um sich auf den Dichter und sein Werk einzulassen. Dabei begegnen wir Wortschöpfungen, wie dem „Hohnsamen“, der wieder und wieder in Münder wie Furchen ausgestreut wird, eine Persiflage inhaltsleerer Parolen und uniformer Verhaltensweisen während des kommunistischen Regimes.

Interessant bleibt es, wenn wir Koitys Texte aus dem Banat der achtziger Jahre jenen aus den neunziger Jahren gegenüberstellen. Nunmehr in Thüringen lebend, wahrt er eine kritische Distanz, die stets aus einer persönlichen Betroffenheit entsteht. Er macht „Überheblichkeit als Ritual“ aus, spricht von „meiner Wahrheit“ und „deiner Wahrheit“, spricht von Krähen, die sich am Konjunktiv berauschen, und vom „Moos / im Mund“.

Es lohnt, die Notate und Verse Koitys immer wieder zu lesen, jedem Wort nachzugehen und es auf seinen Inhalt und seine Bezüge abzuklopfen. Dies haben in Temeswar – auch das gehört zu diesem Band – die Informanten der Securitate ebenfalls gemacht. Sie lieferten dem Geheimdienst Interpretationen der Gedichte, um diese als Druckmittel auf den jungen Autor einzusetzen. Koity, der 2011 nach Bukarest gefahren war, um seine Securitate-Akte einzusehen, berichtet auf acht Seiten über diese Versuche und stellt ihnen seine Tagebuchaufzeichnungen gegenüber. Sie offenbaren den Druck, dem der junge Mann ausgesetzt war.

In seiner Laudatio auf den Preisträger des Pop-Verlages (Lyrik-Debütpreis 2017) schrieb der Dichter und Journalist Horst Samson: „Marius Koitys Gedichte handeln immer wieder von einem, der auszog, die Welt zu ergründen. Das gelingt ihm eindringlich, vor allem, wenn er seinen Blick engagiert auf die geschlossenen Enden der Gesellschaft fokussiert.“ Man könnte hinzufügen: Er öffnet sie und er öffnet uns die Augen. Dabei wird er von Dieter Beck unterstützt, der den Band illustriert hat.

Marius Koity: Eine unvermeidliche Collage. Gedichte, meine alten Tagebücher und andere Papiere. Ludwigsburg: Pop-Verlag 2016, 88 Seiten. Preis: 15,50 Euro.